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10 Jahre Ver.di

Kein Grund zum Feiern

Anne Moll, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

Die ver.di-Führung lässt ausnahmsweise die Korken knallen. Wenn es im Klassenkampf schon keine umwerfenden Erfolge zu vermelden gibt, so feiert sich die Bürokratie wenigstens selbst. Nach 10 Jahren ist es Zeit, Bilanz zu ziehen, was die Fusion von fünf Einzelgewerkschaften - ÖTV, HBV, IG Medien, DPG und DAG - gebracht hat.

Schließlich sollte die Fusion

den Mitgliederschwund der DGB-Gewerkschaften aufhalten,

die Gewerkschaften gemäß der Restrukturierung des Öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors besser aufstellen,

die Kampfkraft steigern und bündeln,

die Kosten für den Apparat verringern.

Ernüchternde Bilanz

Nach zehn Jahren fällt das Fazit sehr ernüchternd aus. Warum?

1. Ver.di hatte am Jahersende 2001 noch 2,8 Millionen Mitglieder, heute ist sie bei ernüchternden 2,1 Millionen angelangt: ein Mitgliederschwund von 25 Prozent!

2. Die Fusion der verschiedenen Gewerkschaften hat keineswegs eine Restrukturierung gemäß den Veränderungen in den Industriebranchen gebracht. So agieren und konkurrieren z.B. im Telekommunikationsbereich heute ver.di (Telekom) und IG Metall (vodafon/vormals Mannesman). Im der Transport- und Logistikbranche konkurrieren ver.di und EVG. Statt die Gewerkschaften gemäß der Neustrukturierung der Branchen zu reorganisieren haben die bürokratischen Fusionen gerade dieses Problem nicht angegangen oder gar gelöst.

3. Es ist kein Wunder, dass daher weder die Kampfkraft gesteigert wurde, noch überhaupt die gegenseitige Koordinierung von Tarifrunden u.a. Kämpfen - nicht nur rein gewerkschaftlicher Art - verbessert wurde. Die einzelnen Fachgruppen agieren im Grunde wie Einzelgewerkschaften, die ihre „eigenen“ Tarifkämpfe organisieren, nicht wie Teile eines Dachverbands.

4. Daher war es auch mit dem Kostensenken nicht so weit her. Aufgrund der bürokratischen Fusion mussten die fusionierenden Top-Bürokraten weiter versorgt werden, gespart wurde bei unteren Sekretären für Mitglieder- und Betriebsbetreuung. Von 17 Bildungsstätten wurden 6 geschlossen. Um „zu sparen“, wurde gemäß dem neoliberalen Trend in der Gesellschaft auch bei ver.di „outgesourct“, z.B. durch die Gründung der „Bildungstöchter“ ver.di Bildung und Beratung GmbH.

5. Auch den Niedergang der Reallöhne, die Ausweitung der Niedriglohnsektors konnte die Fusion nicht stoppen. Im Gegenteil: Bsirske und Co. reihten sich - wenn auch tw. mit etwas linkerer Rhetorik als z.B. die IG Metall-Führung um Huber - in die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung der Gewerkschaften während und nach der Krise ein.

Teilerfolge

Natürlich gab es den letzten 10 Jahren auch einige Erfolge. So zeigte die Lidl-Kampagne wichtige Schritte zur Organisierung prekär Beschäftigter in „gewerkschafts-“ und „betriebsratsfreien“ Unternehmen auf.

Mit den ErzieherInnen trat eine bislang relativ kampfschwache Beschäftigtengruppe stärker in den Vordergrund.

In einzelnen Regionen, v.a. in Baden-Württemberg, führte eine aktivistische, mobilisierende und demokratischere Gewerkschaftspolitik auch zu mehr Kampfkraft und einer gewissen Vorreiterrolle innerhalb von ver.di. Tarifkämpfe werden daher auch immer häufiger auf dieses Bundesland konzentriert. Anders, als sonst in der bürokratischen Routine des Dachverbandes üblich, gibt es in vielen Kämpfen regelmäßige Belegschaftsversammlungen, die auch über den weiteren Verlauf eines Streik diskutieren und entscheiden.

Diese positiven Entwicklungen sind freilich v.a. Resultat einzelner positiver Initiativen (LIDL) und günstiger regionaler Kräfteverhältnisse innerhalb des Gewerkschaftsapparates und des Funktionärskörpers wie in Baden-Württemberg, deren links-reformistische Führung sich auch auf eine vergleichsweise aktivere Basis stützen kann.

Doch zeigt gerade dieses Beispiel auch die Grenzen linker Politik im Gewerkschaftsapparat. Während z.B. Beschäftigte in der Tarifrunde in Stuttgart über die nächste Aktion und die lokale Streiktaktik diskutieren und abstimmen dürfen, bleiben die Gesamtstrategie und die Verhandlungsführung „natürlich“ fest in Händen des Vorstands. So verkommt die kämpferische Vorhut letztlich zum Vortrupp einer insgesamt zahnlosen und kompromisslerischen Gewerkschaftspolitik, die in weiten Teilen der BRD die Kampfkraft von ver.di massiv geschwächt hat.

Basisbewegung ist notwendig

Diese fatale Gesamtpolitik lässt sich letztlich weder auf regionaler Ebene, durch die Schaffung einzelner „Vorzeigebezirke“ oder durch eine bloß linkere, letztlich aber auf den Apparat fixierte reformistische Politik stoppen.

Dazu bedarf es vielmehr einer Basisbewegung, die für die Ersetzung der Bürokratie durch eine klassenkämpferische, der Basis verantwortliche Führung eintritt und als solche bundesweit als Opposition gegen den Apparat organisiert ist. Ein Teil des Programms einer solchen Bewegung muss es sein, eine angemessene Antwort auf die Reorganisation der Gewerkschaftsbewegung zu finden und zu propagieren. Die bürokratische Fusion, die Gründung von ver.di hat sich nach 10 Jahren auch praktisch als vollkommen untauglich erwiesen - als politisches Desaster.

Die Bürokratie ist weder fähig noch willens, diese Aufgabe anzunehmen, wie die bizarre Selbstbeweihräucherung nach 10 Jahren ver.di zeigt. Eine Reorganisation gemäß den Prinzipien des Klassenkampfes und eine Beendigung der absurden Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften kann nur von unten erzwungen werden. Nur so kann auch der DGB zu einem starken und kampffähigen Dachverband werden.

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Nr. 161, Juli/Aug 2011
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