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SPÖ-Schwenk zur „Obergrenze“

Hält Faymann die Reihen geschlossen?

Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 863, 11. Februar 2016

Tausende von Menschen versuchen derzeit, auf unsicheren und gefährlichen Wegen vor Krieg, Verfolgung und Armut – also sämtlich Folgen des kapitalistischen Systems – in die vermeintlich sichere „Festung Europa“ zu fliehen. Rechte Parteien und offen rechtsradikale oder faschistische Gruppen nutzen die Unsicherheiten, die, gekoppelt mit Job-Abbau und Sozialkürzungen, auch die europäische Bevölkerung zu verunsichern scheinen, und verbreiten immer rassistischere und menschenverachtende Forderungen. Dass sie damit nicht alleine sind, beweist nun „unsere“ Regierung.

FPÖ macht die Hetze, SPÖ die Gesetze

Um ihre Forderungen durchzubringen, muss die FPÖ nun nicht einmal in der Regierung sein – der gesellschaftliche Rechtsruck, der auch auf eine Schwäche der Linken zurückzuführen ist, ermöglicht es ihr, auf die – um ihre Macht fürchtende – SPÖ Druck auszuüben. Ende Januar hat sich diese nun mit der ÖVP auf eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen geeinigt und „Asyl auf Zeit“; 37.500 Flüchtlinge soll Österreich 2016 noch aufnehmen.

Dies ist bei weitem nicht die erste Forderung der rassistischen FPÖ, die von der Sozialdemokratie umgesetzt wird; bereits die Errichtung eines Grenzzaunes, den die SPÖ liebevoll als „Tür mit Seitenteilen“ bezeichnet, war grundsätzlich eine FPÖ-Forderung. Ebenso der Ruf nach einer Abschiebung von Flüchtlingen in Bundesheer-Flugzeugen, in welchen sie dann, wie eine FPÖ-Abgeordnete im Juni 2015 kundtat, „schreien [können] so laut sie wollen“: eine Idee, die nun vom neuen SPÖ-Verteidigungsminister Doskozil aufgegriffen wird.

Abgesehen davon, dass der Beschluss einer Obergrenze für Asylanträge real bedeutet, dass es Grenzen und bewaffnete Grenzkontrollen geben müsste, die flüchtende Menschen mit aller Macht zurückdrängen und somit zu einer hohen Zahl an Opfern führen würden, ist dieser Beschluss auch im Kontext des bürgerlichen Rechtes äußerst fragwürdig. So wurde die Festlegung einer Obergrenze bereits kundgetan, ohne dass die Regierung diese überhaupt rechtlich prüfen hätte lassen. Dass so eine Grenze darüber hinaus klar den Menschenrechten – in welchen Asyl als Grundrecht festgelegt ist – widerspricht, liegt auf der Hand.

Nun will die FPÖ sogar den sofortigen Aufnahmestopp von AsylwerberInnen. Die FPÖ Niederösterreich stößt mit der Forderung vor, eine nächtliche Ausgangssperre für AsylwerberInnen in den Gebieten zu verhängen, „wo es zu Übergriffen kommt“. Offensichtlich schafft es die FPÖ sehr gut, die gesellschaftliche Stimmung nach rechts zu verschieben; die ÖVP zieht nach, die SPÖ knickt ein.

SPÖ – intern gespalten

Während FPÖ und ÖVP die Obergrenze einheitlich als Erfolg betrachten, regt sich in der SPÖ verhaltener Unmut gegen die rechten Teile der eigenen Partei. So spricht der VSStÖ von einer Anbiederung der SPÖ an den Koalitionspartner, zeigt am steirischen Landesparteitag Widerspruch und fordert im Falle einer Aufrechterhaltung der Obergrenzen-Vereinbarung Faymanns Rücktritt.

Auch in einzelnen Bundesländern stößt die errichtete Obergrenze auf Kritik; sowohl in Oberösterreich als auch in Salzburg bezeichnen SPÖ-Abgeordnete sie als nicht durchführbar. Ebenso sieht das auch die Sozialistische Jugend und fordert: „Nicht Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen müssen dringender denn je bekämpft werden“.

Während Stimmen aus dem Gewerkschaftsdachverband ÖGB und der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig die Obergrenze befürworten, sprechen sich die Stadträtinnen Sonja Wehsely, Sandra Frauenberger und Renate Brauner klar dagegen aus. Viele SozialdemokratInnen sehen die Obergrenzen-Vereinbarung nicht nur als politisch fragwürdig, sondern auch als nicht umsetzbar an, da Flüchtlinge zu EU-Außenlagern abgeschoben werden sollen, die gar nicht existieren. „Verwirrung“ scheint es dagegen bei dem Wiener Bürgermeister zu geben: Häupl hat die Vereinbarung zwar mit unterzeichnet, behauptet jedoch, sie völlig anders interpretiert zu haben, denn „selbstverständlich ist nach geltender österreichischer Bundesverfassung ein Asylantrag anzunehmen”.

Den Unmut zu Widerstand machen!

Faymanns Antwort auf interne Kritik ist es, den Begriff „Obergrenze“ durch den des „Richtwertes“ zu ersetzen und zu betonen, dass „auch der 37.501. Mensch Asyl beantragen kann, aber nicht mehr bei uns“. Dass dies im Endeffekt exakt dasselbe bedeutet wie eben eine „Obergrenze“, sorgt nicht gerade für ein ernstzunehmendes Image der SPÖ, sondern wirft eher die Frage auf, ob sie ihre WählerInnenschaft für dumm verkaufen möchte.

Der Unmut, der sich aufgrund der fatalen Politik der österreichischen Sozialdemokratie in den letzten Jahren zunehmend in den eigenen Reihen regt, ist nachvollziehbar, aber hat er angesichts seiner Schwäche eine Perspektive? Wie viel Verrat wollen die „Linken“ in der Partei noch hinnehmen, in der Hoffnung, dass sich eines Tages etwas ändert? Kann man denn etwas Grundsätzliches ändern, wenn man nur anlassbezogen Kritik übt oder seine Hoffnungen auf politische Veränderung durch unpolitische „Demokratisierung“ erhofft? Die SPÖ ist nicht zu reformieren und sogar die Hoffnungen darauf sind gering. Stattdessen braucht es eine Orientierung auf die Propagierung marxistischer Programmatik – das geht am besten außerhalb dieser pro-kapitalistischen Partei. Daher sind Überlegungen, aus der Partei auszutreten und der Ruf nach einer neuen, linken ArbeiterInnenpartei unterstützenswert. So oder so ist es aber notwendig, sowohl auf die SPÖ selbst als auch auf die Gewerkschaft Druck auszuüben, vor allem sich gemeinsam zu organisieren und sowohl rassistischer Hetze als auch rassistischen Gesetzen Widerstand entgegenzusetzen – egal gegen welche Partei.

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