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Afghanistan

Ein weiterer Irak?

Jo Cassidy, Neue Internationale 128, April 2008

Während die imperialistische Besatzung des Irak immer offenkundiger zu einer politischen Niederlage der USA und ihrer Alliierten wird - wie beim Aufstand in Basra sichtbar -, so halten die Imperialisten hartnäckig an der Proklamation fest, dass der Krieg in Afghanistan für sie gewinnbar sei.

Die Invasion erfolgte 2001 innerhalb von 4 Wochen nach dem Anschlag in New York und traf auf wenig Widerstand in Nordamerika und Europa. Aber 7 Jahre blutige Kämpfe, also länger Dauer als der 2.Weltkrieg, haben die bürgerliche Meinung im Westen gespalten, ob der Schlamassel in Afghanistan überhaupt noch lösbar ist. Der britische Premier Brown glaubt weiterhin an einen glimpflichen Ausgang und meinet noch Ende letzten Jahres: „Wir gewinnen die Schlacht in Afghanistan.“

Sein Optimismus deckt sich jedoch nicht mit den Berichten, die dem Land eine düstere Zukunft prophezeien. Die "Afghanistan-Studiengruppe", eine Ansammlung von US-amerikanischen Diplomaten und Militärexperten, besagt, dass das Land Anzeichen eines ‚gescheiterten Staates' zeige. Andere Berichte sind ähnlich pessimistisch.

Die Vertiefung der Krise hat zu unterschiedlichen Reaktionen innerhalb der NATO-Länder geführt. Kanada hat angedroht, 2.500 Mann aus Kandahar abzuziehen, falls andere westliche Länder keinen Entsatz schicken. Damit sind vor allem Frankreich und Deutschland angesprochen, die auch von dem US-Verteidigungsminister Gates dafür gerügt worden sind, dass sie nicht ihren Teil am Kampf und an Opfern beitragen. würden. Er versteht es, den Krieg schmackhaft zu machen.

Die kanadische Regierung steht unter Druck, sich angesichts des wachsenden Widerstands in Afghanistan zurückzuziehen und hat schon 73 Tote zu beklagen. In der kanadischen Provinz Quebec sind 70% der Bevölkerung gegen den Krieg. Auch anderswo steigt der Anteil der Kriegsgegner. In Britannien wünschen 62% die Rückkehr der 7.800 Mann starken Truppe aus Afghanistan innerhalb eines Jahres.

Dieser Mangel an Zutrauen in die Besatzungstruppen sowohl in der Bevölkerung wie der Eliten im Westen ist das Resultat der Kampfsituation. Die Talibankämpfer bedienen sich entschlossener Guerrillataktiken.

Das Karsai-Regime

Die USA hat nun fast 50.000 Mann in Afghanistan stationiert, doppelt so viele wie 2004. Die Zahl ihrer Todesopfer ist seither von 58 auf 232 (2007) gestiegen. Noch mehr jedoch sind Zivilisten betroffen, von denen 400 im vergangenen Jahr starben (74% mehr als zuvor). Selbst die von den USA installierte Marionette Karsai beklagt, dass die internationalen Streitkräfte ‚unüberlegte Operationen' durchführen.

Das von der Karsai-Regierung kontrollierte Gebiet ist sehr klein. Mike O'Connell, Amerikas führender Berater, nennt folgende Zahlen: 30% werden von der Regierung, 10% von den Taliban kntrolliert, und der Rest liegt unter Stammeskontrolle.

Ein großes Problem des Landes ist der wachsende Drogenhandel. Viele Bauern sind zur Opiumerzeugung in der destabilisierten Wirtschaft seit der Invasion übergegangen. Die Ökonomie Afghanistans ist heute stärker denn je auf Opiumproduktion ausgerichtet. Der Exportwert des Opiums entspricht fast der Hälfte des Inlandsprodukts. Mehr als 12% der Bevölkerung ist im Opiumanbau tätig. 40% des Erlöses, so wird geschätzt, dienen der Unterstützung des Widerstands.

