Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Schuldenkrise

Pause vor dem nächsten Akt

Markus Lehner, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

Am 2. Juli gaben die Finanzminister der Euro-Länder per Videokonferenz eine Überweisung von 12 Mrd. Euro an Griechenlands Staatshaushalt frei. Das ist der vorläufige Schlusspunkt hinter der jüngsten sechswöchigen Griechenlandpanik. Wäre das Geld nicht bis zum 15. Juli überwiesen worden, hätte die Athener Regierung den Staatsbankrot verkünden müssen.

Fünfte Tranche

Dabei sind die 12 Milliarden nur die fünfte Tranche des 110 Milliarden umfassenden ersten „Rettungspakets“ der EU für Griechenland. All diese Transfers sind tatsächlich nur Refinanzierungen alter Staatsschulden - meist bei privaten Anlegern - durch neue Kredite, die über EU, EZB und IWF laufen. Das Risiko der privaten Banken wird also weitgehend von staatlichen Institutionen übernommen. Die besagte „Troika“ aus EU, EZB und IWF verbindet diese Aktion mit einem beispiellosen finanzpolitischen Diktat gegenüber Griechenland. Die neue Tranche sollte nur überwiesen werden, wenn die griechische Regierung ein Programm auflegt, das zu den schon beschlossenen harten Sparmaßnahmen zusätzliche Privatisierungen und Kürzungen im Umfang von 6,5 Mrd. Euro vorsieht - doppelt so viel, wie ursprünglich mit dem IWF vereinbart. Dadurch werden u.a. 150.000 Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes ihren Job verlieren. Dabei liegt die Arbeitslosigkeit durch die Krise schon jetzt bei 16,2%!

Hintergrund des neuesten Spardiktats war, dass gerade das Rezept der Ausgabenkürzungen die griechische Wirtschaft immer tiefer in die Rezession treibt, und deshalb immer deutlicher wurde, dass Griechenland von der Einnahmenseite her keine Chance hat, in den nächsten Jahren aus der Schuldenklemme heraus zu kommen.

Von daher war klar, dass es entweder zu einer Schuldenstreichung („Haircut“) kommen oder weiteres Geld nachgeschossen werden muss. Hier wurden nun heftige Widersprüche im imperialistischen Gefüge deutlich.

Widersprüche unter den Imperialisten

Einerseits kam von Seiten der deutschen Regierung die deutlichste Positionierung Richtung „Beteiligung privater Gläubiger“. Dem deutschen Kapital ist die Stabilisierung des Euro-Raumes für seine Exportinteressen derart wichtig, dass es zu einer Abschreibung von Schulden in gewissem Umfang bereit war - noch dazu, da sich die privaten deutschen Banken, im Gegensatz z.B. zu den französischen schon weitgehend aus Athen zurückgezogen haben.

Dagegen setzte ein Trommelfeuer verschiedenster Vertreter des Finanzkapitals ein: so warnten die drei großen US-Rating-Agenturen (Moody’s, Standard & Poor, Fitch), dass ein Antasten privater Gläubiger Griechenlands zum Staatsbankrott führen würde. In die gleiche Kerbe schlug EZB-Chef Trichet, der vor einem Domino-Effekt warnte. Der IWF erklärte, dass ein Verlust privater Anleger in Griechenland ein Schock-Ereignis ähnlich dem Zusammenbruch der Lehman-Bank für die internationale Finanzwelt sein würde.

Alle Finanzinstitute, die aufgrund ihrer „Systemrelevanz“ ohne jede Frage ihre Zahlungsunfähigkeit durch „bad banks“ und Staatshilfe überwinden konnten, schreien jetzt „Diebstahl“, „Eingriff in das heilige Eigentumsrecht“ etc., wenn es um die Stundung von Staatsschulden geht.

