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Gewerkschaftstag

IG Metall auf dem Prüfstand

Frederik Haber, Neue Internationale 203, Oktober 2015

Die größte Einzelgewerkschaft der Welt hält ihren Gewerkschaftstag ab 18. Oktober in Frankfurt ab. Rund 500 Delegierte und etwa noch einmal so viele Gäste und hauptamtliche Angestellte werden sich eine Woche lang feiern. Es wird Debatten geben, aber keine wirklichen Auseinandersetzungen. Und kaum Überraschungen. Das System der Antragsbehandlungen ist eingeübt, der neu zu wählende Vorsitzende steht fest. Regierungsvertreter werden Reden halten und sollte Merkel kommen, werden sich die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaft geehrt fühlen. Vorbei die Zeit, als ein Schröder trotz Mahnungen des Präsidiums Pfiffe erhielt. Merkels Besuch auf dem Gewerkschaftstag 2011 führte damals zur verbreiteten Einschätzung im Apparat, man sei noch nie so anerkannt und stark gewesen.

An der Basis sieht man das anderes. Ja es gibt Tariferhöhungen, die über dem Durchschnitt aller Branchen liegen. Aber was Betriebsschließungen, Personalabbau, Lohnkürzungen oder unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit betrifft - letztlich verhindert die Gewerkschaft nichts davon und nirgends.

Arbeitsplätze sichern oder verteidigen?

Aber natürlich sichert die IG Metall dauernd Arbeitsplätze und „Standorte“, also Betriebe. Die Betriebsratsspitzen - vor allem die Gesamtbetriebsräte - und die IGM-Bezirksleitungen verhandeln und beschließen mit praktisch allen Unternehmen „Standort“-, „Beschäftigungs“- oder „Zukunftssicherungs“-Verträge. Diese regeln aber immer auch den Verzicht auf Lohn, Lohnerhöhung oder Weihnachts- und Urlaubsgeld. Sie erweitern oft die Arbeitszeit - unbezahlt natürlich - und beinhalten dann oft genug noch einen Abbau von Arbeitsplätzen, wenn auch meist mit Verzicht auf Entlassungen.

Nur selten steht so ein Vertrag am Ende eines Kampfes gegen Werksschließungen und kann dann als erkämpfter Kompromiss gesehen werden.

Anders als bei den „betrieblichen Bündnissen für Arbeit“ der späten 90er Jahre, als Betriebsräte diese an der Gewerkschaft vorbei aushandelten, gibt das „Pforzheimer Abkommen“ Regeln vor, wie mit dem Segen der IG Metall von Tarifverträgen abgewichen werden kann. In der Tat gelten diese vollumfänglich nur noch in wenigen Betrieben, im Grunde nur für die Stammbelegschaften der Autokonzerne und bei Teilen der großen Zulieferer wie Bosch oder ZF.

An der Basis herrscht also eine ganz andere Stimmung als in den Messehallen in Frankfurt, wo sich der Apparat selbst feiert im Stil mittelalterlicher Hofhaltung, zu der die (Betriebsrats)-Fürsten anreisen, um ihren neuen Kaiser zu krönen.

Warum?

Warum führt die IG Metall keine großen Streiks mehr? Die Streikkasse ist mit Milliarden Euro gefüllt. Warum ließ sie es zu, dass gerade ihre Kampfbelegschaften, allen voran OPEL Bochum, abgewickelt wurden und beteiligte sich sogar daran? Warum kämpft sie angesichts von Arbeitslosigkeit nicht mehr für Arbeitszeitverkürzung, ja lehnt diese sogar explizit ab, wie die Initiative für die 30-Stunden-Woche vor anderthalb Jahren? Warum akzeptiert sie Leiharbeit und Werkverträge und damit die Spaltung der Belegschaften im Prinzip? Warum wurde ein Tarifvertrag zur Leiharbeit forciert, wenn die LeiharbeiterInnen ohne diesen Tarif das Gleiche wie Stammbelegschaften verdienen würden? Warum erhalten die Autokonzerne mit dem Gewerkschaftssegen dauerhafte Quoten für Leiharbeit, wo diese doch nur für Beschäftigungsspitzen gelten sollte? Warum befürwortet sie den Angriff auf das Streikrecht für Minderheitsgewerkschaften, obwohl sie das auch in manchen Betrieben selbst ist?