Ironischerweise ist einer der Gründe für den verstärkten Opiumanbau die Liberalisierung des US-Marktes, was die Einfuhr von Lebensmitteln aus dem Westen weit billiger als afghanische Produkte macht.

Die Befreiung der Frauen war einer der anfänglichen Begründungen für die Invasion durch die USA und Britannien. Damit wurden jedoch nur die wirklichen imperialistischen Ziele, die auf neue Märkte und politische Beherrschung gerichtet waren, bemäntelt. Die Behauptung, die Invasoren hätten das Interesse der afghanischen Frauen im Auge gehabt, entpuppt sich immer mehr als Lüge.

Anfängliche Verbesserungen für Frauen kurz nach der Invasion wurden wieder zurückgenommen. Die Gewalt gegen Frauen steigt wieder. Das Todesurteil für Sayed Perves Kambaksch für das Herunterladen von Material zur Frauenbefreiung zeigt, wie hohl die Rhetorik über Frauenrechte in Wahrheit ist.

Der Afghanistankrieg endet nicht an den Grenzen. In den von den Paschtunen beherrschten Grenzregionen besteht kaum ein Unterschied zwischen Afghanen und Pakistanis. Viele AfghanerInnen, die in den 80er und 90er Jahren vertrieben wurden, wuchsen in pakistanischen Flüchtlingslagern auf und gingen dort auf religiöse Schulen. Die Kämpfe haben sich auch auf das benachbarte Pakistan ausgedehnt, dessen Armee schon große Verluste erlitten hat.

Die Paschtunenstämme, für die der Krieg ein Rückschlag des alltäglichen Lebens um Jahrzehnte bedeutet, haben bereits eine lange Erfahrung aus den Kämpfen gegen die sowjetische Besatzung. Die südlichen Gebiete zu beherrschen, ist  entscheidend für die USA in Afghanistan, weil 75% aller Versorgungswege durch Pakistan führen.

Die Taliban gewinnen Unterstützung und Stärke in der ganzen Region und sind praktisch im halben Land präsent. Ihre Politik ist zweifellos reaktionär. Im vergangenen Monat haben sie einen Verfassungsentwurf herausgegeben, wonach es wieder öffentliche Hinrichtungen geben soll, Frauen nur noch voll verschleiert gehen sollen und sie kein Recht auf Bildung hätten. Selbst Unterhaltungskultur soll als anti-islamisch verboten sein.

Es wäre jedoch falsch, wie es in den westlichen Medien dargestellt wird, dass es nur eine aufständische Bewegung der Taliban gäbe. Der Widerstand ist in Wirklichkeit viel stärker aufgefächert. Nichtsdestotrotz gewinnt der radikale Islamismus an Anhängern, weil er die Besatzer am konsequentesten bekämpft hat.

Die Antikriegsbewegung im Westen muss mit allen Kräften, die gegen die Besetzung kämpfen, solidarisch sein. Natürlich haben wir das Recht und die Pflicht, die islamistischen Ziele und Methoden zu kritisieren. Aber unser Anti-Imperialismus wäre ganz und gar unnütz, wenn wir jenen, die in Afghanistan und im Nahen und Mittleren Osten gegen den Imperialismus kämpfen, nicht unsere Unterstützung angedeihen lassen und gegen deren Verfolgung und Kriminalisierung hier wie gegen die Kriegsanstrengungen der Imperialisten kämpfen, um zu deren Niederlage beizutragen.

Es ist die Pflicht für alle Anti-Imperialisten, Afghanistan zu einem ungewinnbaren Krieg für die Imperialisten zu machen und damit auch die Unterscheidung zwischen ‚schlechtem Krieg' im Irak und ‚gutem Krieg' in Afghanistan zu durchbrechen. Alle westlichen Truppen, die den Mittleren Osten betreten, um die Profite des Imperialismus zu sichern, handeln gegen die Interessen der Arbeiterklasse und Unterdrückten - in diesen Ländern und im Westen.

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Nr. 128, April 2008
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