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Berliner Schulen

Mathe, Bio - Streik!

Hannes Hohn, Neue Internationale 128, April 2008

Wenn jemand im Unterricht fehlt, dann meist, weil er krank ist. Wenn alle Schüler fehlen, ist das Bildungssystem krank. Dass tatsächlich etwas mit dem Bildungswesen nicht stimmt, ist  schon daran ablesbar, dass es in Berlin derzeit Vorbereitungen für einen stadtweiten Schulstreik gibt - es wäre der dritte in drei Jahren!

Bildungsmisere

Dass die Debatte über die „zentrale Bedeutung von Bildung,“ die derzeit von  allen Parteien rauf und runtergebetet wird, oft nur Wahlkampfgeklingel ist und nicht Anlass für reale Verbesserungen, ist auch in Berliner Schulen sichtbar.

Auch unter dem Berlinere rot-roten Senat aus SPD und der LINKEN ist die Situation an vielen Schulen miserabel. Zu große Klassen, zu wenig LehrerInnen, zu viel Ausfall machen Schule für alle Beteiligten zu einer Frustveranstaltung. Die Kosten für die Eltern werden immer höher, die Lehrmittelfreiheit früherer Jahre ist weitgehend abgeschafft, viele SchülerInnen aus ärmeren Haushalten - also auch viele ImmigrantInnen - können z.B. Klassenfahrten oft nicht mitmachen, weil das Geld fehlt.

Die Politik verschlimmert die Situation noch, indem anlässlich der PISA-Studien der Leistungsdruck in der Schule ständig erhöht wird. Zusammen mit den schlechten Lernbedingungen führt das dazu, dass immer mehr SchülerInnen Nachhilfe benötigen. Die (kostenpflichtige) Nachhilfe ist inzwischen zu einem riesigen Sektor angewachsen, der von großen privaten Bildungs-Unternehmen beherrscht wird.

Dieser Zustand erscheint umso absurder, als der seit Jahren zunehmende Sozialabbau und die schlechter werdenden Ausbildungs- und Berufsperspektiven für Jugendliche die offizielle These „gute Bildung erhöht die Chancen“ immer mehr als Märchen entlarvt. Wenn - wie in der Rütli-Schule - sich die soziale Frustration der SchülerInnen (und nicht nur bei ImmigrantInnen-Kindern) Bahn bricht, dann fällt den „Bildungs-Experten“ oft nichts Besseres ein, als rassistische Vorurteile zu schüren.

Entgegen den Hoffnungen der 68er-Generation ist Schule kein Ort der Selbstverwirklichung und für frohes Lernen geworden. Im Gegenteil: In der Zwickmühle von leeren kommunalen Kassen und den immer dreister vorgebrachten Interessen des Kapitals wird der eigentliche Charakter von Schule und Bildung im Kapitalismus immer deutlicher: Ausbildung von Lohnabhängigen einerseits und Eliten andererseits, Vermittlung von systemkonformen Lerninhalten und Disziplinierung; zudem wird Bildung immer mehr privatisiert (Privatschulen, Eliteunis) und damit direkt zur Quelle von Profit.

Die immer offensichtlichere Krise des Kapitalismus ist letztlich auch die Ursache dafür, dass die Situation im Bildungswesen immer schlechter wird. Schlechter meint hier nicht nur Bildungsabbau, sondern v.a. die neoliberale Umstrukturierung von Bildung, ihre noch direktere Unterordnung unter die kurzfristigen Verwertungsinteressen des Kapitals.

Angesichts der zunehmenden Probleme im Bildungswesen erweisen sich auch alle Formen von Demokratie und Mitbestimmung von Lehrenden, Lernenden und Eltern als Farce. Noch nicht einmal die Wahl eines Schulleiters ist möglich, von anderen, wesentlicheren Fragen wie Lehrplan, Schulorganisation usw. ganz abgesehen.

