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Trotzkis Faschismustheorie

Arbeitereinheit gegen Braun

Hannes Hohn, Neue Internationale 97, Februar 2005

Die Entwicklung der Rechten ist Besorgnis erregend. DVU und NPD hatten zuletzt beachtliche Wahlerfolge und sitzen in mehreren Landtagen. Vor allem die NPD mobilisierte mit demagogischen und rassistischen Parolen gegen Agenda und Hartz IV. Auch das Wahl-Bündnis von NPD und DVU hat konkrete Formen angenommen. Um die rechten Stimmen zu bündeln, tritt die NPD zur nächsten Bundestagswahl an und überlässt dafür der DVU die Europawahlen.

Die NPD ist der politisch-organisatorische Kern der gesamten braunen Szene. Prominente Nazis wie Heise, der im NPD-Vorstand sitzt, oder der Ex-REP-Chef Schönhuber, der als Berater tätig ist, agieren im Dunstkreis der NPD. Deren Mitgliederzahl von derzeit ca. 6000 steigt. Die JN, die Jugendorganisation der NPD, ist in Programm und Praxis faktisch eine faschistische Organisation.

Insofern ist die NPD am ehesten in der Lage und bereit, die Zersplitterung der extremen Rechten zumindest teilweise zu überwinden und Schritte in Richtung einer stärkeren faschistischen Partei zu gehen.

Auch wenn ihre borniert-nationalistische Strategie derzeit für das deutsche Kapital und dessen Orientierung auf die Schaffung eines imperialistischen EU-Blocks nicht gebraucht wird, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Krise und die sozialen Angriffe noch mehr Leute in die Arme der braunen Rattenfänger treiben.

Die Linke und die Arbeiterbewegung in ihrer momentanen organisatorischen und politischen Verfasstheit könnten einer stärkeren faschistischen Bewegung kaum Paroli bieten. Die Untätigkeit der reformistischen Führungen von DGB, SPD und PDS ist dabei nur die Kehrseite des politisch kurzsichtigen und perspektivlosen Aktionismus der - großteils autonom geprägten - Antifa.

Es ist daher höchste Zeit, dass die Arbeiterbewegung und die Linke in der Frage, was Faschismus ist und wie er bekämpft werden muss, über ihren eigenen politischen und organisatorischen Schatten springen und mit ihren unzureichenden Konzepten stalinistischer, autonomer oder sonstiger Herkunft brechen.

Wer damit ernsthaft beginnt, kommt an den bitteren Erfahrungen der kampflosen Niederlage des deutschen Proletariats 1933 und an der Faschismus-Theorie Trotzkis und dessen alternativen Vorschlägen, wie die Nazis damals hätten gestoppt werden können, nicht vorbei.

Trotzkis Methode

Trotzkis Analyse des Faschismus war strikt materialistisch. Er erlag nicht der noch heute in der "demokratischen Öffentlichkeit" üblichen Überbetonung der Rolle von Hitlers "Persönlichkeit". So schrieb er dazu im Juni 1933: "… jeder Führer ist immer ein … individuelles Angebot auf eine kollektive Nachfrage." (Porträt des Nationalsozialismus).

Statt der Psychologie der Person betrachtet er die Psychologie der Gesellschaft. Er untersucht die Stellung und die Funktion des Faschismus in der kapitalistischen Klassengesellschaft. Nicht die besondere Aura Hitlers oder die Verführungskraft des nationalsozialistischen Programms erklären den Aufstieg der NSDAP. Dieser muss und kann nur vor dem Hintergrund der Krise des deutschen Kapitalismus und deren Auswirkungen auf die Struktur der Gesellschaft verstanden werden.

Trotzki erklärt den Faschismus aus den veränderten materiellen und Klassenverhältnissen nach 1918. "In der durch Krieg, Niederlage, Reparationen, Inflation, Ruhrbesetzung, Krise, Not und Erbitterung überhitzten Atmosphäre erhob sich das Kleinbürgertum gegen alle alten Parteien, die es betrogen hatten." (ebenda).

Anders - und viel genauer - als andere analysierte Trotzki den Klassencharakter des Faschismus als radikalisierte Bewegung des Kleinbürgertums und der Mittelschichten. Nur so war es ihm auch möglich, die Spezifik des Faschismus zu begreifen. Der Terror und die Fackelaufmärsche der SA, die "antikapitalistische" Demagogie, die verlogenen Anleihen beim Sozialismus, sein Antisemitismus und sein Germanenkult - all das war nicht zu erklären, wenn die Nazis nur der verlängerte Arm des Finanzkapitals waren, wie es etwa der Stalinist Dimitroff darstellte.

