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Initiative für “Tarifeinheit”

Ein Angriff auf das Streikrecht

Frederik Haber, Neue Internationale 157, März 2011

Das Streikrecht ist in Deutschland stark eingeschränkt. Jetzt droht ein neuer Angriff - und die Spitzen von ver.di, IG Metall und DGB sind vorne mit dabei.

Das deutsche Streikrecht ist im Grunde ein Nicht-Streikrecht. So sind Streiks gegen Entlassungen oder Werkschließungen verboten. Auch Solidaritätsstreiks sind nicht erlaubt. Weiter dürfen Arbeitsbedingungen und Leistungen, die in einem gültigen Tarifvertrag festgelegt sind, dürfen kein Streikgrund sein. Politische Streiks, die sich, wie häufig in Italien oder Frankreich, gegen Regierungsmaßnahmen richten, sind verboten. Verboten heißt nicht nur, dass die Polizei kommt, sondern auch dass Schadensersatzforderungen drohen.

Natürlich finden trotzdem Kundgebungen während der Arbeitszeit statt. Aus gutem Grund werden sie nicht Streik genannt, sondern z.B. Proteste. Die Gewerkschaften achten sehr darauf, dass diese Proteste keinen nennenswerten ökonomischen Schaden hinterlassen. Oftmals ist der Ablauf dieser Aktionen mit Unternehmensführungen abgesprochen und es hilft nichts, diese Aktionen als „politischem Streik“ schön zu reden.

Nur auf aller höchster Stufe ist ein Generalstreik erlaubt: Wenn die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ bedroht ist, gilt das „Widerstandsrecht“. Dies ist eine Verbeugung vor dem Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920. Aber angesichts einer faschistischen Bedrohung nützen Paragraphen sowieso nichts und außerdem gibt es dann mehr zu verteidigen als nur die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, die so frei ist, Streiks sehr weitgehend einzuschränken. Das soll jetzt noch schlimmer werden.

Tarifeinheit

Anlass für den neuen Angriff sind die Spartengewerkschaften, die sich in den letzten Jahren gebildet haben. Auch wenn sie sich aus eher konservativen Berufsverbänden (GDL im Beamtenbund) entwickelt haben, wehren sie sich teilweise militanter als die DGB-Gewerkschaften gegen die Angriffe der Unternehmer oder des Staates. Diese Militanz geht zwar oft einher mit einem sehr engen Blick auf das eigene Klientel, z.B. bei den Ärzten des Marburger Bundes, aber die Führungen von ver.di , IGM und DGB haben am wenigsten Grund, dies zu kritisieren.

Erstens richten auch sie ihren Blick fest auf ihre Klientel und sind seit Jahren unfähig, Tarifrunden unter sich auch nur zu koordinieren, geschweige sich gegenseitig zu unterstützen. Zweitens steht hinter der schlechten Tarifpolitik der letzten 15 Jahre die Überzeugung, so der deutschen Industrie im internationalen Wettbewerb helfen bzw. die öffentlichen Haushalte so entlasten zu müssen, dass die Regierungen Kriege führen, Banken retten und Unternehmersteuern senken können.

Drittens waren die DGB-Gewerkschaften selbst unfähig, den alten Grundsatz „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ (und damit ein Tarifvertrag) zu verteidigen. Ein gutes Beispiel beschreibt Anton Kobel im express 2010/7:

„In den Kauf- und Warenhäusern wurden seit den 1980er Jahren die bis dahin allgemein gültigen Tarifverträge des Einzelhandels außer Kraft gesetzt, indem z.B. die Restaurants ausgegliedert und in die Gaststättentarifverträge eingegliedert wurden. In den Blumenabteilungen gelten seitdem, sofern vorhanden, die Gartenbautarifverträge, in den Parfümerieabteilungen die Tarifverträge der Parfümhersteller mit der IG Chemie (heute BCE), in verschiedenen Servicebereichen wären, gewerkschaftliche Präsenz vorausgesetzt, die IGM (etwa für Mister Minit) oder die NGG (für die Backshops) zuständig, im Reinigungsdienst die IG BAU, bei Sicherheitsdiensten war die ÖTV im Gespräch. In den kleinen Bereichen entstanden durch diese Arbeitgebermaßnahmen häufig tariflose Arbeitverhältnisse. Mitte der 1990er - vor den Gewerkschaftsfusionen - waren in den Kaufhäusern aufgrund der DGB-Satzung zehn DGB-Gewerkschaften zuständig, hinzu kamen DAG, DHV und CGB. Diese bewusste Vorgehensweise der Arbeitgeber schwächte die Tarifmacht der Gewerkschaft HBV beträchtlich, auch weil die betroffenen DGB-Gewerkschaften unfähig waren, diese durch Out- und Insourcing entstandenen neuen Zuständigkeiten an die ‚Herkunftsgewerkschaft' zurückzugeben.“

