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Griechenland

Tsipras’ Sieg - Niederlage für die ArbeiterInnenklasse

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 27.9.15, Neue Internationale 203, Oktober 2015

Alexis Tsipras und Syriza haben bei den griechischen Parlamentswahlen vom 20.9.15 gesiegt, obwohl sie das dritte Memorandum der Troika akzeptiert haben – trotz dessen deutlicher Ablehnung durch die griechische Bevölkerung Anfang Juli. Dies zeigt den ernsten Charakter der Niederlage für die ArbeiterInnenklasse und die sozialen Bewegungen, die ihnen dieser Verrat gebracht hat.

Syriza konnte den Hauptanteil ihrer Stimmen halten und verlor nur 4 von 300 Sitzen im griechischen Parlament. Dies zeigt, dass die Bewegung gegen Austerität zusammengebrochen ist. Militanz und Begeisterung wichen Demoralisierung und Desorientierung.

Zwar erhielt Syriza 7% weniger Stimmen im Vergleich zu den Wahlen vom Januar 2015, doch es reichte noch für 35,46% und damit für einen gehörigen Vorsprung vor dem bürgerlichen Hauptrivalen, der Nea Dimokratia. Durch die Mandatsbegünstigung für die stärkste Partei nur 6 Sitze von der absoluten Mehrheit entfernt, ging Syriza wieder eine Koalition mit der rechtspopulistischen ANEL-Partei ein.

Linke Gegner des Memorandums

Die Kehrseite dieser Wahlmedaille zeigt das Resultat für die Parteien der ArbeiterInnenbewegung, die gegen das Memorandum auftraten. Die griechische KP (KKE) blieb bei 15 Sitzen und gewann 0,1% hinzu (5,5%). In absoluten Zahlen schrumpfte ihr Anteil jedoch gegenüber dem Januar von 336.188 auf 301.632 Stimmen.

Antarsya, die „Antikapitalistische linke Kooperation für den Umsturz“, eine Koalition aus Gruppen mit stalinistischem und „neulinkem“ Hintergrund, aber auch aus dem trotzkistischen Spektrum vom Vereinigten Sekretariat der 4. Internationale und der cliffistischen IST-Tendenz, verharrte bei ihrem kläglichen Anteil von 0.85% (46.096 Stimmen).

Der klarste Beweis für den Stimmungswandel war jedoch das Ergebnis für die neu formierte Volkseinheit LAE. Sie kommt hauptsächlich aus der ehemaligen linken Plattform in Syriza und wandte sich gegen das Memorandum. Dennoch vereinigte sie nur 2,9%, das sind 155.242 Stimmen auf sich; 11.000 zu wenig, um die 3%-Hürde für den Einzug ins Parlament zu meistern.

Anders gesagt, gelang es dem linken Flügel von Syriza nicht, einen nennenswerten Teil von Syrizas Massenbasis mitzunehmen. Das ist ein erneuter Beweis, dass gegenwärtig ihre Positionen wenig Rückhalt in der Bevölkerung finden und keine Startrampe für einen massenhaften Widerstand gegen das Memorandum abgeben können.

Kurzfristig hat Tsipras dieses Spiel durch die frühe Ansetzung der Wahlen für sich nutzen können. Syrizas Verluste halten sich bemerkenswert in Grenzen. Das bedeutet jedoch nicht massenhafte Zustimmung zu Tsipras´ Position, das Memorandum zu akzeptieren, sondern eher den Wunsch, wenigstens die Rückkehr von Nea Dimokratia an die Macht zu blockieren, d.h. die Wahl des kleineren Übels. Darin steckt sicher auch der Glaube oder die Hoffnung, dass Syriza eine weniger korrupte Regierung stellt und die Austerität mildern könne. Viele Leute haben Tsipras abgenommen, „dass nicht mehr möglich war“. Nach Jahren des politischen und sozialen Durcheinanders drückte sich auch ein Wunsch nach ‚Stabilität' aus. Die Bevölkerung machte also nicht Tsipras, sondern die EU für ihr Schicksal verantwortlich. Syrizas Wurzeln in den Massen sind demnach stärker, als manche Kräfte innerhalb der Linken geglaubt haben.

