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Tibet

Nationale Frage und Klassenkampf

Martin Suchanek, Neue Internationale 128, April 2008

Der Aufstand der tibetischen Bevölkerung hat in der deutschen „radikalen“ Linken für Aufruhr, vor allem für papierenen, gesorgt.

Während die Bundesregierung mit verhaltenen diplomatischen Vorsprachen China zur „Verständigung“ mahnt und die liberale Presse einen „Olympiaboykott“ fordert, hat sich ein großer Teil der „radikalen“ Linken auf die Seite des Regimes in Peking geschlagen.

Der unbestreitbar reaktionäre Charakter des buddhistischen Klerus und der halbfeudale Charakter der „Exilregierung“ um den Dalai Lama machen die Sache scheinbar einfach, scheint es sich doch um einen Kampf zwischen einer reaktionären Clique, die mit Hilfe des westlichen Imperialismus auf tibetischem Boden eine Theokratie errichten will, und einem „sozialistischen“ oder „staatssozialistischen“ Staat zu handeln.

Da letztere These auch für alte Parteigänger der VR China oder der Sowjetunion immer schwerer aufrecht zu erhalten ist, kann man sich wenigstens damit behelfen, dass China - und das ist sicher unbestreitbar - gegen „den Westen,“ also gegen USA und EU gerichtete Interessen verfolgt. Somit erhält die Niederschlagung der tibetischen Bevölkerung durch die chinesische Armee höhere, „anti-imperialistische“ Weihen. Manche Unterstützer der Politik Chinas gehen dabei sogar soweit, die Politik Pekings als Fortschritt für die TibeterInnen selbst zu betrachten, die relativen Wohlstand oder wenigstens Infrastruktur mit sich brächte.

Was bei diesen „Analysen“ wie sie z.B. Rupp und Pirker in der Jungen Welt zum Besten geben in der Regel völlig unter den Tisch fällt, ist die Frage nach den sozialen Wurzeln, nach den Klassenursachen des Konflikts im Tibet und nach dem Klassencharakter der chinesischen Politik selbst. Zweitens wird auch die Frage der nationalen Selbstbestimmung im Rahmen einer chinesischen Revolution, ja überhaupt die Frage einer eingeständigen Politik der Arbeiterbewegung unabhängig von der Chinesischen Staatsführung ausgeblendet.

Die „Dalai Lama-Clique“ und die soziale Struktur der tibetischen Bevölkerung

Der Dalai Lama repräsentiert eine lange Tradition reaktionärer Herrschaft. Im unabhängigen Tibet nach 1913 herrschten feudale Strukturen, die mit brutaler Ausbeutung (einschließlich Formen der Sklaverei) der tibetischen Massen verbunden waren. Eng war die Führung des Dalai Lama mit imperialistischen Interessen verbunden -  bis hin zur Kooperation mit Nazi-Deutschland und Besuch esoterischer Nazis.

Nach 1951, als Tibet Teil der Volksrepublik Chinas wurde, arrangierte sich der buddhistische Klerus mit dem Dalai Lama an der Spitze mit der KP Chinas. Tibet wurde Teil Chinas. China wiederum erkannte an, dass das religiös-politische System Tibets und die Stellung des Dalai Lama unverändert bleiben sollten.

Bis 1959 blieb dieses Bündnis von Mao-Stalinisten und Dalai Lama bestehen. Der Dalai Lama und seine „Clique“ waren eine Stütze der KP-Herrschaft, die zugleich dieses Bündnis auf Kosten der Bevölkerung aufrechterhielt. Es war auch nicht schwer vorhersehbar, dass sein solches Bündnis letztlich zerbrechen würde und nur durch die Unterordnung der Interessen der tibetischen ArbeiterInnen und Bauern auch über mehrere Aufstandsversuche anhalten konnte. Diese Phase verdeutlicht jedoch schon den reaktionären Charakter der Tibet-Politik der chinesischen KP, bei der die Interessen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten, der tibetischen Bevölkerung, immer nur eine Nebenrolle spielten.

