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Erster Mai

Der deutsche Imperialismus schreitet voran - und die ArbeiterInnenklasse?

Martin Suchanek, Neue Internationale 199, Mai 2015

Zu Feiern gibt es am Ersten Mai 2015 wenig. Bei Bratwurst und Bier organisieren die DGB-Gewerkschaften ihre üblichen Mai-Feiern, wo alles seinen üblichen Gang geht. Klar. Es gibt „noch viel zu tun“, um der Arbeit „ihre Würde“ (wieder) zu geben. Doch die Bilanz der Gewerkschaftsspitzen ist (wie immer) rosig. Etwas „Politikwechsel“ und „gute Zusammenarbeit“ mit Regierung und „Sozialpartnern“ - mehr braucht es in der DGB-Welt nicht.

Die Weltsicht der offiziellen Gewerkschaftsführer ist an Blauäugigkeit, Selbstgefälligkeit und Ignoranz wohl nur noch durch die Sozialdemokratie zu übertreffen, dicht gefolgt freilich schon von der Linkspartei.

Der Ernst der Lage

Dabei sollte der Erste Mai als Kampftag der ArbeiterInnenklasse Anlass sein, sich ein Bild der Lage zu machen. Und die ist alles andere als rosig. Zu feiern gibt es wenig. Der deutsche Imperialismus ist dabei, Europa zu reorganisieren. 2015 hat er bislang an zwei Fronten wichtige Fortschritte gemacht.

In der Ukraine arbeitet die Bundesregierung in enger Absprache mit ihrem französischen Alliierten daran, das Land zu einer Halb-Kolonie der EU zu machen. Das Abkommen von Minsk II soll den Konflikt „einfrieren“, Russland einen Teil der Beute sichern und zugleich den US-Bestrebungen, als alleiniger Sieger aus dem Kampf um die Ukraine hervorzugehen, einen Riegel vorschieben.

In Griechenland wird an der Syriza-geführten Regierung ein Exempel statuiert. Es gibt in der EU keine „Rettung“ ohne Kniefall vor den Diktaten der Troika und besonders des deutschen Imperialismus. Die drakonischen Bedingungen für Griechenland sind eine Warnung an alle Länder, die auch nur damit liebäugeln, die Auflagen der „Institutionen“ in Frage zu stellen.

Auch auf anderen Feldern mischt die BRD eifrig mit. Im Nahen und Mittleren Osten offeriert sie sich als „Vermittler“, der natürlich auch seinen Schnitt machen will, wenn ein Ausgleich mit dem Iran gesucht wird, wenn nur die „guten“ Kurden im Nordirak bewaffnet werden, während die PKK-nahen Verteidigungskräfte von Rojava im Stich gelassen werden.

Dass Deutschland nicht mehr nur Fußballweltmeister, sondern auch wieder „Exportweltmeister“ ist, zeigt, über welch starke ökonomische Basis das Land verfügt - über eine enorme Fähigkeit, Profit aus der Ausbeutung der „eigenen“ ArbeiterInnenklasse wie der „Dritten Welt“ zu schlagen.

EU als zentrale Frage

Trotz aller Erfolge und neuer, nach oben revidierter, Wachstumsprognosen und „Stolz“ auf die eigene Konkurrenzfähigkeit, will sich bei der herrschenden Klasse nur verhalten Jubel einstellen.

Warum? Der herrschenden Klasse, den imperialistischen Strategen, Think Tanks, Stiftungen, Apparaten ist vollkommen klar, dass wir am Beginn einer Periode verschärfter internationaler Konkurrenz zwischen sich formierenden Mächten stehen. Die USA ist noch immer die, wenn auch geschwächte hegemoniale Kraft. China ist der imperialistische Herausforderer Nr. 1.

