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Griechenland

Wie weiter nach dem 48-Stunden-Generalstreik?

Martin Suchanek, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

48 Stunden lang hielten die Lenker des europäischen und globalen Kapitalismus den Atem an. Nun können sie, zumindest für den Augenblick, wieder durchatmen. Das griechische Parlament hat am 30.6. das zweite, noch schärfere, Kürzungsprogramm verabschiedet. Damit wurde der Schuldenbankrott mit seiner möglichen Kettenreaktion auf Portugal, Spanien oder gar Italien und die Weltaktienmärkte sowie den Euro vorerst abgewendet.

„Das sind wirklich gute Nachrichten“, frohlockte Kanzlerin Merkel. Gute Nachrichten sind dies für die milliardenschweren Staatspapierbesitzer, v.a. die deutschen und französischen Banken. Neue Kredite können eingesetzt werden, um alte zu bedienen. Das Blutsaugen kann weiter gehen, hoffen sie jedenfalls.

Für die griechische Bevölkerung, für die ArbeiterInnen, kleinen Gewerbetreibenden und das Riesenheer der jungen Erwerbslosen sind dies jedoch schlechte Nachrichten.

Zusätzlich sollen nun noch 28 Milliarden vom Jahreshaushalt bis 2015 gekürzt werden, das entspricht 12% des Bruttoinlandsprodukts. Durch Verkäufe von Staatsbesitz, zumeist Unternehmen, an Kapitalisten sind Einkünfte von 50 Milliarden eingeplant . Auch das untere Kleinbürgertum wird stark zur Kasse gebeten, denn die Mehrwertsteuer soll von 13 auf 23% angehoben werden. Löhne und Gehälter, auch Beamtenbezüge sollen um 15% gekürzt, die Arbeitswoche von 37,5 auf 40 Stunden erhöht werden. Im Öffentlichen Dienst sollen durch Nichtneubesetzung für altersbedingtes Ausscheiden von Personal 150.000 Stellen entfallen.

Vor und während des 48-stündigen Generalstreiks vom 28./29.6 zeigten sich die Schwäche, die zunehmende Isolation und das Wegbrechen der sozialen Basis der PASOK-Regierung. Bei der Schlussabstimmung jedoch hoben 154 von 155 Parlamentariern der PASOK ihre Hand für das Kürzungsprogramm und verschafften der Regierung so eine Mehrheit im 300 Sitze-Parlament. Die ‚geachteten‘ rechtsbürgerlichen Oppositionsparteien ‚Nea Dimokratia (NEA) und die ‚Demokratische Allianz‘, eine Abspaltung der NEA, enthielten sich der Stimme und bewiesen, dass auch sie in der ‚Stunde der Verantwortung‘ das Kürzungsprogramm nicht blockieren wollten. Die NEA-VertreterInnen kritisierten die Regierung sogar dafür, nicht genug zu privatisieren. Ihnen sind nur die Unternehmenssteuern ein Dorn im Auge, die die griechische Wirtschaft behindern würden.

Nur die Abgeordneten der linken Parteien SYRIZA (9), KKE (21) und jene der rassistischen Rechten LAOS (15) stimmten gegen das Gesetz - ein Zeichen der zunehmenden Polarisierung der griechischen Gesellschaft.

Massenhafter Rückhalt für den Generalstreik

Die Massenunterstützung für den Generalstreik zeigt, dass das Potenzial des revolutionären Widerstands in Griechenland immer noch lebendig ist. Die übergroße Mehrheit der Arbeiterklasse folgte dem Aufruf der Gewerkschaften und der Versammlung auf dem Athener Syntagma-Platz.

Laut den großen Gewerkschaftsvereinigungen des öffentlichen (ADEGY) und Privatsektors (GSEE) beteiligten sich mehr als 80% der Belegschaften an Schulen, in Behörden und Krankenhäusern, Banken und großen Firmen am Streik. Selbst dort, wo kleinere Gewerkschaften wie die PNE im Schiffsverkehr den Streik nicht unterstützten, waren Militante von anderen Gewerkschaften, zur Hauptsache von der PAME, imstande, ihn durchzuführen.

Nach jahrelangen Kämpfen mit Aktionstagen und eintägigen Generalstreiks gibt es einen neuen Aufschwung des Widerstands in Griechenland.

