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Kapitalist/Innen und Bürokrat/Innen verteidigen deutsches Modell

Export als Waffe

Frederik Haber, Neue Internationale 218, April 2017

Jetzt singen sie alle das hohe Lied des freien Handels: die Kanzlerin, der Kandidat, Gewerkschaftsspitzen und Unternehmerverbände, die Autobosse und ihre Betriebsratsfürsten. Schuld ist Trump. Der sagt, er will mehr Jobs für AmerikanerInnen und meint - wie alle KapitalistInnen, wenn sie von Arbeitsplätzen sprechen - mehr Profite. Aber eben für US-amerikanisches Kapital.

Erreichen will er dies durch Einfuhrzölle und eine Abschottung des US-Marktes. Besonders stinken ihm die vielen Importe aus Deutschland. Diese seien auch deshalb so hoch, weil sie auf einem schwachen Euro beruhen, der nicht der Wirtschaftskraft der BRD entspreche. Auch wenn alle VertreterInnen der deutschen Autoindustrie aufheulen: Das sind keine Fake-News, da hat er einfach Recht.

Wieder Weltmeister

Im Jahr 2016 exportierte die deutsche Wirtschaft Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro, so viel wie noch nie. China wurde als größter Exporteur wieder abgelöst. Auch die Importe stiegen, aber die Differenz zwischen Export und Import wuchs weiter. Dieser „Exportüberschuss“ (oder auch Handelsbilanzüberschuss) stieg von 59 Milliarden im Jahre 2000 auf 155 Milliarden (2010) und im letzten Jahr auf 250 Milliarden Euro.

An allen Exporten hat die Industrie einen Anteil von 66 Prozent, gegenüber einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von nur 26 %. Die Schwergewichte des deutschen Exports sind Kfz mit einem Anteil von 18 %, zu denen man noch mal 3 % sonstigen Fahrzeugbau rechnen kann. Der Maschinenbau kommt auf 9,6 %, chemische und pharmazeutische Erzeugnisse zusammen auf 8,8 %. Diese drei Großbranchen decken also knapp 60 % des industriellen Exports ab. Autos und andere Fahrzeuge alleine über 30 %. (Zahlen des statistischen Bundesamtes für 2014)

Der Großteil der Exporte geht nach Europa. Im Jahre 2015 gingen von 1,2 Billionen weltweiten Exporten 0,8 Billionen nach Europa, in die EU 0,7 Billionen und in die Eurozone 0,43 Billionen. Bei genauerer Betrachtung, wie sich diese Exporte und auch der Exportüberschuss gesteigert haben, wird klar, dass der Binnenmarkt der deutschen Wirtschaft genutzt hat und der Boom der deutschen Exporte vor allem zulasten der europäischen „PartnerInnen“ ging. Oder anders gesagt: Die Krise der EU ist ein Ergebnis der deutschen Dominanz und die nationalistischen Wellen in vielen europäischen Ländern sind auch eine Reaktion auf diesen Wirtschaftskrieg.

Die gemeinsame Währung Euro nutzt in der Tat dem deutschen Export auch noch zusätzlich. Im Wechselkurs zum Dollar und anderen internationalen Währungen bildet er die Wirtschaftskraft der gesamten Eurozone ab, also einen Querschnitt aus der deutschen wie auch den Euro-Volkswirtschaften, die seit 2008 nicht mehr aus der Krise rausgekommen sind und dank deutscher „Hilfe“ immer tiefer sinken.

Export, Export über alles

Exportüberschüsse eines Landes sind immer auch die Defizite anderer Länder. Diese verschulden sich bei den Exporteuren, die auf dieser Basis nicht nur Zinsen kassieren, sondern auch die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen diktieren können: Abbau der Sozialleistungen, Lohnsenkungen, Arbeitsmarkt“reformen“ zulasten der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften.

Die Exportüberschüsse sind die wichtigste Waffe des deutschen Imperialismus im Kampf um die Neuaufteilung von Macht und Einfluss in der Welt. Was für die anderen Großmächte Panzer und Flugzeuge sind oder die Finanz- und Kreditinstrumente, das sind für Deutschland Schiffsladungen voll Autos.

Diese Waffe droht natürlich stumpf zu werden, wenn der „freie Handel“ in Gefahr gerät. Das hohe Lied des freien Handels, das nun aus deutschen Kehlen erklingt, ist natürlich falsch und verlogen. So erhebt zum Beispiel die EU Strafzölle (73,7 %) auf chinesischen Stahl und auch die USA (520 %) haben das schon vor Trump unter Obama getan.