Die BRD droht, trotz aller Erfolge hinter diesen Konkurrenten zurückzubleiben. Ein dauerhafter Krisenherd in der Ukraine, ein neuer Kalter Krieg mit Russland würde ihre Kräfte in Europa binden. Das gleiche gilt für die Dauerkrise der EU. Schmerzlich macht sich auch die militärische Schwäche im Vergleich zu den westlichen Partnern bemerkbar. Auch da soll Abhilfe geschaffen werden.

In jedem Fall ist die Reorganisation der EU, die imperialistische Einigung unter deutscher Vorherrschaft, das zentrale Ziele des deutschen Kapitals, um im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, um politischen wie wirtschaftlichen Einfluss ganz vorn mitmachen zu können.

All das erklärt die zunehmende Aggressivität, mit der die eigenen Pläne vorangetrieben werden. Darüber soll auch nicht hinwegtäuschen, dass sich Merkel und Steinmeier oft betont „diplomatisch“ geben. Die Intervention in der Ukraine und die Durchsetzung ihrer Linie zu Griechenland zeigen, dass die herrschende Klasse zielbewusst ihre strategischen Ziele verfolgt.

Sozialpartnerschaft und Sozialchauvinismus

Davon kann auf Seiten der ArbeiterInnenklasse leider keine Rede sein. Die Gewerkschaften und Betriebsräte in den Großkonzernen und im Öffentlichen Dienst sind fest in der Hand einer sozialdemokratischen Bürokratie. Die SPD dominiert nach wie vor die organisierte ArbeiterInnenbewegung und die Linkspartei bemüht sich, ihr diesen Einfluss nicht allzu sehr streitig zu machen.

Es wäre verkürzt, den Einfluss der Apparate nur auf Faktoren wie mediale Manipulation, mangelndes Bewusstsein und das Wirken des Reformismus zurückzuführen. Die Erfolge des deutschen Exportkapitals, der Kernsektoren der Mehrwertproduktion, gehen auch damit einher, dass die deutsche industrielle ArbeiterInnenklasse nach wie vor in das politische und wirtschaftliche System (nicht zuletzt v.a. über die Gewerkschaften) eingebunden ist. Der Zugriff der IG Metall-Bürokratie oder auch der IG BCE auf „ihren“ Teil der Klasse, auf industrielle Kernschichten und auf das Gros der deutschen Arbeiteraristokratie ist in den letzten Jahren eher größer, denn kleiner geworden - was sich nicht zuletzt im Wachstum der IG Metall ausdrückt.

Die „Partnerschaft“ auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene, der relativ kampflos ausgehandelte tarifliche Kompromiss findet seine politische Entsprechung in der Großen Koalition. Die „eigene“ herrschende Klasse gilt längst nicht mehr als „Hauptfeind“, sondern als „Partner“, mit dem man letztlich in einem Boot sitzt - wenn auch an den Ruderbänken, während der „Partner“ auf der Kapitänsbrücke steht.

Zweifellos lässt sich dieses Gefüge, das auch die Stärke des deutschen Imperialismus ausmacht, nicht durch noch so kluge Propaganda, Agitation oder Entlarvung allein aufbrechen. Es wird vielmehr der Erschütterung durch wirtschaftliche und politische Krisen bedürfen.

Zu diesen Erschütterungen gehört aber auch die Erschüttung von Illusionen und Verkehrungen im Bewusstsein der deutschen ArbeiterInnenklasse wie der ideologische und politische Kampf gegen jede Form der Unterordnung unter die eigene herrschende Klasse.

Viele Lohnabhängige fürchten Erschütterungen der EU im Gefolge von Massenwiderstand, Generalstreiks, Erhebungen in Südeuropa. Sie fürchten mehr oder weniger offen auch die Migration in die EU. Während der Kampf gegen das Grenzregime der EU, für offene Grenzen oder für die Streichung der Schulden Griechenlands als Kampf gegen die geballte Macht des deutschen Imperialismus und seiner Verbündeten eigentlich der ArbeiterInnenklasse insgesamt zugute kommen könnten, in ihrem direkten Interesse sind, weil sie die „eigene“ herrschende Klasse, den Hauptfeind schwächen, erscheint es im vorherrschenden reformistischen und auch gewerkschaftlichen Bewusstsein der Klasse gerade umgekehrt.