1959 ändert sich die Situation. Im Zuge des „großen Sprungs nach vorn“ wurde gegen den einstigen Vertragspartner vorgegangen, der tibetische Klerus unterdrückt und 6.000 Klöster zerstört. Der Aufstand der Tibeter wurde niedergeschlagen, der Dalai Lama setzte sich nach Indien ab.

1976 setzte eine neue abrupte Wende der chinesischen Politik ein. Staatlich kontrolliert, wurde der Klerus nun wieder etabliert und finanziert. Klöster wurden wieder aufgebaut und die chinesischen KP setzte auf den Pantschen Lama, den zweithöchsten Führer des tibetischen Buddhismus als Verbündeten.

Der Zweck dieser zynisch-peinlichen Inszenierung, die so weit ging, dass der „atheistische“ Staat Kommissionen einsetzte, um die „wahre“ Reinkarnation buddhistischer Heiliger zu „überprüfen“, hatte einen recht profanen Zweck: die Nutzung von Religion zur Befriedung, also klassisches Opium für das Volk, um so soziale Unruhen als Folge zunehmender sozialer Differenzierung, also Klassenformierung der Bevölkerung abzufedern.

Seit Anfang der 1990er Jahre wurde außerdem gezielt die Ansiedlung von Han-Chinesen im Tibet gefördert. Die Gründe dafür sind recht klar: Erstens Sicherung einer Bevölkerungsmehrheit im geo-strategisch wichtigen und rohstoffreichen Tibet. Zweitens die Schaffung eines Ventils für die auf 250 Millionen geschätzten, freigesetzten „überschüssigen“ Arbeitskräfte Chinas, die selbst im kapitalistischen Boom nicht produktiv verwandt und von der expandierenden Ökonomie absorbiert werden können.

Diese Politik des kapitalistischen Chinas hat die traditionelle tibetische Kultur weiter massiv zersetzt. Vor allem aber hat sie die große Mehrheit der TibeterInnen sozial an den Rand gedrückt. Es ist kein Wunder, dass der Dalai Lama vor allem das Sterben der „Kultur“ bedauert und die soziale Verelendung der TibeterInnen weitgehend ignoriert.

Bemerkenswert ist jedoch, dass auch die deutsche Linke die dramatische soziale Deklassierung, die sozialen Frage, die hinter dem Aufstand der Tibeter steht, ignoriert. Dabei erklärt sich gerade daraus die Wut, die in den Aktionen zum Ausdruck kam. Dabei zeigt sich gerade darin, der unterdrückerische, nationalistische und kapitalistische Charakter der chinesischen Regierungspolitik.

Rund 70 Prozent der jugendlichen TibeterInnen sind arbeitslos, in den Städten Tibets wie Lhasa oder Shigate leben jeweils mehr als 3.000 Bettler.

Hinzu kommt, dass chinesische Zuwanderer nicht nur im Geschäftsleben, sondern auch bei der Arbeitssuche bevorzugt werden und kostenlose Gesundheitsversorgung erhalten, während die eingesessene Bevölkerung - also im wesentlichen die TibeterInnen - dafür zahlen müssen.

Diese nationale Diskriminierung erstreckt sich auch auf Schulen und Wohnungsvergabe, also praktisch auf alle Lebensbereiche.

Sie sind Resultat der unterdrückerischen Politik der Chinesischen Regierung und der nationalen Unterdrückung der TibeterInnen, die sich im Zuge der Restauration des Kapitalismus massiv verschärft hat und weiter verschärfen wird.

Das verdeutlicht aber auch, dass der Aufruhr im Tibet v.a. soziale Wurzeln hat, die mit der nationalen Unterdrückung verbunden sind und die natürlich auch der Dalai Lama und der Westen auszunutzen suchen.

Die Politik des Westens und die Chinas

Keine Frage: die USA, die EU, die BRD und auch Indien haben seit Jahren versucht, die tibetische Frage für ihre Zwecke zu nutzen und zu instrumentalisieren. Dafür wurden die „Friedenstaube“ Dalai Lama und sein vorgeblicher „Pazifismus,“ der ihn natürlich nicht an der Unterstützung imperialistischer Raubkriege wie gegen den Irak gehindert hat, medial vermarktet.

