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Öffentlicher Dienst

42 Stunden im Büro?

Brigitte Falke, Neue Internationale 90, Mai 2004

Der nächste Schritt in der Umsetzung der Agenda 2010 lässt nicht auf sich warten: Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) hat den Teil der BAT-West und des Manteltarifvertrags zum 30.04.04 gekündigt, der eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden für die landesbeschäftigten Angestellten und Arbeiter im Westen festschrieb. Die Länder wollen statt dessen einen Tarifabschluss mit einer Arbeitszeiterhöhung auf bis zu 42 Stunden pro Woche.

Da die gewerkschaftlichen Tarifpartner dies nicht mitmachen, kündigten schon einige Bundesländer ab dem 1.5.04 (wenn der jeweilige Tarifvertrag ausläuft) für die Neueinzustellenden eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit an: Nordrhein-Westfalen auf 41 Stunden, Bayern auf 42 Stunden.

Löhne runter, Arbeitszeiten rauf

Um dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenzuwirken, sind die Kapitalisten nicht mehr bereit, von ihrem Profit wie bisher etwas abzugeben, um den Öffentlichen Dienst mitzufinanzieren. Die von ihnen geforderte Senkung der Personalkosten soll nun "indirekt" durch die Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich erreicht werden.

Eine Arbeitszeitverlängerung auf 42 Wochenstunden kommt einer Lohnkürzung von ca. 10 % gleich. Weit über 100.000 Arbeitsplätze im Öffentlichen Dienst der West-Länder sind dadurch akut gefährdet und betriebsbedingte Kündigungen wahrscheinlich. Bei Übertragung auf den gesamten Öffentlichen Dienst wären mehrere 100.000 Arbeitsplätze betroffen. Die Arbeitslosigkeit würde damit noch weiter steigen.

Die angekündigte Verlängerung der Arbeitszeit ist zugleich auch ein Einstieg in den Ausstieg aus dem Flächentarifrecht. Er soll und wird Signalwirkung auch auf die Privatwirtschaft haben und würde eine Lawine von Arbeitszeitverlängerung auslösen. Aufgrund dieser Dynamik ist es dringend notwendig, dass nicht nur die unmittelbar Betroffenen Widerstand leisten, sondern auch jene, die nur die nächsten Opfer sein werden: die IndustriearbeiterInnen, die Arbeitslosen und die Jugendlichen, die es umso schwerer haben werden, einen Ausbildungsplatz im Öffentlichen Dienst zu ergattern.

Der öffentliche Dienst soll nach EU- Verfassungsabschluss und Nebenverträgen spätestens bis 2010 zum Teil auf eine reine "Leitergruppen" zusammen schrumpfen, die nur noch Anweisungen auf formal vertraglicher Grundlage an Privatunternehmen ausgeben. Das bedeutet, das dann viele Beschäftigte, die heute noch vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt sind, mit einem Schlag arbeitslos werden können oder im marktwirtschaftlich organisierten "Öffentlichen Dienst" zu klar schlechteren Konditionen arbeiten müssen.

Was unternahm die ver.di-Führung bisher gegen diesen Angriff? Im Tarifabschluss von Potsdam 2003 hatten sich ver.di und die Arbeit"geber" verpflichtet, die Neugestaltung des Tarifrechts bis zum 31.01.05 abzuschließen. In der Lohnrunde 2005 dürfen keine Verhandlungsgegenstände eingebracht werden, die nicht abschließend vereinbart wurden.

Mutlose ver.di

Diese Übereinkunft hat der Arbeitgeberverband aufgekündigt. So strikt sie ansonsten die Einhaltung der Friedenspflicht anmahnen, so skrupellos brechen sie ihrerseits Verträge. Nun denn: Kündigen wir unsererseits auch den Frieden!

Doch der ver.di-Führung fehlt dazu offenbar der Mut. Bisher gab es von ihr nur Absichtserklärungen und die Ankündigung "angemessener Reaktionen".

Doch diese plakativen Äußerungen nimmt in den Belegschaften kaum jemand ernst; es ist allzu offensichtlich, dass damit nichts erreicht werden kann und dass sich die zu allem entschlossenen Gegner über die "Entschlossenheit" von Bsirske und Co. höchstens kaputt lachen.

Freilich würde ihnen das schnell vergehen, wenn ver.di massiv für einen Streik im gesamten Öffentlichen Dienst mobilisieren würde. Aber selbst das könnte und müsste nur ein erster Schritt sein. Weil der Angriff auf den Öffentlichen Dienst quasi "Pilotcharakter" hat und um die Erfolgsaussichten des Kampfes zu vergrößern, ist es nötig, dass alle Gewerkschaften Solidaritätsstreiks durchführen.

Fazit

Der von Hardlinern wie Stoiber und Merz initiierte Arbeitszeit-Vorstoß soll die Schleusen öffnen, um das gesamte Tarif- und Arbeitsrechtssystem zu kippen! Wenn es nicht gelingt, diesen ersten Angriff aufzuhalten, wird es immer schwerer, wenn nicht unmöglich, die nächsten Attacken zu stoppen!

Dieses Beispiel zeigt, dass Staat und Kapital immer neue Brocken auf die Waagschale legen, um das Klassenverhältnis zu ihren Gunsten zu verschieben.

Das Abwarten und Abwiegeln der Gewerkschaftsführungen, ihre Illusion, mit etwas Druck einen Kompromiss zu erreichen, ermutigen die Sozial-Rambos nur noch. Deshalb: auch einzelne Streiks reichen jetzt nicht mehr - eine konzertierte Aktion der gesamten Klasse ist nötig - ein Generalstreik!

Am 1. Mai wird es wieder viele Gewerkschaftsfeste mit den üblichen Fensterreden der Gewerkschaftsbürokraten geben. Gegen deren Gelaber brauchen wir klare Losungen:

Gegen jede Arbeitszeitverlängerung, gegen jede Lohnkürzung, alle in den Streik - bis jede Arbeitszeitverlängerung, bis die ganze Agenda von Tisch ist!

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Nr. 90, Mai 2004

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