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Europa

Griechenland, der Euro und die Spekulationswelle

Manne Wiener, Neue Internationale 147, März 2010

Mit Griechenland steht ein Land der Eurozone kurz vor dem Staatsbankrott. Warum? Folgen wir der bürgerlichen Presse, v.a. den Boulevard-Blättern, so sind die Erklärungen so einfach wie chauvinistisch, erklären aber nichts.

1. „Die Griechen“ hätten jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt.

Doch „die „Griechen“ sind wie in alle anderen Nationen keine einheitliche Gruppe, sondern in Klassen gespalten. Die Lohnabhängigen verdienen deutlich weniger als in den meisten Ländern Europas. LehrerInnen z.B. erhalten nur rund 1.100 Euro/Monat - brutto!

Gleichzeitig sind die Preise für Lebensmittel oder für Wohnen gerade in den städtischen Zentren mit denen Mitteleuropas vergleichbar. Die griechischen ArbeiterInnen haben also nicht nur weniger Einkommen, sondern sie müssen damit oft auch Lebenshaltungskosten bestreiten, die den hiesigen entsprechen.

Natürlich gibt es auch in die Griechenland Reiche und Superreiche. Doch die gibt es auch hier - nur in viel größerer Zahl. Und sie sollen - wie „unsere“ Superreichen - nicht für die Krise zahlen.

2. „Die Griechen“ hätten beim EU-Beitritt gelogen.

Doch es haben nicht „die Griechen“, sondern nur die damalige Regierung und ihre Spitzenbeamten gelogen. Die Bevölkerung war in deren Machenschaften ebenso wenig eingeweiht wie in jedem anderen bürgerlichen Staat. Ausserdem wussten aber die Kreditgeber Griechenlands sehr wohl über den Zustand der Staatsfinanzen Bescheid. Das beweisen sie schließlich auch heute, wenn sie treffsicher gegen den griechische Staat und seinen Haushalt spekulieren.

Und natürlich gab es sowohl von Seiten der griechischen Regierung wie auch der EU und ihre führenden Länder ein politisches und ökonomisches Interesse, die imperialistische Blockbildung und den Euro voranzutreiben. Das war schon eine Lüge wert. Dafür sollen jetzt die griechischen ArbeiterInnen und selbst große Teile des Kleinbürgertums zahlen.

Überhaupt ist Lügen keine spezifische Eigenheit der griechischen Regierung, sondern jeder bürgerlichen Regierung, sei es nun, dass sie blühende Landschaften, sichere Renten oder den NATO-Frieden in Afghanistan verspricht.

3. „Die Griechen“ kriegen das Steuerzahlen nicht auf die Reihe.

Nicht die Ziele der Regierung, eine Politik im Interesse des griechischen und europäischen Kapitals zub betreiben, ist die Ursache des Schlamassels, sondern die „Steuerzahler“. Gemeint sind hier „natürlich“ nicht Millionäre, die ihre Steuergelder in der Schweiz, in Lichtenstein oder sonstwo bunkern. Nein, der kleine Bäcker, der seine Brötchen am Fiskus vorbei verkauft, ist an der Pleite schuldig.

Noch mehr Schuld tragen natürlich die Schwarzarbeiter, also Lohnabhängige, die keinen „regulären“ Job kriegen. Und auch die Beschäftigten im Staatsdienst oder in der Industrie gammeln nur rum. Ein Wunder, dass Griechenland nicht schon vor Jahrzehnten zusammengebrochen ist!

Gut nur, dass „Steuerexperten“ von CDU, CSU und FDP jetzt zeigen sollen, wie man's richtig macht beim Steuereintreiben bei den ArbeiterInnen und Kleinbürgern - und den Reichen elegante, EU-konformen Steuerbetrug beibringt, wie es im modernen Staat üblich und einigermaßen rechtmäßig ist.

4. „Die Griechen“ wälzen alles auf die EU oder gar auf Deutschland ab!

Nachdem die Boulevard-Presse „enthüllt“ hat, dass die Griechen zu blöd und zu faul sind, Steuererklärungen auszufüllen, werden die auch noch frech. Die wollen gar deutsche Produkte verbieten, wo Bild und Co. doch nur mit guten Tipps und Steuerfahndern helfen wollten.

Das riecht nach „Balkanzuständen“. Und die EU räumt nicht auf! Wo bleibt Westerwelle? Sollte der nicht aufhören, nur Hartzis alterrömischer Dekadenz zu zeihen, wo in Griechenland geradezu dionysische Zustände herrschen?

Immerhin: Die deutschen Banken räumen vielleicht nicht auf, sicher aber ab. Sie verdienen Milliarden an der griechischen Staatsschuld und den steigenden Zinsen, die das Land für den Verkauf seiner Staatsanleihen bedienen muss.

Banken verdienen an neuer Spekulationsblase

Deutsche Banken sollen rund 43 Milliarden Dollar an griechischen Staatspapieren halten. Allein die Hypo Real Estate, die zuvor noch mit Staatsknete gerettet wurde, hält Anleihen in Höhe von 9,1 Milliarden Euro. Die Commerzbank soll 4,6 Milliarden besitzen. Auch angeschlagene Landesbanken haben im großen Stil griechische Anlagepapiere gekauft, die LBBW für 2,7 Milliarden, die BayernLB für 1,5 Milliarden Euro.

Riskant sind diese Geschäft zwar für den Fall eines Staatsbankrotts Griechenlandes. Zugleich manchen die steigenden Zinsen griechische Staatspapiere aber äußerst attraktiv. Das Risiko bleibt überdies überschaubar, wenn die EU Griechenland vor dem Bankrott rettet und somit die Zinsansprüche der deutschen Banken absichert.

