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Brasilien

Die Regierung Dilma und die Offensive der Rechten

Christian Gebhardt, Neue Internationale 206, Februar 2016

Nach einer Phase, in welcher populistische und bolivarische Bewegungen erstarkten und die Regierungsmacht in mehreren Ländern Lateinamerikas übernahmen, kommt es nun zu einer neuen Entwicklung. Die politisch rechten Kräfte befinden sich im Aufwind und versuchen sich zurück an die Macht zu kämpfen. Dies zeigt sich bei der kürzlich erlittenen Wahlniederlage des Kirchnerismus in Argentinien, der Niederlage der Regierung Maduro (Nachfolger von Hugo Chávez) in Venezuela) sowie der Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen die brasilianische Präsidentin Dilma (ArbeiterInnenpartei - Partido dos Trabalhadores, PT).

Diese Entwicklungen kommen nicht wirklich überraschend und stellen keine Neuigkeiten dar. Oben genannte linkspopulistischen oder Koalitionsregierungen reformistischer Parteien (Brasilien) „an der Macht“ haben Regierungen gebildet, welche den Fokus allenfalls auf die Durchsetzung kleiner Reformen setzten, anstatt die Mobilisierung sowie die Selbstorganisation der Bevölkerung voranzutreiben. Sie setzten lieber auf Demobilisierung und die „Übernahme“ der Staatsmaschinerie, ohne aber die bestehenden Verhältnisse des Kapitalismus anzugreifen.

Wie stellt sich jedoch der Angriff der Rechten in Brasilien dar und wie kann gegen die Offensive des Amtsenthebungsverfahrens gegen Dilma angegangen werden?

Angriffe auf die brasilianische ArbeiterInnenklasse

Brasilien befindet sich, wie einige Länder Lateinamerikas, politisch derzeit in einer Rechtsentwicklung. Eine Basis für diese Rechtsentwicklung bilden nicht nur die immer schärfer werdenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise in Brasilien. Auch die ausgeführte Politik der Dilma-Regierung seit der Wiederwahl unterscheidet sich höchstens noch in der Rhetorik von ihrem Kontrahenten bei den letzten Wahlen, Aecio Neves. In der Realität ist sie dieselbe, obwohl während des Wahlkampfes noch andere Worte seitens Dilmas zu vernehmen waren. Diese Politik mit ihren Angriffen auf die soziale Lage der ArbeiterInnenklasse sowie der verarmten Bevölkerung treibt diese in Opposition zu „ihrer“ Regierung, was sich einerseits in der Zunahme von sozialem Protest bemerkbar macht, aber auch durch das Wiedererstarken rechter, politischer Kräfte.

Um die sozialen Proteste gegen „notwendige“ Reformen der PT-geführten Regierung zu unterbinden, benutzt diese ihre starke Verankerung in der ArbeiterInnenklasse. Hierbei spielt ihr die Gewerkschaftsbürokratie, vor allem die CUT-Bürokratie, stark in die Hände. Streikbewegungen werden somit entweder durch bürokratische Manöver oder durch polizeiliche und juristische Repressionen von Seiten der Regierung und der Behörden unterbunden.

Von Seiten der Bürokratie wird zuerst alles versucht, um Streikaktionen zu verhindern und, wenn dies nicht vollbracht werden kann, wird darauf gesetzt, die Mobilisierungen zu und die Verknüpfungen von Streikaktionen zu unterminieren. Im Gegensatz dazu arbeitet sie aktiv in trilateralen Kommissionen mit Regierungs- und Arbeit„geber“vertreterInnen zusammen. Ein Beispiel ist das „Programm für Arbeitssicherung“ (Programa de Proteção ao Emprego), bei welchem die Strategie der Bürokratie klar zu Tage trat. Sie will unbedingt die Kontrolle über die Diskussionen in der Klasse behalten, bei gleichzeitigem Durchsetzen ihrer Eigeninteressen statt der Interessen ihrer Mitgliedschaft.

Jedoch konnte nicht jede Bewegung kleingehalten und unter die Kontrolle der PT- und CUT-Bürokratie kanalisiert werden. Vor kurzem kam es im Bundesstaat São Paulo durch den Gouverneur Geraldo Alckmin (PSDB) zur Verabschiedung eines Programms zur geplanten Umstrukturierung öffentlicher Bildungseinrichtungen. Hiervon waren mehr als 90 Bildungseinrichtungen und über 300.000 SchülerInnen betroffen. Die betroffenen SchülerInnen warteten jedoch nicht lange und begannen, ihre Schulen zu besetzen. Die erste Reaktion der Regierung waren Angriffe auf die Besetzungen mit dem Ziel, die Schulen zu räumen und den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Reaktion darauf war jedoch die Ausweitung der Besetzungen auf 205 Schulen sowie die Einbeziehung der LehrerInnengewerkschaft (APEOESP). Dies zwang schlussendlich Alckmin zum Rückzug und die Rücknahme der geplanten Umstrukturierung der Bildungseinrichtungen wurde erwirkt.

