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Ausbildungsplatzabgabe

Ausreden statt Ausbildung

Helga Müller, Neue Internationale 90, Mai 2004

Schon lange schwelt innerhalb der SPD und in der Regierung der Konflikt um die gesetzliche Ausbildungsplatzabgabe. Kanzler Schröder hatte in seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 - der Agenda 2010 - erklärt, dass Unternehmen, die nicht bzw. zu wenig ausbilden, per Gesetz dazu verpflichtet werden sollen, in einen Fonds einzuzahlen. Schon damals waren u.a. Wirtschaftsminister Clement und Bildungsministerin Buhlman gegen eine solche "Zwangsmaßnahme". Mittlerweile haben sich die SPD-Ministerpräsidenten Steinbrück, Beck und Simonis zum Ziel gesetzt, diese Abgabe ganz zu verhindern und drohen, zusammen mit der CDU/CSU-Bundesrats-Mehrheit dieses Gesetz zum Scheitern zu bringen.

Von Anfang an war die Diskussion um die gesetzliche Verankerung der Ausbildungsplatz-abgabe innerhalb der SPD nur halbherzig geführt worden. Schröder favorisierte immer schon eine freiwillige Lösung der Unternehmen. Falls die Wirtschaft ausreichend Lehrstellen zur Verfügung stelle, signalisierte er, könne auf gesetzliche Maßnahmen verzichtet werden. Die Unternehmerverbände laufen Sturm gegen die Ausbildungsplatzabgabe. Arbeitgeberpräsident Hundt lehnt sie rundweg ab, weil sie kontraproduktiv sei und ein Rückschritt zu weiterer Umverteilung und mehr Bürokratie wäre. Ganz unverhohlen droht er damit, dass "die Unternehmen, die bisher über Bedarf ausbilden, diese Bemühungen dann einstellen" würden (FTD vom 31.3.04).

Die Erpressung wirkt. Die SPD-Ministerpräsidenten drängen den neuen Parteichef Müntefering nun dazu, eine große Runde mit den Wirtschaftsverbänden zu organisieren, um mit diesen einen neuen Gesetzeskompromiss auszuhandeln. Müntefering, der gegenüber den Gewerkschaften im Wort steht, für eine Umlagefinanzierung zu sorgen, ist von seiner anfänglichen Haltung pro Umlagefinanzierung mittlerweile abgewichen. In einem Brief an die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände hat er diese dazu aufgefordert, durch "Eigeninitiativen" zur Schaffung von zusätzlichen Lehrstellen, - etwa tarifliche Vereinbarungen - eine Aktivierung des Gesetzes zu vermeiden (zitiert nach FTD vom 19.04.04). Im Gesetzentwurf selbst wird Tarifverträgen, die auch zu ausreichend Ausbildungsplätzen führen, Vorrang vor einer Abgabe gegeben.

Dabei ist jedem klar, dass die Unternehmen nicht freiwillig ausreichend Lehrstellen zur Verfügung stellen; seit Jahren fehlen massenhaft Lehrstellen. Ende September 2003 fehlten nach offiziellen Angaben allein 35.000 Ausbildungsplätze. Laut Statistik der Bundesanstalt für Arbeit hatten 2003 insgesamt 720.000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz gesucht, doch lediglich 340.000 haben einen Ausbildungsplatz erhalten!

Der Präsident der "Stiftung Marktwirtschaft" - einer wirtschaftsnahen Stiftung - sagt sehr deutlich, um was es dabei geht: "Wenn Unternehmen nicht ausbilden, dann deshalb, weil sich die Ausbildung von Jugendlichen nicht "lohnt". Er ganz unverhohlen aus, was das eigentliche Ziel ist, nämlich die Absenkung der Azubi-Vergütung, "zumindest im ersten Aus-bildungsjahr" sollte "überhaupt keine Ausbildungsvergütung gezahlt werden" (junge welt vom 06.03.04). Mit anderen Worten: So lange der Azubi nicht zum Mehrwert des Unternehmens beiträgt, gibt es auch kein Interesse, in Zeiten verschärfter Krise und Konkurrenz Geld in die Ausbildung zu stecken.