Lt. New York Times spekulieren eine Reihe US-amerikanischer und europäischer Großbanken - darunter auch die Deutsche Bank - zugleich auf eine etwaige Pleite Griechenlands, indem sie Versicherungen auf eine etwaige Zahlungsunfähigkeit des Landes abschließen und damit handeln. In jedem Fall treibt das die Zinsen für die Staatanleihen Griechenlands - und damit die möglichen Renditen - in die Höhe.

Hedge-Fonds

Wie schon während der Turbulenzen rund um die Lehman-Pleite, waren auch bei der Zuspitzung der Schuldenkrise in Griechenland die berühmt-berüchtigten Hedge-Fonds aktiv und massiv am Werk (obwohl alle politischen Größen von Gipfel zu Gipfel behaupten, sie würden das wirken dieser Ober-Spekulaten eindämmen). Im Januar 2010 haben Hedge-Fonds allein in sogenannte "Credit Default Swaps" (CDS) für griechische Staatsschulden 16 Millarden Euro investiert (eine Verdreifachung gegenüber dem Vormonat). Die CDS dienen an und für sich als "Ausfallversicherung" für Kredite. Von Spekulanten werden sie jedoch auch für Leerverkäufe eingesetzt - also zur Absicherung von Krediten, die man gar nicht besitzt.

Diese Spekulation geht auf, wenn die Versicherungsprämien aufgrund von Ausfallerwartungen steigen. Mit diesem Trick trieben Fonds wie Pimco, Brevan-Howard und US-Hedgefonds-Star John Paulson die Spekulation gegen die griechische Zahlungsfähigkeit massiv in die Höhe und verdienten an den CDS-Kurssteigerungen. Inzwischen sind die Spekulanten unter Gewinnmitnahme aus dem Griechenlandgeschäft wieder ausgestiegen (heute ist der CDS-Markt für Griechenland auf 7 Milliarden gefallen), um sich auf neue Opfer (z.B. Spanien) zu fokussieren. Zurück bleibt ein Land mit massiven Zahlungsproblemen, schlechter Bonität, hohen Zinslasten für Staatsanleihen und einem massiven "Sparzwang" für die öffentlichen Haushalte. Die Risiken für etwa 300 Milliarden Euro möglicherweise ausfallender Kredite wurde inzwischen von den Hedge-Fonds mehrheitlich auf europäische Banken und Versicherungen übertragen, die nunmehr die Schuldentilgung gegenüber Griechenland exekutieren werden.

Wir sehen also, dass sich an den Finanzmärkten eine neue Spekulationsblase gebildet hat - diesmal jedoch nicht wie 2007/08 im US-Immobiliensektor, sondern bei den Staatsanleihen. Die im Zuge der Rettungsaktionen des Finanzkapitals massiv gestiegenen Staatsschulden werden jetzt zu einem Objekt der Spekulation des Finanzkapitals. Griechenland hat es als erstes EU-Land erwischt. Weitere Spekulationswellen sind aber wahrscheinlich. Die Frage ist nur, wen es trifft. So werden Spanien, Italien, Irland, Portugal und Großbritannien als mögliche Kandidaten gehandelt.

Ursachen

Warum aber kommt es zu solchen Spekulationswellen? Weil die eigentlichen Krisenursachen der globalen Rezession 2008/09 nicht beseitigt worden sind. Nach wie vor sind die Profitraten in der Industrie vergleichsweise niedrig. Das fiktive Kapital im Finanzsektor wurde nicht ausreichend zerstört, sondern durch milliardenschwere Rettungspakete und die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken (v.a. der weltweit wichtigsten, der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank) gerettet. Jetzt, da die Banken wieder refinanziert wurden, suchen sie lukrative Renditemöglichkeiten - und die bieten die Finanzmärkte, die Anlage in Staatsanleihen samt zahlreicher, abgeleiteter Finanzgeschäfte.

Damit baut sich eine zweite Spekulationsblase auf, die früher oder später platzen muss. Die Frage ist nur, wann eine „systemrelevante“ Größe erreicht ist, z.B. im Fall eines Staatsbankrotts, eines Einbruchs einer Währung etc. Im Rahmen des Kapitalismus kann das nur durch eine massive Vernichtung überschüssigen Kapitals, von fiktiven Kapitalien wie von Produktionsstätten, Einlagen kleiner Sparer usw. „gelöst“ werden.

D.h. das kapitalistische Krisenmanagement bietet letztlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder „Rettung“ krisenbedrohter Großkapitale - und damit Aufschieben des Problems - oder massive Vernichtung von Kapital und damit von Arbeitsplätzen, Einkommen, Lebensperspektiven von Millionen und Abermillionen ArbeiterInnen.

Es geht also ums Ganze: Entweder Krise und Ruin - oder Widerstand der Massen und Beseitigung der Krisenursache durch den Sturz des kapitalistischen Systems!

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Nr. 147, März 2010
*  Widerstand gegen die Krise: Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen!
*  Europa: Griechenland, der Euro und die Spekulationswelle
*  Anti-Krisenbewegung: Auf die Straße gegen Westerwelle und Friends!
*  IG Metall: Ausverkauf auf neuer Stufe
*  Schorndorf: Werktor erfolgreich blockiert
*  Tarifrunde im Öffentlichen Dienst: Drohende Verschlichterung
*  Heile Welt
*  Institut Solidarische Moderne: Regieren neu denken
*  Linkspartei: Die AKL kapituliert
*  Mexiko: Über 30 Monate Streik
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