Der Angriff Trumps auf die deutsche Industrie muss von der deutschen Regierung und Wirtschaft aber ernst genommen werden. Die ähnlich lautenden Klagen der europäischen „PartnerInnen“ über diese Politik waren seit Jahren einfach abgetan worden. Dieses Thema dürfte eine große Rolle bei den G20-Treffen in Hamburg und schon davor spielen.

Kopf aus dem Sand!

Für Linke darf es weder darum gehen, den deutschen Imperialismus zu verteidigen noch Trump zu unterstützen. Aber dieser Konflikt kann all denen die Augen öffnen, die den Kopf seit Jahren in den Sand stecken. Die ganze Führungsriege der LINKEN tut so, als gäbe es keine weltweite Krise des kapitalistischen Systems, für sie gibt es nur Verirrungen des Finanzmarktes und Ausgeburten neoliberaler Ideologie. Sie ignorieren die zunehmende internationale Konkurrenz, die die KapitalistInnen und ihre Regierungen zu immer schärferen Angriffen auf ArbeiterInnen, die Umwelt, die Demokratie und einiges mehr zwingt. Wenn sie das Exportproblem überhaupt zur Kenntnis nehmen, tun sie so, als wäre die EU als eine Gemeinschaft gleichberechtigter kapitalistischer Länder möglich mit einer gerechten Arbeits- und Profitverteilung. Sie kommen mit Ideen daher, die deutschen Exportüberschüsse durch kräftige Lohnsteigerungen zu senken und mit den Überschüssen den Binnenmarkt zu stärken - was natürlich nur funktionieren würde, wenn die deutschen Lohnabhängigen dann auch nur deutsche Daimler kaufen und keine chinesischen Laptops. Da enden die HeldInnen der Linken im gleichen nationalstaatlichen Denkmuster wie Trump und Co. mit ihrem „Buy American“.

Die Gewerkschaften rücken in dieser Situation noch enger an die Seite des industriellen Großkapitals. Die Spitzen von DGB und IG Metall schreien jetzt nach TTIP, wo Trump es in Frage stellt. Dabei haben Leute wie der DGB-Vorsitzende Hoffmann keinerlei Hemmungen, dies gemeinsam mit den Unternehmerverbänden und der Regierung zu tun (SZ 8.2.17).

Die Gesamtbetriebsräte der Autoindustrie weisen gemeinsam mit der IG Metall „ den Vorwurf unlauterer Wettbewerbsbedingungen … entschieden zurück.“ Sie kleben auf die deutschen Autos auch noch das soziale Gütesiegel: „Als Arbeitnehmervertreter haben wir entscheidenden Anteil daran, dass die Absatz- und Exporterfolge der deutschen Automobilindustrie nichts mit Lohn- und Sozialdumping zu tun haben: Starke Gewerkschaften und Betriebsräte, eine hohe Tarifbindung, die gute und sichere Einkommen sicherstellt, sowie ausgeprägte Schutz- und Mitbestimmungsrechte für die Beschäftigten bilden das Fundament der deutschen Automobilindustrie. Auf dieser Grundlage bestehen die deutschen Automobilbauer mit hochwertigen Produkten im internationalen Qualitätswettbewerb.“

(www.igmetall.de/20170214_Gegen_Protektionismus_und_ Renationalisierung__berarbeitet_neu__003__ b1eb2156eb6e4ad6acf1a90039062bd902e3e571.pdf)

So eilfertig springen die Betriebsratsfürsten an die Seite ihrer Konzernchefs, dass sich selbst der linksbürgerliche Ökonom Flassbeck fragt: „Sind die deutschen Gewerkschaften zu Lohndumpingleugnern geworden?“ (https://makroskop.eu/ 2017/03) Damit weist er auf einen weiteren Punkt hin, der neben dem Euro, dem Auffressen der anderen EU-Industrien und einer gewissen technologischen Führung in den großen Exportindustrien eine entscheidende Rolle beim deutschen Exportwunder gespielt hat: die stagnierenden Reallöhne.

