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Piratenpartei

Klar zum Kentern!

Janosch Janglo, Neue Internationale 163, Oktober 2011

Erstmals hat es die Piratenpartei in ein Landesparlament geschafft. Mit knapp 9% zog sie ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Von sich selbst behauptet sie, die bessere FDP zu sein oder die neuen Grünen. Tatsächlich ist sie eine Ein-Punkt-Partei, ein großer Teil ihrer Existenzbegründung liegt nämlich im Kampf um Bürgerrechte.

So dreht sich das Bundesprogramm um informationelle Selbstbestimmung, freien Wissensaustausch, Reform des Urheber- und Patentrechts, Transparenz und Datenschutz. Erst auf dem Bundesparteitag im Mai 2011 wurden noch einige soziale Forderungen, die an Schwammigkeit kaum zu überbieten sind, angepappt. Noch im Herbst 2010 hatte sich die Mehrheit der Delegierten gegen ein umfassendes Sozialprogramm entschieden.

Partei der IT-Branche

Der programmatische Schwerpunkt auf der IT-Branche hat ihre Begründung in der Klientel, die sie hauptsächlich vertritt, und für die diese Partei auch gegründet wurde: Kleinunternehmer und Akademiker der IT-Branche. Hier ging es darum, Regelungen zum Schutz der Profite von Großkonzernen wie Urheber- und Patentrechte oder lizenzierte Software zu beseitigen, die vielen Kleinunternehmern das Überleben schwer machen.

Diese Vormachtstellung der Großkonzerne will die Piratenpartei zum Schutz des Kleinbürgertums, das sich mit Informationstechnik seine Brötchen verdient und selbst gern mehr Gewinne machen möchte, gesetzlich beschneiden. So kommen viele Gründungsmitglieder der Piraten aus dieser Branche, wie auch das Gros der jetzt in das Berliner Abgeordnetenhaus einziehenden Kandidaten, z.B. der Berliner Spitzenkandidat Andreas Baum, der selbst eine Softwarefirma besaß. Klar, dass eine IT-Lobbypartei dann im Wahlkampf ordentlich über Spenden geschmiert werden muss, so spendierte das IT-Unternehmen Jurasoft 20.000 Euro. Gewiss, gegenüber anderen bürgerlichen Parteien sind das Peanuts - aber erst der Anfang, wie der Bundesschatzmeister der Piratenpartei, Brosig, bestätigt: Neben "unseren Mitgliedern und Sympathisanten (unterstützen) auch immer mehr Unternehmen die Ziele der Piratenpartei".

Politisch will sich die Partei weder links noch rechts verorten, sondern als neue bürgerliche Mitte.

Rechtsblinker und Karrieristen

Dass diese Mitte oftmals auch nach ganz rechts verrutschen kann, zeigte das Interview des Ex-Vize-Bundesvorsitzenden Popp, das er der „Jungen Freiheit“ gab. Sein Stellvertreter Seipenbusch nahm ihn in Schutz, das Magazin sei ja nur rechtskonservativ, daran könne man nichts Schlimmes finden. Einen Tag später erschien in selbiger Zeitung ein neuer Piratenartikel, diesmal von Seipenbusch, der einen Fragebogen der „Jungen Freiheit“ ausfüllte. Aufhänger dieser Artikel war die geplante Zensurmaßnahme der Bundesregierung bezüglich Kinderpornographie im Internet. Nach Meinung der Zeitung wäre dies der Türöffner für den Kampf gegen Rechts im Internet gewesen. Als Kronzeuge für diese These durfte dann Popp herhalten, der mit dem Kampf der Piratenpartei gegen das Zensurgesetz einen Mitgliederboom seiner Partei erlebte. So drückt man auch mal das rechte Auge zu, um Bündnispartner zu finden.

