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Zwischen Gewerkschaftsritual und kämpferischen Demos

Ein Tag mit zwei Gesichtern

Martin Suchanek, Infomail 818, 4. Mai 2015

Die mit Abstand größte Demonstration am Ersten Mai fand auch 2015 wieder in Berlin statt. Es war – auch das ist längst keine Überraschung mehr – nicht jene des DGB, sondern mit rund 30.000 TeilnehmerInnen die Revolutionäre-Erste-Mai-Demonstration.

In etlichen Großstädten gab es ebenfalls Demos verschiedener Teile der „radikalen Linken“, die fast so groß, wenn nicht größer als die DGB-Aktionen waren.

Sozialpartnerschaft as usual

Allein das ist ein vernichtendes Urteil über die offiziellen „Mai-Feiern“ der Gewerkschaften. Auch wenn die Bierfeste und Bratwurstbuden mittlerweile mit allerlei anderen Fressständen kulinarisch aufgerüstet haben und neben der eigentlichen Manifestation die TeilnehmerInnen mit „Kulturprogrammen“ geködert werden sollen, so ändert das nichts daran, dass der DGB sein ganzes Programm bewusst unter das Banner politischer Harmlosigkeit gestellt hat. „Die Arbeit der Zukunft gestalten wir“, ist als Parole vor allem an die „Sozialpartner“ gerichtet, an die deutschen Kapitalisten wie auch an den Koalitionspartner der SPD. Den „Arbeitgebern“ und Teilen der CDU warf DGB-Chef Reiner Hoffmann auf der zentralen Gewerkschaftskundgebung in Berlin vor, sie würden die Arbeit nicht wirklich „gemeinsam“ gestalten wollen, sondern ins 19. Jahrhundert zurückkehren.

Bei solchen Betrachtungen ist es kein Wunder, dass die Stimmung nicht allzu kämpferisch wird. Hoffmann und Co. werden nicht müde, dem Kapital seine „Kompromisslosigkeit“ vorzuwerfen; die kann den deutschen GewerkschaftsführerInnen sicher gänzlich abgesprochen werden.

Oppositionelle Regungen

Nichtsdestotrotz gab es bei den DGB-Demos auch einzelne, oppositionelle Regungen. So wurden in einigen Städten Transparente gegen den Angriff auf das Streikrecht im Namen der Tarifeinheit v.a. bei ver.di mitgeführt. In Kassel gab es nach der Demonstration eine kleine Kundgebung gegen dieses Gesetzesvorhaben.

In einigen Städten zeigte sich eine regere Beteiligung von KollegInnen, die aktuell in Auseinandersetzungen stehen –  v.a. der ErzieherInnen.

In Berlin wurde die Abschlusskundgebung glücklicherweise nicht nur von sozialpartnerschaftlichem Schmus geprägt. Die Gewerkschaftsjugend hat hier ihre Rede zu einem politischen Protest gegen die Räumung der Refugees im Berliner DGB-Haus genutzt und außerdem die Aufnahme von Geflüchteten in die DGB-Gewerkschaften gefordert.

Eine Warnung

Doch das war eine Ausnahme im Meer politischer Tristesse, umrahmt vom Abfeiern vermeintlicher Erfolge, dem Einfordern von Klassenkompromiss inklusive eines so genannten „sozialen Europas“ unter Junckers Regie. Die DGB-Demos sind 2015 – von wenigen Ausnahmen abgesehen – wahrlich zeitlose Veranstaltungen. Sie hätten ebenso gut vor einem, vor 10 oder 20 Jahren stattfinden können. Die globale Zuspitzung, die verschärfte inner-imperialistische Konkurrenz kommen allenfalls vor, um am Ende denselben reformistischen Plunder als „Alternativprogramm“ zu den allzu forschen Forderungen der herrschenden Klasse zu verkaufen, der auch schon vor 20 Jahren dargeboten wurde.

Kein Wunder, dass auch die Zahl der TeilnehmerInnen immer mehr oder weniger gleich bleibt. Diesmal sollen es bundesweit 402.000 gewesen sein. Und, ändert sich nichts groß, werden es nächstes Jahr wohl wieder ebenso viele sein.

Für die ArbeiterInnenklasse in Deutschland ist dieser bürokratische Routinismus ein Fallstrick. Er vertröstet auf Kompromisse, für die der Spielraum immer enger wird und die ihrerseits auf der Spaltung der Klasse und dem Erfolg des deutschen Exportkapitals beruhen. Kein Wunder, dass Chauvinismus, Standortdenken und die politische Unterordnung unter die Imperative des Großkapitals zum Standardrepertoire der Gewerkschaftsführungen gehören.

Diese Politik desorientiert nicht nur. Sie wird sich in zukünftigen Klassenkämpfen und bei weiterer politischer Polarisierung als noch fataler erweisen. Die Stürmung  der DGB-Kundgebung in Weimar durch 40 Neonazis, bei der 4 GewerkschafterInnen verletzt wurden, zeigt, wie hilflos der DGB letztlich unter der biederen Fassade ist. Es ist eine Warnung an die ArbeiterInnenbewegung, die von keiner/m Linken, von keiner/m GewerkschafterIn ignoriert werden darf.

Die andere Seite des Ersten Mai?

Viele der „revolutionären Demonstrationen“ am Ersten Mai sind auch in diesem Jahr größer geworden. Allein in Berlin beteiligten sich wohl mehr als 30.000 Menschen, ein Vielfaches der DGB-Demonstration, die offiziell 5.000 zählte.

Freilich zeigte sich bei diesen Demonstrationen auch, dass wir es hier keineswegs mit einer einheitlichen Bewegung zu tun haben, sondern mit unterschiedlichen, ja gegensätzlichen politischen Orientierungen.