Deshalb muss es ein wesentliches Ziel des Schulstreiks sein, dass die Kontrolle über Schule und Bildung, die in den Händen der Bildungs-Bürokratie, des Staates und des hinter ihm stehenden Kapitals liegt, attackiert wird.

Bundesweite Umfragen haben ergeben, dass Leistungsdruck und Versagensängste von SchülerInnen wie Eltern als Hauptproblem von Schule angesehen werden.

Gegen die unbefriedigenden Zustände an Schulen gab es deshalb in den letzten Jahren in Berlin zwei Schulstreiks mit mehreren tausend SchülerInnen - trotz Repression und Strafen  gegen sie! Welches Potential für Protest und Widerstand darüber hinaus in der angeblich so unpolitischen Jugend „schlummert,“ wurde 2003 deutlich, als ca. 50.000 (in Worten: fünfzigtausend) SchülerInnen am Alexanderplatz gegen Bushs Irak-Krieg demonstrierten.

Jetzt geht's wieder los!

Seit mehreren Wochen laufen nun die Vorbereitungen für einen erneuten Berliner Schulstreik im Mai. Der Stand der Vorbereitungen ist sehr unterschiedlich. Während es an einigen Schulen bereits Aktionskomitees gibt, tut sich an anderen noch gar nichts. Auch ein berlinweites Bündnis ist erst noch im Entstehen.

Die kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION, die politisch eng mit der Gruppe Arbeitermacht zusammenarbeitet, ist aktiv dabei, den Schulstreik zu organisieren. So gelang es ihren Mitgliedern, an einigen Schulen solche Komitees zu organisieren. Für eine breite Mobilisierung sind diese schulischen Komitees von entscheidender Bedeutung. Schon die letzten Schulstreiks haben gezeigt, dass nur eine feste Struktur an der Schule Aktionen vorbereiten kann, politische Fragen diskutieren und neue MitstreiterInnen und Bündnispartner (Schülersprecher, Elternvertreter, Lehrer des Vertrauens, Gewerkschaften, Studierende, linke Gruppen) gewinnen kann.

Aus VertreterInnen dieser schulischen Komitees und unterstützenden Organisationen muss ein stadtweites Bündnis gebildet werden, welches die Ziele und Forderungen formuliert, Plakate, Flyer  usw. herstellt, einen Mobilisierungsplan erarbeitet und den Streiktag selbst festlegt.

Hierbei zeigt sich aber auch schon ein zentrales Problem. Es gibt bisher kaum Strukturen an den Schulen, auf die sich eine Mobilisierung stützen kann. Nach jedem Streik in den letzten Jahren fiel die Bewegung fast wieder auf Null zurück. Woran liegt das? Zum einen daran, dass linke Organisationen und die Gewerkschaften meist nichts dafür tun, solche Strukturen aufzubauen. Auch die stärker im Jugendbereich verankerten diversen Antifa-Gruppen kümmern sich meist fast nur um „ihre Probleme“ Antifaschismus/Antirassismus. So wichtig das ist, so ungenügend ist es aber auch. Letztlich ist es unmöglich, eine starke linke, antifaschistische Kraft aufzubauen, wenn nicht permanent und ernsthaft versucht wird, Probleme zu beackern, die alle Jugendlichen direkt betreffen - also Schule, Bildung, Ausbildung - und nicht nur „linke“ Jugendliche.

Wenn es in den nächsten Jahren gelingen soll, eine Bewegung aufzubauen, die nicht nur ab und zu protestiert, sondern die in der Lage ist, wirklich Veränderungen im Bildungsbereich zu erzwingen, so spielen dabei zwei Faktoren eine entscheidende Rolle.

Erstens muss eine starke revolutionäre Jugendorganisation aufgebaut werden, in der die bewusstesten und engagiertesten Jugendlichen organisiert sind. Nur so kann erreicht werden, dass in alle Sektoren von Protest und Widerstand eingegriffen werden kann und handlungsfähige Kerne existieren, die eine breitere Bewegung initiieren und aufbauen können. Nur eine politische Jugendorganisation ist bereit und in der Lage, über das Auf und Ab des Klassenkampfes hinaus kontinuierlich politisch zu handeln, die Lehren aus vergangenen Kämpfen zu ziehen und kommende vorzubereiten. Das Fehlen einer solchen starken Jugendorganisation ist ein wesentlicher Grund dafür, dass auch ein Schulstreik immer wieder fast bei Null beginnt.

