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Leiharbeit

Der große Bluff

Frederik Haber, Neue Internationale 163, Oktober 2011

Die Leiharbeit hat nach der Krise massiv zugenommen und ist endgültig in die Kernbereiche der Metall- und Elektroindustrie vorgedrungen. Jetzt nimmt sich die IG Metall des Problems an. Spät, sehr spät, und - nicht überraschend - auf bürokratische Weise.

Die Ausweitung der Leiharbeit - wie des gesamten Niedriglohnsektors - war ein sozialdemokratisches Projekt. 2002 sagte der deutsche Imperialismus den USA als führender imperialistischer Nation den ökonomischen Kampf an. Die Arbeitgeberverbände verfassten ein Manifest „Fesseln lösen - Freiheit gewinnen“. Darin verglichen sie die Profitraten Deutschlands und der USA und zogen den Schluss, wie die deutsche zu steigern wäre: durch Senkung des Lohnniveaus um 30%.

Ausweitung des Niedriglohnsektors

Kanzler Schröder verstand das. Er verbrämte die Kampfansage mit den Worten, Europa solle der „dynamischste Wirtschaftsraum“ werden, erzwang die Unterordnung aller EU-Länder unter das „Agenda 2010“ genannte Projekt. Den Gewerkschaftsspitzen wurde mit Eingriffen in die Tarifautonomie gedroht, aber viel an Drohung war nicht nötig, SozialdemokratInnen waren und sind auch sie.

Hartz IV war dann die entscheidende Waffe, auch kampfkräftige Belegschaften zu Zugeständnissen zu zwingen, umgesetzt in Standortsicherungsverträge durch Gesamtbetriebsräte und Gewerkschaftsbosse. Die Leiharbeit sollte das Mittel werden, um die Belegschaften dauerhaft zu spalten, Stamm- und Randbelegschaften gegeneinander zu stellen und einen permanenten Druck auf die Löhne zu erzeugen, der z.B. in Outsourcing von Betriebsteilen münden kann, und letztlich, um den Kündigungsschutz auszuhöhlen.

Sozialminister Clement (SPD) verkündete seinerzeit, dass die Leiharbeit das Gebiet sei, auf dem Deutschland wirklich Nachholbedarf habe. Der Anstieg der Leiharbeitsverhältnisse wurde als Beleg dafür verkauft, dass die Agenda ein Job-Motor sei, der Rückgang fester Stellen musste dabei natürlich „übersehen“ werden. Clement ließ sich sein Werk von den Sklavenhändlern auch persönlich gut bezahlen - mit einem Job bei deren Bundesverband. Seine SPD-Genossen in den Gewerkschaften gaben damit an, bei Schröder ins Gesetz schreiben zu lassen, dass LeiharbeiterInnen den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft zu erhalten hätten. Ausnahme: Solange für LeiharbeiterInnen kein eigener Tarifvertrag existiert.

Um die Farce zu vollenden, schlossen DGB, IG Metall und ver.di Tarifverträge für LeiharbeiterInnen mit der Begründung ab, das Feld nicht allein den christlichen Verbänden überlassen zu wollen. Tatsächlich unterscheiden sich die Verträge nur in Nuancen und wie die Christen machten auch die DGBler Verträge für Menschen, die sie nicht organisiert hatten. Das Sahnehäubchen: Im Dezember 2010 erklärte das Bundesarbeitsgericht die Verträge der christlichen Verbände für unwirksam, die DGBler hatten ihre in voller Kenntnis, dass dieses Urteil anstand, ihre um ein paar Monate zuvor bis 2015 (!) verlängert.

Halbherzig

So konsequent ihr Verrat an der Arbeiterklasse ist, so halbherzig ist ihr Widerstand, wenn sie ihn einmal organisieren müssen. Aber Reformisten verstehen ihr Geschäft und so sind die Forderungen der IG Metall Baden-Württemberg erst mal überzeugend. Unter anderem wird gefordert:

Unbefristete Übernahme von Ausgebildeten im Anschluss an die Berufsausbildung;

Schaffung eines wirksamen Zustimmungsverweigerungsrechts für Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeit im Betrieb mit tariflicher Schlichtungsstelle als Konfliktregulierung;

Ausweitung der Informations- und Mitwirkungsrechte des Betriebsrats beim Einsatz von Werksvertragsbeschäftigten im Betrieb.

