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Europäischer Aktionstag

Wo bleiben die DGB-Gewerkschaften?

Theo Tiger, Neue Internationale 153, Oktober 2010

Am 29.9. wird es in vier europäischen Staaten gleichzeitig zum Generalstreik gegen die dortigen Sparpakete kommen. In Portugal, Spanien, Italien und Griechenland werden Arbeiterbewegung und Jugend ihren Widerstand auf die Straße bringen. Gleichzeitig gibt es eine Großdemonstration in Brüssel, wo v.a. französische, belgische und niederländische AktivistInnen erwartet werden. Dies ist ein spätes, aber sehr wichtiges Zeichen internationalen Widerstands.

Angriffe in ganz Europa

Während Griechenland im Frühjahr die Sparangriffe von EU und IWF aufgezwungen wurden, gab es nur vereinzelt Solidarität in Europa, aber jetzt ist die Situation anders. Der neue britische Premier Cameron brachte seine Regierungspolitik auf den Punkt: „der britischen Bevölkerung steht ein Jahrzehnt des Leidens“ bevor“. Damit war diese „schwarz-gelbe“ Regierung zumindest ehrlich.

Fast überall in Europa gibt es jetzt Sozialkürzungen bei den Armen, Arbeitslosen und den öffentlich Beschäftigten - dagegen brauchen wir ein Jahrzehnt des Widerstands!

Griechenland hat gezeigt, dass eintägige Generalstreiks - auch wenn sie Hunderttausende mobilisiert haben - nicht ausreichen. Natürlich sind eintägige Generalstreiks, im Vergleich z.B. mit Deutschland ein Fortschritt, in Griechenland aber sind sie Tradition der gewerkschaftlichen Kämpfe.

In Griechenland sitzt die Regierung „fest“ im Sattel und die Parteien und Organisationen der Linken in Griechenland haben es nicht geschafft, eine Alternative, eine Gegenmacht der ArbeiterInnenklasse und der Jugend zu organisieren. Es gibt keine wirkliche Einheitsfront gegen das Spardiktat von Staat und Kapital, es gibt keine Basiskomitees und Strukturen der Mehrheit der Bevölkerung. Es gibt kein klares Aktionsprogramm mit dem Ziel des Sturzes der Regierung und der Bildung einer Arbeiterregierung, die sich auf die Kampf- und Selbstverteidigungsorgane eines Generalstreiks stützt und als Brücke zur Machtergreifung des Proletariats dient. So besteht die Gefahr, dass die griechische Arbeiterklasse ihren heldenhaften Kampf verliert.

Diese bittere Perspektive droht sich auch in anderen Staaten zu wiederholen. Auch in Portugal, Spanien und Italien werden zunächst eintägige Generalstreiks ausgerufen, unklar bleibt aber, was danach geschehen soll.

Deswegen soll der 29. September zum Auftakt für einen europäisch koordinierten Klassenkampf gegen die Sparprogramme und die Krise werden!

Warum erst jetzt?

Als die Wirtschaftskrise tobte und Billionen dem Kapital zugeschanzt wurden, gab es relativ wenig internationalen Widerstand: die Proteste gegen das G20-Treffen in London und der versetzt stattfindende Protesttag der europäischen Gewerkschaften im Juni 2009 - das war alles. Damals waren die Führungen der großen Gewerkschaften auch nicht daran interessiert, gegen die Bürgschaften und Konjunkturprogramme fürs Kapital mobil zu machen, im Gegenteil: auch sie wollten „ihren“ Standort und zudem das Weiterfunktionieren des Kapitalismus sichern. So wurden auch in Deutschland Kurzarbeit, Abwrackprämien u.ä. ausgehandelt, um die Kernbelegschaften - die Arbeiteraristokratie - zu sichern.

Die Gewerkschaftsführungen waren und sind Co-Manager von Kapital und Staat. Sie sichern die Prunkstücke der Bourgeoisie und demobilisieren und demoralisieren zugleich die Klasse.

Während der Krise wurden die Löhne durch das Kurzarbeitergeld massiv gesenkt, diese Regelung wird jetzt noch bis 2012 gültig sein. Der Klasse wurde versprochen, dass wir „gemeinsam“ durch die Krise kommen und die Bosse nur mehr auf die Gewerkschaften hören müssten, dann ginge es auch mit dem Standort voran.

Doch diese Argumentation der letzten zwei Jahre ist brüchig geworden. Die Sparangriffe auf Kosten der Ärmsten, die Gesundheitsreform, die immer mehr in die Pleite rutschenden Kommunen - all das zwingt auch die Gewerkschaftsführungen zum Handeln. Es ist der Klasse kaum zu vermitteln, dass „wir unseren Anteil“ an der Lösung der Krise leisten, die Reichen und Konzerne jedoch nichts dazu beitragen, sondern wie aktuell die HRE nur weiter mit den nächsten Milliarden-Bürgschaften gefüttert werden.