Hoffnung durch Syntagma-Besetzung

Der Generalstreik, die Massendemonstration und die Platzbesetzungen durch die Widerstandsbewegung haben wieder neue Hoffnungen geweckt. Es haben sich die ‚Empörten‘, die Armen, die prekären ArbeiterInnen und Arbeitslosen bis hin zu kleinbürgerlichen Geringverdienern, ja selbst manche Kleinkapitalisten zusammengefunden. Diese verschiedenen Klassen unterscheiden sich in ihren Interessen und Perspektiven. Was sie eint, ist die Verzweiflung und der Drang, sich vor dem Ruin zu retten: jetzt oder nie.

Die Besetzung des Syntagma-Platzes hat auch die Arbeiterbewegung und den Generalstreik wieder belebt. Die Teilnahme war stärker als davor, der Streik selbst dauerte zwei Tage.

Das hat die politische Krise im Land vertieft und die Regierung erschüttert. Einige Vertreter der nationalistisch-‚populistischen‘ PASOK, die mit den großen Gewerkschaften ADEGY und GSEE verbunden ist, drohten mit Gegenstimmen gegen das von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds - der imperialistischen „Troika“ - aufoktroyierte Programm.

Strategische Schwächen

Neben der großartigen Militanz und Entschlossenheit der Massen sind aber ebenso klar die Schwächen der Bewegung zu Tage getreten: ihre Krise der politischen Orientierung, Zielsetzung und Führung.

Der Generalstreik wurde ausgerufen und organisiert von den großen bürokratisch geführten Gewerkschaftsvereinigungen, die trotz aller Angriffe noch immer politisch an die PASOK-Partei gebunden sind. Der Generalstreik zeigte auch, dass zwar Basisbewegung und gewerkschaftliche Opposition angewachsen sind, dennoch vermögen nur die PASOK- Gewerkschaften und die KKE-nahe PAME millionenfach zu mobilisieren, praktisch die gesamte Arbeiterschaft Griechenlands. Alles Gerede davon, die Gewerkschaften rechts liegen lassen zu können, ist offensichtlicher ultralinker Unsinn. Die militanten und linken Kräfte müssen die Einheitsfronttaktik anwenden, um eine maximale Einheit in der Aktion zu erzielen, zugleich müssen die Schwächen und Schwankungen der reformistischen Gewerkschaftsführer bloßgestellt und kritisiert werden.

Der Aufruf zum Generalstreik durch die Versammlung am Syntagma-Platz hat die Gewerkschaftsführungen unter Druck gesetzt. Zugleich verdeutlichte der Verlauf des Generalstreiks und die versuchte Blockade des Parlaments die Kluft zwischen organisierter Arbeiterklasse und der Bewegung der „Empörten“. Die Gewerkschaftsdachverbände organisierten ihre Demonstrationen getrennt und zu unterschiedlichen Zeiten. Während ADEDY und GSEE wenigstens bis zu einem gewissen Grad ihre Aktionen mit den BesetzerInnen koordinierten, lehnten das KKE und PAME aufgrund der gegen politische Parteien und Gewerkschaften gerichteten Stimmung vieler AktivistInnen am Syntagma-Platz rundweg ab.

Statt gegen diese kleinbürgerlichen und zumindest tendenziell nach rechts gehenden Stimmungen politisch anzukämpfen, zogen es KKE und PAME vor, die ganze Massenbewegung vor den Aktionstagen als „reaktionär“ zu denunzieren. Diese sektiererische Position von PAME/KKE, die wir - gepaart mit eine starken Dosis griechischem Nationalismus - von diesen „Kommunisten“ in den letzten Jahren immer wieder erleben mussten, kann nur zur Spaltung und Selbstisolierung kämpferischer GewerkschafterInnen führen und wird die gegen die Gewerkschaften und gegen sämtliche Parteien gerichteten Vorurteile vieler BesetzerInnen nur verstärken.

Aber der Verlauf der Massendemonstrationen und der Versuch, das Parlament während der Abstimmung zu blockieren, verdeutlichen auch die immanenten Probleme der Besetzungsbewegung. Auf der einen Seite stellt sie eine wirkliche Errungenschaft dar, insofern sie ein Forum für AktivistInnen, politische Organisationen und ganz „normale“ Menschen bildet, wo sie frei ihre Meinung artikulieren und diskutieren können. Andererseits wird dieses Potential durch einen weit verbreiteten Anti-Politizismus und eine Tendenz zum Populismus untergraben.