Ursachen

Die linken KritikerInnen von Syriza können mit den Resultaten nicht zufrieden sein. Ihre Kritik mag zwar treffend gewesen sein, doch sie war im wesentlichen passiv und bewegte sich entlang einer sektiererischen Selbstisolation von dem Massenanhang in der ArbeiterInnenklasse für Syriza. Am stärksten machte sich dies bei der KKE bemerkbar, die ihre Anhängerschaft sogar zur ungültigen Stimmabgabe bei der Volksabstimmung über das Memorandum aufgefordert hatte. Trotz aller Mobilisierungen und Aufregung, seit Syriza als bedeutende Kraft auf der politischen Bühne erschien, und trotz des erschreckenden Verrats durch die Regierung, hatten solche Taktiken so gut wie keinen Einfluss auf Syrizas AnhängerInnen. Die KKE tritt nach wie vor praktisch auf der Stelle.

Antarsya und ebenso kleinere zentristische Gruppen waren zwar nicht so extrem, beschränkten sich aber auf ablehnende Haltung und forderten die Einheitsfront nur von der Seite des ökonomischen Kampfes. Sie gründeten ihre Hoffnung auf einen Automatismus, wonach die Massen ihnen zulaufen würden, wenn Syriza sie verraten und sie dies aufdecken würden.

Der Wahlerfolg für Tsipras zeigt die völlige Fehleinschätzung der politischen Führungen, Parteien und Blöcke links von Syriza. Dies bezeugt eine tiefe Krise der Führung der griechischen ArbeiterInnenklasse. Ob die Niederlage von LAE nun zu einer völligen Auflösung führt oder nicht, festzuhalten gilt, dass ihre derzeitige Politik ihr Scheitern als linke Plattform in Syriza fortsetzt, als ihre Mitglieder sich nie besonders hervorgetan haben, die Medienstars wie Tsipras oder Varoufakis zu bekämpfen. Im Höchstfall versuchten sie, ein paar Zugeständnisse zu erreichen, ähnlich der Strategie der griechischen Regierung gegenüber EU und IWF. Kurz, sie waren eine loyale Opposition gegenüber den Agenten der Bourgeoisie in der Führung von Syriza. Sie haben die ArbeiterInnenklasse nicht gewarnt oder sich mit der Führung angelegt - bis es zu spät war.

Andererseits waren KKE und Antarsya auch nicht imstande, Syrizas AnhängerInnen bzw. die ArbeiterInnenmassen durch die Anwendung einer systematischen Einheitsfronttaktik in eine gemeinsame Mobilisierung zu bringen. Entweder weigerten sie sich überhaupt, diese Front aufzubauen oder beschränkten dies auf ökonomische Fragen. Vor allem aber waren sie nicht in der Lage, dies auf die Regierungsfrage zuzuspitzen, als sich die Frage einer ArbeiterInnenregierung konkret stellte. Syriza hätte zu dem Zeitpunkt sowohl von innen wie von außen unter Druck gesetzt werden müssen, mit der griechischen und EU-Bourgeoisie zu brechen und die ArbeiterInnenklasse zu ermuntern und zu unterstützen, die Banken und Betriebe zu übernehmen sowie sich zu ihrer Selbstverteidigung zu bewaffnen. Auch wenn dies nur agitatorische Wirkung gehabt hätte, hätten solche Vorschläge die ArbeiterInnenklasse aufgeweckt für den heraufziehenden Kampf auf Leben und Tod und sie auf den Bruch mit dem Tsipras-Flügel vorbereitet.

Stattdessen haben LAE, Antarsya u.a. Wirrköpfe einen Fetisch aus dem Verlassen der Eurozone und der EU gemacht. Dies hat sie zweifelsfrei noch weiter von Syrizas ArbeiterInnenmassen weggebracht, die dies richtigerweise nicht nur als völlig unbrauchbare Alternative erkannten, sondern auch als gefährliches Abenteuer. Der ‚Grexit' wurde praktisch als Ausrede benutzt, um das eigene Versagen bei der Formulierung von klaren Forderungen und Taktiken, die den griechischen Klassenkampf hätten vorantreiben und das Kräfteverhältnis in Griechenland und international hätten verändern können, zu beschönigen.