Die Spartengewerkschaften haben also die Zersplitterung nicht erfunden, aber sie haben das Kämpfen gelernt. Ihr Wachstum ist den DGB-Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Aber statt ihre verfehlte Politik zu ändern, suchen diese den Schulterschluss mit dem Kapital. Statt die Tarifeinheit - also ein Tarifvertrag für die ganze Belegschaft oder die ganze Branche - demokratisch durchzusetzen: z.B. durch Tarifkommissionen, die von allen organisierten Beschäftigten gewählt werden und die auch das Recht haben, Arbeitskämpfe zu führen , wollen die DGB-Bonzen mit den Bossen den kleinen Gewerkschaften das Streiken verbieten. Da freuen sich die Kapitalisten und die Kanzlerin jubelt. Noch bis Herbst will sie daraus ein Gesetz machen.

Schuss ins eigene Knie

Erstens kann es in der Praxis durchaus heikel sein, festzustellen, welche Gewerkschaft gerade die stärkere ist, also mehr Mitglieder hat. Das fängt schon bei der Bestimmung des Bereichs an. Betrieb, Branche, Beschäftigtengruppe - was umfassen sie und für wen soll der Vertrag gelten?

Zweitens gibt es etliche Bereiche und Betriebe, in denen die DGB-Gewerkschaften in der Minderheit sind gegenüber kämpferischen Spartengewerkschaften, aber viel mehr noch gegenüber konservativen Berufsverbänden. Kommt das Gesetzesvorhaben durch, gelten deren Tarifverträge auch für Ver.dianer- und MetallerInnen, Streiks wären illegal.

Drittens zwingt ein solches Gesetz die kleinen Gewerkschaften, aus ihrer Beschränkung auf bestimmte Sparten herauszutreten. Der Marburger Bund z.B müsste anfangen, auch Pflegepersonal zu organisieren, um in den Krankenhäusern die Mehrheit zu bekommen.

Die Initiative der DGB-Führer ist also ein gewaltiger Schuss ins Knie.

Wo immer hinter der Zersplitterung der Gewerkschaftslandschaft gezieltes Treiben der Unternehmer stand, wird dieses jetzt von den DGB-Bossen belohnt. Aber der Schuss ins Knie trifft letztlich nicht die Bonzen, sondern die Arbeiterbewegung - egal, wo sie organisiert ist.

Alternativen

Wir unterstützen den Widerstand in den Gewerkschaften gegen diese Vorhaben und die Vorstände, die es vorantreiben. Die Gewerkschaftslinke und kämpferische GewerkschafterInnen müssen jetzt gegen die Pläne der Spitzen in den Betrieben mobil machen, die KollegInnen aufklären und Resolutionen und Anträge zu den Gewerkschaftstagen im Herbst einbringen, um sie dort noch zu stoppen.

Wir sagen aber auch, dass wir ein wirkliches Streikrecht fordern, also gegen alle Einschränkungen kämpfen. Nicht nur Gewerkschaften, sondern auch Betriebsräte oder Komitees von Delegierten müssen das Recht haben, zu Streiks aufzurufen und diese zu führen - in Betrieben oder in gesamten Branchen.

 

Nachsatz: Unter dem Motto „Hände weg vom Streikrecht!“ wurde am 12. März in Kassel eine bundesweite Initiative gegen die Initiative von Gewerkschaftsführungen und von GewerkschaftsaktivistInnen ins Leben gerufen, die auch Arbeitermacht unterstützt. Laufende Infos unter: http://www.labournet.de/GewLinke/

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Nr. 157, März 2011
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