In Hamburg gab es daher zwei Demonstrationen, eine, die vom anti-deutschen, eine die vom neo-stalinistischen Spektrum dominiert wurde.

Auch in Berlin zeigte sich diese Differenz auf andere Weise. Entgegen der letzten Jahre bildet in diesem Jahr nicht der „Internationalistische Block“ die Spitze der Demonstration, sondern der eher traditionsautonome „Wir sind überall“-Block. Der erstere war von Gruppen wie der RLB Berlin geprägt.

Den zweiten Block bildete diesmal der „Internationalistische Block“, den Arbeitermacht, REVOLUTION und die „Neue antikapitalistische Organisation“ (NaO) Berlin maßgeblich mit vorbereitet hatten.

Der internationalistische Block

Wir betrachten den diesjährigen Internationalistischen Block, an dem sich rund 6.000 Menschen beteiligten, als politischen Erfolg. Er war stark internationalistisch geprägt, indem neben GenossInnen von Arbeitermacht, REVOLUTION und NaO Berlin sich kurdische Organisationen wie HDP, Destan und die kurdische Jugend, die palästinensische Gemeinde, Antarsya, das Griechenland-Solidaritätsbündnis und das Refugee Schul- und Unistreikbündnis beteiligten. Außerdem schlossen sich verschiedene Gruppierungen wie „Revolutionary Proletariat“ oder die SAV und Solid dem Block an.

Eine Genossin der NaO hielt die Rede auf der Auftaktkundgebung. Während der Demonstration kamen SprecherInnen von Destan, der Palästinensischen Gemeinde, Antarsya, der „Antikapitalistischen nicht-weißen/migrantischen/POC-Gruppe im Aufbau“, „Trotz Alledem“, dem „Refugee Schul- und Uni-Streikbündnis“, REVOLUTION und der Gruppe Arbeitermacht zu Wort.

Die Beiträge deckten ein weites Spektrum politischer Fragen, von Kämpfen und der politischen Perspektive ab. In der Tat geht es uns darum, die Gesamtheit der politischen Lage, der Krise des Kapitalismus in ihren verschiedenen Ausprägungen zum Gegenstand zu machen – gerade weil für uns die Organisierung eines solchen Blocks nicht Selbstzweck, sondern ein Schritt ist, dem Aufbau einer bundesweiten und internationalen anti-kapitalistischen und revolutionären Organisation näher zu kommen, die handlungsfähig ist und auf politischer und programmatischer Klarheit fußt.

Der „Wir sind überall“-Block

Hier zeigt sich der grundlegende Unterschied zum Ersten Block der Demonstration, dem „Wir sind überall“-Block. Dieser prägte 2015 die Spitze der Berliner Ersten Mai-Demonstration. In einer ersten Bilanz betrachtet es die RLB Berlin (wohl stellvertretend für diesen Block) als politischen Erfolg, dass ein großer Teil des ersten Blocks vermummt lief und dass es zum Versuch einer Hausbesetzung gekommen sei.

In der Vermummung als solcher können wir beim besten Willen kein Zeichen politischen Erfolgs per se erblicken. Im Gegenteil: wenn es (wie auch von der RLB und anderen immer wieder proklamiert) ein Ziel sein soll, sich in den so genannten „Alltagskämpfen“ zu verankern und sich auf Menschen außerhalb der Szene zu orientieren, so ist die Vermummung sicher kein geeignetes Mittel zur „Öffnung“ für ebendiese. Es ist nichts weiter als pseudo-revolutionäre Symbolpolitik, ein Gestus statt eines Inhalts.

Nicht anders die Fetischisierung des „Kampfes um ein soziales Zentrum“. Angesichts der großen weltpolitischen Entwicklungen (Neuer Kalter Krieg, Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens, imperialistische Formierung der EU), angesichts von wachsendem Rassismus, von Angriffen auf das Streikrecht, der Auseinandersetzung bei der Bahn usw. usf. ist es einfach nur borniert und provinziell, ein „soziales Zentrum“ zum Hauptziel „revolutionärer“ Arbeit zu machen.

Dahinter steht letztlich eine Rückkehr zur autonomen Politik, für die „revolutionäre Politik“ letztlich immer subjektivistisch gefasst war. Klassenanalyse, theoretische Begründung von Strategie und Taktik, wissenschaftliche Fundierung des eigenen Programms (ja überhaupt die Erarbeitung eines solchen) – also Essentials marxistischer, kommunistischer Politik – hatten dort nie eine besondere Rolle gespielt.

Eine Rückkehr zu den vermeintlich glorreichen Tagen dieser „autonomen“ Politik, die mit einigen Öffnungsfloskeln garniert wird, braucht niemand – schon gar nicht die ArbeiterInnenklasse.

Entgegengesetzte Vorstellungen

Am revolutionären Ersten Mai sind daher gerade in Berlin nicht nur zwei sehr verschiedene Blöcke am Beginn der Demonstration marschiert. Es sind letztlich auch zwei grundlegend verschiedene politische Konzeptionen, Ausrichtungen aufgetreten.

Nur die auf dem Aufbau einer politischen Alternative, auf einem klaren Klassenstandpunkt und Internationalismus basierende revolutionäre Organisation weist eine reale Alternative zum Routinismus des DGB. Der „Schwarze Block“ ist letztlich nur sein pseudo-radikales Alter Ego. Wir werden auch auf den nächsten Ersten-Mai-Demos einen „Internationalistischen Block“ ähnlich dem auf der diesjährigen Demonstration organisieren wollen – und zugleich die „restlichen“ 364 Tage im Jahr nutzen, um den Aufbau einer neuen, anti-kapitalistischen Organisation voranzutreiben.

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Nr. 199, Mai 2015
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