Sicherlich nutzt der Westen auch alle Bilder des Aufstandes im Tibet zu seinen Zwecken, während jede Berichterstattung über den Aufstand in Basra oder in Gaza unterdrückt wird und im Wust endloser Desinformation erstickt werden soll.

Daraus kann jedoch - und darin stehen wir im strikten Gegensatz zu einem Grossteil der halb-stalinistischen deutschen Linken - keineswegs geschlossen werden, dass der Aufstand im Tibet nicht berechtigt wäre.

Erstens zielt die aktuelle Außenpolitik der Regierung Bush wie auch der EU-Länder keineswegs auf die Lostrennung Tibets. Es geht vielmehr darum, die chinesische Regierung so weit unter Druck zu setzen, dass sie Zugeständnisse auf anderen Gebieten macht - insbesondere im Run um Afrika, wo die chinesischen Regierung um die Ausbeutung und Kontrolle von Rohstoffvorkommen mit den USA und der EU zunehmend konkurriert.

Zweitens geht es darum, dass die chinesische Ökonomie weiter westlichen Konzernen geöffnet wird und dass China v.a. seine WTO-Auflagen hinsichtlich der Öffnung des Finanz- und Bankensektors erfüllt.

Drittens besteht für den Westen auch ein Interesse an Kooperation mit den entstehenden chinesischen Rivalen, sprich die Regierung in Peking wird zur Begrenzung einer drohenden Weltwirtschaftskrise gebraucht.

Der Dalai Lama ist für den Westen nur eine Marionette im globalen Spiel. Die Drohung, die Olympischen Spiele zu boykottieren, gehört ebenso in diesen Bereich.

Viertens darf auch nicht übersehen werden, dass angesichts der Zuspitzung im gesamten zentralasiatischen Raum - v.a. in Afghanistan und Pakistan - eine Lostrennung Tibets von China für den Westen und Indien keineswegs nur Grund zur Freude wäre, sondern auch eine weitere, schwer kalkulierbare Destabilisierung einer für die Weltwirtschaft und Weltpolitik zentralen Region bedeuten würde.

Fünftens gehört es zum Arsenal jeder Weltmachtpolitik, die Unterdrückung demokratischer Rechte, sozialer Rechte oder nationale Unterdrückung auf dem Gebiet oder im Einflussbereich der anderen Macht im eigenen Interesse auszunutzen oder auszunutzen zu versuchen. Davor ist im Grunde kein einziger nationaler Befreiungskampf „immun,“ noch macht die (proklamierte) Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe oder eines Kriegens durch eine Gruppe von Imperialisten diesen prinzipiell illegitim. Der gerechtfertigte Widerstand und Krieg Chinas gegen Japan vor und während des Zweiten Weltkrieges ist ein gutes Beispiel dafür. Die Unterstützung Chinas durch die USA änderte nichts an der Legitimität des Krieges auf Seiten Chinas.

Noch viel weniger ändern die Einflussnahme des Dalai Lama oder die (verbale) Unterstützung des Westens für die TibeterInnen an der Legitimität, sich mit Massenaktionen und auch bewaffneten Mitteln zur Wehr zu setzen.

Dass die Führung des tibetischen Kampfes - so weit diese überhaupt klar ausmachbar ist - oft von reaktionären Kräften bestimmt ist (und diese auch über bessere Mittel verfügen, sich an die Spitze zu stellen), ist auch ein Resultat der Politik der chinesischen Regierung, die die Bildung jeder - und damit natürlich auch einer legalen und offen auftretenden  demokratischen oder sozialistischen Unabhängigkeitsbewegung verunmöglicht.

Die Forderung, dass die tibetischen Massen vor jedem Widerstand, vor einem Aufstand im „demokratischen“ Diskurs eine Führung bestimmen, die den Ansprüchen der westlichen Linken genügt, ist schlichtweg eine unmögliche Forderung. Sie läuft nicht auf die Schaffung einer „demokratischen“ oder „fortschrittlichen“ Bewegung hinaus, sondern auf die Unterwerfung unter die chinesische Zentralregierung und auf den Verzicht auf jeden Widerstand.