Dieser Realität müssen sich die Gewerkschaftsführungen stellen - und sie tun es mit dem Europäischen Aktionstag und in Deutschland mit „Aktionswochen“ im Herbst.

Für einen europäischen Abwehrkampf! Für den politischen Massenstreik!

Anfang Oktober gibt es in Paris ein Arbeitstreffen von AktivistInnen des Europäischen Sozialforums (ESF) zur Frage, wie es nach dem 29.9. weitergehen soll. Dabei wollen die „linken“ Bürokraten der Gewerkschaften sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und die Illusion verbreiten, das nun jedes Land für sich in der Lage wäre, die Kämpfe zu gewinnen. Doch das ESF in Istanbul vom August 2010 hat bewiesen, dass es derzeit weit davon entfernt ist, eine produktive Rolle im europäischen Klassenkampf zu spielen.

Gemeinsam mit AktivistInnen aus den verschiedenen Anti-Krisenbündnissen sollten wir daher die Möglichkeit wahrnehmen und das ESF auffordern, Aktionskonferenzen für den Widerstand gegen die Sparangriffe zu organisieren: Wir brauchen eine europäische Vernetzung der AktivistInnen!

Gleichzeitig müssen wir die Gewerkschaften auffordern, den Kampf aufzunehmen und weiterzuführen. Treffen und Konferenzen haben letztlich nur einen Sinn, wenn dort auch gemeinsame Strategien und Aktionen für die nächsten Wochen und Monate diskutiert und geplant werden.

Wir brauchen gemeinsamen Widerstand und dafür brauchen wir europäische Strukturen, bestimmt durch die Anti-Krisenbündnisse in den einzelnen Staaten - dies ist eine der wichtigsten Aufgaben für den Herbst!

Was tun in Deutschland?

Hier haben sich die Gewerkschaften ver.di und IG Metall für Aktionswochen im Oktober entschieden. Während ver.di die Kürzungen und die schlechten Arbeitsbedingungen im öffentlichen und sozialen Bereich zum Thema macht, wird die IGM unter dem Motto „Kurswechsel für ein gutes Leben“ für Großdemos am 13.11. mobilisieren.

Bezeichnend ist dabei, dass es zwischen den beiden Schwergewichten des DGB wenig Kooperation gibt und die anderen Einzelgewerkschaften bislang kaum integriert sind. Auffallend ist leider auch, dass die IGM die Großdemonstrationen nur im Westen plant, im gesamten Osten, inklusive Berlin, ist nichts geplant! Keine Proteste im Osten zu organisieren, vertieft die reale Spaltung der Klasse in West und Ost und schwächt die Gesamtbewegung von vornherein.

Auch die Intransparenz, mit der die Gewerkschaftsapparate ihre Aktionswochen derzeit planen, spricht Bände über ihr Verständnis von „Aktions- oder Protestwochen“. Im Vorfeld gibt es Funktionärskonferenzen, die von oben „durchgeplant“, wo nicht die wenigen, eingeladenen kritischen Vertrauensleute, Betriebsräte und AktivistInnen erst gar nicht zu Wort kommen. Gruppen oder Bündnisse außerhalb der IGM werden nicht eingeladen und offene Bündnisse mit Anti-Krisen-AktivistInnen werden abgelehnt. Dadurch werden auch bewusst jene ausgeschlossen, die am meisten von den Sparangriffen betroffen sind: die Arbeitslosen!

Wie weiter mit den Anti-Krisenbündnissen?

Wir müssen die Aktionswochen unterstützen und dabei eine Frage in den Mittelpunkt stellen: Wie kommen wir zu Massenwiderstand gegen Schwarz/Gelb?

Wenn überall in Europa Streiks stattfinden, in Frankreich Millionen gegen die Rentenreform auf der Straße sind, müssen wir diese Perspektive für Deutschland aufwerfen. Während der Aktionswochen haben wir die Möglichkeit, auch KollegInnen aus den Betrieben für den Widerstand gegen die Krisenpolitik zu gewinnen.

Natürlich werden die Gewerkschaftsspitzen alles versuchen, das zu verhindern. Wir müssen versuchen, mehr KollegInnen und betriebliche Strukturen in die Anti-Krisenbündnisse zu holen. Wir müssen mit ihnen gemeinsam in den Betrieben Aktionskomitees gegen Krise und Sparangriffe aufbauen und sie mit anderen Spektren von Widerstand (z.B. Bildungsproteste, Montagsdemos gegen Stuttgart 21) verbinden. So können wir auch die vorhandene Spaltung zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen überwinden.

