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Regionalwahlen in Frankreich

Die Gefahr der Front National

Marc Lassalle, Neue Internationale 206, Februar 2016

In den französischen Regionalwahlen war erwartet worden, dass die Front National (FN) von Marine Le Pen gut abschneiden würde. Obwohl sie in keiner einzigen Region die Mehrheit erhalten konnte, kam das Ergebnis dennoch wie ein Schock. Erhielt die FN mit mehr als 6 Millionen Stimmen und annähernd 28% in der ersten Runde mehr Stimmen als Nicolas Sarkozy's Republikaner und die Sozialistische Partei von Präsident François Hollande. Dies ermöglichte es nun Le Pen, die FN als „stärkste Partei Frankreichs“ darzustellen.

Wahlergebnis der FN

Die FN konnte schlussendlich nur von der Macht ferngehalten werden, indem diejenigen KandidatInnen der Sozialistischen Partei, welche bei den Wahlen nicht vorne lagen, ihre Kandidatur in der zweiten Runde zurückzogen. Gepaart mit einem Unterstützungsaufruf, die Republikaner zu wählen, führte dies zu einem starken Wiederaufleben der rechts-konservativen Partei des ehemaligen Präsidenten Sarkozy. All das ermöglicht der FN, sich als radikale Alternative gegenüber dem korrupten Zweiparteiensystem zu positionieren, wie es überall in Europa von PopulistInnen - links wie rechts - derzeit getan wird.

Marine Le Pens Verzicht auf die antisemitischen Äußerungen ihres Vaters hat dahingehend geholfen, die Partei als vertrauenswürdiger darzustellen. Zusätzlich ermöglicht die Abwendung vom Neoliberalismus der FN, sich gegen soziale Kürzungen zu stellen. Dies macht sie für Jugendliche, die ArbeiterInnenklasse sowie  untere Teile der Mittelschicht interessant. Teile der Gesellschaft, welche bisher von ihr in diesem Maße nicht erreicht werden konnten. Le Pens Bewunderung für Russlands Präsident Wladimir Putin bringt die Front sogar vorherigen WählerInnen der Kommunistischen Partei näher, welches ihr zusätzlichen Raum bietet, als Opposition gegen das „Zweiparteiensystem“ zu opponieren. Sie gewann 34% unter den 18- bis 24-Jährigen, 43% unter den Arbeitslosen und ArbeiterInnen, 35% unter Selbstständigen, BäuerInnen und LandarbeiterInnen sowie 30% unter den Büroangestellten im öffentlichen Dienst.

Nichtsdestotrotz ist die FN eine reaktionäre populistische Partei, welche sich seit den 1970iger Jahren mit Hilfe des Rassismus, schamloser demagogischer Propaganda und Schuldzuweisungen an die Arbeitslosigkeit und Kriminalität von ImmigrantInnen und Muslimen aufbaute.

„Wir werden Calais (wo Refugees kampieren, um von dort nach Großbritannien zu gelangen) und die Banlieues (Stadtrandbezirke mit einer hohen Dichte an Personen mit nordafrikanisch-migrantischem Hintergrund) zurückerobern“, erklärte die FN-Führerin vor kurzem. Marion Marechel Le Pen, die Enkeltochter von FN Gründer Jean-Marie Le Pen, verkündete kürzlich, dass Muslime in Frankreich bleiben können, jedoch „nur unter der Bedingung, dass sie sich den Gewohnheiten und dem Lebensstil, welcher von Griechen, Romanen und 16 Jahrhunderten Christentum hervorgebracht wurde, unterordnen“. Kurz gesagt, sie müssen sich an eine französische Kultur anpassen und assimilieren, welche von Le Pen als im Christentum verwurzelt bezeichnet wird. Wenn nicht, sollen sie das Land verlassen.

Das Rekordhoch der FN ist bedingt durch die Vereinzelung und Konfusion von Millionen Kleinbauern, Geschäftsinhabern und anderen Schichten des Kleinbürgertums. Frankreichs extrem langsame Erholung von der Wirtschaftskrise 2008-9, einer hohen strukturellen Arbeitslosigkeit und das Fehlen einer revolutionären Antwort von Seiten der ArbeiterInnenbewegung haben ebenso die Grundlage für den Wahlerfolg der FN gelegt. Arbeitslose, verarmte ArbeiterInnen und andere fürchten darum das Wenige, was sie noch haben, zu verlieren. Die Stimmen für die FN sind in den Regionen am höchsten, in denen die traditionellen Industrien (Minen, Stahl, Textilien) lagen, wie im Norden und Nordosten. Nachdem die dortigen Fabriken geschlossen wurden, brachten sie grosse, sozial zugrunde gerichtete Gebiete hervor. In der Region Nord-Pas de Calais, zuvor eine Hochburg der Sozialistischen Partei, gewann Le Pen 42% der Stimmen und die Sozialistische Partei zog ihre Kandidatur zurück und warb bei der Wahl dafür, Sarkozy zu unterstützen.

Islamophobie

Natürlich sind Sarkozy und Hollande zum Großteil für das Wachstum der FN verantwortlich zu machen. Sarkozy versuchte über Jahre hinweg, WählerInnen mit Argumenten zu gewinnen, die auch von der FN verwendet werden: die „Säuberung“ der Häuserblöcke von rebellierenden Jugendlichen, der Bildung eines Ministeriums der nationalen Identität, der Billigung eines Gesetzes gegen die Burka und die Räumung von Sinti und Roma von ihren Plätzen.

