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IGM-Logistik-Tarifverträge

Trügerisches Blendwerk

Frederik Haber, Neue Internationale 206, Februar 2016

Schon wieder eine Erfolgsstory der IG Metall. Einige der Logistik-Unternehmen, die für die - oder besser - in den großen Autokonzernen mittels Werksverträgen Tätigkeiten ableisten, schließen jetzt Tarifverträge mit der IG Metall ab. Diese liegen über dem Mindestlohn und über den Branchentarifen, die ver.di abgeschlossen hat. Die dort Beschäftigten sind glücklich. Hurra, die IG Metall kann die Welt besser machen.

Diese Erfolgsstory ist leider eingebettet in Ausverkauf und Verrat: davor, dahinter und drum herum. Die gesamte Geschichte macht allerdings deutlich, wie die politische Orientierung des Führungsapparates der Gewerkschaft heute aussieht. Sie macht auch deutlich, wie stark die reformistische sozialdemokratische Ideologie und Praxis gerade die best organisierten Schichten der deutschen ArbeiterInnenklasse im Griff hat.

Der Sachverhalt wird in der Januar-Ausgabe der „metall“-Zeitschrift umfangreich dargestellt: „Sogenannte Kontraktlogistik-Dienstleister machen längst viel mehr als nur Logistik. Sie übernehmen per Werkvertrag dauerhaft Aufträge von Industriebetrieben. Ihre Beschäftigten arbeiten oft Hand in Hand mit den Stammbeschäftigten. Sie versorgen die Montagelinien mit Teilen und montieren sogar Achsen, Räder oder Armaturenbretter vor - in der Regel jedoch für deutlich weniger Geld.“

Diese Firmen sind nicht klein. Der Artikel nennt CEVA mit rund 450 und Hansmann mit rund 650 Beschäftigten, die alle bei VW arbeiten, weiter noch die Firmen Rudolph und Schnellecke. Ganz offen benennt der Artikel auch, dass „Früher VW-Beschäftigte diese Arbeit gemacht haben, bevor sie an Kontraktlogistiker ausgegliedert wurde, mit massiven Lohnabschlägen.“ („metall“-Zeitschrift Januar 2016)

Die Vorgeschichte

Verschwiegen wird in dem Artikel, wie es eigentlich vor sich ging, als diese Arbeit ausgegliedert wurde. Dies wurde von den Betriebsräten der einzelnen Autofabriken weitgehend akzeptiert. Konflikte gab es meist nur um die Frage, wie die betroffenen Beschäftigten behandelt wurden: ob sie per Betriebsübergang mit in eine „neue“ Firma gingen und ihre Löhne zum Mindesten auf dem jeweiligen Stand eingefroren wurden und für wie lange diese Sicherung wirksam war, wie lange auch der „neue“, alte ausgliederte Dienstleister die Werksverträge zugesagt bekam. Der übliche Gang der Dinge ist, dass solche Firmen, deren Beschäftigte als ehemalige AutoarbeiterInnen meist gut organisiert waren, nach entsprechender Zeit in Konkurs gehen oder die zugesagten Standards doch angreifen. Die „sozialverträglichere“ Variante hieß, dass die Beschäftigten im Autokonzern bleiben können, aber in andere Bereiche versetzt werden.

Gegen die Ausgliederung als solche und die damit verbundene Schaffung von Billigarbeitsplätzen wurde praktisch nie vorgegangen. Es passt durchaus in die Vorgehensweise der Betriebsratsfürsten, die Stammbelegschaft zu schonen und die Löhne solcher Arbeitsplätze den Managern zur Erfüllung ihrer Einsparprogramme zu überlassen. Manche dieser Fürsten oder auch der IGM-Apparatschiks hatten die Frechheit, der Gewerkschaft ver.di die Schuld zu geben, die eben für diese Bereiche so schlechte Tarife vereinbaren würde.

Wie sehr dieses Konzept mitgetragen wurde, zeigt der seit einem Jahr laufende Konflikt bei Daimler in Bremen. In diesem relativ kleinen Werk wurden solche Ausgliederungen lange verzögert und verhindert. Jetzt besteht „Aufholbedarf“, der auf den massiven Widerstand großer Teile der Belegschaft trifft. Statt diesen Widerstand vor Ort, im ganzen Konzern und der ganzen IG Metall als exemplarischen Fall zu unterstützen, stellt sich nicht nur die Betriebsratsmehrheit, sondern auch die IG Metall gegen die KollegInnen. Vorm Gewerkschaftstag durften sie nicht auftreten, ihr „Thema sei nicht das dieser Veranstaltung“.