Diese Verkehrung hat ihre Wurzeln im Lohnarbeitsverhältnis selbst, wo andere ArbeiterInnen als KonkurrentInnen auftreten, wie auch im System der Nationalstaaten. Die Sozialpartnerschaft, ja selbst die auf einen betrieblichen und landesweiten Kompromiss ausgerichtete Form der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung erkennt unwillkürlich auch so etwas wie einen gemeinsamen „nationalen“ Rahmen an. Politisch entspricht das dem Reformismus, also bürgerlicher Arbeiterpolitik, die in diesem Rahmen „ihren“ Anteil sichern will.

Gerade in Zeiten der Krise und der wachsenden Konkurrenz entsolidarisiert eine solche Politik. Internationale Solidarität - sofern von ihr überhaupt noch gesprochen wird - verkommt zum reinen Lippenbekenntnis, zu „humanitärer Hilfe“ u.a. Formen von Almosen für die Opfer der bestehenden Weltordnung.

Politische Ohnmacht

So wie gegenüber den ArbeiterInnen anderer Länder findet auch eine Entsolidarisierung im Innern statt. Branche steht gegen Branche, Gewerkschaften werben anderen ihre Mitglieder ab. Wer kann, organisiert v.a. „normale“ Lohnabhängige mit sicheren Einkommen usw.

All diese Faktoren erlauben uns zu verstehen, warum die deutsche ArbeiterInnenklasse politisch so ohnmächtig ist. Sie ist über ihre sozialdemokratisch, reformistisch dominierten Massenorganisationen - allen voran über die Gewerkschaften und Betriebsräte - ins bürgerliche System eingebunden.

Doch es bröckelt auch an gar nicht so wenigen Stellen. So finden aktuell wichtige Tarifauseinandersetzung in bedeutenden Branchen (ErzieherInnen, Verlage, Gebäudereinigung, angestellte LehrerInnen, Post) sowie in wichtigen Betrieben (Amazon, Postbank, Charite Berlin) statt.

Kampfbereitschaft ist hier zweifellos vorhanden. Die Aufzählung verdeutlicht aber auch, dass die industriellen Kernschichten, die ArbeiterInnen in der Exportindustrie unter den in längeren, „schwierigeren“ Auseinandersetzungen praktisch kaum vorkommen. Betriebliche oppositionelle Arbeit durch kämpferische Vertrauensleute wie z.B. bei Daimler Bremen muss mit harten Bandagen rechnen, wobei Betriebsräte, aber auch die Gewerkschaftsführungen oft als verlängerter Arm des Kapitals, als politische Polizei in der Klasse agieren.

Dominanz der Sozialdemokratie

Die politische Ohnmacht ist aber neben den ökonomischen Verhältnissen v.a. auch der Ausdruck der letztlich noch immer ungebrochenen Vorherrschaft der Sozialdemokratie in der organisierten ArbeiterInnenbewegung. Auch die Linkspartei bietet dazu keine Alternative, sondern ist nur eine etwas linkere Variante des Reformismus, eine kleinere bürgerliche ArbeiterInnenpartei, also eine Partei, die sich organisch, historisch, sozial auf die Lohnabhängigen stützt, deren Politik jedoch fest auf dem Boden der bürgerlichen, kapitalistischen Verhältnisse steht.

Als solche Partei will sie den Kapitalismus „umformen“, bändigen - nicht durch revolutionären Kampf überwinden.

Doch der Reformismus ist als politische Strategie hoffnungslos. Er bedeutet entweder Unterordnung unter die Vorgaben der herrschenden Klasse, um minimale Zugeständnisse rauszuholen - eine Politik, die die SPD seit über hundert Jahren betreibt. Oder er bedeutet, sich auszumalen, dass der Kapitalismus durch eine „andere Politik“, eine „vernünftige“ Regierung gebändigt oder gar Schritt für Schritt „wegtransformiert“ werden könne. Dieser Utopismus war immer wieder bei linken Sozialdemokraten anzutreffen, heute ist er zum Credo der Linkspartei geworden.