Nachdem der reale Staatsbankrott so immer näher rückte, schwächte Merkel die Schuldenschnittforderung auf eine windelweiche „freiwillige Beteiligung“ der privaten Gläubiger ab. Nachdem klar war, dass dies vom Volumen her außer symbolischen Aktionen wie den 3,5 Milliarden der deutschen Banken - und das auch nur durch Terminverlängerung der Zahlungsverpflichtung - nichts bringt, war auch absehbar, dass Athen ein zweites Rettungspaket von Krediten nach 2013 brauchen würde. Damit begann das gleiche Spiel wieder: die 12 Milliarden-Trance des alten Pakets und das neue Rettungspaket von 135 Milliarden wurden an die besagten noch härteren Spar- und Privatisierungsauflagen geknüpft.

Das letzte Wort hat das Finanzkapital

Somit wurde vor aller Welt offenbar, wer die westlichen „Demokratien“ tatsächlich regiert. Ganz gleich, wen die griechische Bevölkerung ins Parlament wählt; ganz gleich, was Politiker bezüglich der Finanzmärkte beabsichtigen - das letzte Wort hat das Finanzkapital. Als im letzten Monat die Mehrheit des griechischen Ministerpräsidenten für die Sparpolitik zu wackeln drohte, wurde die gesamte griechische Politikerkaste (inklusive Opposition) in den internationalen Zangenangriff genommen, eine Regierungsumbildung erzwungen und die Abgeordneten diszipliniert. Trotz der äußerst heftigen Proteste der Bevölkerung, der eindeutigen Ablehnung in den Meinungsumfragen - in der entscheidenden Abstimmung im Parlament wagte nur ein einziger PASOK-Abgeordneter, sich gegen das Diktat der Finanzmärkte zu stellen.

Kurz darauf war das Aufatmen an den Börsen und Anlagemärkten deutlich an der Beruhigung der Kursverläufe abzulesen. Es herrscht wieder Ruhe - eine trügerische Ruhe. Klar ist, dass das griechische Drama schon in ein paar Monaten weitergehen wird und auf Jahre keine Aussicht auf Erholung besteht. Irgendwann wird das Kapital um die Frage des Schuldenschnitts nicht herumkommen, um aus der Spirale von Geld-Nachschießen und Kaputtsparen herauszukommen.

Klar ist auch, dass die Beruhigung der Finanzmärkte im Moment gebraucht wurde, da demnächst Turbulenzen für einen sehr viel größeren Schuldenstaat zu erwarten sind. Bei den 14,3 Billionen US-Staatsschulden, erscheinen die 330 Milliarden Griechenlands tatsächlich wie Peanuts. Die Auseinandersetzungen um die „Umschuldung“ des US-Staatshaushaltes (die Anhebung der Schuldengrenze ist ein Aspekt davon) verweisen auf den nächsten „Staatsbankrot“, der ein Drama ganz anderer Dimension wäre.

Es liegt auf der Hand: das globale System des Kapitalismus tritt in eine Phase umfassender Staatsbankrotte, mit den entsprechenden weitreichenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Es ist mehr als angebracht, dass die ArbeiterInnen, Jugendlichen und benachteiligten Bevölkerungsgruppen sich dafür wappnen, und den entschlossenen Kampf für eine sozialistische Alternative zu diesem kapitalistischen System aufnehmen!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 161, Juli/Aug 2011
*  Schuldenkrise: Pause vor dem nächsten Akt
*  Angriffe in Europa: Koordinierter Widerstand notwendig
*  Griechenland: Wie weiter nach dem Generalstreik?
*  Druckerstreik: Ein Manteltarifvertrag - zu welchem Preis?
*  10 Jahre ver.di: Kein Grund zum Feiern
*  Nordafrika/Nahost: Permanente Revolution
*  Syrien: Widerstand wächst
*  Bürgerkrieg im Jemen: Reaktion oder Revolution?
*  Anti-Semitismus-Debatte in der Linkspartei: Auf Regierungskurs
*  Heile Welt
*  Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Ein paar Ausrutscher?
*  Pakistan: Eine neue Kampfperiode
*  Stuttgart 21: Sieg oder Niederlage?



Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::