Die zweite entscheidende Frage ist die der Zusammenarbeit von SchülerInnen, Jugendlichen und ihrer Bewegung mit der Arbeiterbewegung. Es ist klar, dass selbst eine größere und stärkere Bewegung an den Schulen (grundsätzlich betrifft das auch die Unis) nur wirklich erfolgreich sein kann, wenn sie sich mit den Kämpfen der Arbeiterklasse verbindet, denn nur die Arbeiterklasse hat das soziale Gewicht und kann genügend ökonomischen Druck erzeugen, um Regierung und Kapital zu Zugeständnissen zu zwingen und deren Angriffe zu stoppen. Dafür gibt es im Moment gute Möglichkeiten. Die Streiks von ver.di, im Einzelhandel oder bei der Berliner BVG sollten auch von Jugendlichen unterstützt werden! Zugleich müssen die Gewerkschaften - v.a. ver.di und die GEW -, aber auch die LINKE  aufgefordert werden, den Kampf der SchülerInnen zu unterstützen!

Die Zeit drängt. Wenn der Schulstreik ein Erfolg werden soll, muss schleunigst ein Berliner Schulstreikbündnis formiert werden, dass die einzelnen schulischen Strukturen verbindet, die Ziele und Vorbereitungsaktionen des Streiks popularisiert, Verbündete sucht, einen klaren Mobilisierungs- und Aktionsplan erarbeitet und dafür Material erarbeitet. Dazu ist es nötig, dass Delegierte der Schulen und unterstützenden Organisationen das Bündnis bilden. Dazu ist es nötig, dass es Mehrheitsentscheidungen und verbindliche Beschlüsse gibt.

Bessere Bildung?

Ende März gab es zwar noch keine beschlossenen allgemeinen Losungen für den Streik. Doch die Diskussion an den Schulen zeigt, dass ein ganzes Bündel von Forderungen relevant ist:

Gegen Kürzungen und Privatisierungen!

Für volle Lehrmittelfreiheit!

Gegen Kopfnoten!

Weg mit dem dreigliedrigen Schulsystem!

Kleinere Klassen und (Wieder)Einstellung von mehr LehrerInnen!

Gegen die Verdichtung der Lerninhalte: Wiedereinführung des 13jährigen Abiturs!

Gegen Studiengebühren!

So notwendig der Kampf für diese Forderungen auch ist - letztlich sind alle dabei erreichten Erfolge nur Teilergebnisse, nur Momentaufnahmen im Klassenkampf. Eine grundsätzliche Verbesserung von „Bildung“ ist innerhalb des Kapitalismus nicht möglich - allein schon deshalb, weil Bildung immer in die allgemeinen ökonomischen und Gesellschaftsstrukturen eingebettet ist. Bildung, die von den Bedingungen und Zwecken des Kapitalismus und der Herrschaft der Bourgeoisie unabhängig oder ihnen gar entgegengesetzt ist, ist in dieser Gesellschaft unmöglich. Wer eine grundsätzlich andere Bildung will, muss auch ein grundsätzlich andere Gesellschaft wollen.

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Nr. 128, April 2008
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*  Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Die Linken und der Streik
*  Berlin: Rot-rote Vorkämpfer der sozialen Gerechtigkeit?
*  Lidl-Skandal: Einzelfälle mit System
*  Heile Welt
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*  Zum Klassencharakter von SPD und DIE LINKE: Marxismus oder Empiriodogmatismus
*  Sri Lanka: Arbeiterbewegung, Krieg und Krise
*  Liga für die Fünfte Internationale: Aufbau in Asien
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*  Afghanistan: Ein weiterer Irak?