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Institut Solidarische Moderne

Regieren neu denken

Martin Suchanek, Neue Internationale 147, März 2010

Ein substantieller politischer Gegenentwurf zur Ideologie des Neoliberalismus ist überfällig“ - so heißt es im „Gründungsaufruf“ des „Instituts Solidarische Moderne“ (ISM).

Moment! Hatten wir das nicht auch schon? Treten nicht SPD, SPD-Linke, die Grünen, die Linkspartei, davor PDS und WASG, diverse Parteistiftungen, attac, linke AkadmikerInnen, Gewerkschaftskonferenzen, dutzende „Netzwerke“ und NGOs genau mit dem Versprechen an, einen solchen zu erarbeiten oder zu vertreten? Nun sitzen VertreterInnen ebendieser Gruppierungen am Tisch, gründen eine „Denkfabrik“ und tun so, als wüssten sie allesamt nichts davon, was sie gestern noch vertreten haben. Und so umfasst der letzte Teil des Papiers nur eine schier endlose Liste von Fragen - Fragen, auf die PolitikerInnen aus SPD, Grünen, Linkspartei u.a. schon seit Jahren „Antworten“ unterbreiten und für diese auch gewählt werden wollen.

Warum dieses Versteckspiel?

Ganz einfach: Weil eine allzu genaue Betrachtung von Antworten zeigen würde, dass diese ebenso wie die „Fragen“ der Beteiligten nicht so neu sind und dass sie völlig auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung bleiben.

Der Zweck dieses „wissenschaftlichen“ Instituts, dieser „Denkfabrik“ ist, wie bei jedem Think Tank einer bürgerlichen Partei, nicht Erkenntnisgewinn, sondern die ideologische Vorbereitung eines politischen Ziels, einer zukünftigen rot/rot/ grünen Regierung. Im Jargon des Gründungsaufrufs: „Die gemeinsame Suche nach Alternativen ist ein entscheidender Beitrag dazu, dass aus der fragenden gesellschaftlichen Mehrheit wieder eine politische Mehrheit in demokratischen Wahlen wird.“

„Tagespolitische Fragen“ sollen, so Mitbegründerin Ypsilanti (SPD), außen vor bleiben. Klar, schließlich sollen die Arbeit an „geschlossenen Zukunftskonzepten“, der Kampf für Hegemonie und die Vorbereitung einer etwaigen Koalition ab 2013 nicht unnütz erschwert werden - etwa durch profane Frage wie jener zur Haltung zum Krieg in Afghanistan oder zum Abzug der Bundeswehr. Stattdessen soll gemeinsam und über alle Differenzen hinweg über „ein nicht-militärisches Verständnis von Sicherheit“ fragend schwadroniert werden.

Natürlich soll auch keine grundlegende Alternative zum Kapitalismus oder gar die Frage nach einer sozialistischen Gesellschaftsordnung aufgeworfen werden, sondern - wieder einmal - nur eine „Alternative zum Neoliberalismus“, wobei alle keynesianischen Reformkonzepte des letzten Jahrhunderts neu erfunden werden können.

Schließlich soll das Institut, „Konzepte“ entwickeln, die „den Neoliberalismus“ ablösen können und an seiner statt die ideelle Vorherrschaft in der bürgerlichen Öffentlichkeit übernehmen können, weil eine andere Regierung nur auf Basis anderer hegemonialer Verhältnisse ihr Reformprojekt umsetzen könne. Auch das ist natürlich kein gerade neuer Gedanke.

Aber es wird so getan, als würde ein „ganz neues Projekt“ gedacht werden und so suggeriert, dass eine daraus erwachsende „Reformregierung“ ganz anders wäre als bisherige.

Diese Methode hat auch den „Vorteil“, dass sich die UnterstützInnen des Instituts nicht mit der nahe liegende Frage plagen müssen, warum z.B. alle bisherigen „Reformregierungen“ unter Beteiligung von SPD, Linken, Grünen oder ihren verschiedenen Schwesterparteien nicht einmal ihre Reformversprechen erfüllen konnten, sondern nur die Interessen der herrschenden Klasse umsetzten oder warum der bürgerliche Staatsapparat letztlich den Interessen des Kapitals diente und nicht denen der Arbeiterbasis von SPD und Linkspartei?

