Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Frontalangriff bei Siemens

Streik und internationale Solidarität!

Markus Lehner, Neue Internationale 90, Mai 2004

Ende März wurden die Betriebsräte der Siemens AG und die IG Metall mit Forderungen der Siemens-Konzernspitze konfrontiert, die einen bisher nicht gekannten Angriff auf Beschäftigten-Rechte darstellen. In fast allen Bereichen der Siemens AG und der Konzerntöchter wurden für Fertigungs- und Entwicklungsstandorte konkrete Verlagerungs-Projekte aufgelistet.

Wenn die IG Metall mitsamt den Betriebsräten nicht spuren, würden diese Verlagerungen binnen Kürze umgesetzt. Dies würde nur nicht geschehen, wenn es zu einer Arbeitszeitverlängerung auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich, einer Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie sonstiger Sonderzahlungen kommen würde. Insgesamt ist das ein klarer Lohnraub, indem der Stundenverdienst um mehr als 30% reduziert werden soll!

Diese freche Erpressungspolitik unter dem Stichwort "Globalisierung" ist Bestandteil eines im letzten Jahr vom Vorstand beschlossenen neuen Management-Konzepts, dem "Siemens Management System"(SMS). Danach soll unter dem Stichwort "globale Wettbewerbsfähigkeit" jede Fertigungs-, Entwicklungs- und Dienstleistungstätigkeit weltweit so verschoben werden, dass unabhängig von der Ertragslage jeweils die niedrigsten Lohn- und Standortkosten das entscheidende Kriterium sind. Für die einzelnen Bereiche wurden daher die Teilprojekte "Weltweites Fertigungskonzept", "Shared Services" und "Softwareentwicklungs-Initiative" gestartet.

Horrorkatalog

Das Ergebnis ist nun die "Giftliste" von Ende März: Im Telekommunikationsbereich sollen in Bruchsal, Bocholt und Kamp-Lintfort an die 2.500 Arbeitsplätze aus der Fertigung elektronischer Komponenten bzw. der Handy-Herstellung nach China bzw. Ungarn verlagert werden. Bei der Niederstromtechnik sollen wesentliche Teile des Trafo-Werks Nürnberg nach Kroatien verlagert werden, was insgesamt 900 Arbeitsplätze gefährdet. Der Standort Kirchheim/Teck mit 250 KollegInnen soll ganz geschlossen werden soll. Aus Krefeld-Uerdingen sollen 500 Arbeitsplätze aus der Straßenbahnfertigung nach Prag verlagert werden. Weitere 1.200 Arbeitsplätze in der Verkehrstechnik an den Standorten Braunschweig, Berlin, Erlangen und München sind aufgrund des Toll-Collect-Debakels gefährdet. Von der Automatisierungstechnik sollen vier von sieben Standorten "gestrichen" und wesentliche Teile nach China verlagert werden. Bei der von "mannesmann" gerade erst vor kurzem übernommenen "Siemens VDO" sind an die 4.000 Arbeitsplätze in der Fertigung von Verlagerungen in Niedriglohnländer bedroht. Bei der Haushaltsgeräte-Produktion ist ein Großteil der Arbeitsplätze bedroht, unmittelbar ist von 3.000 die Rede. Bei der Software-Entwicklung ist ein großer Teil der 15.000 Arbeitsplätze von Verlagerungen nach Indien, China oder Osteuropa bedroht.

Insgesamt stehen so etwa 20.000 der 170.000 noch bestehenden Arbeitsplätze bei Siemens in Deutschland zur Disposition. Sollte SMS voll umgesetzt werden, könnten nach Berechnungen des Konzernbetriebsrats bis zu 75.000 Arbeitsplätze in Frage gestellt sein.

Die geplanten Entlassungen und Kürzungen bei Siemens sind jedoch keine Ausnahmen! Auch bei MAN, bei OSRAM und OTIS sind ähnliche Angriffe geplant.