Gesetz mit Tücken

Doch auch den BefürworterInnen des Gesetzes zur Ausbildungsabgabe kann nicht vorbehaltlos zugestimmt werden, denn der Gesetzentwurf hat einige schwerwiegende Mängel. Zunächst wird eine Ausbildungsquote von 7% der Belegschaft festgelegt. Das ist aber schon viel zu niedrig, da in den letzten Jahren trotz der staatlich finanzierten Zusatz-Ausbildungsplätze tausende Plätze fehlten. Die vorgesehene Quote reicht bei weitem nicht aus, um die zehntausenden Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz oder in "Warteschleifen" unterzubringen. Zudem müsste die Zahl der Ausbildungsplätze eigentlich auch über dem realen Bedarf liegen, so dass nicht jede(r) jede Stelle annehmen muss und wenigstens eine gewisse Wahlmöglichkeit bleibt. Auch die Tatsache, dass Ausbildungsstellen immer häufiger staatlich - also zum Grossteil aus den Steuern der Lohnabhängigen - finanziert wird oder Ausbildungen sogar selbst bezahlt werden müssen, bleibt im Gesetz weitestgehend unberücksichtigt.

Dass das Gesetz - obwohl die Ausbildungsplatzabgabe an sich kritisch unterstützt werden muss - eher an den Bedürfnissen der Kapitalisten als an denen der Jugendlichen orientiert ist, zeigt sich auch daran, dass die Gesamtzahl der Ausbildungsplätze nicht etwa an der Gesamtzahl der potentiell Auszubildenden orientiert ist, sondern an der für die Unternehmen "verkraftbaren" Quote. Mit anderen Worten: Es darf dem Profit nicht allzu abträglich sein. Wenn die Belegschaft durch Entlassungen schrumpft, sinkt automatisch auch die Zahl der vorgeschriebenen Ausbildungsplätze.

Man kann sich lebhaft vorstellen, was von diesem an sich schon unbefriedigenden Gesetzesentwurf übrig bleibt, wenn er erst die parlamentarischen Instanzen durchlaufen hat …

Wenn es also darum geht, gegen die ökonomischen Interessen der Unternehmer eine Umlagefinanzierung durchzusetzen, dann kann dies nicht durch Verhandlungen im Parlament oder im Bundesrat oder durch Appelle an die Unternehmer geschehen, sondern nur im Zusammenschluss mit den Gewerkschaften und entsprechender Mobilisierung der gesamten Arbeiterschaft.

Aber die Reaktion der Gewerkschaftsvorstände auf die Umlagefinanzierung reicht dazu auch nicht aus. So unterstützt ver.di zwar den Gesetzentwurf zur Umlagefinanzierung. Ihr Vizechef Frank Werneke verkündet aber zugleich, dass er auch die Möglichkeit tarifvertraglicher Branchenlösungen begrüßen würde, denn "Tarifverträge bieten die Möglichkeit, flexibler auf die Bedürfnisse der einzelnen Branchen einzugehen." Und dies sei ein großer Vorteil für die Betriebe in den Branchen. (zitiert nach einer Pressemittlung von ver.di vom 23.03.04)

Kampagne

Statt an die Vorteile für die Betriebe zu erinnern und an die Vernunft der Unternehmer zu appellieren, wäre als erster Schritt die Entfaltung einer Kampagne für die Umlagefinanzierung innerhalb der Organisation und in den Betrieben nötig. Parallel dazu müssten Aktionen in den Betrieben durch die Gewerkschaften vor Ort organisiert werden. Bei allen größeren Tarifrunden, in Branchen, in denen es kampfstarke Betriebe gibt, müsste diese Forderung als eine zentrale Forderung miteinbezogen werden. Nicht zuletzt haben es sowohl ver.di als auch die IG-Metall versäumt, diese Forderung in die europäischen Aktionstage vom 2. und 3. April aufzunehmen und Azubis, arbeitslose Jugendliche und Jugendliche in der "Warteschleife" für diese Aktionstage zu mobilisieren.

Azubis: Wartet nicht auf die Gewerkschaftsvorstände, werdet selbst in Euren Betrieben aktiv! Bildet Aktionsausschüsse für die Durchsetzung der Umlagefinanzierung! Bezieht arbeitslose Jugendliche und Jugendliche in der "Warteschleife" in Eure Aktionen mit ein!

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Nr. 90, Mai 2004

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