Die Intervention der radikalen Linken hat zweifellos dazu beigetragen, dass v.a. die antigewerkschaftliche Stimmung massiv zurückgedrängt wurde. Das zeigt, dass ein bewusstes politisches Eingreifen nicht nur notwendig ist, sondern angesichts einer neu entstandenen Massenbewegung auch zu einer wirklichen Veränderung des Bewusstseins führen kann.

Doch die Besetzungsbewegung (und viele der Volksversammlungen, die in anderen Städten oder in Stadtteilen im Gefolge von Syntagma entstanden sind) sind von zwei weiteren Schwächen gekennzeichnet. Erstens wird die Ablehnung demokratischer Mehrheitsentscheidungen und die Einrichtung von gewählten VertreterInnen zur Koordinierung von Aktionen fetischisiert, durch das „Konsensprinzip“ droht sich die Bewegung selbst zu paralysieren. Zweitens wird der „gewaltlose zivile Ungehorsam“ fetischisiert.

Das führte dazu, dass es keine für die gesamte Bewegung koordinierte Leitung und Selbstverteidigungsorganisation gab, als der Versucht unternommene wurde, das Parlament zu blockieren. Dabei war natürlich klar, dass die Polizei eingreifen und versuchen würde, eine solche Aktion zu verhindern, um sicherzustellen, dass das Parlament in dieser Krise zusammentreten und die Kürzungen absegnen kann.

Die Polizei setzte massiv Tränengas ein. Rund 5.000 Bullen zwangen die schlecht oder gar nicht geschützten DemonstrantInnen in die Seitenstraßen, so dass sich nur wenige Tausend, meist anarchistisch oder autonomistisch geführte Jugendliche stundenlange Straßenschlachten lieferten, die bis spät in die Nacht andauerten. Dabei wurden hunderte verletzt, viele festgenommen.

So endeten die „Massenblockaden“ damit, dass die Massen zu passiven ZuschauerInnen wurden - nicht zum Hauptakteur auf der Straße. Das Fehlen einer demokratisch gewählten, verantwortlichen und autoritativen Führung, die eine Blockade und Selbstverteidigungsorgane hätte organisieren können, bei denen die heroischen Jugendlichen eine wichtige Rollen spielen könnten, machte sich dramatisch bemerkbar.

Das größte Problem der Massenversammlungen, der griechischen Arbeiterbewegung und der Linken aber liegt darin, dass es keine klare Kampfperspektive, keinen Aktionsplan, keine klare Vorstellung davon gibt, wodurch die gegenwärtige Regierung und die Angriffe der griechischen Kapitalisten und der EU-Imperialisten im Falle ihres Sturzes zu ersetzen wären.

Die Bewegung ist zwar darüber geeint, was sie nicht will. Sie lehnt die Moratorien der „Troika“ und die Sparprogramme ab. Sie fordert die Streichung der Schulden. Aber in einer Situation des gesellschaftlichen Niedergangs und täglich fortschreitender Verelendung der Massen ist das einfach zu wenig!

Wachsende Polarisierung und revolutionäre Gärung

In einer solchen Periode revolutionärer Gärung und Instabilität kann die herrschende Klasse die Krise nur durch einen Angriff auf die Massen von historischer Dimension bewältigen. Zugleich - und das ist nur die Kehrseite der gegenwärtigen vorrevolutionären Lage - haben die ArbeiterInnen, die Armut, die Jugend, ja größer werdende Teile des Kleinbürgertums und der Mittelschichten wiederholt bewiesen, dass sie diese Angriffe nicht hinnehmen werden. Aber die bloße Ablehnung der Attacken reicht nicht. Die Massen auf der Straße und die Streikbewegung brauchen selbst ein Programm, um die Reichen und die Oligarchie weniger Kapitalistenfamilien, die Griechenland seit Jahrzehnten beherrschen, zu zwingen, für die Krise zu zahlen. Sie brauchen ein Programm der Arbeiterklasse gegen die Krise.