Dabei hätte ein bisschen Mitgliederzensur der Piratenpartei gut getan. Bodo Thiesen z.B., ein Holocaust-Leugner und Geschichtsrevisionist und bis 2009 stellvertretender Parteirichter, ist inzwischen zwar seines Amtes enthoben, aber immer noch Mitglied. Ansonsten ist die Partei eher Auffangbecken von Karrieristen, die in ihren Vorgängerparteien kaum Aufstiegschancen hatten oder abserviert wurden und jetzt sogar über die Piratenpartei an lukrative Parlamentsposten und -gehälter kommen wollen.

Klar ist, dass bei einer so kruden politischen Mischung die Piratenpartei weit entfernt ist, eine neue linke Partei im Sinne von Antikapitalismus zu sein. Der Pressesprecher des Kreisverbandes Rheinhessen, Heppner, stellte klar, „dass der Kapitalismus an sich dem Menschen dienen kann (dass der Kapitalismus auch viele Vorteile bietet, ist denke ich unbestritten), wenn diesem ein Gegenentwurf aufgezeigt werden kann! Früher war es die Konkurrenz des Kommunismus, welcher den Kapitalismus in einer sozial verträglichen Weise für die Menschen arbeiten ließ. Der Kommunismus ist tot und das ist auch gut so. Nur verbohrte und ewig Gestrige werden den real existierenden Kommunismus mit seinen Gulags, seiner staatlichen Totalität und seiner Unfreiheit vermissen. Jedoch war der Gedanke des Kommunismus wichtig dafür, dass sich in Deutschland mit der sozialen Marktwirtschaft ein tragfähiger Kompromiss zwischen Kapitalismus, Markt und sozialer Gleichheit etablieren konnte.“

Soziale Marktwirtschaft?

Wie dieser tragfähige Kompromiss zwischen Kapitalismus und sozialer Gleichheit aussah, davon konnten sich die Lohnabhängigen in aller Deutlichkeit spätestens ab der Krise 2008 selbst überzeugen, als Milliarden Euro in den Banken und Konzernen versenkt wurden und Lohabhängige über erhöhte Steuern, Ausgaben, Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen dafür bluten konnten.

Natürlich hat die Piratenpartei darauf keine Antwort, sie stellt die Frage erst gar nicht. Im Gegenteil: in ihrem Berliner Wahlprogramm huldigt sie der deutsche Justiz: „Gerade die Unabhängigkeit der Judikative, vor allem des Bundesverfassungsgerichtes, gilt es zu stärken und zu fördern, da es sich mehrfach als Schützer der Grundrechte der Einzelnen vor  Legislative und Exekutive erwiesen hat.“

Bei ständigen Freisprüchen für prügelnde Bullen oder Anordnung von Hausdurchsuchungen missliebiger politischer Gegner wie bei S21, G8 oder der Naziblockade in Dresden muss man aufgrund politischer Abstinenz schlichtweg davon nicht betroffen sein, um so einen Quark zu schreiben.

Die Piratenpartei schwadroniert zwar über Mindestlöhne und Grundeinkommen, aber wie diese aussehen sollen, bleibt im Dunkeln. Das Grundeinkommen sollen dann natürlich nur Menschen „mit ständigem Wohnsitz oder unbefristetem Aufenthaltsrecht in Deutschland“ erhalten, sprich MigrantInnen, die hier zum Teil schon Jahrzehnte leben, aber nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen bekommen, sollen davon ausgeschlossen sein. „Langfristig soll das Grundeinkommen in gleicher Weise existenzsichernd sein, wie der gesetzliche Mindestlohn und ihn schrittweise ablösen.“

Hier zeigt sich das wahre Gesicht des Kleinbürgertums, das auf Wahlplakaten großspurig den Mindestlohn fordert, um ihn dann versteckt gleich wieder abzuschaffen. Da sitzt der Kleinunternehmer aus der IT-Branche mit den Großkapital wieder ganz dicht beisammen und zeigt uns, was der eigentliche Grundgedanke des von den Rossmanns und anderen „Unternehmern“ geforderten Grundeinkommens ist, nämlich das Senken der Löhne auf Armutsniveau. Das geforderte Grundeinkommen dürfte sowieso sehr niedrig ausfallen, selbst Hartz IV gilt laut Bundesregierung als existenzsichernd, dass Lohnabhängige dann gänzlich gezwungen sind, zu Niedrigstlöhnen zu arbeiten.