Nutzen die FunktionärInnen einfach nur die Chancen nicht? Sind sie unfähig? Sind sie korrupt? Oder ist das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit in der globalisierten Welt einfach ungünstig? Mit Sicherheit gibt es Korruption und das Kräfteverhältnis ist wirklich ungünstig, ja es wird durch die Politik des IG Metall-Führungsapparates immer ungünstiger. Aber das erklärt nicht, warum diese reformistischen GewerkschaftsführerInnen so handeln.

Reformistinnen sind letztlich immer DienerInnen des Kapitals. Was uns also weiter hilft, ist der Blick auf die konkrete Lage der Metall- und Elektrobranche und ihrer Unternehmen. Große Teile davon, vor allem die Autoindustrie und der Maschinenbau, sind sehr stark auf den Export ausgerichtet. Diese Branchen tragen erheblich dazu bei, dass Deutschland Exportweltmeister ist und sie erzeugen dann auch den Exportüberschuss, der dazu führt, dass immer mehr Länder verschulden und in Abhängigkeit von Deutschland geraten.

Der deutsche Imperialismus baut seine Machtstellung in der Welt nicht so sehr mit militärischen Mitteln auf, sondern nutzt seine wirtschaftliche Stärke, um anderen Ländern seinen Willen aufzuzwingen und sie auszubeuten. Alle konnten sehen, dass die EU nicht die friedliche Vereinigung gleichberechtigter Partner ist, sondern in und mit der EU Deutschland diktiert und Milliarden aus Griechenland, Spanien oder Irland herauspressen kann.

Die Metallbranche spielt dabei eine entscheidende Rolle. Es ist kein Zufall, dass Deutschland seine industrielle Position in der Krise ab 2008 noch ausbauen konnte, vor allem auf Kosten der westeuropäischen „Freunde“.

Mit der Agenda 2010 beginnend wurden die Lohnkosten in Deutschland massiv gesenkt. Für die Stammbelegschaften wurden übertarifliche Leistungen abgebaut, es wurde ein riesiger Niedriglohnsektor geschaffen, in den Betrieben durch Ausgliederungen, Leiharbeit und Werkverträge sichtbar. Die Arbeitslosen wurden in Hartz IV degradiert, die Unternehmen bei der Arbeitslosenversicherung entlastet. Mit noch einer gesenkten Kapitalsteuer konnte das deutsche Kapital den Kampf mit anderen aufnehmen, alles bezahlt durch die Arbeiterklasse.

An der Seite der Bestie

Ohne es je offen zu sagen, haben sich die Gewerkschaftsspitzen, allen voran die IG Metall, in die Schlachtordnung eingegliedert. Als erstes wurde die Agenda 2010 akzeptiert, der Streik im Osten für die 35-Stunden-Woche aus den eigenen Reihen heraus sabotiert und gebrochen. ERA griff vor allem die ProduktionsarbeiterInnen an, damit sich die Exporte verbilligen. Die „Zukunftssicherungen“ setzten und setzen diese Strategie in den Betrieb um.

Früher gab es durchaus eine vergleichbare Strategie seitens der reformistischen Gewerkschaftsführung in Wirtschaftskrisen. Es wurde Verzicht geübt, bis die Konjunktur wieder ansprang. Der Verzicht konnte wieder ausgeglichen werden, solange auf längere Sicht die Wirtschaft wuchs. Eine solche „Beteiligung am Aufschwung“ gibt es heute nur für eine immer kleiner werdende Minderheit. Die Stammbelegschaften der Autokonzerne erhalten Erfolgsprämien, die LeiharbeiterInnen, die Befristeten, die WerkverträglerInnen und die Beschäftigten bei den Zulieferern gehen leer aus. Ja, in gewisser Weise bezahlen sie sogar einen Teil dieser Prämien. Der andere Teil kommt letztlich aus den Profiten, die das deutsche Kapital aus seiner Machtposition im internationalen Wettbewerb schlagen kann.

Diese Prämie ist aber nicht nur Belohnung für das Wohlverhalten, sondern zugleich Mittel, ebensolches zu erzeugen. Dafür, dass die Mehrheit ihrer Klientel besser behandelt wird als der Rest der Klasse im Land, sichert die IG Metall den Betriebsfrieden in der Branche. Der ist auch umso dringender nötig, je mehr die internationale Arbeitsteilung vor allem der Auto- und Elektronikindustrie fortschreitet, je niedriger die Lagerhaltung ist und je zielgenauer bestimmte Märkte beliefert werden müssen. Dazu ist einerseits eine ungeheure Flexibilität der Arbeitszeiten nötig. Zum anderen dürfen keine Streiks die Produktion unterbrechen; die Wertschöpfung, wie sie heute sagen.