Das heißt, die grundlegenden Probleme der Bewegung offen anzusprechen. Die Abstimmungen im Parlament am 29. und 30. Juni haben wieder einmal bewiesen, dass die Regierung nicht nachgeben wird, solang sie nur mit letztlich symbolischen Streiks von 24 oder 48 Stunden konfrontiert ist. Vielmehr hat sich gezeigt, dass die Regierung vor brutaleren, repressiven und undemokratischen Mitteln nicht zurückschrecken wird, um ihr Programm durchzusetzen. Schon jetzt drohen Regierungsvertreter mehr oder weniger offen mit Horrorszenarien, sollte Griechenland z.B. gezwungen sein, die Euro-Zone zu verlassen. So erklärte der stellvertretende Ministerpräsident Pangalos in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El Mundo:

„Eine Rückkehr zur Drachme würde bedeuten, dass die Banken am nächsten Tag von verängstigten Bürgern belagert würden, die ihr Geld abheben wollen. Die Armee müsste sie mit Panzern schützen, weil es nicht genug Polizei dafür gibt.“

Solche Stellungnahmen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Sie verdeutlichen,  wozu die Regierung und die Kapitalisten bereit sind - und worauf sich die Arbeiterklasse vorbereiten muss. Hinzu kommt, dass ein Scheitern der gegenwärtigen Regierung und des parlamentarischen Regimes dazu führen wird, dass die herrschende Klasse bereit ist, auf noch repressiveren Formen des politischen Regimes zurückzugreifen.

In den letzten Monaten entstand nicht nur die Massenbewegung der „Empörten“, die die Streiks der Arbeiterklasse neu belebte, ihr und der Linken neuen Elan gab, sondern auch die extreme Rechte trat stärker hervor und verspricht eine nationalistische und chauvinistische „Lösung“ der Krise. In den letzten Monaten kam es vermehrt zu brutalen, mörderischen Angriffen auf MigrantInnen durch den rassistischen und faschistischen Abschaum. Sollte die Arbeiterklasse keine fortschrittliche, also letztlich revolutionäre Lösung erzwingen können, so droht, dass größer werdende Teile der „Mittelklassen“ wie auch verzweifelte Schichten der Arbeitslosen und Deklassierten ihr Heil bei den Versprechungen rechter Demagogen suchen, die nicht nur „die Finanzwelt“, „das Ausland“ und „korrupte Politiker“ für die Krise des Kapitalismus verantwortlich machen, sondern auch gleich MigrantInnen und die „faulen“ und „monopolisierten“ Gewerkschaften, die dafür verantwortlich wären, dass der „ordentliche“ Kleinbürger von der Krise zerrieben wird.

Die Linke muss sich ihrer Verantwortung bewusst werden!

Noch befinden wir uns in einer Phase der Massenmobilisierung gegen die Regierung, eines Aufschwungs auf der Straße. Diese Dynamik muss jetzt, in den kommenden Wochen und Monaten genutzt werden! In dieser Situation müssen die bewusstesten Teile der Arbeiterklasse, müssen militante GewerkschafterInnen, radikale Linke, revolutionäre SozialistInnen und KommunistInnen an die Spitze der Bewegung treten!

Um die Regierung in die Knie zu zwingen, muss sie eine entschlossene Kampagne für einen unbegrenzten Generalstreik gegen die Angriffe von Regierung, EU und IWF führen. Es geht nicht um eine weitere symbolische Demonstration, eine weitere Heerschau, sondern darum, den Gegner durch die geballte Macht der Arbeiterklasse auf die Knie zu zwingen.

Dafür muss sowohl in den Betrieben wie auf den Massenversammlungen agitiert werden. Die Gewerkschaftsführungen von ADEDY, GSEE, PAME sowie die Führungen von SYRIZA und KKE sowie alle anderen linken und proletarischen Organisationen müssen aufgefordert werden, ihre Kräfte zur Organisierung des Generalstreiks zu bündeln.

Ein solcher Streik muss sich auf Streikkomitees stützen, die von Vollversammlungen in den Betrieben und im Öffentlichen Dienst gewählt werden und diesen verantwortlich sind. Sie müssen von den Versammlungen am Syntagma, in den Stadtteilen und in den Städten und Dörfern unterstützt werden. Entscheidend wird dabei sein, dass in den Betrieben und Versammlungen Delegierte zu lokalen, regionalen und landesweiten Koordinierung gewählt werden, um die Bewegung auf eine demokratische und zugleich effektive Weise zu führen.