Interessen der chinesischen Regierung

Die Zulassung einer legalen Opposition, die diesen Namen verdient, ist von der chinesischen Regierung nicht und schon gar nicht im Tibet zu erwarten.

Für China hat Tibet eine wichtige geostrategische, ökonomische, aber auch klassenpolitische Bedeutung nach innen.

Die Regierung in Peking hat sich unter Deng zu Beginn der 1990er erfolgreich in eine restaurationistische kapitalistische Regierung transformiert. Der chinesische Staat hat Anfang der 1990er aufgehört, die Grundlagen einer, wenn auch von den Marktreformen der 1980er Jahre mehr und mehr ausgehöhlten, Planwirtschaft zu verteidigen. China wurde von einem degenerierten Arbeiterstaat zu einem kapitalistischen Land und mittlerweile zu einer zentralen Stütze der kapitalistischen Weltwirtschaft, die wesentlich dazu beitrug, dass die USA und damit die Weltökonomie nicht schon um die  Jahrhundertwende in eine tiefe Rezession schlitterten.

Die chinesische Regierung und die entstehende, wenn auch noch immer fragmentierte Kapitalistenklasse verfolgen dabei das Ziel, zu einer führenden imperialistischen Macht zu werden, während USA, EU, Japan das Ziel verfolgen, China auf den Status einer vom imperialistischen Kapital beherrschten und ausgebeuteten Halbkolonie zu drücken. Diese Frage ist bislang noch nicht entschieden.

Klar ist jedoch: soll China zu einer imperialistischen Macht werden, so ist das nur - schon allein wegen seiner Größe - über eine Neuaufteilung der Welt möglich, nur nach massiven Krisen und Konflikten. Umgekehrt erzeugte auch die Unterordnung Chinas massive Konflikte.

Hinzu kommt, dass sich in Chinas selbst die Klassengegensätze dramatisch verschärfen und im Zuge eines Niedergangs der Weltwirtschaft noch um ein Vielfaches verschärfen werden. Die Chinesische Politik im Tibet, die nationale Unterdrückung und soziale Verelendung der Tibeter wird sich dabei zwangsläufig verstärken, insbesondere auch, weil die chinesische Regierung für ihr imperialistisches Projekt auch bewusst auf Nationalismus und Chauvinismus setzen muss, um von sozialen Unruhen abzulenken bzw. diese zu kanalisieren.

Nationale Unterdrückung und Marxismus

Die tibetische Nation ist eine unterdrückte Nation. Als Revolutionäre unterstützen wir deren nationales Selbstbestimmungsrecht, also das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob sie in einem chinesischen Staatsverband oder außerhalb davon leben wollen, also auch ihr Recht, einen eigenen Staat zu bilden.

Wir unterstützen ihr Recht, dafür zu kämpfen - und zwar nicht nur mit den „legalen“ Mitteln, die ihnen der chinesische Staat (also der Oppressor) oder das „Völkerrecht“ zugestehen, sondern auch mit jenen des Aufstandes.

Dieses Recht wurde den Tibetern über lange Perioden ihrer Geschichte vom Chinesischen Reich, vom britischen Imperialismus und der VR China vorenthalten. Gerade diese Unterdrückung hat die Entwicklung des Gegensatzes zwischen den Interessen feudaler, halbfeudaler und proimperialistischer Kräfte wie dem Dalai Lama und der Masse des Volkes, v.a. den ArbeiterInnen und Bauern oft erschwert, verlangsamt, da diese Reaktionäre so ihre eigenen Klasseninteressen, ihren eigenen repressiven Charakter leichter verschleiern konnten.

Daher hat auch die internationale und nicht zuletzt die chinesische Arbeiterklasse ein Interesse an der Erkämpfung des Selbstbestimmungsrechtes der TibeterInnen und am Kampf gegen ihre Unterdrückung.

Die Unterstützung der Politik Pekings würde die Lohnabhängigen selbst nur zu einem Büttel „ihrer“ herrschenden Klasse in den Augen nicht nur der tibetischen ArbeiterInnen und Bauern, sondern auch vieler anderer unterdrückter Völker machen.

