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IG Metall

Ausverkauf auf neuer Stufe

Frederik Haber, Neue Internationale 147, März 2010

Noch nie gab es für einen Tarifabschluss so wenig Kritik und Protest aus den Reihen der IG Metall. Und dieser Ausverkauf hätte es wahrhaft verdient.

Tarife und Laufzeit

Für die elf Monate zwischen Mai 2010 und März 2011 müssen sich die rund 3,4 Millionen Beschäftigten der Metallbranche mit zwei Einmalzahlungen von insgesamt 320 Euro begnügen, die nicht in die Entgelttabelle einfließen. Im April 2011 gibt es dauerhaft 2,7 Prozent mehr Geld. Diese Erhöhung kann allerdings auf Betriebsebene um zwei Monate vorgezogen oder nach hinten verschoben werden. Der Vertrag läuft bis Ende März 2012, also 23 Monate.

Vor diesen Verhandlungen hatte die IG Metall verkündet, dass die Sondierungsgespräche ergeben hätten, dass beide Seiten eine kurze Laufzeit wünschen. Jetzt hat die IGM nichts mehr in der Hand, falls in den nächsten 2 Jahren die Inflation an Tempo zulegt, was allgemein erwartet wird. Offensichtlich brauchte dieser Abschluss irgendwo noch eine „Erhöhungskomponente“, denn der Rest ist weitgehend Verzicht.

Klientelschutz statt Perspektive

Der größte Verzicht ist derjenige auf eine gewerkschaftliche Arbeitszeitverkürzung. „Gewerkschaftlich“ heißt in diesem Fall als Flächentarif, für alle Beschäftigten und Betriebe der Branche. Das wäre ein „Beschäftigungspakt“, der Erwerbslose wieder in Arbeit bringen kann und der ein positives Signal für alle anderen Branchen aussenden würde. Aber die Perspektive der IG Metall ist beschränkt auf das, was sie für die Reste der Stammbelegschaften als die letzten Privilegien sichern kann.

So wird im Pakt mit Regierung und Kapital die Kurzarbeit verlängert auf Kosten der Beitragszahler, der Steuerzahler und vermutlich bald der Arbeitslosen, die mit Kürzungen zu rechnen haben. Die traute Eintracht ist nur verständlich vor dem Hintergrund, dass für viele Betriebe Kurzarbeit eine massive Subvention darstellt. Gegen Hunderte von Betrieben allen in Baden-Württemberg liefen oder laufen Untersuchungen. Beispielsweise kassieren Betriebe und Beschäftigte Kurzarbeitergeld, arbeiten aber trotzdem. Aber selbst ohne offenen Betrug ist es oft möglich, die Arbeitsintensität um z.B. 10% zu erhöhen und die Leute dann für diese Zeit auf allgemeine Kosten nach Hause zu schicken.

Für die Gewerkschaft und die Betriebsräte geht es andererseits darum, den auch in ihren Augen unausweichlichen und von den Unternehmen letztlich konsequent angepeilten Personalabbau so schmerz- und geräuschlos wie möglich zu gestalten. Das lassen sie sich und die Belegschaften was kosten. War vor Jahren die IGM im Südwesten noch stolz darauf eine recht üppige Aufzahlung auf das Kurzarbeitergeld vereinbart zu haben, sollen jetzt für KurzarbeiterInnen nach 12 Monaten Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld individuell gekürzt werden. Betriebsräte dürfen auch für ganze Belegschaften hier verzichten, wenn die Kurzarbeit 12 Monate dauert. Der Gewinn dafür ist Kündigungsschutz. Nur, den gäbe es bei Kurzarbeit natürlich auch ohne Verzicht. Mit anderen Worten, die zahllosen Verzichtsverträge, einstmals von Betriebsräten an der IG Metall vorbei geschlossen, haben jetzt den Segen des Tarifvertrags.

Wo die gesetzliche „Konjunkturelle Kurzarbeit“ nicht mehr ausreicht, zum Beispiel nach Ablauf von 24 Monaten, kann jetzt tarifliche Kurzarbeit eingeführt werden. Die Arbeitszeit kann um 20 % auf 28 Stunden abgesenkt werden, bezahlt werden gute 29 Stunden. Das hat mit Arbeitszeitverkürzung als traditioneller IGM-Perspektive nichts zu tun. Nicht nur wegen des fehlenden Lohnausgleichs, sondern weil hier nur der Wegfall von Arbeitsplätzen herausgezögert wird.

Null Protest

Arbeitgeberverbands-Präsident Hundt begrüßt denn auch, “dass die beim Arbeitgeber verbleibenden Kosten der gesetzlichen Kurzarbeit aufgrund der neuen tarifvertraglichen Regelung gesenkt werden können.“ (BDA 18.2.)

Aber warum die geringen Proteste aus den Reihen der FunktionärInnen der IG Metall? Zum einen wurde die Organisation so überfahren wie noch nie und ein hoch kompliziertes Regelwerk schon in der zweiten Runde verabschiedet. Tatsächlich haben hinter dem Rücken der Organisation Absprachen mit dem Kapital seit Oktober stattgefunden. Ganz offensichtlich saßen dabei auch schon die Regierungs- und Staatsvertreter mit am Tisch, sonst hätte von der Leyen nicht so schnell Position zu den staatlichen Zuschüssen und zur Kurzarbeitergeld beziehen können. Es gibt einen Begriff dafür: Korporatismus, die Integration der Gewerkschaften in den Staatsapparat.