Dazu ist es auch notwendig, offen gegen die kleinbürgerlichen Vorurteile vieler „Empörter“ aufzutreten, die nicht nur keine „Einmischung“ aller, einschließlich linker Parteien wollen, sondern auch die Wahl einer Führung mit dem Argument ablehnen, dass diese dann den lokalen Komitees oder Individuen ihren Willen aufzwingen würde.

Diese Stimmung, die nicht nur von neu politisierten und radikalisierten Kleinbürgern vertreten, sondern auch von vielen Anarchisten, Autonomen und Libertären geschürt wird, muss offen politisch bekämpft werden. Ohne eine landesweite Koordinierung, die sich auf Massenversammlungen und gewählte Delegierte stützt, wird die Bewegung nie in der Lage sein, einen hoch zentralisierten Feind - die Regierung der Kapitalisten und ihren Repressionsapparat - zu paralysieren, zu zersetzen und zu schlagen.

Dazu braucht die Bewegung auch Selbstverteidigungsorgane und eine aktive Politik, die jede Chance zur inneren Schwächung der Repressionsorgane nutzt, die von einer solchen Führung koordiniert werden.

Ein unbegrenzter Generalstreik, der sich auf solche Organe stützt, wird unwillkürlich die Machtfrage aufwerfen, die Frage, welche Klasse ihr Programm der Gesellschaft aufzwingt - sind es die griechischen Kapitalisten und die Imperialisten oder sind es die ArbeiterInnen im Bündnis mit den Bauern, den Armen und den unteren Schichten des Kleinbürgertums. Er wird aus der vorrevolutionären Lage eine akut revolutionäre machen.

Um aber ein solches Programm durchzusetzen, muss die Arbeiterklasse selbst die Führerin der Volksmassen werden. Sie braucht ein Programm zur Errichtung einer Arbeiterregierung, die sich auf die Organe des Massenstreiks stützt: entstehende Formen von Arbeiterräten und Milizen.

Eine solche Regierung könnte und müsste nicht nur die sozialistische, planwirtschaftliche Umgestaltung Griechenlands in Angriff nehmen - sie könnte die europäische Revolution entfachen.

Ihre wichtigsten, unmittelbaren Aufgaben wären: Streichung der Auslandschulden und Aufkündigung aller Moratorien und Kürzungspakete, die Regierung, EU, EZB, IWF dem Land aufgezwungen haben. Sie würde die Banken und Finanzinstitutionen verstaatlichen, das Vermögen der Superreichen und Spekulanten konfiszieren und all diese einer Staatsbank unter Arbeiterkontrolle reorganisieren. Sie würde die großen imperialistischen und griechischen kapitalistischen Unternehmen enteignen und diese gemäß eines Notplans, um Millionen in Lohn und Brot zu bringen und Produktion und Dienstleistungen im Interesse von ProduzentInnen und KonsumentInnen und unter deren Kontrolle zu reorganisieren. Sie würde Preiskontrollkomitees gegen Inflation und Spekulation einrichten. Sie würde die Arbeitszeit auf 35 Stunden/Woche kürzen und einen Mindestlohn einführen.

Eine solche Regierung würde die Polizei und Repressivorgane auflösen, die stehende Armee durch eine bewaffnet Miliz ersetzen, den bürokratischen Staatsapparat zerbrechen und durch Räte der ArbeiterInnen u.a. nicht-ausbeutender Klassen und Schichten ersetzen.

Revolutionäre Partei

Um die Massen auf den besetzten Plätzen oder die Arbeiterbasis in den Gewerkschaften und Betrieben dafür zu gewinnen, braucht es jedoch nicht nur eines Programms, sondern auch einer Klassenpartei, die entschlossen ist, um die politische Führung und für den Sieg der sozialistischen Revolution zu kämpfen.

Die Gewerkschaftsführungen und die reformistischen Parteien KKE und SYRIZA sind letztlich an das kapitalistische System gebunden. Seit Jahren oder Jahrzehnten haben sie für eine „Reform“ des griechischen Kapitalismus gekämpft. Noch heute hofft ein Teil der Abgeordneten von SYRIZA, dass eine „andere Regierungspolitik“ unter demselben kapitalistischen System durchführbar wäre. Die KKE hofft, dass Griechenland seine „nationale Unabhängigkeit“ wieder gewinnen würde, würde es die Drachme wieder einführen.