Zu den vorherrschenden Kräften in der ArbeiterInnenklasse ist eine revolutionäre Alternative notwendig, die klar ausspricht, was ist. Sie muss sich gegen die herrschende Klasse, die deutsche imperialistische Bourgeoisie richten. Sie muss eine klare Vorstellung haben, welche gesellschaftlich Kraft notwendig ist, um den Kapitalismus zu stürzen: die ArbeiterInnenklasse. Sie braucht eine internationalistische, anti-imperialistische, anti-rassistische und anti-sexistische Politik und Programmatik.

Revolutionäre Alternative notwendig

Sie muss willens und in der Lage sein, sich am Kampf um unmittelbare Ziele zu beteiligen und in den Massenorganisationen der Klasse, den Gewerkschaften, zu arbeiten, sie muss nach der größtmöglichen Einheit mit allen Kräften der ArbeiterInnenbewegung im Kampf streben, ohne dabei ihre politische Eigenständigkeit aufzugeben.

Sie muss sich klar darüber sein, dass der Kapitalismus nicht wegreformiert, sondern nur durch eine Revolution gestürzt werden kann. Dazu muss der bürgerliche Staat zerschlagen und durch ein System von Arbeiterräten ersetzt werden, durch die Diktatur des Proletariats. Anstelle der kapitalistischen Marktwirtschaft muss ein System demokratischer Planung treten - die Voraussetzung für den Übergang zur klassenlosen Gesellschaft.

Eine solche Organisation kann zweifellos nicht einfach proklamiert werden. In Deutschland existiert die antikapitalistische, subjektiv revolutionäre Linke nur in Form von Kleingruppierungen, Vorformen einer revolutionären Partei. Diese Zersplitterung gilt es zu überwinden.

Die Schwierigkeit besteht freilich darin, dass die Zersplitterung nicht vornehmlich ein organisatorisches, sondern ein politisches Problem ist. Nur durch eine Verbindung von Zusammenarbeit, gemeinsamer Praxis und politisch-programmatischer Diskussion kann letztlich die Grundlage für eine neue revolutionär-kommunistische Partei oder jedenfalls eine schlagkräftigere revolutionäre Organisation gelegt werden.

Ein solcher Prozess, wie wir ihn auch in der „Neuen antikapitalistischen Organisation“ vertreten, ist zweifellos schwierig - und der Ausgang ungewiss. Aber es führt sicher kein Weg daran vorbei, dass die deutsche „radikale“ Linke, die vom Reformismus und Bürokratie abgestoßenen Teile der ArbeiterInnenbewegung diese Diskussion über die Frage der revolutionären Partei und Programmatik aufnehmen muss.

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Nr. 199, Mai 2015
*  Mai-Aufruf des DGB: Den Verrat der Zukunft machen wir
*  Erster Mai: Der deutsche Imperialismus schreitet voran - und die ArbeiterInnenklasse?
*  Hände weg von Griechenland!
*  Bahn: Solidarität mit der GdL!
*  Tarifeinheit: Fürs Streikrecht auf der Straße
*  Berliner Mietproteste: Aufbegehren!
*  Streik der ErzieherInnen: Bloßer Tarifkampf?
*  Bundesweit Revolution-Konferenz: Ein voller Erfolg
*  Ukraine: Nach Minsk II
*  Venezuela: Hands off, Mr. President!
*  Jemen: Nein zur saudi-arabischen Intervention!
*  Pakistan: Arbeiterinnen organisieren sich
*  Cyberwar und Überwachung: Freiheit stirbt mit Sicherheit
*  EU-Tagung zur Flüchtlingspolitik: Gipfel des Zynismus