Doch genau das war es. Der neue Vorsitzende Hoffmann hatte das Thema Werksverträge durch Aktionstage vorbereitet, zu seiner Inthronisation sollten die Erfolge verkündet werden. Das Vorgehen der IGM-Führung gegen die Bremer KollegInnen macht deutlich, wie verlogen diese ist, wenn erklärt wird: „Der Missbrauch von Werkverträgen muss beendet werden“, wie Hoffmann. („metall“-Zeitschrift Januar 2016, Editorial)

Verrat an allen Fronten

Es ist nicht mal so, dass es mangelnde Weitsicht oder Schwäche waren, die dazu geführt haben, dass die Logistikbereiche in Niedriglohn verfielen. Nein es ist und war ein Konzept. Deshalb verrät die IG Metall-Spitze die kämpferische Belegschaft in Bremen. Weil die nicht ins Konzept passt.

Die sogenannte „Werkslogistik“ ist ein Bereich mit steigender Bedeutung. Das liegt an der Rationalisierung, die immer mehr Produktions- und Montageprozesse ergreift. Aber das Material an die Bänder bringen, die Anlagen versorgen und die Halbfertigteile weiterleiten, hier lässt sich wenig menschliche Arbeit ersetzen und wenn, dann nur mit hohem Aufwand.

Es liegt auf der Hand, dass die neuen Lohntarife nicht auf die Logistikbereiche beschränkt bleiben werden. Es ist schon jetzt jede Menge Montagearbeit am Auto dabei. Oben wurde schon zitiert, dass diese KollegInnen Achsen, Räder oder Armaturenbretter vormontieren. Weiter wird in der Metallzeitung von der Montage von Kofferrauminnenverkleidungen und Spiegeln und Dachhimmel-Vormontage bei VW durch WerksverträglerInnen berichtet. Selbst wenn das heute noch Einzelfälle wären, ist klar, dass diese Tarife nach und nach die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie bzw. den VW-Haustarif ersetzen werden.

Die neuen Tarife liegen jetzt bei 12 Euro die Stunde, bei einer längeren Arbeitszeit von meist 37,5 h. Die unterste Lohngruppe im Industrietarif beträgt 14,66  Euro z.B. in NRW, die Arbeitszeit liegt bei 35 Stunden. Dazu kommt in den einzelnen Tarifgebieten eine tarifliche Leistungszulage, die durchschnittlich bei rund 15% liegt. Über diese Zulagen wie auch die für Mehrarbeit, Schicht- und Wochenendarbeit schweigt sich der Artikel aus, ebenso über die Höhe von Weihnachts- und Urlaubsgeld. Die Löhne würden also um mindestens 20%, eher mehr, gesenkt werden. Denn die Stärke der Auto-Belegschaften führte auch bisher dazu, dass die Einstufungen in die Entgeltgruppen (ERA) nicht nach der niedrigst möglichen erfolgten. Bei Daimler in Untertürkheim liegen auch einfache Montagetätigkeiten meist in der Entgeltgruppe 6 oder 7. Von der Stammbelegschaft verdient niemand weniger als 20 Euro pro Stunde. Eine solche Eingruppierung wird es bei den Kontraktlogistikern nicht geben, auch nicht dort, wo sie in die Montage vordringen. Die Lohnabsenkung wird also eher an die 80% gehen. Diese neuen Tarife sind also eine Schleuse zur organisierten Einführung eines IG Metall-Niedrigtarifs im Industriebereich.

Zersplitterung im Logistikbereich

Dann ist dies noch ein Verrat an den LogistikarbeiterInnen im Allgemeinen. Diese werden überwiegend von ver.di organisiert, sowohl im Logistiktarif wie auch in den Verträgen für Postbereiche. Hier wäre es unglaublich wichtig, alle Kräfte zu bündeln, um diesen fast durchweg im Niedriglohn arbeitenden Bereich zu organisieren. Die Belegschaften, die nicht irgendwo einzeln Briefe oder Pakete ausliefern, sondern konzentriert als große Belegschaften angesprochen werden können, könnten der Kern einer umfassenden Tarifbewegung sein.