Dies stellt einen der größten Erfolge der SchülerInnenbewegung des Landes dar, welcher kürzlich erzielt wurde. Die brasilianische Jugendbewegung demonstrierte dem ganzen Land, dass Einheit und Widerstand erfolgreich sein können, wenn sich der Mittel des Streikes, Besetzungen und Straßenmobilisierungen bedient wird.

Jedoch haben sich nicht nur die Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung von Seiten der Regierung verschärft, auch die erstarkende rechte Bewegung wittert Luft und bringt sich auch im Nationalkongress gegen die parlamentarische sowie Regierungslinke in Stellung. Der bekannteste Angriff stellt hier die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma (PT) dar. Wie reagierte die Linke auf diesen direkten Angriff von rechts? Nimmt sie die PT-Regierung in Schutz oder steht sie dem Verfahren neutral gegenüber? Beteiligt sie sich an den Mobilisierungen der PT und sucht die Einheitsfront mit dieser?

Positionen von links zum Amtsenthebungsverfahren

Wie oben schon erwähnt, unterscheidet sich die Politik der Dilma-Regierung nicht sonderlich von der ihrer rechten Kontrahenten. Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse lassen den schnellen Schluss zu, in dieser Auseinandersetzung neutral zu bleiben und Dilma gegen die Angriffe der Rechten  nicht zu verteidigen. Jedoch stellt dies einen großer Fehler dar, den viele Organisationen der brasilianischen Linken begangen haben. Das Amtsenthebungsverfahren stellt einen direkten Angriff auf die PT als Partei und somit auf die ArbeiterInnenklasse im Allgemeinen dar. Im Kampf gegen diese muss die Einheit mit den ArbeiterInnen der PT organisiert und auf die Straße getragen werden. Hierbei ist es wichtig, die Einheit mit den PT-AnhängerInnen zu suchen und sich an ihren Mobilisierungen zu beteiligen, ohne dabei politische Zugeständnisse an die PT zu leisten oder mit seiner Kritik ihrem Kurs aufzuhören. Sektiererisches Fernbleiben oder opportunistisches Anbiedern bringen in dieser Situation niemandem etwas.

Die PSTU vertrat und vertritt weiterhin ihre Position, Dilma, Aecio, Cunha und alle anderen müssten aus dem Kongress gejagt werden. Anstatt einem rechten Putsch sollte Dilma lieber einer Mobilisierung der ArbeiterInnen und Jugend und einer daran angeschlossenen Neuwahl weichen. Die ArbeiterInnenklasse besitzt laut der PSTU alle Mittel, um die Regierung selbst in die Hand zu nehmen und eine Regierung von unten zu bilden, welche das Land im Interesse der ArbeiterInnen regieren könne.

Sektierertum und Opportunismus

Auch wenn diese Positionen radikal daherkommen, täuschen sie darüber hinweg, dass der ArbeiterInnenklasse die beiden wichtigsten Mittel zur Bildung einer erfolgreichen ArbeiterInnenregierung von unten fehlen. Erstens fehlen selbst embryonale eigene Kampforgane, auf die sich die Klasse stützen könnte. Zweitens fehlt eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei, gestützt auf ein revolutionäres Programm. Somit wird alles zu einem linksradikalen Sektierertum, welches die wichtigste Frage umgeht, vor der die brasilianische, radikale Linke derzeit steht: Wie kann die Bindung der ArbeiterInnenklasse an die PT gebrochen und wie kann sie für den Aufbau einer revolutionären Partei gewonnen werden? Das Suchen der Einheitsfront mit der PT bei gleichzeitigem Stellen von Forderungen an die Regierung sowie der Formulierung von Kritik an ihrer Politik kann hier einzig Abhilfe schaffen.

In diesen Tenor stimmte auch die PSOL mit ein. Für sie ist eine Mitarbeit an den von der PT organisierten Protesten nicht notwendig bzw. kontraproduktiv. Es solle nicht mit der jetzigen Regierung paktiert werden, da diese Politik entgegen den Interessen der ArbeiterInnen und Armen vollzieht. Der Ausweg aus dieser Krise ist hier in einer Massenmobilisierung zu suchen, welche das korrupte System stürzt. Wie ein solcher Weg gegangen werden kann und wer eine solche Bewegung organisieren soll, darauf gibt die PSOL ebenfalls keine Antwort.

