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Europa

Im Zentrum der globalen Krise

Martin Suchanek, Neue Internationale 163, Oktober 2011

Die Europäische Union steht im Zentrum der Krise des globalen Kapitalismus. Da helfen auch alle mantra-artigen Beschwörungen nicht, dass, wenn schon nicht die globale, so wenigstens die „deutsche Realwirtschaft“ „gesund“ sei.

Folgen wir der Tagespresse, aber auch div. „ExpertInnen“, so scheint es vordergründig, als hätte falsches politisches Handeln in die Krise geführt. IWF-Chefin Lagarde fordert im Gleichklang mit US-Finanzminister Geithner und chinesischen Regierungsvertretern, dass die „Euro-Zone mehr Einsatz im Kampf gegen die Krise“ zeigen müsse.

„Entscheidungen, um geschlossen gegen die Probleme der Region vorzugehen, können nicht warten, bis die Krise sich ausbreitet“, ließ der US-Finanzminister im Rahmen der Tagung der G20 und des IWF Ende August verlauten.

Forderungen an die EU

Konkret fordert er, dass die Europäische Zentralbank (EZB) - und damit natürlich auch die BRD als wichtigste europäische Ökonomie - angesichts der drückenden Schuldenkrise und der drohenden neuen globalen Rezession, auf eine Politik der Konjunkturbelebung in der EU umzuschalten.

Die EZB soll das tun, was die US-Zentralbank mit der Politik des „Qantitative Easing“ schon zwei Mal gemacht hat und womöglich in diesem Herbst wieder tun wird, um einen Totaleinbruch der US-Wirtschaft zu verhindern. Die EZB soll die Geldmenge ausweiten, also Geld billiger machen und so den Zinsdruck von den überschuldeten Ländern nehmen.

Sie soll außerdem durch den Aufkauf von Staatsanleihen der hoch verschuldeten Länder wie Griechenland, Italien, Spanien, Portugal die Zinslast dieser Länder reduzieren. Und sie soll Konjunkturprogramme auf den Weg bringen, um die EU-Wirtschaft anzukurbeln.

Dann könnten auch der IWF u.a. Länder - allen voran die neue Weltwirtschaftsmacht China - der EU „beispringen“ und einen Teil der Staatsschulden oder in die Krise gekommene Unternehmen aufkaufen.

Angst vor globaler Rezession

Angesichts der Drohung einer neuerlichen globalen Rezession ist es durchaus möglich, ja wahrscheinlich, dass solche Maßnahmen improvisiert werden. Ihr Erfolg ist jedoch zweifelhaft.

Die USA haben bereits zwei Mal durch eine massive Ausweitung der Geldmenge ihre Wirtschaft - und als größter Markt der Welt - die globale Wirtschaft „angekurbelt“. Zum ersten Mal im November 2008, als die US-Zentralbank hunderte Milliarden Dollar zum Kauf fauler Anleihen ausgab, so die Bilanzen zahlreicher Banken „sanieren“ half und frisches Geld in Umlauf brachte. Im August 2010 gab die US-Zentralbank erneut rund 600 Mrd. Dollar aus, um die Konjunktur zu stützen.

Viel mehr als ein leichtes Wachstum der US-Ökonomie kam dabei freilich nicht heraus. Ob eine dritte Runde mehr als Stagnation bringt, ist fraglich.

Daher das Drängen der USA darauf, dass die EU mithilft. Auch China drängt darauf, denn eine neue globale Rezession würde auch seine Exportwirtschaft massiv unter Druck setzen.

Doch selbst, wenn eine solche Politik in der EU und weltweit umgesetzt würde, ist ihr Erfolg zweifelhaft:

1. Der konjunkturelle Erfolg der letzten Ausweitungen der Geldmenge war nur beschränkt

Geholfen hat er im Grunde nur zwei Gruppen: Erstens den großen Investoren, den Finanziers der Schuldenkrise. Diese brauchen für die Fortsetzung des Spekulationsgeschäfts in Währungen, Rohstoffe und Nahrungsmittel weiteres Wachstum, dass ihre Gewinnerwartungen trägt und weitere Investitionen anlockt.