Das Überfahren geht weiter: So wurde das Verhandlungsergebnis in Baden-Württemberg während der Schulferien verkündet, bereits eine Woche später entscheidet die Große Tarifkommission, obwohl die Erklärungsfrist noch weitere zwei Wochen Diskussion zu lassen würde!

Möglich wird das Überfahren auch dadurch, die Betriebsräte völlig darauf fixiert sind Entlassungen zu verhindern oder zu verschieben. Nach anderthalb Jahren Unterwerfung unter die Krise, können sich die meisten nicht mehr vorstellen, dass Widerstand möglich ist, selbst wenn sie es wollten. Diese betriebliche Bürokratenschicht findet in dem bunten Allerlei des Tarifabschlusses natürlich noch das eine oder andere Körnchen - die Altersteilzeit ist finanziert, Freistellungen für Qualifizierungsmaßnahmen sind erweitert - das sie für ihre Arbeit brauchen kann. Dort, wo die Unternehmer zum Angriff entschlossen sind, ist dieser Tarifvertrag aber keine Hilfe. Da hilft nur entschlossener Widerstand, der nicht zögert, den Kapitalisten in den Arm zu fallen, der Werkstore blockiert, Manager einsperrt oder Betriebe besetzt. Dies Ergebnis und vor allem der Weg, auf dem es zustande kam, sind da absolut kontraproduktiv. Eine Tarifrunde zur Demobilisierung heute für den Ausverkauf von morgen: Ob dieser Verein jemals wieder Flächentarife für Weihnachts- und Urlaubsgeld zustande bekommt?

Was das Einknicken der FunktionärInnen betrifft, so sind nicht nur die jahrzehntelangen Co-Manager für eine ebensolche Politik der Gewerkschaft, sondern auch viele derer, die zuletzt noch kritisch waren, sehen keine Alternative. Eine Alternative ist in der Tat auch nicht möglich ohne die Entscheidungsgewalt des Kapitals anzugreifen und für eine gesamtgesellschaftliche Alternative - letztlich für ein anderes System - zu kämpfen.

Mit linkem Gewerkschaftertum allein landet man heute auch bei Klemm und Huber!

Basisbewegung

Ein anderer Kurs kann nur von unten kommen. Dadurch dass aktive Vertrauensleute für die Verteidigung von Arbeitsplätzen kämpfen, dass Schichten aus der Produktion, für die in der neuen schönen Nachkrisenwelt nur Entlassung und Leiharbeit bleibt, in der Aktion die Entscheidungen der Manager in Frage stellen und dass dieser Widerstand sich in Betriebsgruppen und eigenen Listen formiert. Es ist kein Wunder, dass daher bei diesen Betriebsratswahlen auch ein massiver Anstieg von Ausschlussdrohungen gegen oppositionelle Liste und kritische MetallerInnen zu verzeichnen ist.

Umgekehrt zeigt die vermehrte Bildung solcher Listen (oder auch die Bereitschaft, das zumindest ernsthaft zu überlegen), dass nicht nur mehr Unmut gibt, sondern auch Schichten der Beschäftigten in Bewegung kommen. Diese KollegInnen können und müssen eine zentrale Rolle bei der Bildung einer Opposition sein. Auch wenn ihr Kampf oft auf betrieblicher Ebene beginnt, darf er nicht betriebsbezogen bleiben. Für seine Vereinigung müssen wir heute kämpfen.

Daher treten wir für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung gegen die Bürokratie ein. Eine Konferenz der oppositionellen Listen, von kritischen GewerkschafterInnen und der Gewerkschaftslinken, könnte ein wichtiger Schritt zu Formierung einer solchen Opposition sein.

Der Tarifabschluss zeigt aber auch, dass die Probleme der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie Resultat einer Systemkrise des Kapitalismus sind. Das haben Unternehmerverbände und Regierung begriffen. Daher haben sie einen Abschluss hingekriegt, der die Lasten der Krise auf die Arbeiterklasse abwälzt - z.B. durch Verzichte der Beschäftigten in der Branche oder durch Subventionen der Unternehmen durch die SteuerzahlerInnen, die in ihrer großen Mehrheit auch Lohnabhängige sind.

Ein Bruch mit der Politik von Huber und Co. und eine erfolgreiche Opposition müssen das auch begreifen. Zur Abwehr dieser Angriffe braucht es daher mehr als Tarifpolitik. Daher muss der Kampf für eine klassenkämpferische Basisbewegung von Beginn an verbunden sein mit dem Kampf für eine Alternative nicht nur zur Gewerkschaftsbürokratie, sondern auch zu reformistischen, im Grunde sozialdemokratischen Politik diese Funktionäre wie auch von SPD und Linkspartei - mit dem Kampf für ein revolutionäre, kommunistische Arbeiterpartei.

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Nr. 147, März 2010
*  Widerstand gegen die Krise: Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen!
*  Europa: Griechenland, der Euro und die Spekulationswelle
*  Anti-Krisenbewegung: Auf die Straße gegen Westerwelle und Friends!
*  IG Metall: Ausverkauf auf neuer Stufe
*  Schorndorf: Werktor erfolgreich blockiert
*  Tarifrunde im Öffentlichen Dienst: Drohende Verschlichterung
*  Heile Welt
*  Institut Solidarische Moderne: Regieren neu denken
*  Linkspartei: Die AKL kapituliert
*  Mexiko: Über 30 Monate Streik
*  Türkei: Solidarität mit den TEKEL-ArbeiterInnen
*  90 Jahre Kapp-Putsch: Die Politik der KPD
*  Frauen und Krise: Gleiches Recht und Billiglohn?
*  8. März: Für eine proletarische Frauenbewegung