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Brasilien

Putsch gegen die ArbeiterInnenklasse

Eloy Nogueira, Liga Socialista, Brasilien, Neue Internationale 203, Oktober 2015

Im Juni 2013 gingen die Massen auf die Straße - ursprünglich gegen die Erhöhung der Tarife für den öffentlichen Transport. Aber es dauerte nicht lange, bis andere Forderungen auftauchten, wie z.B. nach Verbesserung des Gesundheitswesens, des Erziehungssystems, des Wohnungswesens, der öffentlichen Dienste sowie gegen die Korruption. Nach und nach breiteten sich die Proteste über das ganze Land aus.

Rechter Einfluss

Doch es gelang Sektoren der extremen Rechten, die Situation auszunutzen und den Hass auf  politische Parteien zu schüren, v.a. gegen die PT (Partido dos Trabalhadores; „Arbeiterpartei“) und die Parteien der Linken. Es gelang ihnen, TeilnehmerInnen an den Protesten gegen DemonstratInnen, die rote Banner oder linke Parteifahnen trugen, aufzuhetzen. Man konnte einen rechten Mob beobachten, der Militante der Linken angriff, die dort mit Transparenten von Parteien wie der PSTU oder der PCO auftraten: ihre Transparente wurden weggerissen, zerrissen und sogar verbrannt.

Trotz der gerechten Forderungen der Bewegung gelang es der Linken nicht, aus diesen Bewegungen zu gewinnen und ihnen eine revolutionäre Richtung zu geben.

Ziemlich bald versuchten die Gewerkschaftsverbände eine Bewegung für eine Einheitsfront ins Leben zu rufen, um der ArbeiterInnenklasse eine Richtung zu geben, aber die Massen, die sie in diesem Moment auf die Straße bringen konnten, entsprachen nicht der großen Kraft, die die Gewerkschaften für sich beanspruchten.

Auch bei der Präsidentschaftswahl 2014 gab es eine starke Polarisierung. Auf der einen Seite versuchte die Kandidatin der PT, die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff, es mit Gerede über die Verteidigung der Rechte der ArbeiterInnenklasse, auf der anderen Seite griff der Kandidat der PSDB (Aécio Néves; PSDB, eine offen neoliberale Partei) ununterbrochen die Korruption an, diesen großen Schandfleck der PT-Regierung.

Im zweiten Wahlgang wurde die Situation noch zugespitzter, mit Straßendemonstrationen und vielen Zusammenstößen der beiden Seiten, auch in den sozialen Medien wie Facebook.

Zum ersten Mal konnte man die Rechte mit Massenaktionen auf der Straße beobachten, die nicht wie früher aus gekauftem Parteivolk bestand. Es war eine Bewegung von Menschen voller Hass auf die PT und den Sozialismus. Diese Bewegung war so groß und stark wie die der PT-AnhängerInnen und UnterstützerInnen der Regierung.

Nach dem erneuten Wahlsieg von Dilma Rousseff hat sich die Bewegung der Rechten nicht zurückgezogen, sondern fortgesetzt mit Demonstrationen, deren Themen von der Denunziation der Korruption, über Petitionen zur Amtsenthebung der Präsidentin bis zu Forderungen nach einem Eingreifen des Militärs reichten.

Aécio Néves unterstützte im Senat die Petition zur Amtsenthebung der Präsidentin, womit er eine Spaltung in der PSDB sichtbar machte, wobei ein anderer Teil der PSDB, um Serra und Alckmin (das alte Parteiestablishment) sich gegen das Amtsenthebungsverfahren stellte.

Die Linke sah die Notwendigkeit, sich gegen eine „Putsch-Bewegung“ in Stellung zu bringen und erinnerte an die Ähnlichkeiten mit Ereignissen aus der Geschichte Brasiliens, als die Regierung Jango (Kurzname für Joao Goulart) im Jahr 1964 durch einen Militärputsch abgesetzt wurde.

Antwort der Regierung und Gewerkschaften

Dies war der Anlass für PT, PCdoB (ehemals maoistischer Teil der brasilianischen KP, heute Teil der Regierungskoalition), PSOL, CUT, CTB (zwei Gewerkschaftsdachverbände), UNE (StudentInnen-Organisation), Consulta Popular, Pastorias Sociais, Pastoral da Terra (katholische Basisorganisationen), MST (Bewegung der LandarbeiterInnen ohne Land), MTST (Bewegung der Menschen mit prekärer Wohnsituation) u.a. sozialer Bewegungen zu einem landesweiten Protesttag unter der Losung „In Verteidigung der Demokratie, gegen den Putsch“ aufzurufen.