Geholfen hat die Politik der letzten Jahre auch den konkurrenzfähigsten industriellen und kommerziellen Monopolen der Welt, die einen Exportboom zu verzeichnen hatten. Es ist daher kein Wunder, dass v.a. das deutsche und chinesische Kapital zusammen mit einigen aufstrebenden Schwellenländern profitierten.

Es darf dabei nicht vergessen werden, dass die Rekordprofite dieser Kapitale nur möglich waren durch den fortgesetzten Niedergang ihre Konkurrenz. Das zeigt sich besonders in der EU. Während große Teile Südeuropas stagnierten oder massive Einbrüche erlebten, konnten das deutsche und einige andere Kapitale ihre überlege Produktivität nutzen, um die Konkurrenz (nicht nur) im Euro-Raum massiv in Bedrängnis zu bringen, wenn nicht ganz aus dem Feld zu schlagen.

2. Auch die EZB hat die Geldmenge ausgeweitet

Die Politik des „Quantitative Easing“ war keineswegs nur auf die USA beschränkt, sondern fand auch in der Euro-Zone in einem ähnlichen Rhythmus statt.

So hat die EZB erst im August 2011, als die Zinsen für spanische und italienische Anleihen in die Höhe schnellten, Staatspapiere dieser Länder gekauft und so dem Anstieg der Zinsen entgegengewirkt.

3. Steigende Schuldenlast

Die Politik der Federal Reserve (FED) und der EZB führt natürlich dazu, dass die Schuldenlast der Öffentlichen Haushalte weiter steigt. Dabei geht es am wenigsten um die Kosten eines „Schuldenerlasses“ für Länder wie Griechenland, eines „Hair Cut“. Ein solcher ist unter kapitalistischen Bedingungen für Griechenland so oder so nur eine Frage der Zeit und wird auch nur dazu führen, dass das Land weiter Schulden zurückzahlen kann und im Gegenzug nicht nur zu massiven Angriffen auf die Lohnabhängigen, sondern auch zu einem Ausverkauf staatlichen und kommunalen Eigentums an ausländische „Helfer“, also Kapitale gezwungen wird.

Bei den Schulden Griechenlands geht es v.a. darum zu verhindern, dass ein „Überschwappen“ auf größere Staaten und „Geldgeber“ - insbesondere deutsche und französische - Banken, die bisher an den enormen Zinsen solcher Staatspapiere riesige Gewinne machten. Vor allem sie - nicht der Schuldner, der an ihren Spekulationsgewinnen zu erstricken droht - müssen so gerettet werden.

Nicht zuletzt deshalb wurde der Europäische Rettungsschirm jüngst auf 440 Mrd. Euro ausgeweitet. Deshalb wird die EZB - trotz aller gegenteiligen Beteuerungen - weiter Staatspapiere strategisch wichtiger Länder wie Italien und Spanien aufkaufen. Aber sie und v.a. die dominierenden Geberstaaten wie Deutschland werden solche Leistungen mehr und mehr mit der Forderung nach direktem politischen Einfluss auf diese Länder und der noch brutaleren Umsetzung der Angriffe auf die Bevölkerung verknüpfen.

4. Die Inflationsgefahr steigt

Die Politik der großen, imperialistischen Staaten hat schon in den letzten Jahren zu einer Abwertung von Dollar und Euro, zugleich aber auch zu massivem Aufwertungsdruck in China, Indien, Brasilien (oder auch der Schweiz) geführt.

Das ist auch ein Grund, warum Länder wie China Dollar aufkaufen, weil sie so dessen Wertverfall entgegenwirken und somit die Aufwertung ihrer eigenen Landeswährung zu beschränken versuchen.