Auch soll die „Aufklärung der Bevölkerung und der zielgerichtete Einsatz von Polizeibeamten mehr Sicherheit schaffen.“ Kein Wort darüber, dass der bürgerliche Staat mit seiner Armutspolitik und dem Verwehren einer sozialen Zukunft erst Kriminalität erzeugt und  das größte Hindernis für die Sicherheit der Menschen ist.

Internet statt Soziales

Forderungen nach Veröffentlichung von Daten, gleichberechtigten Zugang, Errichtung eines Freifunknetzes, mehr Transparenz in der Verwaltung etc. pp. sind sicher großteils unterstützenswert. Doch trotzdem fragt man sich, ob es in einer Stadt, die in der 20% auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, nicht drängendere Probleme gibt. Noch immer glänzt die soziale Frage, bis auf eine paar Phrasen, mit Abwesenheit bei den Piraten. Indikator für dieses Desinteresse an der sozialen Situation von Millionen ist die Antwort, die der Spitzenkandidat in Berlin auf die Frage, wie viele Schulden Berlin hätte, gegeben hat: "Weiß nicht, vier Millionen?" Bei 64 Milliarden Euro tatsächlichen Schulden, zeigt die Piratenpartei ziemliche Ahnungslosigkeit in punkto Realität. Daran ändert auch nichts, dass auf ihrer Internetseite nun eine Schuldenuhr tickt.

Man darf durchaus die Prognose wagen, dass die Piratenpartei mit dieser Programmatik und Politik genauso in der Versenkung verschwinden wird wie inzwischen ihre schwedische Schwesterpartei. Eine Partei, die nur IT-Unternehmen und deren Jünger brauchen, ist weder beim Kapital, geschweige denn bei den Lohnabhängigen gefragt - sie ist so notwendig wie ein Kropf.

Geheimnis des Erfolgs

Andererseits verweist ihr momentaner Erfolg aber auch darauf, dass die etablierten Parteien immer weniger in der Lage sind, Themen, die für bestimmte soziale Gruppen wichtig sind, zu behandeln. Diese Lücke nutzen die Piraten. Ihr aktueller - und sicher kurzzeitiger - Erfolg ist ein Indiz für den Misserfolg, für das Nichtfunktionieren, für die schwindende Bindungskraft der etablierten Parteien gerade unter den Mittelschichten.

Es entspricht der Klassenlage lohnabhängiger Mittelschichten wie auch des Kleinbürgertums, dass sie eine Antwort auf die bedrohliche Krisensituation der Gesellschaft und ihre schwächer werdende Bindekraft in der Neuauflage der Hoffnung auf eine über allen Klassen stehende „echte“ Demokratie suchen. Nicht der Klassenkampf sei angesagt, sondern „wirkliche“ Transparenz.

Manche KommentatorInnen meinen, die Piraten würden sich gegen den Parlamentarismus richten. In Wirklichkeit beschwören sie sein Idealbild, einen  Parlamentarismus, den es nie gab und nie geben kann, einen, der frei ist von Lobbyisten und Korruption.

Diese idealisierte Hoffnung des Kleinbürgertums wird und muss natürlich an der realen Basis der bürgerlichen Demokratie - eines immer krisenhafteren und daher auch immer repressiveren Kapitalismus - zerplatzen.

Entscheidend wird es sein, in welche Richtung sich die Jugendlichen und AnhängerInnen reformistischer Parteien, die sich bei den Berliner Wahlen den Piraten zugewandt haben, dann bewegen. Entweder gehen sie weiter nach rechts zu anderen, viel rabiateren (populistischen oder gar rassistischen) klein-bürgerlichen Parteien. Oder sie wenden sich nach links - doch das wird nur möglich sein, wenn in der Arbeiterklasse selbst eine politische Alternative aufgebaut wird, eine neue revolutionäre Partei, die eine fortschrittliche, sozialistische Alternative zu Parlamentarismus und Marktwirtschaft vertritt.

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Nr. 163, Oktober 2011
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