Das ist eine Utopie, wenn die Eigentumsverhältnisse unberührt bleiben. Unter einem kapitalistischen, vorgeblich „unabhängigen“ Griechenland würde die Wiedereinführung der Drachme zur Abwertung der nationalen Währung führen. Das würde zwar die Exporte des Landes fördern und auch die Zinslast reduzieren - aber es würde auch die Ersparnisse der Arbeiterklasse und Mittelschichten entwerten und einen enormen Druck von Inflation und Preissteigerung entfachen. Die ArbeiterInnen und Armen würde also nur auf andere Weise gezwungen werden, für die Kosten der Krise zu zahlen.

Anarchisten und Autonome, die durchaus sehr kämpferische Teile der Jugend, der Erwerbslosen und „prekär“ Beschäftigten anziehen, haben keine wirkliche Antwort auf die Krise. Sie müssen mit ihrer Parteifeindlichkeit und ihrer Feindschaft gegenüber der Errichtung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse brechen, wenn sie nicht selbst zu einem desorganisierenden Hindernis für die Lösung der Führungskrise der Arbeiterklasse werden wollen.

In diese Lage hat die „radikale Linke“ Griechenlands, die oft aus „trotzkistischer“ oder „maoistischer“ Tradition kommt, eine enorme Verantwortung. Viele dieser Organisationen erklären, dass die Regierung gestürzt werden muss, ja dass das sie auf revolutionäre Weise gestürzt werden muss. Einige von ihnen stellen wichtige, für sich genommen vollkommen richtige Übergangsforderungen wie z.B. die nach Verstaatlichung der großen Kapitale unter Arbeiterkontrolle.

Aber es fehlt ihnen eine konsequentes Programm zur Machteroberung durch die Arbeiterklasse, ein revolutionäres Aktionsprogramm, ein ganzes System von Übergangsforderungen, das im Kampf um die Arbeiterregierung und die sozialistische Umwälzung gipfelt. Zugleich fehlt es an einer entschlossenen Initiative für revolutionäre Einheit auf Grundlage eines solchen Programms.

Gegenwärtig entwickelt sich in der „Front der anti-kapitalistischen Linken Griechenlands“ (Antarsya) ein Konflikt um diese Frage. Antarsya selbst ist eine Allianz aus 10 Organisationen, die zumeist aus trotzkistischer oder (halb)maoistischer Tradition kommen.

Die größten Gruppierungen - NAR, die auf eine Abspaltung aus der Jugendorganisation der KKE Anfang der 1990er zurückgeht, als die KKE eine Regierungskoalition mit der konservativen NEA bildete, und die SEK (Schwesterorganisation von Marx21) argumentieren, dass Antarsya auch weiterhin nur eine Allianz verschiedener Strömungen bleiben soll.

Andere, wie ODKE-Spartacos (Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale), treten dafür ein, dass Antarsya zu einer Partei werden sollte. Ähnliche Diskussionen entwickeln sich am linken Flügel von SYRIZA bzw. den dort arbeitenden linken Strömungen.

Auch wenn wir mit der programmatischen Basis nicht übereinstimmen, die OKDE-Spartacos für eine solche Partei vorschlägt, stimmen wir darin überein, dass Antarsya und alle, die die Krise der proletarischen Führung lösen wollen, nicht nur für eine „Allianz“ der „anti-kapitalistischen Linken“ eintreten sollen. Wenn eine solche Allianz nicht in eine revolutionäre Partei transformiert wird, die sich auf gemeinsame Programmatik und Disziplin stützt, um für eine revolutionäre Klassenführung in der gegenwärtigen Periode zu kämpfen, werden sich die bestehenden Differenzen zwischen den verschiedenen linken Strömungen nicht verringern, sondern unwillkürlich vertiefen. Schließlich hat die „Front der anti-kapitalistischen Linken Griechenlands“ eine gewisse, progressive Rolle bei der Sammlung von Kräften für eine neue, antikapitalistische Partei und für die Vorbereitung einer revolutionären Partei gespielt. Jetzt geht es darum, dabei voranzuschreiten und eine strategische Hauptaufgabe anzupacken, welcher kämpferische ArbeiterInnen, revolutionäre KommunistInnen und SozialistInnen heute gegenüberstehen: die Schaffung einer genuin revolutionären Partei der Arbeiterklasse, die den griechischen Kapitalismus dort entsorgt, wo er hingehört - auf den Müllhaufen der Geschichte.

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