In den „BRIC“-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) ist außerdem schon in den letzten Jahren die Inflation deutlich gestiegen, noch stärker sind die Lebensmittelpreise gestiegen. So betrug die Inflation in China 5,5%, in Brasilien 6,6 und in Indien 9,1%. Die Lebensmittelpreise stiegen in China um 12, in Indien gar um 18%.

Und das sind Zahlen für die „Gewinnerstaaten“. In den wirtschaftlich abgehängten, schwächeren halbkolonialen Ländern der „Dritten Welt“ gab es erst gar keine „Erholung“, keinen zyklischen Aufschwung, keine drohende „Überhitzung“ der Konjunktur, sondern nur Stagnation und Niedergang. Dort machten sich die Kosten der imperialistischen „Anti-Krisen-Politik“ auch schon in den letzten Jahren durch massive Inflation, Verelendung, Massenarbeitslosigkeit, Verzweiflung - aber auch in Revolten und Revolutionen wie in Nordafrika und im Nahen Osten bemerkbar.

5. Die Angriffe gehen weiter

Die Anti-Krisenpolitik von IWF/Weltbank u.a. richtet sich - auch wenn sie konter-zyklische Maßnahmen befürwortet - gegen die Lohnabhängigen und Unterdrückten. Bestenfalls sollen Sparmaßnahmen aufgeschoben werden. Kritik gibt es aber grundsätzlich keine daran, dass alle imperialistischen Staaten die Krise „nutzen“, um ihre Kosten auf die Lohnabhängigen abzuwälzen.

Im Gegenteil. Die USA haben im Zuge der „Einigung“ der Demokraten und Republikaner eine nächste Runde von Milliardeneinsparungen bei den Armen vereinbart.

In Griechenland fordert die „Troika“ aus IWF, EU und EZB weiter die drakonische Umsetzung ihrer Auflagen für die Auszahlung weiterer Gelder, um das Land vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.

6. Aufschub statt Problemlösung

Eine Politik, wie sie von IWF/Weltbank u.a. Imperialisten vorgeschlagen wird, kann das Problem höchsten kurzfristig aufschieben - und selbst das ist zweifelhaft. Längerfristig wird es die Probleme jedoch verschärfen.

Warum? Weil die eigentliche Krisenursache von 2000 nicht beseitigt wurde. Diese lag nämlich nicht in „falscher Politik“, auch nicht an der „Deregulierung der Finanzmärkte“ oder am „Geldkapital“, sondern an der grundlegenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus selbst.

Die Konkurrenz treibt die Unternehmen immer mehr dazu, ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, indem sie versuchen, billiger zu produzieren als ihre Konkurrenz. Ein zentrales Mittel dazu ist die Einführung immer besserer, arbeitssparender Technik. Diese Erhöhung der Arbeitsproduktivität hätte in einer  Gesellschaft, die in erster Linie für die Befriedigung der Bedürfnisse der ProduzentInnen und KonsumentInnen schafft, enorme positive Auswirkungen, die sich in einer Verringerung der durchschnittlichen Arbeitszeit und einem Mehr an freier Zeit zur individuellen Verwirklichung ausdrücken würde.

Im Kapitalismus ist der Effekt gegenteilig. Die Erhöhung der Produktivität führt zur Freisetzung von Arbeitskräften einerseits, zur Intensivierung der Arbeit und Erhöhung des Drucks bei den Beschäftigten andererseits. Vor allem untergräbt sie auch unwillkürlich die Profitabilität, weil immer nur die lebendige Arbeit, die Arbeit der LohnarbeiterInnen Mehrwert und damit Profit schafft. Je mehr Kapital für Maschinen, Gebäude etc., also für Produktionsmittel, im Verhältnis zur Arbeitskraft (Lohn, Sozialabgaben) verwandt werden muss, desto mehr sinkt die Profitrate, vereinfacht gesagt, die Rendite.