In den Anti-Krisenbündnissen wird die Linkspartei versuchen, den Protest auf ihre politische Linie einzuschwören. Diese bestand bisher darin, das Krisenmanagement der Regierung kritisch zu unterstützen, sich tw. an Protesten zu beteiligen, jedoch jede weiterführende, antikapitalistische Perspektive zu blockieren. V.a. aber vermied sie tunlichst, die Blockadehaltung der Gewerkschaftsbürokratie zu kritisieren oder gar dagegen eine Opposition in den Gewerkschaften und Betrieben gegen die Bürokratie aufzubauen.

Auf der anderen Seite werden autonome Gruppen für symbolische Aktionen werben, die meist keinen Bezug zur Klasse haben. So sind diese Gruppen im Berliner Anti-Krisenbündnis der Meinung, dass wir gar keine Demo am 13.11. in Berlin bräuchten!!!

Als RevolutionärInnen müssen wir uns dieser Hindernisse bewusst sein und alles dafür tun, um die Schaffung einer Massenbewegung gegen die Sparpakete und Schwarz/Gelb aufzubauen! Wir werden diese Orientierung mit der revolutionären Perspektive des Sturzes des Kapitalismus zu verbinden - ohne letztere zur Vorbedingung von Zusammenarbeit zu machen.

Für eine schlagkräftige Bewegung brauchen wir jede Organisation, jede Struktur, die sich auf die ArbeiterInnenklasse und die Jugend stützt - wir brauchen die Einheitsfront im Kampf gegen die Krise und die Sparangriffe!

Wie weiter?

Auch die aktuelle Tarifrunde in der Stahlindustrie bietet die Möglichkeit, die Anti-Krisenbewegung auch dort zu verankern. V.a. der Kampf gegen die Leiharbeit ist dabei wichtig und muss zum Ziel aller AktivistInnen werden: Weg mit der Leih- und Zeitarbeit! Wir müssen die KollegInnen in ihrem Kampf um Lohnerhöhungen unterstützen und dafür eintreten, dass diese für alle Beschäftigten gelten! Wenn wir gemeinsam gegen die Sparpakete kämpfen, dann können wir auch die Arbeitslosen und Armen in dieser Gesellschaft verteidigen und in die Bewegung hineinziehen und Schwarz/Gelb ins Wanken bringen!

Aber dazu brauchen wir mehr als nur Aktionswochen - dazu brauchen wir eine bundesweite und internationale Anti-Krisenbewegung, die sich auf lokale Strukturen in Stadt, Betrieb, Uni oder Schule stützt!

Beschäftigte, Arbeitslose, GewerkschafterInnen, die Anti-Atom-Bewegung, die Bildungsbewegung, die Protest-Bewegung gegen S21 und die Gruppen der Anti Krisenbündnisse - wir alle zusammen können eine mächtige Bewegung gegen diese Regierung aufbauen!

Die Gruppe Arbeitermacht will dazu mit allen Organisationen und AktivistInnen, die das Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise“ unterstützen, gemeinsam kämpfen: in den Bündnissen, in den Betrieben und auf der Straße. Unsere Hauptziele für die Bewegung sind dabei politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik, weil letztlich nur diese Kampfmethoden genug Energie entwickeln, um Staat und Kapital zum Einlenken zu bewegen. Alle Aktionen, z.B. die symbolischen Bankenbesetzungen, müssen dafür genutzt werden, dieses Ziel zu popularisieren, Strukturen  aufzubauen und zu vernetzen.

Wie jeder Streik können auch solche Massenstreiks ihre entscheidende Basis nur in den Betrieben haben. Um diese zu schaffen, um die Beschäftigten zu gewinnen, er es politisch unbedingt notwendig, die Blockadepolitik der Gewerkschaftsbürokratie und vieler Betriebsräte zu attackieren! Kampf  gegen die Krise bedeutet daher immer auch, für den Aufbau von Basisstrukturen, ja einer klassenkämpferischen Basisbewegung in Betrieb und Gewerkschaft zu kämpfen - als Alternative zur Bürokratie.

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Nr. 153, Okt. 2010
*  Konjunktur und Krise: Massenstreiks statt Massenverarmung!
*  Unsere Forderungen im Kampf gegen die Krise
*  Europäischer Aktionstag: Wo bleiben die DGB-Gewerkschaften?
*  Esslingen: Schluss mit Agenda 2010
*  "Der gesellschaftliche Streik": Postautonomer Opportunismus
*  100.000 demonstrieren gegen Regierung und Atomlobby: Schwarz/Gelb abschalten!
*  § 219 und Zwangsabtreibung: Mein Bauch gehört mir!
*  Abschiebung der Roma in Frankreich: Alltäglicher Rassismus in der EU
*  Alice Schwarzer: Alles verschleiert
*  Indien: Generalstreik gegen die Krise
*  Buchbesprechung: Ich erhebe meine Stimme
*  20 Jahre deutsche Einheit: Kein Grund zum Feiern
*  Heile Welt
*  Gewerkschaften und S 21: Der große Eiertanz
*  Kampf gegen Stuttgart 21: Baustopp statt Gemauschel