Diese ultralinke Politik ist wie immer nur scheinbar links. Sie ignoriert nämlich, dass das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma keineswegs nur ein Angriff auf irgendeine bürgerliche Politikerin ist, sondern auch auf eine, wenn auch erz-reformistische Vertreterin der Massenpartei der ArbeiterInnenklasse. Der Sturz Dilmas soll vor allem die Lohnabhängigen treffen und würde, gelänge es dir Rechten, einen solchen durchzusetzen, eine bedeutende Niederlage der ArbeiterInnenklasse darstellen. Dem Amtsenthebungsverfahren abstrakt den „Sturz aller“ entgegenzustellen und sich jeder konkreten Positionierung zu enthalten, bedeutet letztlich nur, einer, wenn nicht der zentralen Form des Klassenkampfes im Land fern zu bleiben. Das Sektierertum zeigt hier klar seine reaktionären Züge.

Nachdem sich die PSTU und die PSOL neben manch anderen den sektiererischen Schuh angezogen haben, kümmert sich Esquerda Marxista (IMT) um den Schuh des Opportunismus. Esquerda Marxista stellt sich richtigerweise gegen das Amtsenthebungsverfahren sowie die Offensive der brasilianischen Rechten und spricht ihre Unterstützung  für jegliche Kämpfe der ArbeiterInnen und sozialen Bewegungen dagegen aus. Leider vergessen sie bei ihrer Unterstützung der PT, Kritik an ihr zu üben wie auch Forderungen an sie zu stellen. Somit wird ihr begrüßenswerter Versuch, die Einheit mit den ArbeiterInnen und UnterstützerInnen der PT zu suchen, zu einem inhaltslosen Hinterherlaufen. ArbeiterInnen, Jugendliche und die arme Bevölkerung werden somit jedoch nicht mit ihren Illusionen in die PT-Politik konfrontiert und die Führung der PT in ihren Augen nicht herausgefordert.

Was tun?

Der Kampf gegen den Versuch der Rechten, Dilma und die PT zu stürzen, ist heute eine vordringliche Aufgaben der ArbeiterInnenbewegung. Anders als den SektiererInnen von PSTU und PSOL sind uns die Konsequenzen einer Niederlage bewusst. Sie würde zuerst bedeuten, eine gestärkte ultrareaktionäre Regierung an die Macht zu bringen und gleichzeitig eine total demoralisierte PT sowie eine unorganisierte Linksopposition zu hinterlassen. Dies hilft niemandem weiter!

Die Regierung Dilma muss selbstverständlich dafür verantwortlich gemacht werden, was sie getan hat: für ihre Angriffe auf die Rechte der ArbeiterInnenklasse, für die durchgesetzten Privatisierungen, das Zerstören des öffentlichen Sektors, die Veräußerung öffentlichen Besitzes zum Schuldenabbau und zu guter Letzt für ihre Austeritätspolitik.

Einer Verhinderung des Amtsenthebungsverfahrens steht jedoch nicht im Wege, die PT während und nach dem gemeinsamen Kampf auf die oben angesprochenen Verantwortungen aufmerksam zu machen. Die Teilnahme an den sozialen Bewegungen, welche sich nun der Verteidigung der Dilma-Regierung verschrieben haben, ist hierfür ein guter Platz, um Gehör dafür zu finden. Innerhalb dieser Bewegungen treten wir dafür ein, auch die ArbeiterInnenklasse wirklich auf die Straße zu bringen und durch Massenmobilisierungen den Rechten auf der Straße wie auch im Parlament entgegenzutreten. Folgende Forderungen sollten hierbei erhoben werden:

Gegen die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse! Aufhebung aller Gesetze auf nationaler wie regionaler Ebene, die diese Angriffe formulieren!

Für die Durchführung einer Landreform, ohne Entschädigung und unter ArbeiterInnenkontrolle!

Entschädigungslose Verstaatlichung aller in Korruption verwickelten Unternehmen und ihre Weiterführung unter ArbeiterInnenkontrolle!

Überführung Petrobras in ein zu 100% staatliches Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle!

Nein zur Bezahlung der Staatsschulden!

Bruch der PT mit ihrem bürgerlichen Koalitionspartner - für eine PT-Alleinregierung, die obige Forderungen umsetzt, mit den Kapitalisten und Imperialisten bricht und die sich auf Aktionskomitees zur Mobilisierung gegen die Rechten und Selbstverteidigungsorgane der Klasse stützt.

Der Kampf um solche Forderungen könnte sowohl den Putsch stoppen wie auch die PT und die Illusionen der ArbeiterInnen in „ihre“ Partei auf die Probe stellen. Er würde auch zeigen, dass es eine politische Alternative zur PT, eine revolutionäre Alternative braucht.

Wir müssen daher zugleich auch daran gehen, ein neues Projekt zu formulieren, die notwendigen Schritte dahingehend ausmachen und aus den negativen Erfahrungen mit der PT Lehren ziehen. Ein solches Projekt stellt für uns der Aufbau einer revolutionär-sozialistischen und internationalistischen ArbeiterInnenpartei dar.


Nr. 206, Februar 2016
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*  Konferenzen gegen rechts: Ratlosigkeit als Strategie?
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