Die Kapitalisten reagieren darauf mit verschärfter Konkurrenz und „Flucht“ in scheinbar lukrativere Anlagesphären. Sie verleihen Kapital lieber, als es in die Produktion zu investierten. Daraus speist sich letztlich die Finanzsphäre.

Vom Standpunkt des einzelnen Kapitals ist das ganz logisch und rational, weil der Zweck seiner ganzen Unternehmung immer die Vermehrung seines Profits ist. Das kapitalistische System treibt so aber immer auf Krisen zu, die sich im Rahmen des Systems nur durch Kapitalvernichtung, durch Zerstörung „überschüssiger“ Milliarden, von Produktionsstätten usw. lösen lassen.

Die EU im Epizentrum der nächsten Krise

Die EU steht im Epizentrum der nächsten Krise. Das findet so mancher deutsche Politiker und Wirtschaftsexperte „ungerecht“. Schließlich würde die USA wirtschaftlich doch viel schlechter dastehen als zahlreiche Euro-Länder, allen voran die Bundesrepublik.

Warum also steht die EU dann im Zentrum globaler Verwerfungen, warum drängen Lagarde und Geithner die EU so zum Handeln?

Wollten wir den Grund durch eine rein ökonomische Betrachtung finden, so würden wir uns rasch in einem Wust schlechter Wirtschaftsdaten verlieren. Wir würden herausfinden, dass die USA selbst trotz ihrer Rolle als imperialistische Hegemonialmacht immer weniger handlungsfähig sind, dass sie durch tiefe Gegensätze gespalten sind.

China wiederum hat als Großmacht in der Krise zweifellos gewonnen. Als globale Konjunkturlokomotive kann es die USA freilich nicht ersetzen.

Beide, die USA und China, sind zentralisierte imperialistische Staaten. Sie haben ein Regierungssystem, eine politische Exekutive, das die Interessen des US-amerikanischen bzw. chinesischen Gesamtkapitals zum Ausdruck bringt bringt oder angesichts widerstreitender Interessen einzelner Kapitalfraktionen bringen soll.

Doch was ist die EU? Sie ist noch immer weit davon entfernt, ein zentralisierter imperialistischer Block um ein, zwei Staaten zu sein. Das haben die letzen Jahre auch in politische Hinsicht (siehe z.B. Libyen, Nahost ...) verdeutlicht.

Die aktuelle Krise offenbart den „unvollendeten“ Charakter der europäischen imperialistischen Einigung. Einerseits hat sich mit dem Euro nicht nur eine gemeinsame Währung etabliert, die v.a. das deutsche Kapital stärkt und begünstigt, und zu einer größeren Abhängigkeit der Ökonomien geführt hat. Andererseits sind die ökonomischen Zyklen nach wie vor nicht synchron, die Staaten haben keine gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik.

Das drückt sich auch darin aus, dass der Euro selbst ein Zwitterdasein führt. Einerseits ist er eine gemeinsame Währung. Andererseits notiert er als Währung einer Reihe von Nationalökonomien, deren Kreditwürdigkeit auch einzeln bewertet wird, deren Schulden zum Objekt spekulativer Begierde werden.

Diese Situation ist nicht mehr viel länger haltbar. Das wissen eigentlich alle. Allein, die „Lösung“ des Problems erschrickt auch die herrschende Klasse. Entweder droht der Zerfall der Euro-Zone und damit der EU (inkl. der möglichen Formierung eines kleineren „Kerns“ oder „Restes“). Oder aber die EU wird grundlegend umgestaltet in Richtung eines Bundesstaates, eines sehr viel engeren wirtschaftlichen, politischen und militärischen Blocks.

Das aber erfordert auch eine massive Verschiebung politischer Gewichte in der EU - Klassenkampf nicht nur gegen die Ausgebeuteten und Unterdrückten, sondern auch eine massive, auf Dauer institutionell gesicherte Vorherrschaft Deutschlands mit Frankreich  als Juniorpartner - einer Vorherrschaft, die sich auf eine Reihe von eng an die deutsche Ökonomie angeschlossene kleinere imperialistische Länder wie Österreich oder die Benelux-Staaten stützen könnte.