Trotzki erkannte die besondere Gefahr des Faschismus sehr klar. Die Faschisten, so Trotzki, "stiegen zur Macht über den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zu einem Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpressten." (ebenda)

Trotzki kritisierte heftig den tödlichen Irrtum der damaligen Ideologen von KPD und SPD, dass Hitler, einmal an der Macht, "bald abwirtschaften würde". Die historische Mission des Faschismus besteht eben darin, mittels diktatorischer Gewalt die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, um somit das entscheidende Hindernis für den erneuten Sprung des deutschen Imperialismus zur Weltmacht zu beseitigen.

Für Trotzki lautete die historische Fragestellung nicht "Demokratie oder Diktatur", wie es heutige Oberstudienräte gern darstellen. Er ging davon aus, dass das kapitalistische System selbst in Frage stand. Die Novemberrevolution hatte diese Frage aufgeworfen, aber nicht gelöst. Die Jahre der Weimarer Republik danach waren einerseits durch wiederholte, aber erfolglose Versuche der Arbeiterklasse gekennzeichnet, die Macht zu ergreifen. Andererseits formierten sich auch die reaktionärsten Kräfte, um das Rad der Geschichte zurück zu drehen und die Arbeiterbewegung und deren Vorhut zu zerschlagen, wie der Kapp-Putsch oder die Freikorps zeigen.

Die Weltwirtschaftskrise spitzte die Situation derart zu, dass nur eine radikale, grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse eine Lösung bringen konnte. Hitlers Lösung war die reaktionäre, die progressive wäre die proletarische Revolution gewesen. Diese Alternative spiegelt sich auch in der Stärkung der "radikalen" Parteien NSDAP bzw. KPD und im gleichzeitigen Niedergang der bürgerlichen Mitte und der Schwächung der SPD wider.

Trotzkis Kritik an KPD und SPD

Trotzki war sich bewusst, dass Hitler eine tödliche Gefahr für die gesamte Arbeiterbewegung war und nicht nur für deren revolutionären Teil. Deshalb kritisierte er immer wieder sehr scharf die Politik von SPD und KPD, die beide in unterschiedlicher Weise nicht nur das Gefahrenpotential des Faschismus falsch einschätzten, sondern auch einen erfolgreichen Abwehrkampf der gesamten Arbeiterklasse gegen die Nazis unterminierten.

Die SPD-Führer nannten die KPD wegen ihres Radikalismus "rotlackierte Faschisten", die Thälmann-KPD wiederum titulierte die SPD als "sozialfaschistisch". Damit verwischten beide nicht nur die Klassenlinie zwischen Arbeiterparteien und Faschismus; schlimmer noch: diese Politik torpedierte das gemeinsame Handeln aller ArbeiterInnen gegen die braune Gefahr.

Quasi in letzter Minute unternahm die KPD einen Kurswechsel und warb für die "Einheitsfront von unten". Diese forderte die sozialdemokratischen ArbeiterInnen zwar richtigerweise auf, mit der KPD gemeinsam gegen die Nazis zu kämpfen, verlangte aber zugleich ultimativ von ihnen, sich von ihren SPD-Führern loszusagen und die politische Führung der Einheitsfront durch die KPD anzuerkennen. Der Erfolg dieser Erpressungspolitik gegenüber der sozialdemokratischen Basis war gleich Null.

Trotzkis Herangehen war im Grunde einfach: wenn die gesamte Arbeiterklasse vom Faschismus bedroht war, musste auch die gesamte Klasse den Abwehrkampf führen; wenn die Arbeiterbewegung in zwei Parteien gespalten ist, muss eine Aktionseinheit (die Einheitsfront) geschaffen werden, die das gemeinsame Handeln gegen die Faschisten herstellt, aber auch die politischen Unterschiede nicht verwischt.

Diese Einheitsfront war möglich und v.a. notwendig, weil alle ArbeiterInnen - ob KPDler, SPDler oder parteilose GewerkschafterInnen - Interesse daran hatten, die Machtübernahme der NSDAP zu verhindern und ihre eigenen Organisationen, Treffen und Mitglieder vor dem braunen Terror zu schützen.

Die von Trotzki vorgeschlagene Arbeitereinheitsfront zielte auf demokratische Absprachen gemeinsamer Aktionen aller Arbeiterorganisationen ab. Politische "Vorleistungen" oder die Anerkenntnis der "Überlegenheit" der einen oder anderen Partei, wie es die KPD exerzierte, oder auch das Verschweigen der politischen Differenzen lehnte er ab. Er forderte die KPD-Führung immer wieder auf, ihr Einheitsfrontangebot auch an die Führung der SPD und der sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften zu richten und keine programmatischen Vorbedingungen zu stellen.

Nur so war die Einheit im Kampf möglich, nur so konnten sich die sozialdemokratischen ArbeiterInnen in der Praxis davon überzeugen, dass ihre Führer nicht kämpfen wollen und stattdessen auf ein Bündnis mit der bürgerlichen Mitte (Wählt Hindenburg!) setzen.