Dies wird auch von ver.di nicht betrieben, die den Poststreik in eine Niederlage führte und selbst die Kraft ihrer Bereiche nicht zusammenführt. Aber jetzt kann ver.di nur gute Miene zum bösen Spiel der IG Metall machen, die am besten organisierten Bereiche herauszubrechen. Ein Abkommen, vermittelt durch den DGB, hat der IG Metall das Recht zugesprochen, die Kontraktlogistik zu organisieren. Das treibt Hoffmann zu Triumphgefühlen: „Nicht die Arbeitgeber, nein, wir - die DGB-Gewerkschaften - bestimmen über unsere Zuständigkeiten.“

Aber hier geht's nicht um Mitgliedszahlen, sondern um Kontrolle. Wie wir bereits anlässlich des Gewerkschaftstags darstellten: Bereits vor einigen Jahren hat die IG Metall sich in ihrer Satzung auch für „industrienahe Dienstleistungen“ zuständig erklärt. Und just zur Debatte über den Angriff auf das Streikrecht unter dem irreführenden Titel der „Tarifeinheit“ veröffentlichte der Vorstand den Brief eines ungenannten Betriebsrats von Stute Logistik, die innerhalb von Airbus arbeitet. Er beklagte sich über Interventionen von ver.di, wo sie doch alle treu zur IG Metall stünden  (www.arbeitermacht.de/ni/ ni203/gewerkschaftstag.htm).

Die IG Metall-Spitze hat den Angriff auf das Streikrecht unter dem Decknamen „Tarifeinheit“ mit aller Macht durchgesetzt. Hauptamtliche Beschäftigte erhielten einen Brief, dass sie sich nicht dagegen äußern dürfen. Externen BildungsarbeiterInnen wurde gedroht, dass sie keine Seminare mehr durchführen dürften, wenn sie sich zu diesem Angriff auf das Streikrecht äußerten. Es ging für die IG Metall darum, aus den Randbelegschaften andere Gewerkschaften, vor allem ver.di, rauszudrücken bzw. nicht reinzulassen. Für diese Ziele wird dem Kapital geholfen, das Streikrecht in Deutschland anzugreifen, und die innergewerkschaftliche Demokratie ausgehebelt.

So ist die angebliche „Tarifeinheit“ für die IG Metall vorrangig dazu da, die Tarifspaltung innerhalb der eigenen Gewerkschaft weiterzuentwickeln.

Diese Darstellung macht deutlich, dass es sich nicht um Pannen handelt. Es ist ein zusammenhängendes Konzept und es basiert auf der Treue der Betriebsratsfürsten zu „ihren“ Konzernen und der IG Metall zur deutschen Auto-Industrie. Nur wenn deren Profite stimmen, fällt auch weiter etwas ab für die Sonderzahlungen an die Stammbelegschaften und dafür, die LeiharbeiterInnen und WerkverträglerInnen in der Auto-Industrie besser zu stellen als ihre KollegInnen, die in anderen Branchen eingesetzt werden. Und natürlich für die Aufsichtsratstantiemen und vor allem die Sitzungsgelder, die im Unterschied zu ersteren nicht an die Hans-Böckler-Stiftung abgeführt werden müssen.

Wie kämpfen?

Das macht deutlich, dass die Welt eben nicht besser wird, wenn jetzt engagierte junge GewerkschaftssekretärInnen die Leute in der Logistik organisieren. Sie wird nicht dadurch besser, dass radikale Tarifforderungen in diesem Bereich gestellt werden. Und es reicht auch nicht, sich solidarisch mit den Bremer KollegInnen zu zeigen, so wichtig vor allem letzteres ist.

Gerade weil das Konzept natürlich erst einmal auf die Zustimmung und Freude derjenigen LogistikarbeiterInnen trifft, deren Löhne jetzt erhöht werden und weil die Spaltung der Belegschaften immer jeweils mit kleinen Privilegien verbunden ist, reicht „rein gewerkschaftliches“ Vorgehen nicht aus, um eine Politik zu bekämpfen, die die Klasse spaltet, um dem Kapital zu dienen: eine Politik, die übrigens von der LINKEN nicht mal dann kritisiert wird, wenn es gegen Bereiche von ver.di geht, wo sie ja eher stärker ist.

Gerade dann, wenn der Hunger der Kapitalisten nach höheren Profiten das einträchtige Bild stört - wie gerade in Bremen - ist es nötig, die Gesamtzusammenhänge aufzuzeigen: wenn die Krise des kapitalistischen Systems zu Angriffen auch auf die höheren Schichten, also die Stammbelegschaften, führt. Aus solchem Widerstand kann eine Opposition in der Gewerkschaft aufgebaut werden gegen diese Politik, die langfristig ja zum Ausverkauf führt. Das hat nichts mit der Spaltung der Arbeiterklasse zu tun, wie es die KPD mit der Roten Gewerkschaftsopposition in den dreißiger Jahren betrieb und so den Nazis den Weg bereitete - etwas, worauf DKP und MLPD ständig verweisen. Es geht im Gegenteil darum, die Einheit der Klasse gegen die Spaltung zu erkämpfen, die die reformistischen Gewerkschaftsführungen mit dem deutschen Exportkapital und in seinem Dienste organisieren.

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Nr. 206, Februar 2016
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