Die Position der chinesischen Regierung (und vieler ihrer deutschen Parteigänger), dass der Tibet nur kurze und äußert reaktionär geführte Perioden der Unabhängigkeit kannte, ist nur ein scheinbares Argument. Schließlich geht es darum, ob der Kampf gegen ein aktuelles Unterdrückungsverhältnis berechtigt ist. Hinzu kommt, dass es eine ganze Reihe von Nationen gibt, die für nationale Selbstbestimmung kämpfen, obwohl sie in der ganzen bürgerlichen Epoche nie einen eigenen Staat hatten oder ebenfalls nur äußerst kurz und auf Grundlage imperialistischer (gebrochener) Versprechungen.

Solche Argumente laufen darauf hinaus, dass Nationen, deren Formierung relativ spät in der bürgerlichen Gesellschaftsepoche begann, kein Recht auf Selbstbestimmung haben.

Noch weniger überzeugend ist das Argument, dass damit wichtige Rohstoffe Chinas verloren gingen. Auch das trifft auf fast jeden nationalen Befreiungskampf zu. Auch die kurdischen Gebiete in der Türkei, im Irak und im Iran sind rohstoffreich und geo-strategisch wichtig. Am Selbstbestimmungsrecht ändert das nichts. Im Grunde laufen solche Argumente immer darauf hinaus, das Nutzungsrecht über ein bestimmtes Land, über bestehende Ressourcen einen anderen Land und dessen herrschender Klasse zuzusprechen.

Der Verweis, dass auch die Imperialisten gern Zugriff auf Tibet hätten, legitimiert noch lange nicht jenen der Pekinger Regierung!

Dass die Imperialisten im Gefolge des Dalai Lama hier intervenieren, macht die Unterstützung des Selbstbestimmungsrechtes für revolutionäre KommunistInnen nicht obsolet, sondern in Wirklichkeit dringender, um die tibetischen Massen von reaktionären Einflüssen und Führungen wegzubrechen.

Die Position, sich auf die sozialen Forderungen zu konzentrieren und die Frage des Selbstbestimmungsrechts außen vor zu lassen, geht an der Realität vorbei. Im Tibet sind nationale und soziale Frage, wie auch der Kampf um demokratische Rechte eng, ja untrennbar miteinander verbunden.

Das heißt, dass die Arbeiterklasse im Tibet und in China das Selbstbestimmungsrecht der TibeterInnen offensiv verteidigen muss - und damit auch Aufstände und Aufruhren gegen die chinesische Herrschaft. Nur so kann sie, die klassenpolitische Frage, die letztlich hinter dem nationalen Konflikt steht, sprich die Frage nach dem Sturz  Herrschaft der restaurationistischen, kapitalistischen Bürokratie in Peking durch eine gesamtchinesische Arbeiterrevolution ins Zentrum rücken.

Es ist klar, dass diese Herrschaft in den nächsten Monaten und Jahren von verschiedenen Seiten in Frage gestellt wird. Der Kampf nationale Minderheiten gegen ihre zunehmende Unterdrückung ist im Grunde nur ein Vorbote davon.

In den nächsten Jahren werden sich auch die Klassenkämpfe in China, insbesondere auch der zwischen Kapitalisten und ihrem Staat einerseits und der Arbeiterklasse andererseits drastisch verschärfen und zuspitzen.

Sie werden sich außerdem in einer Form zuspitzen, die nationale und regionale Aufstände, bewaffnete Auseinandersetzungen (z.B. auch von ArbeiterInnen mit der Polizei), Repression und militanten Widerstand umfasst ebenso wie den Kampf um soziale Forderungen und demokratische Rechte einschließlich des Rechts, eigene Parteien und Gewerkschaften legal bilden zu können.

Hinzu kommt, dass Sektoren der chinesischen Bourgeoisie und der Imperialisten die Frage der Demokratie und Menschenrechte nutzen werden, um die berechtigte Wut der Arbeiterklasse und der Bauern, von unterdrückten Nationalitäten und UmweltaktivistInnen usw. gegen die KP-Herrschaft zu richten, die dem chinesischen Kapitalismus gute Dienste erwiesen hat, die aber auch eine Gefahr für die Imperialisten und nur ein vorübergehendes Modell für Sektoren einer sich formierenden chinesischen Großbourgeoisie darstellen.

