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Gesundheitswesen

Schulterschluss mit “Arbeitgebern”?

Anne Moll, Neue Internationale 132, September 2008

Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist schon lange auf dem Weg zur Profitorientierung.

Durch die Einführung des Krankenhausbudgets 1993 vom damaligen Bundesminister für Gesundheit Horst Seehofer wurden die Einnahmen der Krankenhäuser gedeckelt. D.h. die Ausgaben wurden nicht mehr vollständig von den Krankenkassen und dem Bund übernommen - vorgeblich, damit die Beitragslast der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nicht in „unerschwingliche Höhen“ steigt.

Wie viel Geld den Krankenhäusern zugestanden wird, wird jährlich per Verordnung von der Regierung festgelegt. Bei anhaltendem Reallohnverlust und damit sinkenden Sozialversicherungsbeiträgen sowie gleichzeitiger Zunahme der Arbeitslosigkeit gab es seit Einführung der Kostendeckelung keine ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser mehr.

Die Belastungen der Krankenhäuser wurden allerdings immer größer: durch reale Kostensteigerungen bei Energie, Nahrung, Arzneimitteln und Medizintechnik, aber auch durch „selbstgemachte“ zusätzliche Lasten, z.B. durch die Übernahme von Investitionskosten oder durch den Ausbau teurer „Spezialisierung,“ um im Konkurrenzkampf mit anderen Krankenhäusern Vorteile zu haben und besonders für Privatpatienten attraktiv zu bleiben.

Einsparungen in anderen, augenscheinlich nicht so wichtigen Bereichen wurden so zwangsläufig. Die Beschäftigten, besonders im nichtwissenschaftlichen Bereich, haben das  deutlich zu spüren bekommen. Abkoppelung der Lohnentwicklung bis zum Lohnverzicht, Arbeitszeitverlängerung, Arbeitsverdichtung bis zum Umfallen, Teilprivatisierung bis zum Verkauf ganzer Krankenhäuser.

Heute ist ein Krankenhaus ein Wirtschaftsbetrieb der, zerstückelt in Tochtergesellschaften und sich ausbreitend durch Kooperationsverträge und Zusammenlegungen, versucht, am Gesundheitsmarkt der Konkurrenz standzuhalten oder andere platt zu machen. Der Patient wird zum Käufer einer „Dienstleistung“, einer Ware und ist „gesund“, wenn er kein Geld hat bzw. an ihm nicht mehr verdient werden kann.

Seit Einführung der Fallpauschalen (DRG) erhält ein Krankenhaus für die Behandlung einer bestimmten Krankheit einen Betrag, die Behandlung erhält so einen bestimmten Preis - wie beim Warenhandel. Das führt einerseits zur Unterversorgung, weil der Preis gleich ist, auch wenn nicht die volle Leistung gebracht wurde oder nötig war. Andererseits führt es zur Überversorgung, weil es für bestimmte Untersuchungen mehr Geld gibt. Nach 4 Jahren Erfahrungen mit den DRG-Abrechnungen ist deutlich belegt, dass sie völlig ungeeignet sind, um eine bedarfsgerechte und zugleich rationelle medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Das reicht den neoliberalen Machthabern aber nicht. Sie fordert neue Opfergaben! Die Zwangsabgabe zur Krankenkassensanierung hat jetzt vermutlich bei den Krankenhausbetreibern und -trägern, bei den Berufsstandsvertretern wie Marburger Bund und beim „Deutschen Pflegerat“ das Fass zum Überlaufen gebracht und sie veranlasst, gemeinsam mit ver.di für eine bessere Krankenhaus-Finanzierung zu kämpfen.

Dieses Bündnis hat jedoch mehrere Haken. Die Gewerkschaft soll die Beschäftigten auf die Straße bringen und Druck erzeugen. Etwaige höhere Gelder landen jedoch zuerst einmal bei den Krankenhausbetreibern. Die - und nicht etwa die Beschäftigten oder gar die PatientInnen entscheiden dann, wofür die Budgets verwendet werden. An der ganzen irrationalen Gesamtstruktur ändert sich nichts.

Zweifellos ist es richtig, dass ver.di gegen die Deckelung auf die Straße geht. Die Strategie, das gemeinsam mit den Krankenhausbetreibern, also den Unternehmensvertretern zu tun, ist jedoch falsch. Sie gaukelt vor, dass die Krankenhausbetreiber ein gemeinsames Interesse mit den Beschäftigten und PatientInnen an einem bedarfsorientierten, allgemeinen Gesundheitswesen hätten und nicht selbst aktiver Teil der „Restrukturierung“ des Gesundheitswesens wären.

Natürlich sollen sich kritische und oppositionelle GewerkschafterInnen und Beschäftigte an den Aktionen im September und an der bundesweiten Demonstration am 25. September in Berlin beteiligen, aber wir fordern die ver-di-Führung auf: Kein Schulterschluss mit den Arbeitergebern!

Wir kämpfen für sofortigen Stopp aller Entlassungen, für Neueinstellungen, für die komplette Kostendeckung! Reduktion der Arbeitszeit auf 35 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Wiedereinstellung bereits entlassener KollegInnen und Wiedereingliederung ausgesourcter Betriebsteile tariflichen Bedingungen!

Weg mit den Fallpauschalen, Rücknahme aller Privatisierungen!

Ausreichende Bereitstellung und Finanzierung von Krankenhäusern u.a. anderen Pflegeeinrichtungen unter Kontrolle der Beschäftigten!

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Nr. 132, Sept. 2008
*  Afghanistan: Nein zu imperialistischem Krieg und Besatzung!
*  Anti-Islam-Konferenz: Rassisten stoppen!
*  Metall-Tarifrunde: Prozentualer Kampf?
*  Gesundheitswesen: Schulterschluss mit "Arbeitgebern"?
*  70 Jahre Gründung der Vierten Internationale: Aufbruch und Zerfall
*  Revolutionäre Arbeiterbewegung: Vorwärts zur 5. Internationale
*  Einzelhandel: Offene Klassenjustiz
*  Bayern: Linke Wählen, aber Widerstand organisieren
*  Heile Welt
*  Wahlen in Österreich: Linksprojekt tritt an
*  Georgien: Imperialer Clinch