Allein der Ausgang dieses Kampfes ist ungewiss. Um überhaupt ausgetragen zu werden, ist eine Krise der EU erforderlich, denn nur sie erlaubt den schwächeren Nationalstaaten in der EU gegenüber die erforderlichen Druckmittel, um eine Veränderung des institutionellen Gefüges durchzusetzen.

Der deutsche Imperialismus muss - bei Strafe eines massiven Zurückfallens in seinen imperialen Ambitionen - eine solche Entscheidung suchen. Doch zugleich scheuen die deutsche Regierung und die deutsche Bourgeoisie vor einer solchen Konfrontation auch zurück. Das ist natürlich verständlich, weil eine solche qualitative Veränderung der EU ebenso sehr ein Meilenstein bei der Verfolgung der längerfristigen Ziele des deutschen Imperialismus ist, wie die Risiken einer solchen Politik auch zur Sprengung der EU führen können.

Hinzu kommt, dass die kurzfristigen Interessen einzelner Kapitalfraktionen keineswegs deckungsgleich sind mit den längerfristigen strategischen Interessen des Gesamtkapitals. Das ist auch der Grund, warum es einen imperialistischen Staat und nicht nur eine Interessensabstimmung von Großunternehmen braucht, um die verschiedenen Kapitalinteressen zu einer imperialistischen Strategie zu verdichten.

Diese Gegensätze ziehen sich bis hin in die Bundesregierung und machen den politischen Kern der Krise der CDU/CSU/FDP-Koalition aus.

Optionen der EU-Entwicklung

Im Grunde gibt es zwei grundlegende innerkapitalistische Optionen für die Perspektive der EU:

1. Ein qualitativer Schritt vorwärts in der europäischen imperialistischen Vereinigung unter Hegemonie des deutschen Imperialismus in Partnerschaft mit einem wirtschaftlich schwächeren, formal aber „gleichberechtigten“ französischen Kapitalismus.

2. Die EU überwindet ihre Krise nicht, sondern bleibt in einem Netz von Halbheiten gefangen oder zerfällt gar mitsamt dem Euro (oder es bleibt nur ein stark verkleinerter Euro-Raum um Deutschland übrig).

Eine solche Entwicklung, die einer Paralyse Europas im inner-imperialistischen Kräftemessen mit den USA und China gleichkäme, kann keineswegs ausgeschlossen werden.

In beiden Fällen würde es mit einer Vergrößerung politischer und wirtschaftlicher Instabilität auf globaler Ebene einher gehen. Das strategische Ziel des deutschen Imperialismus liegt natürlich in der ersten Variante, auch wenn manche bürgerliche Politiker keineswegs auf der Höhe dieser Aufgaben scheinen - insbesondere Figuren wie Rösler und Seehofer, diverse liberale und konservative Hinterbänkler, die angesichts einer Ausweitung des EU-Rettungsschirms, Kredite an Griechenland u.a. Staaten plötzlich zur „Gewissensfrage“ stilisieren, eines Gewissens, das ihnen offenkundig keine Probleme bereitete, als deutsche Banken mit Milliarden gerettet wurden. Doch das war schließlich „unser“ Geld, oder wenigstens das, mit dem die Wahlkämpfe dieser ParlamentarierInnen bezahlt wurden.

SPD/Grüne und Gewerkschaften als Retter in der Not?

In der Stunde der Not kommen SPD/Grüne und die Gewerkschaften als Retter daher. Dass die parlamentarische Opposition den Maßnahmen zur Stabilisierung der EU-Wirtschaft und des Euro zustimmt, daran lassen die HeldInnen von SPD und Grünen keinen Zweifel. Sollte der politische Preis stimmen, dürften auch in der Linkspartei noch willige Helfer zu finden sein, denen wie Klaus Ernst die Eurobonds nicht rasch genug eingeführt werden können. Darüber hinaus schlagen SPD-Chef Gabriel u.a. führende europäische Sozialdemokraten ein europäisches Konjunkturprogramm vor.

