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VW

Kahlschlag, mitbestimmt

Frederik Haber, Neue Internationale 215, Dez. 16/Jan. 17

Es hatte schon im Vorfeld Spekulationen gegeben. Am 18. November platzte dann die Bombe: VW vernichtet 30 000 Arbeitsplätze, davon 23 000 in Deutschland. Eine Bombe allerdings, von der viele offiziell so tun, als wäre sie keine.

Dieser massive Schlag gegen die Belegschaft war schon im Vorfeld mit der Betriebsratsspitze abgesprochen und von dieser abgesegnet worden. Festgehalten wurde dies in einem „Zukunftspakt“, der im Gegenzug festhält, dass dennoch bis 2025 keine Entlassungen erfolgen sollen.

Sozialverträgliche Zerstörung

Der Personalabbau wird deshalb als sozialverträglich bezeichnet, die Zerstörung der Arbeitsplätze ist kein Wörtchen wert: weder in den Verlautbarungen des Gesamtbetriebsrates noch bei der IG Metall, die bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme veröffentlicht hat. Die vorgebliche Sozialverträglichkeit wird wie üblich vor allem durch Altersteilzeit und Abfindungen erreicht und mit Sicherheit werden tausende LeiharbeiterInnen arbeitslos, auch wenn dazu bislang keine gesicherten Informationen öffentlich vorliegen. Das heißt, die sozialen Folgekosten durch Arbeitslosigkeit fallen auf die Beschäftigten insgesamt zurück. Sozialverträglich ist das nur in der betriebsbornierten Ignoranz eines Betriebsratsvorsitzenden Osterloh und Konsorten.

Die Manager sind glücklich, die Profitrate und die Ausbeutungsrate sollen wieder steigen. Markenvorstand Herbert Diess betonte: „Dieser Pakt ist für Volkswagen ein großer Schritt nach vorne, sicherlich einer der größten in der Geschichte des Konzerns."

Und weiter: „Bisher sei Volkswagen nicht gewappnet gewesen für den Wandel, bei der Produktivität habe man an Boden verloren. Bei der Rendite liege der Konzern weit hinter der Konkurrenz. (...) Volkswagen muss schnell wieder Geld verdienen und sich für den Zukunftssturm wappnen." (focus.de, 18.11.) Konkret sollen so 3,7 Milliarden auf Kosten der Beschäftigten und der Allgemeinheit eingespart werden, um die Profite zu erhöhen.

Die Profitschwäche der Marke VW wird allenthalben von den Medien und auch von Größen wie Professor Dudenhöfer ins Feld geführt, der immer bereit steht, Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse „wissenschaftlich“ begründet zu fordern. Für ihn ist die massenhafte Zerstörung von Arbeitsplätzen geradezu überfällig, in seinen Augen geht es den Beschäftigten dort ohnedies zu gut. Die Umsatzrendite bei Golf und Passat wird z. B. mit 1,6 % angegeben. Von 100 beim Verkauf eingenommenen Euro sind also nur 1,60 Euro Gewinn. Da allerdings bei den meisten PKW die Fertigungstiefe, also das, was der Autohersteller an dem Fahrzeug selbst an Arbeit einbringt, unter 20 % liegt, liegt der Gewinn bezogen auf die erbrachte Wertschöpfung eher bei 8%. Die Verlustzone ist also noch weit entfernt.

Aber VW hat Probleme. Die berüchtigte Software-Manipulation hat zu hohen Entschädigungen und einem Einbruch beim Verkauf von Dieselfahrzeugen geführt (siehe auch www.arbeitermacht.de/ni/ ni204/vw.htm). Alle Autobauer haben das Problem, dass dieser Skandal die Frage nach neuen Technologien, der „Elektromobilität“, schneller auf die Tagesordnung gebracht hat als erwartet und geplant. Zum zweiten geht es verstärkt um die Digitalisierung des Autos, was auch unter dem Begriff „Autonomes Fahren“ behandelt wird.

Autos sollen ohne Steuerung durch die/den FahrerIn ihr Ziel erreichen. Möglich wird dies mittels Kameras und Sensoren, aber auch durch mehr übertragene Daten. Neben Wetter und Verkehrsfluss, die heute schon jedes Navigationsgerät füttern, sollen dies vor allem die Daten anderer Fahrzeuge sein.

Konkurrenzbedingungen

Auch die Konkurrenz unter den Autofirmen wird sich verändern müssen. Heute wird diese neben dem Preis vor allem über Motorentechnik, Ausstattung ausgetragen und in der letztlich imaginären Form des Markenimages. Elektromotoren werden aber hier keine Unterschiede zu bieten haben. Die ganze Imagewerbung heute basiert auf einer - wenn auch fiktiven - Auseinandersetzung der/s FahrerIn mit seiner/ihrer Umwelt mittels eines PKW. Wenn das Auto, besser seine Software, diese zukünftig übernimmt, was dann?