Wandlung

Das Wahlresultat drückt eine grundlegende Wandlung in der politökonomischen Situation Griechenlands aus. Die Niederlage der Linken - KKE, LAE, Antarsya - bedeutet eine Niederlage für die gesamte ArbeiterInnenbewegung und die unterdrückten Schichten der Gesellschaft. Nach den Januarwahlen und der Bildung einer Volksfrontregierung, nach den Abkommen mit der EU, dem Verrat des Oxi-Votums und der Niederlage dieser Bewegung, nach der Wiederwahl von Syriza-ANEL beginnt eine neue Periode.

Die vorhergehende vorrevolutionäre Periode hatte ihre Ursprünge in den Jugenderhebungen und Massenbewegungen nach 2008 und erlebte über 30 Generalstreiks sowie viele Platz- und Betriebsbesetzungen. Die Massenbewegung erzwang den Rücktritt bürgerlicher Regierungen und die Auflösung des etablierten 2-Parteien-Systems, aber zu mehr konnten solche spontanen Massenaktionen nicht führen. Obgleich die Wahl von Syriza im Januar hätte zur   Erkenntnis führen müssen, dass Griechenlands Krise eine politische Antwort auch auf Regierungsebene erfordert, trat mit Syriza kein qualitativer Wandel im Charakter der Regierung ein.

Die Schlüsselfrage jener Periode war das Ringen um eine ArbeiterInnenregierung auf Grundlage von proletarischen Kampforganen. Das hätte allerdings eine bewusste Strategie vorausgesetzt, die sich z.B. nicht auf ein- bis zweitägige protestartige Generalstreiks beschränkt, sondern entschlossene Versuche unternommen hätte, die Austeritätsregierungen zu stürzen.

Jetzt hat die herrschende Klasse die ArbeiterInnen, die Jugend und die Volksmassen wieder in die Defensive gedrängt. In der kommenden Runde von Angriffen muss die ArbeiterInnenklasse aus einer geschwächten, defensiven und zersplitterten Stellung heraus handeln. Die Gewerkschaften, die die Regierung stützen, werden mit aller Kraft den Widerstand zurückhalten und ihn sektoral und lokal begrenzen wollen. Die KKE wird - wie üblich - eine Einheitsfront mit ArbeiterInnen verweigern, die loyal zu Syriza stehen.

Obwohl diese Regierung aus denselben Parteien zusammengesetzt ist wie vordem und viele ehemalige Minister wieder ins Kabinett berufen worden sind, besteht ein großer Unterschied, der auch die Periodenwandlung anzeigt. Syriza hat sich von ihrem linken Flügel getrennt. Ihr Wahlsieg wird also anders als im Januar von der neuen Regierung als ‚demokratisches Mandat' benutzt werden, um die Durchdrückung des Memorandums, nicht dessen Blockade zu rechtfertigen. Jene, die Tsipras als ‚kleineres Übel' oder als ‚Stabilitätsanker' gewählt haben, werden rüde wachgerüttelt werden.

Tsipras und die Syriza-Führung waren stets bereit, innerhalb des Rahmens des griechischen und europäischen Kapitalismus zu regieren. Die Krise der vergangenen Jahre und die Auseinandersetzungen innerhalb der Syriza-Partei brachten es aber mit sich, dass die griechische Bourgeoisie und der europäische Imperialismus Syriza nicht vertraut haben. Das hat sich nun geändert. Mit der ‚Säuberung' ihrer Partei haben sich Tsipras und die Syriza-Führung als verlässliche Werkzeuge des Imperialismus erwiesen.

Die Sieger der griechischen Wahlen sind also in erster Linie die EU, der IWF und besonders die deutsche Regierung. Die EU wird nun die Syriza-Regierung als Werkzeug benutzen, um ihre Politik durchzusetzen. Die ArbeiterInnenklasse wird schwere Attacken erleben - und dies  in sehr geschwächter Position auf allen Ebenen. Das ist eine sehr vorteilhafte Situation für die griechische herrschende Klasse und die Imperialisten. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu erkennen, dass die Wahlen auch einen Sieg für die griechische Kapitalistenklasse anzeigen.

