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TTIP

Wirtschafts-NATO stoppen!

Hannes Hohn, Neue Internationale 203, Oktober 2015

Nachdem über TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) monatelang hinter verschlossenen Türen verhandelt worden war, hat sich nicht nur eine immer stärkere mediale Debatte entwickelt, auch die Proteste gegen das TTIP sind europaweit immer lauter geworden. So gab es z.B. in München parallel zum G7-Gipfel in Elmau eine Großdemo.

Nicht zuletzt diese Proteste haben etwas bewirkt. Die EU-Kommission hat einen Haupteinwand der KritikerInnen aufgegriffen und will die Regelungen zum Investorenschutz überarbeiten und darüber mit den USA verhandeln. Künftig sollen Streitfälle zwischen Investoren und dem Staat vor einem öffentlichen Handelsgericht anstatt vor einem eher Lobby-bestimmten Schiedsgericht ausgetragen werden. Alle Dokumente sollen öffentlich einsehbar sein. Die 15 Richter sollen öffentlich berufen werden. Auch ein Berufungsgericht soll entstehen.

Solche und noch andere mögliche Modifikationen sollten uns jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass am Kern des TTIP-Vertrags nichts geändert werden soll. Neben den Konservativen (in Deutschland die Unions-Parteien) werden letztlich auch die meisten der jetzigen KritikerInnen aus dem bürgerlichen Lager klein beigeben. Dafür sind die Interessen der Kapitale dies- und jenseits des Atlantik zu mächtig und der Druck der imperialistischen Konkurrenz v.a. mit China zu stark. Die anhaltende Krise der EU, die Probleme der BRIC-Staaten und v.a. das Stottern des Motors der Weltwirtschaft China zwingen die imperialistischen Staaten und Blöcke zu mehr Kooperation zu Lasten der jeweils anderen. Damit ist aber auch klar, dass das TTIP die globale Konkurrenz noch weiter anheizt und nur das Vorspiel für die nächste Runde neoliberaler Weltmacht-Projekte ist.

Konzerninteressen über alles

Mit TTIP sollen Handel und Investitionen zwischen USA/Kanada und EU neu geregelt werden. Geplant ist eine Freihandelszone, welche Waren- und Kapitalflüsse ankurbeln, den Monopolen Vorteile gegenüber ihren globalen Konkurrenten verschaffen und für höhere Profite sorgen soll.

TTIP würde die Einzelregelungen zwischen Konzernen und Staaten (ISDS), die es bereits gibt, auf eine allgemeingültige Grundlage stellen, so dass es für Streitfragen zwischen Investoren und Staat eine generelle Rechtsgrundlage gibt. Schon jetzt hat Deutschland über 140 ISDS-Regelungen ausgehandelt.

Das Besondere solcher Regelungen ist, dass die rechtliche Stellung von Konzernen ausgeweitet wird und sie so eine bessere Rechtsposition bei Streitigkeiten mit Staaten oder Gewerkschaften bekommen. Politische Entscheidungen nach Vertragsabschluss sollen die Investitions- und Profitpläne, auch wenn die neuen politischen Regeln demokratisch zustande kommen, nicht stören.

Dazu waren „Schiedsstellen“ vorgesehen, welche die dann geltenden Sonder-Klage-Rechte von Konzernen behandeln. Bisher konnten nur Staaten gegen Staaten klagen; gemäß dem TTIP hätten dann auch Unternehmen dieses Recht. Die Schiedsgerichte sind allerdings keine Rechtsorgane im herkömmlichen Sinn, sondern Strukturen, in denen Juristen und Fachleute der Konzerne mit dem Staat verhandeln. Von einer demokratischen Kontrolle oder der „Unabhängigkeit“ der Justiz kann dann fast keine Rede mehr sein. Gegen die Entscheide dieser Schiedsstellen würde es auch keine Berufungsmöglichkeit geben.

Durch das TTIP soll es eine Angleichung von Regelungen und Standards geben, z.B. Produktstandards und Umweltrichtlinien. Dabei sollen möglichst jene gelten, welche die höchsten Profite sichern. So sind etwa die Richtlinien für Lebensmittel in der EU höher als in den USA. Eine Angleichung würde z.B. bedeuten, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel aus den USA nach Europa kommen könnten, wie auch andersherum europäische Anbieter die lascheren Normen in den USA nutzen könnten.

Durch das TTIP sollen auch Hemmnisse und Risiken für Auslands-Investitionen abgebaut werden und für schon erfolgte Investitionen die Möglichkeit geschaffen werden, zu klagen, wenn durch Gesetze oder Streiks Gewinneinbußen eintreten.

Angriff auf die ArbeiterInnenklasse

Die Befürworter des TTIP versprechen sich höhere Wachstumsraten, mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze und höhere Steuereinnahmen. Doch die Erfahrungen mit früheren Regelungen zeigen, dass sich die Sache für die Lohnabhängigen ganz anders darstellt. Oft gehen Arbeitsplätze verloren, die Standards von Löhnen und Arbeitsbedingungen sinken und die juristischen und politischen Bedingungen, um sich dagegen zu wehren, verschlechtern sich. So ist die Bezeichnung „Wirtschafts-Nato“ für das TTIP gerade hinsichtlich der damit verbundenen Angriffe durchaus zutreffend.