Der Inhalt des Gründungsaufrufs ist also die politische und ideologische Vorbereitung einer zukünftigen Mitte-Links-Koalition. Begründet wird dieses Ziel im Papier damit, dass die Welt nach einem „neuen Politikentwurf“, nach „politisch realisierbaren Antworten“ verlange. Was verstehen die diversen „VordenkerInnen“ darunter?

„Die Verbindung von „Verteilungssensibilität“ der ‚alten' und die individuellen Selbstbestimmungsansprüche der ‚neuen' Linken.

Unter dem Begriff der Solidarischen Moderne verstehen wir die so dringend erforderliche Versöhnung zwischen den emanzipatorischen Ansätzen der Industrie- und der Postmoderne und ihre Weiterentwicklung zu einer sozial-ökologischen Antwort auf die Fragen der neuen Zeit.“

Die „alte“ Linke, die im Papier auch gern „Industrielinke“ genannt wird, hätte sich seit Anbeginn mit dem Kampf um gerechtere Verteilung des Mehrprodukts konzentriert. Damit wäre sie mit dem Beginn der „Postmoderne“ an ihre Grenzen gestoßen und eine neue, „postindustrielle“ Linke wäre entstanden, die sich um Ökologie, Frauenrechte, Frieden und Selbstverwirklichung gekümmert hätte. Diese beiden Teile der Linke gelte es zusammenzuführen.

Postindustrielle Gesellschaft?

Die These von der Ablösung der „industriellen“ durch eine „postindustrielle“ Gesellschaft wird seit den 1980ern von diversen bürgerlichen Soziologen vertreten. Ihr eigentlicher politischer Zweck lag darin, dass so eine angeblich abnehmende Bedeutung der Arbeiterklasse und des Klassenkampfes „bewiesen“ werden sollte. Sie war und ist Teil einer politisch-ideologischen Offensive des Kapitals, die durchaus Wirkung zeigte. Sie wurde von reformistischen wie kleinbürgerlichen Linken (z.B. bei Gründung der Grünen) in verschiedensten Facetten wiederholt.

Das Institut übernimmt die These ebenfalls und gibt ihr eine eigene Note. Unter der Hand wird die Geschichte der Linken umgeschrieben. Der „alten“ Linken wird unterschoben, dass ihr strategisches Ziel „Umverteilung“ gewesen wäre. Die kommunistische Bewegung und der Marxismus gab es offenbar nicht. Dass der revolutionäre Flügel der Arbeiterbewegung den entscheidenden Hebel zur Veränderung der Gesellschaft nicht in den Verteilungsverhältnissen und einer „gerechten Verteilung“ sah, sondern in den ihr zugrunde liegenden Eigentumsverhältnissen und damit der Enteignung der Kapitalisten durch eine sozialistische Revolution wird im Text geflissentlich übergangen.

Auch die „neuen“ Probleme waren der „alten“ Linken nicht ganz unbekannt, schließlich gab es auch vor dem „postindustriellen“ Zeitalter eine proletarische Frauenbewegung oder den Kampf gegen Imperialismus und Militarismus.

Diese Geschichtsklitterung des Instituts verfolgt einen einfachen Zweck: „Umverteilung“ plus „Selbstverwirklichung“ im Rahmen des bestehenden politischen Systems und auf Basis der bestehenden Eigentumsverhältnisse als die zwei einzig möglichen Ziele „linker“ Politik darzustellen.

Daher darf im Gründungsdokument auch eine Standardfloskel nicht fehlen: „Die ‚Debatten' darüber, was ‚links' ist, haben in der Vergangenheit allzu oft dazu geführt, die gesellschaftliche Linke zu spalten, sie handlungs- und politikunfähig zu machen.“

Jetzt wissen wir's: Nicht die Regierung Schröder/Fischer hat uns die Hartz-Gesetze eingebrockt, nicht die reformistischen Politiker der SPD und die Bürokraten in den Gewerkschaftsvorständen haben die Monatsdemos bekämpft und ihre Verbindung mit der betrieblichen Arbeiterklasse verhindert - vielmehr war es „die Debatte“! Womöglich spaltet ja auch nicht die Politik der Berliner und Brandenburger Koalitionsregierungen aus SPD und DIE LINKE die „gesellschaftliche Linke“, sondern nur das viele Gerede darüber. Oder ist vielleicht das Problem am imperialistischen Krieg und Besatzung Afghanistans gar nicht die Unterdrückung der dortigen Bevölkerung? Vielleicht sind es nur unsere ewigen „Debatten“ darüber!?