Die Reaktion von IG Metall und Betriebsrats-Spitze auf diesen systematischen und flächendeckenden Angriff war bisher vor allem "Erschütterung" und "Unverständnis". In einem Positionspapier wird festgestellt, dass hiermit nun Siemens "aus dem Sozialkonsens aussteigt" und versuche, die "Globalisierung (...) auszunutzen um den Abbau sozialer Errungenschaften in Deutschland voranzutreiben (...). Gefordert werden der Ausstieg aus den Flächentarifverträgen und die Abschaffung der Mitbestimmung". Während die Dimension des Angriffs richtig erkannt wird, fehlt die Perspektive: die Siemens-Strategie wird als "wirtschaftspolitisch unvernünftig" und langfristig "schädlich für den Standort Deutschland" dargestellt. Dagegen wird gefordert, dass Auslandsinvestitionen an die Erfüllung sozialer Mindestkriterien (z.B. der ILO-Kernarbeitsnormen) gebunden werden müssten und es zu einem Einspruchsrecht europäischer Betriebsräte bei Verlagerungen in Bezug auf EU-Subventionen kommen müsse.

Darüber hinaus hat der Gesamt-Betriebsrat auf seiner bundesweiten Sitzung am 21.4. beschlossen, mit einer bundesweiten Protestwelle in den Betrieben zu antworten. Schon bisher waren einige Standorte mit größeren Aktionen vorangegangen: Anfang März fanden in Bruchsal mehrere Arbeitsniederlegungen und Kundgebungen mit über 1.000 TeilnehmerInnen statt; in Kamp-Lintfort demonstrierten 1.600 KollegInnen Anfang April; es folgte Mitte April eine Arbeitsniederlegung von 600 KollegInnen in dem für die Produktionskette sehr empfindlichen Trafo-Werk in Nürnberg.

Nach der Gesamt-Betriebsrats-Sitzung kam es am 22.4. in Erlangen zu einer Kundgebung während der Arbeitszeit. Damit wurde einer der zentralen Produktions- und Verwaltungsstandorte des Konzerns erreicht. Im Mai wird nun an allen Standorten mobilisiert und zu Großkundgebungen aufgerufen. Im Zentrum wird eine bundesweite Betriebs- und Vertrauensleute-Konferenz am 14. Mai in Nürnberg stehen, auf der das weitere Vorgehen besprochen wird. Regionale Versammlungen werden folgen.

Jetzt ist endgültig der Zeitpunkt, mit der "partnerschaftlichen" Klüngelei der bestehenden IG-Metall-Bürokratie bei Siemens zu brechen. Wir brauchen überall der Basis verantwortliche Aktionskomitees, die auch wesentlich die bundesweiten und regionalen Funktionärskonferenzen beschicken sollten. Dort müssen wir ein Kampfprogramm beschließen, dass die Aktionen von Großdemonstrationen, mehrtägigen Arbeitsniederlegungen bis hin zu Besetzungen vorantreibt. Bei der Empfindlichkeit der globalen Produktionskette und den hohen Kosten von Produktionsausfällen für die sehr kapitalintensive Siemens-Fertigung kann so der Konzern schnell in die Knie gezwungen werden. Entscheidend aber ist dabei, endlich die bornierte "Verteidigung des Standorts D" aufzugeben und über die Kontaktaufnahme mit den organisierten KollegInnen in Osteuropa, Indien und China eine international gerechte und auf dem höchsten sozialen Standard basierende Aufteilung der Arbeit zu erkämpfen!

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 90, Mai 2004

* Unsere Agenda heißt Widerstand: Generalstreik gegen Generalangriff!
* Frontalangriff bei Siemens: Streik und internationale Solidarität!
* Ausbildungsplatzabgabe: Ausreden statt Ausbildung
* Arbeitsmarktreformen: Working poor
* Öffentlicher Dienst: 42 Stunden im Büro?
* Neue Arbeiterpartei: Wahlverein oder Kampfpartei?
* Heile Welt
* ESF-Vorbereitungstreffen: Bericht aus Istanbul
* Anschläge und ihr Hintergrund: Was ist Terror?
* Besatzung am Wendepunkt: Aufstand im Irak!