Auch die Gewerkschaftsführungen lassen sich nicht lumpen. Auf dem ver.di-Tag im August forderte Bsirske - sekundiert von IG-Metall-Chef Huber - lautstark eine europäische „Wirtschaftsregierung“.

Angesichts der „Euro-skeptischen“ Stimmen am rechten Flügel der herrschenden Klasse und des Kleinbürgertums, denen die EU-Pläne der Monopole zu riskant erscheinen, macht die Arbeiterbürokratie, machen die Spitzen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie auf europäisch.

Ihre Botschaft an das europäische Großkapital, die hinter wohlklingenden Phrasen vom „sozialen“, „gerechten“ usw. Europa versteckt ist, lautet: Nur mit uns kriegt Ihr einen starken, europäischen imperialistischen Block. Dafür wollen ihr auch ein paar Zugeständnisse, dann helfen wir mit, nicht nur den Standort Deutschland, sondern den Standort Europa „nach vorn“ zu bringen.

Für etwas „soziale Gerechtigkeit“ und etwas keynesianische Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene versprechen die Gewerkschaftsbosse und reformistischen Parteiführer - nicht nur der Sozialdemokratie, sondern auch aus der europäischen Linkspartei -, dass auch sie die Europäische Union mittragen wollen.

Doch diese Versprechen werden sich angesichts der Krise als Schall und Rauch erweisen. „Soziale Gerechtigkeit“, also substantielle Reformen für die gesamte Arbeiterklasse und Jugend in der EU ist im Rahmen des Kapitalismus einfach nicht drin. Wohl aber kann eine solche Politik zur weiteren Paralyse der Arbeiterbewegung führen - kombiniert mit der Hoffnung auf einige Zugeständnisse für eine kleiner werdende Schicht der Aristokratie der Klasse und noch mehr Angriffe auf die unterdrücktesten Teile.

Gerade angesichts der heraufziehenden nächsten globalen Krise und Rezession ist das eine der Hauptgefahren für die europäische Arbeiterklasse, dass sie nicht auf einen gemeinsamen, militanten Abwehrkampf vorbereitet, sondern auf eine „vernünftige“ gesamteuropäische Wirtschaftspolitik vertröstet wird.

Angesichts der kommenden, verschärften Krise gilt es, eine gemeinsame, europaweite Koordinierung des Widerstandes aufzubauen. Von den Massengewerkschaften und reformistischen Parteien muss die Unterstützung dieses Kampfes gefordert werden, freilich ohne sich dabei die Hände zu binden.

Wir müssen jetzt den Aufbau oder Wideraufbau von Bündnissen gegen die Krise in Angriff nehmen; wir müssen jetzt Aktionspläne für einen gemeinsamen Widerstand diskutieren und koordinieren. Dabei werden Demonstrationen eine große Rolle zur Sammlung spielen, dazu schlagen wir einen europäischen Aktions- und Streiktag vor. Aber wir müssen wie die Bewegungen in Südeuropa oder in Frankreich 2010 über eintägige, letztlich symbolische Aktionen hinausgehen und für politische Massenstreiks und Betriebsbesetzungen kämpfen.

Doch die europäische Krise verlangt nicht nur einen Kampf gegen die fortgesetzte Abwälzung der Kosten auf die Lohnabhängigen, gegen immer neue Sparpakete. Sie verlangt auch, dass wir eine Alternative zum Europa des Kapitalismus - einschließlich seiner sozialdemokratischen Weichspülervariante - wie auch zu nationalistischen und rein-nationalstaatlichen Lösungen entwickeln. Eine solche Alternative kann nur ein sozialistisches Europa, Vereinigte Räterepubliken Europas sein, das aus dem revolutionären Sturz des Kapitalismus hervorgeht.

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Nr. 163, Oktober 2011
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