Die Frage nach dem Klassencharakter linker Politik, die Frage, ob sie revolutionär-proletarisch sein oder aber auf den bestehenden Eigentumsverhältnisse basieren soll, hat nicht diskutiert zu werden! Links ist, was reformistisch ist. Damit hat sich die Sache, alles andere spaltet nur!

Diese Sicht zeigt auch unfreiwillig den wirklichen, bürgerlichen Charakter des Reformismus. Von seinem Standpunkt aus ist die Revolution v.a. eine Gefährdung „vernünftiger“ Reformen, die auch „machbar“ erscheinen. Daher erscheint für ihn als „links“ auch nur der Reformismus.

Insgesamt wird mit obigen Diskussionsverboten und Thesen zugleich auch der grundlegende Unterschied der Reformpolitik von SPD und Linkspartei mit revolutionärer Politik verschleiert. Der Reformismus ist nämlich keine „Arbeiterpolitik“, die „nur“ für Verbesserungen eintritt. Er ist vielmehr eine Form bürgerliche Politik, d.h. einer Politik, welche die bestehenden Eigentumsverhältnisse, also letztlich die Herrschaft des Kapitals, verteidigt.

Was SPD und Linkspartei von den Grünen unterscheidet ist einzig, dass SPD und Linke besondere bürgerliche Parteien sind, nämlich solche, die sich sozial, historisch, organisch auf die Arbeiterklasse, auf die Arbeiterbewegung (v.a. über die Gewerkschaften) stützen. Das engt den Spielraum dieser Parteien ein Stück weit ein, weil sie auch die Bedürfnisse ihrer proletarischen Basis beachten und deshalb „linke“ Versprechungen machen müssen. Andererseits haben sie für die herrschende Klasse den Vorteil, dass sie die organisierte Arbeiterklasse oft besser ruhigstellen können, als das eine „normale“ bürgerliche Partei wie die CDU oder die Grünen kann.

Durch die Politik der SPD an der Regierung hat die Sozialdemokratie nicht nur ihre Treue zum deutschen Imperialismus und ihren, spätestens seit 1914 offen bürgerlichen Charakter erneut unter Beweis gestellt. Es hat sich auch gezeigt, dass eine SPD an der Regierung sehr viel schwerer ihre Basis halten kann. Die SPD hat sich zumindest zum Teil selbst für „ihr Land“, also für das der herrschenden Klasse, geopfert.

Im Kleinen macht das die Linkspartei heute in Berlin und Brandenburg auch und lernt so, das später auch im Bund „verlässlich“ zu tun.

Die Krise des Reformismus - v.a. der SPD - bedeutet aber auch, dass sich beide Oppositionsparteien im Verbund mit den Grünen neu aufstellen müssen. Der „alte“ Reformismus muss neu getüncht werden, damit er wieder wahltauglich wird.

Das „Neue“ muss „anders“ daherkommen. Und wer wäre dazu sowie für die Vorbereitung einer SPD-LINKEN-Zusammenarbeit besser geeignet als Andrea Ypsilanti (SPD) und Katja Kipping (DIE LINKE)? Aus der SPD-Spitze gibt es fast niemand, der glaubhaft eine Kehrtwende zu einer „links-reformistischen“ Rhetorik oder einer „ergebnisoffenen“ Zusammenarbeit mit der Linkspartei machen könnte, ohne unglaubwürdig zu sein.

Kipping hat den Vorteil, dass sie - anders als ausgewiesene Parteirechte wie Lederer, Wawzyniak usw. - einen Ruf als „links“ und „bewegungsnah“ genießt. Dieses ganz und gar unberechtigte Vorurteil teilt selbst die „radikale“ Linke.

Um das „Institut“ noch schmackhafter zu machen, darf die „radikale Linke“ im Sprechergremium - in Person von Thomas Seibert, von IL und attac - nicht fehlen. Auch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, was das ISM auftischt: alten reformistischen Wein in neuen Schläuchen.

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Nr. 147, März 2010
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