Trotz vieler Ansätze auf örtlicher Ebene kam eine wirkliche breite Einheitsfront, welche die Nazis hätte stoppen können, nicht zustande. Der Einfluss Trotzkis und der deutschen Linksopposition waren zu schwach, die politischen Fehler der Stalintreuen KPD wie andererseits der Reformisten in SPD und Gewerkschaften hatten das Kampfpotential der Klasse untergraben.

Immerhin zeigen die Einheitsfronten von Klingenthal oder Bruchsal , dass die Einheitsfront an sich möglich und auch effektiv war.

Antifaschismus und Revolution

"Die Abwehr des Faschismus ist keine isolierte Frage. Der Faschismus ist nur ein Knüppel in den Händen des Finanzkapitals." (aus: Gespräch mit einem sozialdemokratischen Arbeiter, 1933)

Wie jeden anderen Klassenkampf setzte Trotzki auch den Kampf gegen den Faschismus in Beziehung zur Frage des revolutionären Sturzes des Kapitalismus. Ihm war klar, dass die Arbeitereinheitsfront, wenn sie in der Lage wäre, den Faschismus zu schlagen, auch ein Machtpotential wäre, um den gesamten bürgerlichen Staat zu zerschlagen und den Kapitalismus zu stürzen.

Von Selbstschutzorganen der ArbeiterInnen gegen die Nazis zu Arbeitermilizen und Räten - also proletarischen Machtorganen - ist es nur ein Schritt. Dieser Schritt setzt freilich politischen Willen voraus - und ein dafür brauchbares Konzept.

Im Unterschied zur SPD war die KPD damals durchaus bereit, die Revolution durchzuführen und die Herrschaft der Arbeiterklasse zu etablieren. Das Problem war, dass sie aufgrund der Stalinisierung in den 1920ern mit ihrer linkssektiererischen Politik der "Dritten Periode" nicht nur in jeder Hinsicht den gemeinsamen Kampf der Klasse verunmöglichte, sondern zugleich auch den Einfluss, die Autorität revolutionärer Politik in der reformistisch geprägten deutschen Arbeiterklasse ständig (ungewollt) untergrub.

Trotzki kämpfte auch deshalb gegen die Politik der KPD-Führung, weil er damals noch die Möglichkeit sah, dass die KPD (und international gesehen die Komintern) reformierbar seien.

Nach der kampflosen Niederlage des deutschen Proletariats gegen den Faschismus, der kompletten Unfähigkeit der Stalinschen Komintern, richtige Konsequenzen aus diesem Desaster ziehen, und der 1935 folgenden antirevolutionären Volksfrontkonzeption gab Trotzki diese Perspektive auf und bereitete den Aufbau einer neuen Internationale vor.

Die Erfahrungen von 1933 sind blutig, aber lehrreich. Jeder Antifaschismus, der auch oder vor allem auf Bündnisse oder gar auf Regierungskoalitionen mit der bürgerlichen demokratischen Mitte abzielt - wie bei der Volksfrontstrategie -, muss scheitern. Es ist im Grunde nur eine Wiederholung der SPD-Politik der 1920er und 1930er Jahre.

Nur die soziale Kraft der Arbeiterklasse ist in der Lage, eine stärkere faschistische Bewegung zu zerschlagen. Das heißt für heute, dass jede Vorstellung, es gäbe einen "separaten", vom Klassenkampf gegen das Kapital getrennten Antifaschismus letztlich eine bürgerliche Ideologie, utopisch und kontraproduktiv ist.

Um den Kampf gegen die Nazis gewinnen zu können, ist es notwendig die Arbeiterbewegung einzubeziehen. Dafür ist ein politischer Kampf gegen den herrschenden Reformismus mit seinem entwaffnenden Demokratismus, seiner Passivität und seinem Ökonomismus nötig. Das ist aber nur möglich, wenn sich die antifaschistische "Ersatzavantgarde" auf die Arbeiterklasse orientiert, in all deren Kämpfe eingreift und sie mit einer richtig angewandten Einheitsfrontpolitik gewinnt - für den Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus.

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Nr. 97, Februar 2005

*  Irak: Imperialistische Wahlfarce
*  Münchner "Sicherheitskonferenz": Intervention fürs Kapital
*  Heile Welt
*  ver.di-Tarifverhandlungen: Nichts fordern, nichts tun
*  Gewerkschaftslinke: Der schwere Weg zum Klassenkampf
*  EU-Verfassung: Nein zum Staatenbund der Imperialisten!
*  Trotzkis Faschismustheorie: Arbeitereinheit gegen Braun
*  NPD-Provokation: Verbot statt Kampf?
*  Caritas und Hartz IV: Ein Euro Gotteslohn
*  Rot-Grünes Verarmungsprogramm: Für'n Appel und 'n Euro?



Schriften zum Faschismus von L.D. Trotzki

Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?

Was Nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats

Der einzige Weg

Porträt des Nationalsozialismus

Bürgerliche Demokratie und der Kampf gegen Faschismus

Quelle: www.marxists.org