Da es sich um eine Einheitsfront handelte, nutzten das die verschiedenen Bestandteile, um ihre  spezifischen Forderungen aufzustellen. So sahen wir die MTST mit der Forderung nach einem Programm für öffentliche Wohnungspolitik; die MST forderte eine Agrarreform; die Mehrheit war gegen die „Ajuste Fiscal“ (eine neue Steuerreform zu Lasten der Masseneinkommen) - letzteres markiert ein weiteres Zurückweichen der Regierung Dilma, die, seitdem sie ihr zweites Mandat hat, nunmehr selbst jene Politik durchführt, von der die Kandidatin Dilma erklärt hatte, was passieren würde, falls Aécio Néves die Wahl gewinnen würde.

Viele ArbeiterInnen wurden durch die Situation auf die Straße getrieben - sowohl gegen die Gefahr von Rechts wie gegen die Steuerreform der Regierung Dilma. Aber es gab auch viele, welche die Regierung Dilma verteidigen wollten. Dieser Teil stand unter der Führung von CUT, CTB, PT und PCdoB.

Tatsächlich benutzten die verräterischen Führungen die „Putschgefahr“, um die Regierung so zu verteidigen, als sei sie eine ArbeiterInnenregierung. Auf der anderen Seite nutzten die Unternehmer, Großgrundbesitzer, Agro-Kapitalisten und v.a. die Bankiers die Situation, um von der Regierung stärkeres Entgegenkommen einzufordern.

Die Regierung Dilma hofft, einer möglichen Amtsenthebung v.a. dadurch zu entgehen, dass sie einen „Dialog“ mit der Bourgeoisie sucht.

Dieses Verhalten ist der tatsächliche „Putsch“ - gegen die ArbeiterInnenklasse. Jetzt ist die Bourgeoisie im Vorteil, weil die Regierung verbraucht ist, in einem Sumpf von Korruption und Skandalen versinkt und daher bereit ist, „den Kopf der ArbeiterInnenklasse auf dem Silbertablett zu servieren“, um den eigenen Kopf zu retten.

Am Tag der „Ausgeschlossenen“, dem 7. September, waren die Demos von Losungen gegen den Putsch und gegen die Steuerreform geprägt.

Doch schon am 14. September beschloss die Regierung ein weiteres Sparpaket, das sich v.a. gegen die ArbeiterInnenklasse richtet. Daneben wurden Haushaltskürzungen von 26 Mrd.  Reais (ca. 6 Mrd. Euro) angekündigt sowie das Einfrieren der Gehälter im Öffentlichen Dienst, das Einfrieren der Finanzierung von „Minha Casa, Minha Vida“ (einem Wohnungsprogramm für die Ärmsten), eine der wenigen sozialen Errungenschaften der PT-Regierung und eine Kürzung beim Gesundheitsbudget um 3,8 Milliarden.

Neue Angriffe

Es ist richtig von der nationalen Koordinierung der MTST, wenn sie sagt, dass „die Lösung für die Haushaltsprobleme gefunden werden muss bei denjenigen, die Geld gescheffelt haben wie nie zuvor in den letzten Jahren“. Sie erklärt, dass sie „auf den Straßen verteidigen werden die Besteuerung der großen Vermögen, der Dividenden und der Gewinneinkünfte und v.a. für eine progressive Besteuerung der Einkommen eintreten werden. Die Reichen, Bankiers und Unternehmer müssen die Rechnung bezahlen“.

Für die ArbeiterInnenklasse ist die Tageslosung die Organisierung und die Mobilisierung auf den Straßen in einer Einheitsfront, die das Ende der Politik der Angriffe auf unsere Rechte und Errungenschaften fordert. So kann die Klasse ihre FührerInnen zum Handeln zwingen oder sie demaskieren und ersetzen, um vorwärtszuschreiten - hin zu einem Generalstreik, ein notwendiges und dringendes  Mittel, um die Regierung Dilma zur Änderung ihrer Politik zu zwingen.

Wir müssen aber auch feststellen, dass Generalstreiks und der Aufbau einer linken Opposition noch lange keine Garantie für das Ende der Austeritätspolitik sind. Das Beispiel Griechenland, wo nach vielen Generalstreiks eine neue, oppositionelle „Linke“ an die Regierung kam, nur um selbst wieder Austeritätspolitik durchzuführen, ist eine eindeutige Warnung: nur der Bruch mit dem Kapital mit einer sozialistischen Perspektive, der Aufbau einer revolutionären Partei der ArbeiterInnenklasse ermöglicht letztlich auch die Verteidigung gegen den Druck des Kapitals.

Dies heißt nicht, dass wir uns nicht an einer breiten linken Oppositionsbewegung beteiligen würden, wie sie etwa um die MTST oder MST entstehen könnte. Im Gegenteil: würden wir diesen Schritt mit den kämpferischen ArbeiterInnen gemeinsam gehen, wir würden aber von Anfang an auf der Notwendigkeit einer revolutionären sozialistischen Perspektive bestehen und erklären, dass dies die einzige Garantie dafür ist, dass auch eine neue linke Opposition nicht wieder so endet wie die PT oder Syriza.

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Nr. 203, Oktober 2015
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