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Indien

Generalstreik gegen die Krise

Simon Hardy, Neue Internationale 153, Oktober 2010

Die ArbeiterInnen in Indien demonstrierten am 7. September ihre Macht, als etwa 100 Millionen einen Tag lang streikten. Es war bereits der zweite Streik innerhalb von zwei Monaten. Dem Streik schlossen sich auch Beschäftigte aus den Bereichen Versicherungen, Technik, Textil und Schiffbau an.

Die Schwerpunkte der Streikbewegung lagen in Südkerala und Westbengalen, zwei Bundesstaaten, in denen die KP Indiens/Marxisten regiert. Sie verfügt noch über einen relativ großen Arbeiteranhang, ist aber zu einer offen prokapitalistischen Partei geworden, die in den letzten Jahren auch nicht vor brutalen Polizei- und Bandeneinsätzen gegen protestierende ArbeiterInnen und Bauern zurückschreckte.

Dennoch hat das der KPI/M angegliederte Zentrum der Indischen Gewerkschaften (CITU) die Streiks geführt. Auch der Allindische Gewerkschaftskongress (AITUC) und der Indische Nationale Gewerkschaftskongress (INTUC), die der auf Staatsebene amtierenden Kongresspartei nahe stehen, schlossen sich an.

Der Streik wurde insgesamt von 8 Gewerkschaften organisiert, die in einem Koordinationsausschuss zusammen arbeiteten. Dies ist der erste landesweite Streik auf derart breiter Grundlage. Nur die der Bharatija Janata Partei (BJP) nahen Gewerkschaften blieben den Streikvorbereitungen fern. Offenbar spüren die Partei- und Gewerkschaftsführer den Druck der Arbeitermassen, die von den Auswirkungen der Krise voll getroffen werden - trotz der spürbaren Erholung der indischen Wirtschaft.

Die Streiks richteten sich v.a. gegen die Preiserhöhungen, gegen den gewaltigen Arbeitsplatzabbau, gegen eklatante Verletzungen von Arbeitsgesetzen und den Mangel an ausreichendem Schutz für unorganisierte ArbeiterInnen. Sie forderten auch Verbesserungen der sozialen Sicherheit, die Wiedereinstellung von während der Rezession entlassener ArbeiterInnen sowie mehr Beihilfen für Erwerbslose. Insofern waren die Streiks auch ein nachahmenswertes Vorbild für die Arbeitereinheit von Erwerbslosen und Beschäftigten gegen die Spaltungsversuche der Kapitalisten.

In einigen Gegenden befanden sich auch Bergleute im Streik. Sie organisierten Protestmärsche und forderten von der Regierung Maßnahmen gegen die Preistreiberei bei Versorgungsgütern.

Der Streik war auch im Bankenbereich sehr wirkungsvoll. Die meisten Zweigstellen wurden geschlossen. Die Bankangestellten sind besorgt über Pläne zur Ausweitung von Auslandsinvestitionen in Indien, die zur Privatisierung des zu 70% in öffentlicher Hand befindlichen Bankensektors führen sollen. Die nationalen und regionalen kapitalistischen Eliten fordern immer stärker eine Privatisierung von Banken und Industrien, weshalb die ArbeiterInnen verständlicherweise erzürnt sind über weitere Ausverkäufe für den Profit ihrer Ausbeuter.

Der Streik führte auch zur Annulierung vieler Flüge und zur Schließung von Einrichtungen auf Flughäfen. Die Beschäftigten der Luftfahrtindustrie nahmen ebenfalls an den Massendemonstrationen und -kundgebungen teil und debattierten über die Krise und die Gegenwehr der Arbeiterklasse.

Auswirkungen der Krise

Die indische Bundesregierung verweist auf den höchsten Anstieg der Wachstumsrate seit 2007: 8,8% im 2. Vierteljahr 2010. Wenn dies auch ungefähr stimmen mag, so bedeutet die Zunahme des Bruttosozialprodukts dennoch keineswegs eine unmittelbare Verbesserung des Lebensstandards der Massen. So stieg z.B. die Inflation im Juli auf 9%. Selbst deren Rückgang auf 7% im September verursacht trotzdem immer noch genug soziale Härten. Rund 830 Millionen ArbeiterInnen leben in Indien von weniger als zwei Dollar am Tag.

Der Kapitalismus hat sich seit dem letzten Jahrzehnt im Land immer weiter ausgedehnt und neue Sektoren in den Kapitalkreislauf gezogen. Trotz des hohen Wachstums sind die großen Wirtschaftsprobleme geblieben, einige bestehen schon seit der Kolonialzeit und den halbfeudalen Landbesitzverhältnissen. Das Leben ist für das Gros der Landbevölkerung und in den wuchernden Elendsvierteln der Großstädt keineswegs leichter geworden.

Indien hat in den vergangenen Jahren mehrere 24stündige Streiks erlebt, an denen Millionen ArbeiterInnen beteiligt waren. Aber die Gewerkschaftsspitzen haben stets dafür gesorgt, dass die Lohnabhängigen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gingen.

Wenn die Arbeiterklasse wirklich die Kürzungs- und Privatisierungsprogramme der Regierung aus der Welt schaffen will, muss sie unbefristet streiken und die Regierung zwingen, ihre Ausverkaufspläne fallen zu lassen und die Löhne im Öffentlichen Dienst sowie die Erwerbslosenhilfe anzuheben.

Wenn aber die Machtfrage gegen die kapitalische Elite in Indien und die Befreiung der Bauernschaft, die immer noch 52% der Erwerbstätigen stellt, erhoben werden soll, muss eine revolutionäre Partei für die ArbeiterInnen und armen Bauern in Indien aufgebaut werden. Eine solche Partei würde für die Enteignung der großen Privatindustrien und Banken unter Arbeiterkontrolle eintreten und die Bauernschaft in einer Bewegung zur Beendigung des Großgrundbesitzes führen. Sie würde auch die Selbstbestimmung für Kaschmir fordern, wo schon viele Wochen lang ein Aufstand von Jugendlichen durch bewaffnete indische Staatsorgane brutal unterdrückt wird.

Eine revolutionäre Partei würde die Anerkennung des Rechts der einheimischen Bevölkerung von Ost- und Nordindien fordern. An der Spitze einer Massenbewegung könnte eine solche Partei die Kongress -oder BJP-Regierung stürzen und an die Macht gelangen. Sie müsste für eine Arbeiter- und Bauernregierung, die auf Arbeiterräten in Stadt und Land ruht, kämpfen. Diese Orientierung wäre ein Grundriss für eine revolutionäre Strategie in Indien heute.

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Nr. 153, Okt. 2010
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