Die Agenda 2010 lässt grüßen

Von 1995 bis 2013 sind die Reallöhne in Deutschland gerade mal um 2 % gestiegen - laut den „Nachdenkseiten“. Es gibt unterschiedliche Betrachtungen und Ergebnisse, aber einig sind sich alle Untersuchungen, dass die Reallöhne überall sonst stärker gestiegen sind als in Deutschland. Und alle sind sich auch sicher, dass die Spreizung zwischen den besser verdienenden Schichten der ArbeiterInnen im Lande und den anderen immer mehr zunimmt. Das Eigenlob der Automobil-Betriebsratsfürsten für „eine hohe Tarifbindung, die gute und sichere Einkommen sicherstellt“, gesorgt zu haben, gilt nur für die Stammbeschäftigten: nicht für die LeiharbeiterInnen, deren Löwenanteil heute just in dieser Branche tätig ist; nicht für die Beschäftigten, deren Arbeit - oft unter tätiger Mithilfe der Betriebsräte - fremdvergeben wurde und die erst mühsam eine Tarifbindung kurz oberhalb des Mindestlohnes erkämpfen müssen; nicht für die Beschäftigten der ZulieferInnen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit vom Tarifvertrag abweichen, so er überhaupt gilt; schon gar nicht für ArbeiterInnen in der ausländischen Zulieferindustrie, deren Teile in den Hallen von Mercedes, Audi und BMW einen solchen Wertzuwachs erfahren, dass eine Umsatzrendite von rund 10 % erzielt wird und für die Stammbelegschaft eine vierstellige Jahresprämie rausschaut.

Es ist die Aufgabe von GewerkschafterInnen, hohe Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Aber es ist eine Schande, dies auf Kosten anderer Lohnabhängiger zu tun. Das Gekungele mit dem/der „eigenen“ KapitalistIn zum Wohle „des Unternehmens und seiner Beschäftigten“ ist widerlich, aber reformistischer Alltag. Eine Klassenzusammenarbeit für die Förderung des Exports heißt, sich zu Unteroffizieren im globalen Wirtschaftskrieg zu machen. Das wollen die GewerkschafterInnen und die meisten Linken nicht sehen.

Freihandel oder Protektionismus?

In einer Periode verschärfter Konkurrenz ist der Ruf nach dem Schutz der „eigenen“ Industrie der nationale Reflex auf die Bedrohungen durch den Weltmarkt. Die Forderung freilich ist nicht links, sondern reaktionär und illusionär. Die Ausdehnung des internationalen Handels, die Schaffung globaler Produktionsverbünde liegt in der Entwicklung des Kapitalismus selbst.

Dieser internationale Charakter steht in krassem Widerspruch zur Existenz der Bourgeoisie als herrschender Klasse - nämlich als vieler nationaler Bourgeoisien in heftiger Konkurrenz untereinander, umso heftiger, je tiefer die Krise des Systems geht. Dieser Widerspruch selbst wird immer größer, als einer von mehreren dieses Systems. Ganz praktisch zeigt sich dies z. B. daran, dass die deutsche Bourgeoisie die EU braucht, um weltweit mitspielen zu können, sie zugleich aber untergräbt, weil sie um jeden Euro auch gegen ihre „PartnerInnen“ kämpft.

Ob ein nationales Gesamtkapital oder einzelne Kapitalfraktionen nach mehr Schutz der eigenen Industrie rufen oder nach mehr Freihandel hängt letztlich von der Stellung im Konkurrenzkampf ab, davon, welche gerade für die eigenen Ziele günstigere Bedingungen verspricht. Auch das zeigt sich an der EU und Eurozone. Für das deutsche Kapital öffnet sie den Zugriffe auf Märkte in der Union, zugleich ist sie auch Schutz vor außereuropäischen KonkurrentInnen.

Für den Freihandel traten zwar auch schon Marx und Engels ein - allerdings nicht, um eine Wettbewerbspartnerschaft mit dem nationalen Kapital zu begründen, sondern weil dieser die Produktivkräfte entwickle, damit die ArbeiterInnenklasse vergrößere und günstigere Bedingungen für die Revolution schaffe. Aus denselben Erwägungen lehnte Lenin Protektionismus und kleinbürgerlichen „Antimonopolismus“ ab. Er trat nicht für die Zerstückelung von Monopolen ein, sondern für deren Enteignung unter ArbeiterInnenkontrolle.

Bruch mit dem Nationalismus

Marx´ und Lenins Politik war also direkt dem der Betriebsratsfürsten entgegengesetzt. Für sie war klar: Die weltweite ArbeiterInnenklasse kann die Konkurrenz und den Kampf zwischen den herrschenden Klassen für sich nutzen, um diese mitsamt ihrem verrotteten System zu stürzen. Sie kann es, wenn sie selbst sich international vereinigt für dieses Ziel. Der Nationalismus wie auch die Klassenzusammenarbeit der real existierenden politischen wie gewerkschaftlichen Führungen müssen dafür bekämpft und letztlich überwunden werden.

Dieser Aufgabe müssen sich heute alle Linken, alle AntikapitalistInnen, alle die stellen, die gegen dieses System kämpfen wollen. Die G20 in Hamburg sind übrigens eine gute Gelegenheit, hier auch praktisch weiterzukommen.

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Nr. 218, April 2017
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