Solche Forderungen können und müssen alle kämpferischen GewerkschafterInnen unterstützen. Aber wir wissen, wie der reformistische Gewerkschaftsapparat grundsätzlich zur Leiharbeit steht, wie er ihre Einführung unterstützt hat. Es geht ihm auch heute nur darum, sie zu begrenzen und zu regulieren. Es geht ihm zu weit, dass eine ganze Generation in den Belegschaften fehlt, auch als Gewerkschaftsmitglieder. 20- 30% einer Belegschaft können einen Betrieb gut lahmlegen, und wenn das eine homogene Gruppe von gutausgebildeten Jungen ist, die nicht viel zu verlieren hat, kann das gefährlich werden.

Es geht den IG Metall-Chefs also um Regulierung. Es war kein Zufall, dass schon zu Beginn der Kampagne „Gleiche Arbeit - gleiches Geld“ der Gesamtbetriebsrats-Chef von Daimler, Erich Klemm, öffentlich gegen Leiharbeit posierte und am grünen Tisch die Leiharbeitsquote für die Mercedes-Werke auf 8% anhob - mit Ausnahme von Sindelfingen, dort hatte er für einen Kündigungsschutz der Stammbelegschaft schon früher alle Schleusen geöffnet.

Wenn wir die Forderungen der IG Metall auch unterstützen können, so müssen wir auch aufzeigen, dass ihre Methoden den Erfolg nicht bringen werden. So hat die Tarifkommission der IG Metall Baden-Württemberg am 15. September beschlossen:

„Wir wollen hierzu im Vorfeld der Entgeltrunde 2012 zu Ergebnissen kommen. Es liegt an Südwestmetall, dieses Angebot aufzunehmen und unter Beweis zu stellen, dass Arbeitgeberverbände auch außerhalb einer konfliktären Zuspitzung lösungsfähig sind.“

Und so sind die geplanten Aktionen nicht geeignet, Druck aufzubauen, sondern mehr Demonstrationen von Meinung: Der Jugendaktionstag in Köln, Jugendversammlungen und Befragungen von LeiharbeiterInnen.

Damit wird klar, dass für die IGM-Chefs das „Einspruchsrecht der Betriebsräte“ gegen den Einsatz von Leiharbeit nicht heißen soll, dass diese einfach NEIN sagen können. Es sollen „nicht-konfliktös“ mit den Unternehmerverbänden Regeln festgelegt werden, bei deren Nichteinhaltung dann Betriebsräte Einspruch erheben können. Die tarifliche Schlichtung kontrolliert letztlich dann die Einhaltung der Regeln. Die Einführung solcher Regeln heißt aber auch, der Leiharbeit dort Tür und Tor zu öffnen, wo sich heute Betriebsräte noch dagegen sperren. So kann mit juristischer Verschleppung auch heute schon der Einsatz so verzögert werden, dass es für die Unternehmen uninteressant wird. Die Kampagne der IG Metall kann also dank der Halbherzigkeit der Führung zu mehr Leiharbeit führen statt zu weniger.

Kampagne

Es gilt also, die Kampagne aufzunehmen und zu verbreiten, gerade auch dort, wo lokale oder betriebliche Bürokraten unfähig oder unwillens sind, sie zu führen. Wir dürfen weder verschweigen, was die Reformisten bisher getrieben haben, noch, was die Gefahren ihrer Methoden sind. Und wir unterstützen natürlich alle Forderungen, die das falsche Spiel torpedieren können:

Für das Verbot der Leiharbeit!

Für die Übernahme aller LeiharbeiterInnen in den letzten Entleihbetrieb!

Für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, bis alle Arbeitslosen und prekär Beschäftigten Arbeit gefunden haben!

Offenlegung aller Werkverträge und Kontrolle durch Betriebsräte und Belegschaften!

Es gilt, Kampfmittel aufzuzeigen, die diese Forderungen durchsetzen können. Reine Meinungsdemonstrationen und Hintergrundgespräche können unsere Ziele nicht erfüllen! Daher treten wir ein für:

Versammlungen der gesamten Belegschaft, einschließlich LeiharbeiterInnen und WerksverträglerInnen!

Kündigung der DGB-Tarifverträge zur Leiharbeit!

Um das durchzusetzen, sind Streiks notwendig - und das ist auch tariftechnisch gut möglich, wenn Anfang nächsten Jahres die Friedenspflicht ausläuft.

Gründet betriebliche und überbetriebliche Aktionsgruppen, die diese Forderungen innerhalb der IG Metall-Kampagne propagieren!

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Nr. 163, Oktober 2011
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*  Ägypten: Entflammt die Revolution neu?
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  Arbeiterklasse und Revolution. Thesen zum marxistischen Klassenbegriff
  Marxismus und Gewerkschaften
  Thesen zur Einheitsfronttaktik
  Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung

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