In dieser Situation muss die Arbeiterklasse gegen alle Formen der Unterdrückung ankämpfen und versuchen, sich an die Spitze des Kampfes zu stellen. Sie muss zugleich ihre vollständige Unabhängigkeit von allen Sektoren der herrschenden Klasse herstellen. Das ist nur möglich, wenn sie eine aktiv Politik z.B. auch zur nationalen Frage betreibt - anknüpfend an der Politik der frühen KP Chinas, die bis zur Stalinisierung das nationale Selbstbestimmungsrecht Tibets forderte.

Das hängt damit zusammen, dass sie - anders als die Maoistische KP ab 1938 - in der „Einheit Chinas“ und insbesondere jener des historischen chinesischen Rechts keinen Wert an sich sah. Während sie gegen die Imperialisten in China auftrat und kämpfte, verteidigte sie zugleich die nationalen Rechte der kleineren Völker, um so die Grundlagen für eine freiwilligen Zusammenschluss und Kooperation auf gleichberechtigter Grundlage zu setzen.

So erklärte das Manifest des 2. Parteitages der KP 1922, dass sich  die Kommunistische Partei sich dafür einsetzen werde, dass die In¬nere Mongolei, Tibet und Turkestan (das heutige Xinjiang) sich zu autonomen Staaten erklären könnten, wobei ein freiwilliger Zusammenschluss mit dem chinesischen Kernland ähnlich wie in der Sowjetunion befürwortet wurde. Noch 1930 und 1931 wurde den Tibetern und anderen Völkern das Selbstbestimmungsrecht einschließlich des Rechts auf Bildung eigener Staaten zugesprochen (she. u.a. Heberer: Die Nationalitätenpolitik der KP Chinas nach der Befreiung - eine Bestandsaufnahme, Frankfurt/Main 1982).

Der Stalinismus hat damit einen grundsätzlichen Bruch vollzogen, der aus der Doktrin des Aufbaus des Sozialismus in einem Land direkt folgt. Eine internationalistische Politik, wie von Lenin und Trotzki verfolgt, sah immer jede „nationale“ Revolution den internationalen Interessen des Proletariats untergeordnet, weil letztlich die proletarische Revolution nur international erfolgreich und der Sozialismus nur weltweit aufgebaut werden kann (oder er wird zu eine bürokratischen, überlebensunfähigen Karikatur).

Die Stalinisten haben den Internationalismus durch den nationalen Weg zum Sozialismus ersetzt. Während die frühe Sowjetunion unter Lenin und Trotzki noch das Selbstbestimmungsrecht (und damit auch das Recht auf Lostrennung) anerkannte, selbst wenn diese keine kommunistische oder proletarische Herrschaft garantieren würden, so wurde der Erhalt der nationalen Einheit für die Stalinisten zu einer zentralen Frage, da für sie die Frage des Aufbaus des Sozialismus letztlich immer eine der Zusammenballung der rein nationalen Ressourcen ist und die Auswirkungen der Innenpolitik auf das Bewusstsein des internationalen Proletariats usw. einen untergeordneten Faktor darstellte.

Die deutschen "linken" Freunde der chinesischen Regierung führen diese Haltung zu China fort. Während sie unter Stalin und Mao noch mit der ökonomischen Grundstruktur dieser Länder begründet wurde, einer bürokratischen Planwirtschaft, so wird neuerdings gar der chinesische Kapitalismus samt seiner rigiden Politik auf dem Rücken der ArbeiterInnen verklärt oder zumindest zum kleineren Übel erklärt.

Eine solche Politik führt entgegen ihrer Intentionen keineswegs dazu, den Imperialismus oder wenigstens dem Dalai Lama erfolgreich entgegenzutreten, sondern nur zur vollständigen Unterordnung unter die Politik des chinesischen Kapitalismus, zur Aufgabe jeder revolutionären Arbeiterpolitik.

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Nr. 128, April 2008
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