Die Linke braucht jetzt eine Aufarbeitung der begangenen Fehler und eine Vorbereitung auf die nächste Runde von Angriffen unter negativen Vorzeichen. Unter solchen Umständen wird das Eintreten für eine Einheitsfront der ArbeiterInnenorganisationen unbedingt notwendig. Das Wahlresultat zeigt ohne Zweifel, dass Aufrufe zur gemeinsamen Aktion auf jeden Fall auch an Syriza-Gliederungen gerichtet werden müssen, nicht mit der Erwartung einer positiven Reaktion von Seiten der Führung, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass sie weiterhin über ArbeiterInnenmassenanhang verfügt und dass die Widersprüche innerhalb der Partei fortleben, besonders dort, wo ihre Mitglieder die Kürzungen verantwortlich durchsetzen sollen.

In diesem Zusammenhang müssen RevolutionärInnen ein revolutionäres aktuelles Aktionsprogramm erarbeiten, um das eine neue und weit greifende revolutionäre Organisation aufgebaut werden sollte. Mit diesem Programm und der Perspektive sollte auch in die Debatte der verschiedenen Teile der Linken in Griechenland eingegriffen werden.

Zwar befindet sich die ArbeiterInnenklasse in einer defensiven Lage, aber sie hat immerhin einige Erfahrungen in einer vorrevolutionären Periode auf höherem Klassenkampfniveau sammeln können. Das hat auch die Klasse verändernd geprägt. Ein revolutionäres Aktionsprogramm muss sich auf diese Vorgänge beziehen und die Lehren aus der vergangenen Periode ziehen, um der ArbeiterInnenklasse - v.a. ihren Vorhutelementen - das Bewusstsein dieses Erfahrungsschatzes zu vermitteln. Nur wenn das gelingt und die Lehren mit den Aufgaben der kommenden Periode verknüpft werden, kann die Niederlage überwunden und die Grundlage für die Zukunft gelegt werden.

Gefahr

Wenn die Linke die nötigen Schlüsse aus dem Scheitern der Syriza-Führung, aber auch ihrer vermeintlichen GegnerInnen unter den ReformistInnen und ZentristInnen der Linken Plattform nicht zieht, zeichnet sich die Gefahr einer noch entscheidenderen Niederlage klar ab. Zwar kann es spontane Formen des Massenwiderstands oder sogar gewaltsame Ausbrüche geben, doch diese werden Ausdruck der Verzweiflung sein, wenn sie nicht miteinander über eine politische Strategie und Führung verbunden sind. Dies könnte zu einem Wiederanstieg des Anarchismus und Autonomismus einerseits und einer wachsenden Passivität oder gar massenhafter Hinwendung nach rechts auf der anderen Seite führen.

Obwohl die extreme Rechte keinen bedeutenden Zugewinn bei den Septemberwahlen erhielt, besteht dennoch die klare Gefahr, dass sich dies in einer Situation des weiteren sozialen Niedergangs, der von einer angeblich ‚linken' Regierung hervorgerufen wird, ändern könnte. Die Goldene Morgenröte ist immerhin die drittgrößte Partei und könnte weiteren Nutzen daraus ziehen, indem sie die nationalistische, chauvinistische und rassistische Karte spielt.

Die Ereignisse vom 25. Juni bis 20. September sind ein Weckruf für Europas ArbeiterInnenklasse. Syrizas Aufstieg und Wandlung an der Macht ist nicht, wie die europäischen Linksparteien behaupten, ein Zeichen von ‚Reife' der griechischen Bevölkerung oder eine Rechtfertigung für ihren eigenen Reformismus. Die FührerInnen der deutschen Linkspartei lobten Syriza im Wahlkampf und präsentieren ihre Politik als Modell für die europäische ArbeiterInnenklasse. Dies wäre die schlimmste und gefährlichste Schlussfolgerung auf internationaler Ebene. Sie zeugt auch vom Scheitern der europäischen Linken, Solidarität gegen ihre eigenen Herrscher in Deutschland und darüber hinaus zu organisieren. Die Kehrseite der Medaille ist eine gestiegene Tendenz zur Nationalborniertheit in Bezug auf Programme und die Unterstützung für Pläne zum Verlassen der EU/Eurozone, statt Solidarität und gemeinsame Maßnahmen über die Grenzen hinaus zu tragen und für die Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa zu kämpfen.

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