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Stuttgart 21

Die Stadt, die Zerstörung und der Profit

Lorenz Seifers/ Renate Röckenwies, Neue Internationale 149, Mai 2010

Unter dem Motto "Unser Park - unsere Stadt" versammelten sich am 24. April rund 10.000 Menschen im Stuttgarter Schlossgarten, um gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" zu demonstrieren. Die Veranstaltung war der bisherige Höhepunkt des Widerstandes gegen das umstrittene Bauvorhaben - nicht nur rein zahlenmäßig. Auch die Art des Protestes änderte sich. Bezogen sich die Kritikpunkte der S21-Gegner in den letzten Jahren hauptsächlich auf die umweltschädlichen, städtebaulichen und bahntechnischen Folgen des Projektes, nahmen in den letzten Monaten durch die Krise immer mehr Menschen die eigentlichen Intentionen der Vorantreiber des Projekts wahr.

Das Projekt

Hinter dem Namen „S21“ steht der Plan, den Stuttgarter Kopfbahnhof zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof umzubauen und gleichzeitig den Eisenbahnknoten Stuttgart komplett umzubauen. Mitsamt der geplanten Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm sollen 115 Km neue Gleise entstehen, außerdem müssen 16 Tunnel und 18 Brücken neu gebaut werden.

Auf der anderen Seite werden ca. 100 Hektar Gleisfläche im Zentrum der Stadt frei und damit zum gefundenen Fressen für Grundstücksspekulanten und Baukonzerne. "Das neue Herz Europas", wie das Projekt von den Befürwortern genannt wird, soll die größte Baustelle Europas werden und bei geplanten 10 Jahren Bauzeit über 4 Milliarden kosten - doch alle wissen, dass es am Ende mehr kosten wird.

Damit steht S21 nicht nur für den Größenwahn prestigegeiler Politiker und Funktionäre, sondern v.a. für eine gewaltige Privatisierung öffentlicher Gelder, eine Umverteilung zu Lasten der ArbeiterInnen und BahnfahrerInnen, mit Kürzungen bei Sozialleistungen, undemokratischen Entscheidungsprozesse, kurz für die parasitäre und destruktive Weise, wie Krisenbewältigung auf kapitalistische Art verläuft. Was die Bevölkerung als Verschwendung öffentlicher Gelder in einer Zeit wahrnimmt, in der die öffentlichen Haushalte durch die Krise bereits ausgelutscht sind, ist aus Sicht der Kapitalisten und ihrer Parteien eine Investition in die Zukunft.

Nur in diesem Zusammenhang wird verständlich, warum sich jetzt die Massen mobilisieren, nachdem schon bald zwei Jahrzehnte an diesem Projekt gestrickt wird und die offiziellen Entscheidungsfindungen längst gelaufen sind - wenn auch mit allen nur denkbaren parlamentarischen und juristischen Kniffen.

Mit bemerkenswerter Ausdauer versammeln sich bereits seit November 2009 Woche für Woche mehrere Tausend StuttgarterInnen zu den Montagsdemos am Hauptbahnhof, um ihren Protest gegen das Unsinnsprojekt zu bekunden.

Politisch werden diese Versammlungen vom Kleinbürgertum dominiert. Die Grünen sind die dominierende Kraft und auf der Welle der Empörung auch zur stärksten Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat geworden. Auch wenn viele Linke eine tragende Rolle bei den Mobilisierungen haben, ordnen sie sich dem Bürgerinitiativen-Charakter der Bewegung unter. Ein bekanntes Beispiel ist G. Stocker, ehemaliges DKP-Mitglied, später Geschäftsführer der PDS, heute für die kleinbürgerliche linke Formation SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial) im Kommunalparlament. Während keine Andeutung von Antikapitalismus je über seine Lippen kommt, begeistert ihn jeder Zuspruch aus dem lokalen Bürgertum.

Rolle der Gewerkschaften?

Das eine Anti-Krisen-Mobilisierung so aussieht, ist kein Zufall: Gewerkschaften sind bisher praktisch nicht vertreten. Getreu ihrer Linie, überall die kapitalistische Lösung der Krise zu unterstützen und sozial abzufedern, stehen die führenden Bürokraten, wie IGM-Bezirksleiter Hoffman, auf Seiten der Befürworter. Das hat zwar den Vorteil, dass diese Bürokraten die Bewegung nicht dämmen und dämpfen können, wie bei allen betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen der letzten Jahre. Es hat aber den Nachteil, dass die Bewegung im lokalbornierten und klein-bürgerlich-demokratischen Rahmen gefangen bleibt, weil ArbeiterInnen und ihre Kämpfe kaum vertreten sind.

Es wäre eine der leichteren Aufgaben für die IG Metall in Stuttgart mit ihren rund 70.000 Mitgliedern, wöchentlich mit 500 Leuten aufzutreten und den Protesten eine ganz andere Prägung zu geben. Wenn sie diesen Protest mit den Zehntausenden verbinden würde, die schon bei Daimler Sindelfingen, Behr, KBA auf der Strasse waren, würde die Stadt wirklich anders aussehen und könnte zur Spitze der bundesweiten Anti-Krisenbewegung werden.

Noch ist das möglich. Nachdem u.a. ver.di und die GdL sich schon lange gegen S21 ausgesprochen hatten, konnte sich nun auch bei der Delegiertenkonferenz der IG Metall Stuttgart die Basis gegen die Gewerkschaftsführung durchsetzen und beschloss, den Widerstand gegen S21 zu unterstützen. Allerdings bislang noch ohne praktische Folgen. Nach der Großkundgebung im Schlossgarten gründete sich jetzt das landesweite Netzwerk "ArbeitnehmerInnen für eine nachhaltige Verkehrspolitik", das sich zum Ziel gesetzt hat, den Widerstand gegen S21 in den Betrieben auch über Stuttgart hinaus zu verbreitern.

Die überregionale Demo am 12.Juni kann zum Anlass werden, wo S21 und der betriebliche Widerstand zusammenkommen. Dazu müssen nicht nur die Bürokraten der IG Metall bekämpft werden und betriebliche Mobilisierungsgruppen gebildet werden, dazu muss auch in der Bewegung gegen S21 klargemacht werden, dass hinter der Gier, der Korruption und dem undemokratischen Vorgehen der S21-Macher das gierige, korrupte und undemokratische System des Kapitalismus und seine Krise stecken.

Weg mit S21 - und dem System, das dahinter steckt!

Flugblatt der Gruppe Arbeitermacht zu S 21: www.arbeitermacht.de

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Nr. 149, Mai 2010
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