Das gilt nicht nur für den Oststreik für die 35-Stunden-Woche und alle Tarifkämpfe, die punktgenau so enden, dass es für das Exportkapital - nicht unbedingt jede kleine Bude - verkraftbar ist. Wohl orchestriert wird dieses Ritual jedes Jahr so gefahren, dass keinesfalls etwas aus dem Ruder läuft.

Es gilt auch für die Randbelegschaften. Deshalb brauchen die LeiharbeiterInnen einen Tarifvertrag, auch wenn er ihre Lage verschlechtert. Ohne Tarifvertrag könnten sie jederzeit streiken. Und auch wenn sie schlecht organisiert sind, an bestimmten Brennpunkten könnten sie ganze Konzerne lahm legen. Es gilt auch für die Firmen, die über Werkverträge zuliefern oder Schlüsselstellungen in der Logistik der Auto-Konzerne haben. Und deshalb ist die IGM hier für ein Streikverbot für unberechenbare Gewerkschaften einschließlich ver.di, die eigentlich für die Logistik zuständig sind.

Bereits vor einigen Jahren hat die IG Metall sich in ihrer Satzung auch für „industrienahe Dienstleistungen“ zuständig erklärt. Und just zur Debatte über den Angriff auf das Streikrecht unter dem irreführenden Titel der „Tarifeinheit“ veröffentlichte der Vorstand den Brief eines ungenannten Betriebsrats von Stute Logistik, die innerhalb von Airbus arbeitet. Er beklagte sich über Interventionen von verdi, wo sie doch alle treu zur IG Metall stünden.

Einerseits ist der Zynismus erstaunlich, mit dem die IG Metall sich jetzt um Bereiche kümmert, die ihre Betriebsratsfürsten einst der Ausgliederung geopfert haben, um die Restbelegschaft abzusichern. Anderseits geht dieser Zynismus weiter. Der schöne Schlachtruf ´Wir organisieren die ganze Wertschöpfungskette` heißt natürlich nicht, dass diese ArbeiterInnengruppen wieder in den IG Metall-Industrietarif zurückgeholt werden sollen. Nein es soll billiger gehen. Der „Kampf gegen Werkverträge“ sieht zum Beispiel bei BMW so aus, dass es eine Absichtserklärung der Firmenleitung und der Betriebsräte gibt, dass in der Logistik nur Firmen zum Zuge kommen sollen, die seitens der IG Metall organisiert sind, aber „einen modernen Dienstleistungstarif“ haben. Was tarifpolitisch natürlich den Flächentarif weiter aushöhlt. Solche Tarife werden sich auch in der Produktion bald ausbreiten.

Dünnes Eis

So zynisch diese Politik ist, sie kommt daher als Gutmenschentum. Die LogistikarbeiterInnen, einst von der IG Metall im Stich gelassen, werden sich über so einen Tarif natürlich freuen, wenn er höher ist als der ver.di-Tarif oder der Mindestlohn. Genauso freuen sich die Porsche- oder AudiarbeiterInnen über die Jahresprämie als Ausgleich für die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen in der Produktion. Das sichert den Betriebsratsfürsten und den IG Metall-Chefs derzeit ihre Macht. Es gibt keine Revolte gegen niedrige Tarifabschlüsse, solange andere noch weniger haben.

Revolten sind derzeit da möglich, wo Belegschaften aus diesem Flickschuster-System der Standortsicherungen rausfallen. Wenn die weltweite Wirtschaftskrise auch wieder Deutschland erfasst, können viele „Standortssicherungen“ schnell Makulatur werden.

Aber Revolten ändern die Politik der IG Metall genauso wenig wie die vielen gut gemeinten Anträge, die es auch diesmal wieder auf den Gewerkschaftstag geschafft haben und mit der Annahme einer allgemeinen Resolution des Vorstandes zum Thema ohne Diskussion erledigt werden.

Revolten aber können Kolleginnen und Kollegen in Bewegung bringen und dabei können Erkenntnisse und Perspektiven entstehen wie: die IG Metall muss damit brechen, Gehilfin des deutschen Exportkapitals im globalen Wettbewerb zu sein, sondern Kampforganisation der Klasse werden. Das würde das Kräfteverhältnis in Deutschland, in Europa und weltweit ganz gewaltig ändern. Von der Führung, vom bürokratischen Apparat ist das nicht zu erwarten, dazu braucht es eine organisierte bundesweite klassenkämpferische Opposition.

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Nr. 203, Oktober 2015
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