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Firenze 10+10

Treffen der Totengräber?

Tobi Hansen, Neue Internationale 175, Dezember 2012/Januar 2013

Ausgangspunkt des Treffens in Florenz waren die großen Anti-Kriegsmobilisierungen von 2002/03. Als damals das Sozialforum (ESF) in Florenz tagte, demonstrierten dort mehr als 200.000 gegen den drohenden Irak-Krieg. Das ESF  rief damals zum Tag X auf - bei Kriegsausbruch 2003 gingen auch auf diesen Aufruf hin weltweit mehr als 20 Millionen auf die Straße.

In diesem Jahr war nun die EU-Krise und der Widerstand dagegen das Hauptthema des Treffens. In den Ankündigungen war von gemeinsamen Diskussionen und Planungen die Rede. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass in Florenz tatsächlich AktivistInnen gegen die Krise sich austauschen und gemeinsame Aktionen planen. Allerdings war von früheren Sozialforen auch bekannt, dass die meisten Ergebnisse schon vorher feststanden, dass ein Klüngel aus Gewerkschaftsfunktionären, NGOs und Linksparteien eine reformistische Ausrichtung und entsprechend harmlose und symbolische Aktionen schon festgezurrt hatten.

Schlechte Tradition

Dieser undemokratischen und ineffektiven Tradition machte leider auch Florenz 2012 alle Ehre! Am Ende wurde eine Erklärung verfasst, in der die „Bewegung ihre Demokratie gegen die Sparpakete verteidigen will“. Hauptsächlich ging es um „14N“, der allerdings schon vorher feststand und nur noch einmal bestätigt wurde. Alle klopften sich für den europäischen „Streiktag“auf die Schultern, dann soll es noch Proteste gegen den EU-Gipfel Ende März und einen „Alternativgipfel“ im Mai/Juni in Athen geben sowie einen antirassistischen Aktionstag am 18.12. und „kreative“ Aktionen Ende Januar gegen Banken. Auch der internationale Frauentag am 8. März soll als Protesttag genutzt werden.

Natürlich sind solche europäische Aktionen und Mobilisierungen begrüßenswert und werden auch von der Gruppe Arbeitermacht und der Liga für die 5. Internationale unterstützt. Allerdings waren in Florenz eben wieder jene politischen Kräfte federführend, die für den komatösen Zustand des europäischen Widerstands verantwortlich sind. Wenn also die versammelten Funktionäre „ihre“ Demokratie verteidigen wollen, die anwesenden NGOs lauter Detail-Lösungen für ihr Einzelthema anbieten, dann bleiben die Interessen der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der verarmten Schichten der Klasse, der Jugend und der Rentner auf der Strecke, also der Massen, auf der Strecke.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die kämpferischen Beiträge aus Griechenland und Spanien kamen, dass griechische GewerkschafterInnen inzwischen nicht mehr (nur) um Demokratie, sondern um das Lebensnotwendigste kämpfen müssen und dass ein attac-Vertreter aus Spanien eben kein „Schuldenaudit“ fordert, sondern rigoros gegen das Finanzkapital agitierte. Da war zu merken, worum es derzeit wirklich geht.

Ein Vertreter des italienischen Gewerkschafts-Dachverbands CGIL meinte auf einer Veranstaltung,  dass die Bewegung viele Niederlagen erleiden musste, weil nicht international koordiniert gekämpft wurde und so alle ihre Niederlagen national kassierten. Aber - fast wie selbstverständlich - wollte niemand darüber reden, warum das so ist und wer bzw. welche Politik dafür verantwortlich ist.

Deutsche Abstinenz

Während viele südeuropäische GewerkschafterInnen das Bild prägten, waren bezeichnenderweise  die deutschen Gewerkschaften fast gar nicht vertreten; Deutsch konnte als Übersetzungssprache gestrichen werden. Die deutschen Gewerkschaften werden derzeit von IGM-Chef Huber repräsentiert, einem Rechts-Sozialdemokraten erster Klasse. Er meint, dass in Spanien und Portugal  zu viel verdient wird. Ja, für den deutschen Standort geht die IGM-Spitze auch über die Leichen ihrer europäischen KollegInnen!

Während das BRD-Kapital seine Marktanteile weltweit erhöhen konnte, wurde gleichzeitig ein massives Kürzungsprogramm für Süd- und Osteuropa aufgelegt. Die „eiserne“ Kanzlerin Merkel ist nicht umsonst das zentrale Feindbild des Widerstands in Südeuropa. Doch weder die deutschen Gewerkschaften, noch das Treffen in Florenz sind auf diese Realitäten eingegangen - stattdessen wird die Illusion eines sozialen Europas beschworen und die Demokratie soll verteidigt werden, nicht etwa eine Arbeiterdemokratie, sondern die betrügerische bürgerliche Scheindemokratie im Interesse des Kapitals.

Wenn es nun Ende März 2013 Aktionen gegen den EU-Gipfel in Brüssel geben soll, dann muss sich vor allem die radikale, sozialistische Linke fragen, welche Alternative sie zur Illusion eines „sozialen“, d.h. kapitalistischen Europa hat. In Florenz war davon nichts zu merken. Wenn GenossInnen verschiedener Strömungen da waren, dann meist als Teil der Gewerkschaften oder angegliedert an NGOs - so aber kann keine Alternative zu der informellen, bürokratischen und reformistischen Führung dieser Versammlungen entstehen.

In Istanbul 2010 zeigte das damalige Sozialforum die Unfähigkeit, auf die Krise und die damals beginnenden Klassenkämpfe in Griechenland zu reagieren - zwei Jahre Stillstand waren die Folge. Seitdem hat sich die Krise vertieft und der Widerstand nahm zu. Auch rechte Kräfte und Faschisten wittern Morgenluft - die „Linke“ zeigt sich handlungsunfähig.

Für die nächsten Proteste, für die nächsten Treffen dieser Art brauchen wir ein gemeinsames Vorgehen, brauchen wir eine intensivere Koordination aller Kräfte, die sich als antikapitalistisch, radikal oder sozialistisch verstehen. Das ist unabdingbar, wenn eine Alternative zur reformistischen Führung des ESF und des Widerstands allgemein aufgebaut werden soll.

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Nr. 175, Dez. 2012/Jan. 2013
*  Nach dem europäischen Aktionstag vom 14. November: Was nun?
*  Firenze 10+10: Treffen der Totengräber?
*  Generalstreik in Spanien: Ein Signal an Europa
*  Heile Welt
*  Flüchtlingscamp am Berliner Oranienplatz: Ein zweites Leben
*  Streik bei Neupack: Gemeinsam gegen Krüger
*  IT-Industrie: Neue Entlassungen
*  Warnstreik Buchhandel und Verlage: Ein guter Anfang
*  Bombardier in Aachen: Gegen die Schließung!
*  Syrien: Sieg der Revolution! Nein zur US-Intervention!
*  Palästina: Brüchiger Waffenstillstand
*  Ägypten: Der 18. Brumaire des Mohammed Mursi