Die USA haben z.B. viele Normen der UN-Arbeitsorganisation ILO nicht unterzeichnet, darunter so wichtige Rechte wie das auf Koalitionsfreiheit, auf kollektive Tarifverträge und auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Mann und Frau. Die Angleichung der Verhältnisse in der EU an jene in den USA, wo die Rechte der Beschäftigten wie der Gewerkschaften meist schlechter als in Europa sind, hätte also fatale Folgen. Nach den Angriffen auf Lohnniveaus und Flächentarife durch die Hartz-Reformen käme mit dem TTIP der nächste Frontalangriff. Doch während die Hartz-Reformen die juristischen Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften nicht eingeschränkt haben, würde genau das mit dem TTIP passieren. Für gewerkschaftliches Handeln und für jeden Widerstand wäre tendenziell die juristische Rechtfertigung untergraben - die Klassenkampfbedingungen würden sich verschlechtern.

Hintergrund des TTIP ist allgemein die globale Krise und konkret das Scheitern der WTO, global ein neoliberales System zu etablieren, das den führenden imperialistischen Mächten erlaubt, weltweit „durchzuregieren“. Nun suchen die imperialistischen Staaten und Konzerne nach neuen Wegen. So gibt es weltweit bereits hunderte Einzelvereinbarungen, mit denen sich die Konzerne genügend Ellbogenfreiheit gegenüber den Staaten und der Arbeiterbewegung verschafft haben.

Kritik

Die TTIP-Verhandlungen waren geheim, selbst das EU-Parlament blieb außen vor und durfte nur Beobachter entsenden. Die Geheimnistuerei bei den Verhandlungen, die Klagerechte für die Konzerne, die Schiedsgerichte - all das sind Beispiele dafür, wie selbst die bürgerliche Demokratie ausgehebelt wird.

Die Spitzen im DGB tragen treu alle Projekte des deutschen Imperialismus mit: Hartz-Reformen, Auslandseinsätze, Lissaboner Agenda, Lohnzurückhaltung oder Leiharbeit. Entsprechend groß war daher die Überraschung, als IGM-Chef Wetzel einen Stopp der TTIP-Verhandlungen forderte. Doch von konkreten Maßnahmen oder Forderungen an die Parteien - insbesondere an die SPD bzw. die europäische Sozialdemokratie gerichtet - ist nichts zu spüren. Nur die LINKE hat sich bisher offen gegen das TTIP ausgesprochen - mehr allerdings auch nicht.

Sicher wird das TTIP nicht genauso, wie es von US-Seite v.a. in Bezug auf die Absenkung von Arbeitsrechtsstandards und Gewerkschaftsrechten gewünscht wird, durchkommen. Doch es droht der übliche Kompromiss, als „Gegenleistung“ für in Aussicht stehende höhere Wachstumsraten und mehr Arbeitsplätze einige Rechte der Gewerkschaften und der Lohnabhängigen aufzugeben.

Sollte TTIP in Gänze oder in Teilen wirksam werden, würde das nicht nur eine neue, verschärfte Runde internationaler Konkurrenz einläuten, es würde auch eine neue Runde des neoliberalen Klassenkampfs von Oben bedeuten.

Jetzt handeln!

Die möglichen Auswirkungen von TTIP auf die Lohnabhängigen können nur schwer überschätzt werden. Das hat selbst die DGB-Gewerkschaften und ihre Bürokratenstäbe, ja selbst Teile der SPD im groß-koalitionären Taumel beunruhigt, so dass sie ein Aussetzen der Verhandlungen forderten. Freilich haben sich diese Helden rasch von Wirtschaftsminister Gabriel im Gegenzug für einige vage „Bedingungen“ einseifen lassen.

Daher dürfen wir nicht darauf warten, was „Oben“ ausgehandelt wird. Wir müssen schon jetzt Druck machen, dass die Gewerkschaften und DIE LINKE wirklich mobilisieren und die SPD auffordern, das TTIP abzulehnen. Die Proteste müssen national, europaweit und auch über den Atlantik hinweg koordiniert werden. Zum Aufbau des Widerstands schlagen wir u.a. vor:

Veröffentlichung aller Vertragsentwürfe, Forderungen, Verhandlungsprotokolle! Nein zu allen Geheimverhandlungen!

Für Versammlungen in Betrieben und Stadtteilen, um über das TTIP aufzuklären und Aktionen zu organisieren!

Für eine bundesweite Aktionskonferenz, die einen Aktionsplan beschließt und Gewerkschaften, SPD und LINKE auffordert, gegen das TTIP zu mobilisieren!

Falls das TTIP in Kraft tritt: international koordinierte Streiks und Massendemonstrationen, bis das Abkommen vom Tisch ist!

Doch wir sollten uns bewusst sein, dass selbst für den Fall, dass TTIP nicht zustande kommt, die großen Konzerne und die globale Konkurrenz wirksam bleiben und ein Scheitern von TTIP nur dazu führen würde, dass das nächste Projekt dieser Art auf Schiene gesetzt wird. Letztlich bietet nur die Überwindung des Kapitalismus eine Sicherheit vor solchen neoliberalen Heimsuchungen wie TTIP.

Die humanitäre Katastrophe der Flüchtlingsströme, die sich vor unseren Augen abspielt, verweist nur allzu dramatisch darauf, zu welchen Schrecken die vom Imperialismus beherrschte und gemäß seinen Profitinteressen eingerichtete Welt führt. Und letztlich können wir nicht alle fliehen - doch wir können uns wehren. Hier und heute!

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Nr. 203, Oktober 2015
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