Der „sozialistische“ Präsident Hollande hat ebenfalls einige FN-Forderungen aufgenommen, z.B. die Aufhebung der französischen Staatsbürgerschaft von binationalen Terroristen oder die Wiederaufnahme von Grenzkontrollen. Sein unbeschränkter Ausnahmezustand und die zunehmende Bombardierung Syriens erhöhten den Druck auf die 3.5 - 6 Millionen in Frankreich lebenden Menschen mit muslimischem Hintergrund. Hollandes Wirtschaftspolitik bevorzugt die Bosse und Reichen bei gleichzeitiger, stärkerer Besteuerung der ArbeiterInnen. Zusätzlich hat das geschürte Klima der Islamophobie, nach den terroristischen Anschlägen in Paris, der FN ebenfalls einen großen Dienst erwiesen. Paradoxerweise erhielt sie jedoch die wenigsten Stimmen in der Hauptstadt sowie den Regionen rund um Paris.

Während die FN keine Regionalwahl für sich entscheiden konnte, sprechen die Wahlen trotzdem eine deutliche Sprache hin zu einer zunehmenden Gefährdung der französischen ArbeiterInnenklasse. In den kommenden Jahren wird sich die FN weiterhin Rassismus und Islamophobie bedienen und mehr und mehr ArbeiterInnen dazu verführen, rassistische Lösungen für die Krise zu akzeptieren. Mit jeder Wahl gewinnt die FN weitere Sitze und somit zunehmende Verankerung im Land, bildet ihre Kader aus und bereitet sich für die nächsten Schritte vor. Marine Le Pen sprach hier schon klare Worte: „Durch die Verdreifachung unserer Abgeordnetenzahlen werden wir die stärkste oppositionelle Kraft in den meisten Regionen Frankreichs darstellen.“

Obwohl die FN derzeit keine faschistische Partei darstellt, sich nicht an gewalttätigen Aufmärschen, Angriffen auf Muslime, GewerkschafterInnen und Linken beteiligt, sowie von keiner signifikanten Sektion der herrschenden Klasse unterstützt wird, darf dies nicht zu Nachlässigkeiten führen. Viele ihrer FührerInnen haben enge Kontakte mit faschistischen Organisationen. „Selbstständige“, rassistische Attacken scheinen in Regionen, in welcher die FN stark ist, zuzunehmen.

Auch wenn die französische, herrschende Klasse (noch) keine Kraft außerhalb des Staatsapparates benötigt, um im Bürgerkrieg gegen die französischen ArbeiterInnen vorgehen zu können, begünstigt der anhaltende Ausnahmezustand eine Psychose, dass „Frankreich sich im Krieg befinde“. Sollte die nächste wirtschaftliche Krise eine ernsthafte werden und in der Konsequenz sich das Niveau des Klassenkampfes in Frankreich erhöhen, könnte sich die FN schnell zu einer faschistischen Partei transformieren, um ihre Aktivität gegen die Organisationen der ArbeiterInnenklasse zu richten.

Reaktion

Eine andere Seite des Problems ist die schwache Reaktion auf das Wachstum der FN. In den 1980igern und 90igern, als die FN ihr letztes schnellen Wachstum erfuhr, traten Massenorganisationen wie Ras-le-Front ihr in den Weg. Heute befindet sich die französische ArbeiterInnenbewegung, die antirassistische wie auch radikale Linke in einer Paralyse und großen Verwirrung. Um die FN aufhalten zu können, benötigen wir mehr als nur Gegenmobilisierungen. Die Linke, vor allem die radikale Linke, muss den Aufbau einer Massenopposition gegen Arbeitslosigkeit, Niedriglohn sowie soziale Unsicherheit und Kürzungen in Angriff nehmen. Die „sozialistische“ Regierung hat sich selbst fest auf die falsche Seite in diesen Auseinandersetzungen gesetzt, was es Le Pen ermöglicht, ihre Partei als die Opposition gegen ein korruptes System darzustellen. Die Kommunistische Partei, die Linkspartei sowie die Gewerkschaftsführungen haben ebenfalls dabei versagt, eine radikale Alternative aufzuzeigen.

Die radikale Linke, wie die Neue antikapitalistische Partei (NPA), muss daher schleunigst damit beginnen, einen Notfallaktionsplan auszuarbeiten. Dieser sollte Forderungen nach einer 32-Stundenwoche, einem massiven Programm der Arbeitsbeschaffung im öffentlichen Sektor, Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus, etc. beinhalten. Finanziert werden sollte dieser Plan durch eine ausgeweitete Besteuerung der Reichen. In diese Auseinandersetzung muss die Jugend der Banlieues integriert werden. Diese Integration, welche wir benötigen, ist nicht die der nationalen Einheit, weder basierend auf republikanischem Säkularismus oder christlichen Werten. Diese Integration gründet auf der Einheit der Klasse. In ihr sollte der Kampf gegen Rassismus, rassistische Gesetzgebungen, rassistische Verleumdungen und Islamophobie eine zentrale Rolle spielen. Eine Massenbewegung, die ArbeiterInnen, Jugendliche und MigrantInnen vereinigt, muss den Kampf für ein solches Programm, gegen die repressive Staatsmaschinerie, die Bosse und die FN aufnehmen.

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Nr. 206, Februar 2016
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