Hier geht es nicht nur um beliebig produzierbare „Bedürfnisse“, es geht auch um Materielles. Wenn zukünftig die Software das Entscheidende am Auto ist und nicht mehr der Motor, ändert sich auch vermutlich das Verhältnis zwischen Auto-Firmen und den Software-Giganten, vor allem denjenigen, die bei der digitalen Erfassung der Welt weit vorne sind, z. B. Google. Damit ändert sich auch das Kräfteverhältnis zwischen deutschem und amerikanischem Kapital. Letzteres ist bei der Entwicklung der Autotechnik in den letzten Jahren ins Hintertreffen geraten, liegt aber bei der Software unbestreitbar vorne.

Das sind die Felder, auf denen der „Zukunftssturm“ toben wird, von dem VW-Marken-Chef Diess spricht. Wir wagen die Prognose, dass dieser „Sturm“ nicht nur bei VW auf die Schultern der Beschäftigten und der ArbeiterInnenklasse insgesamt abgewälzt werden soll.

Komplizenschaft der IG Metall

Wenn auch die IG Metall bisher nichts zu dem Kahlschlag bei VW hat verlauten lassen, zu dem drohenden Umbau in der Auto-Industrie insgesamt hat sie viele Konferenzen organisiert und jetzt auch eine Erklärung verfasst. Wie immer in den letzten Jahren gilt ihre Hauptsorge dem Industriestandort Deutschland. Sie zitiert ihren Vorsitzenden Hofmann, der „die Branche vor der bislang größten Transformation ihrer kurzen Geschichte sieht“: „Noch habe sie die Chance, mit den besten Umwelttechnologien rund um das Auto eine Poleposition im internationalen Wettbewerb zu gewinnen und damit Millionen Menschen auf Dauer sichere Arbeitsplätze zu bieten.“

Poleposition gibt es eigentlich nur eine, das ist der vorderste Platz in der Startaufstellung bei Autorennen der Formel I. Will Hofmann hier einen Führungsanspruch verbergen oder gerade postulieren? Hübsch ist jedenfalls die Verwendung einer der umweltschädlichsten und überflüssigsten Veranstaltungen in Verbindung mit den „besten Umwelttechnologien“, frappant auch die Aussage, dass „Menschen“ offensichtlich nur bei deutschen Auto-Firmen arbeiten und dort einen „sicheren Arbeitsplatz“ brauchen.

Entscheidend ist aber, dass auch in diesem Fall die IG Metall-Spitze die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie über alles stellt. Die „Menschen, die sichere Arbeitsplätze brauchen“, kommen rein rhetorisch vor: „Wir wollen die Transformation so mitgestalten, dass kein Beschäftigter dabei unter die Räder kommt.“ Die Realität bei VW straft Hofmann aber schon Lügen. (Alle Zitate aus: www.igmetall.de/auto-und-klima-24270.htm)

Tatsächlich sind gewaltige Investitionen in Verkehr und Mobilität notwendig und sinnvoll. Die fundamentale Krise der Autoindustrie kann Anlass und Chance sein, ein Verkehrssystem zu entwickeln, das effizient und umweltfreundlich ist und bei dem die Städte nicht mit Privat-PKW zugestellt werden, deren Nutzungszeit unter 10 Prozent liegt, Strom nicht über Batterien mitgeschleppt, sondern über Leitungen, Schienen oder Induktion übertragen wird.

Solch ein Verkehrssystem werden die Autokonzerne auch nach zehn Dieselkrisen nicht entwickeln. Diese Entwicklung muss gesamtgesellschaftlich geschehen und die Bedürfnisse aller aufnehmen. Die Erfahrungen und Entwicklungs- wie Produktionskapazitäten der Beschäftigten in der Autoindustrie sind dafür unerlässlich, auch wenn diese in Zukunft nicht in die Produktion von Privat-PKWs, sondern eines öffentlichen Verkehrssystems einfließen würden, das sich an den Bedürfnissen der Masse der Bevölkerung, also aller Lohnabhängigen, sowie ökologischer Nachhaltigkeit orientiert. Aber dazu müssen sie wie alle anderen Sparten des Transportsektors von der Knute des Profits befreit werden. Die gesamte Branche muss verstaatlicht werden, unter Kontrolle der Beschäftigten.

Nur mit dieser Perspektive können Metallerinnen und Metaller heute auch die Kahlschläge bekämpfen, die mit VW begonnen haben und noch Zehntausenden anderen drohen, in den meisten Fällen wohl sozial noch unverträglicher als bei VW. Sich zum Marktschreier der deutschen Autoindustrie im globalen Konkurrenzkampf zu machen, wie Hofmann, ist für die Verteidigung der Beschäftigten völlig untauglich.

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Nr. 215, Dez. 16/Jan. 17

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