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Europäischer Aktionstag

Sozialraub stoppen!

Rex Rotmann, Neue Internationale 89, April 2004

Europa ist in Bewegung. Am 3. April sind Hunderttausende, vielleicht Millionen auf den Strassen des Kontinents, um gegen Sozialabbau, Privatisierungen und die von allen Regierungen forcierten neoliberalen Reformen zu protestieren.

Auch in Deutschland ist eine doppelte Bewegung zu spüren. Einerseits treibt die Schröder-Regierung - "angespornt" von Unternehmerverbänden und Opposition, Medien und "Experten" - die Agenda 2010 voran. Dieses Reformpaket stellt den größten Angriff auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung seit 1945 dar! Es soll die tiefe Krise des Kapitalismus auf Kosten der Lohnabhängigen lösen und das Klassenverhältnis deutlich zu Gunsten des Kapitals verschieben. Das sind die "Hausaufgaben", welche die deutschen Kapitalisten erledigen wollen, um zu den Besten aller Kapitalisten-Klassen zu gehören.

Andererseits ist mit den immer spürbarer werdenden Einschnitten auch in der Bevölkerung die Einsicht gewachsen, dass man sich gegen diese Offensive zur Wehr setzen muss. Im krassen Widerspruch dazu handelt die Führung der millionenstarken Gewerkschaften äußerst zögerlich und tat bisher fast nichts, um Widerstand zu organisieren.

Am 1. November letzten Jahres marschierten in Berlin über 100.000 gegen die Agenda - ohne dass die DGB-BürokratInnen einen Finger gerührt hätten. Gewerkschaftliche AktivistInnen, Sozialforen, Anti-Hartz-Komitees, Linke u.a. bewirkten eine Mobilisierung von unten, die Mut macht.

Manöver statt Kampf

Diese Dynamik hat seitdem noch zugenommen - was auch in einzelnen betrieblichen Aktionen wie Warnstreiks zum Ausdruck kam.

Die Massendemonstrationen am 3. April sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber was passiert danach? Ein neues Gespräch mit dem Kanzler und den Unternehmerverbänden? Die Agenda 2010 lässt sich nicht wegdiskutieren. Sie lässt sich nur wegstreiken - und zwar ohne Rücksicht auf Rot-Grün.

Doch das wollen die GewerkschaftsführerInnen nicht! So versuchte man im Vorfeld der Demo in Berlin, möglichst nur RednerInnen von DGB und attac zuzulassen. Das gesamte Spektrum der sozialen Initiativen und der Linken sollte außen vor bleiben. Damit wollten die DGB-Bürokraten - allen voran IG BCE-Chef Schmoldt - einerseits die Lorbeeren der Mobilisierung allein einheimsen und andererseits verhindern, dass radikale Positionen oder Kritik an der Gewerkschaftsführung geäußert werden.

Sind das nur Unterstellungen? Nein! Am 1. November zeigten die vielen Schilder mit der Forderung nach einem Generalstreik, dass die Basis durchaus weiß, dass energische Aktionen nötig sind, um etwas zu erreichen; dass "Latschdemos" von Ganden des DGB absolut nicht ausreichen, um die Agenda zu kippen.

Nicht nur ungemütlich, sondern zutiefst verstört reagieren die Gewerkschaftsoberen aber darauf, dass es mittlerweile ein ganzes Milieu, ein Netzwerk gibt, dass ohne und auch gegen die Intentionen der Bürokratie eine Bewegung initiieren kann. Was sich bei der SPD an Absetzbewegung zeigt, existiert auch im DGB. Der politische Horizont der Reformisten wird durch die Aussicht getrübt, die politische und organisatorische Kontrolle über die Mehrheit der Klasse - und damit ihre Funktion für die Bourgeoisie als "Aufpasser" über die Arbeiterbewegung - zu verlieren.

Am deutlichsten wird die Absicht der Bürokratie, die Bewegung zu bremsen, zu beruhigen, sie in für Kapital und Regierung ungefährliches Fahrwasser zu lotsen, an ihrem Verhältnis zum 2. April. Das 2. Europäische Sozialforum im November 2003 in Paris hatte einen europaweiten Protesttag angeregt - wenn auch in Form und Inhalt recht unverbindlich. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) beschloss daraufhin, am den 2. und 3. April europaweite Aktionen gegen den Sozialabbau durchzuführen. Auf Druck der Linken gab es dann eine Orientierung auf betriebliche Aktionen und Streiks am 2. April. In den Aufrufen des DGB wird der 2. April natürlich überhaupt gar nicht erwähnt.

Trotz dieser Ignoranz wurden für diesem Tag einige betriebliche Aktionen geplant - Dank der engagierten Vorbereitung von linken AktivistInnen an der Basis, darunter auch Mitglieder der ARBEITERMACHT.

Sehr vielen Menschen ist schon heute klar: auch Demos mit Millionen werden Regierung und Kapital nicht von ihrem sozialen Crash-Kurs abbringen. Doch auch einige Streiks reichen dazu nicht. Um den strategischen Angriff zu stoppen, sind politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik nötig!

Genauso groß wie die Notwendigkeit von massenhaften Streiks, die einen effektiven ökonomischen Zwang erzeugen, ist die Angst der Bürokratie davor. Der Grund ihrer Angst liegt in der Logik ihrer reformistischen Politik. Sie wollen immer und um jeden Preis - den dann die Lohnabhängigen zu bezahlen haben (!) - einen Kompromiss mit dem Kapital. Sie wollen auf keinen Fall die kapitalistische Ordnung als Ganzes in Gefahr bringen. Sie wollen möglichst auch die SPD-Regierung - ihre sozialdemokratischen Kumpane - schonen. Deshalb: Proteste ja, Streiks nein.

Wie weiter?

Der 3. April hat einen weiteren Aufschwung der Mobilisierungen gegen die Agenda gebracht. Hätte der DGB nicht auf mehrere zeitgleiche lokale Demonstrationen orientiert - vielleicht wäre eine Million lautstark durch Berlin gezogen?!

Das Anwachsen der Bewegung macht zwei Dinge deutlich:

1. sind die Gewerkschaften nach wie vor in der Lage zu mobilisieren. Ohne deren Mitwirkung wäre die Beteiligung schwächer ausgefallen. Das zeigt einerseits, welches Potential die Gewerkschaftsführung bisher vergeudet hat, andererseits, wie wichtig, ja entscheidend die Gewerkschaften nach wie vor dafür sind, ob es massenhaften Widerstand gibt oder nicht.

2. ist es notwendig, Strukturen aufzubauen, die in der Lage sind, auch ohne oder gegen die Gewerkschaftsbürokratie Widerstand zu organisieren. Mit einem Wort: wir müssen die Gewerkschaften verändern. Wir - das meint alle, die aktiv werden wollen, die kämpfen, die streiken wollen.

Diese AktivistInnen in Betrieb und Gewerkschaft müssen sich mit der Linken, mit Sozialforen und -initiativen zusammenschließen. Sie müssen eine organisierte Basisbewegung bilden! Diese wäre mehr als nur ein loses Netzwerk. Sie könnte und müsste ein klassenkämpferisches Programm gegen den Sozialabbau, gegen Arbeitslosigkeit u.a. Auswirkungen der Krise erarbeiten. Diese Basisbewegung könnte all jene mitreißen, die noch zögern, die noch abwarten, die deprimiert sind. Eine solche Basisbewegung wäre zugleich und vor allem eine Alternative zu den Bremsern in den Chefetagen der Gewerkschaften. Sie wäre ein mächtiger Hebel, um die Gewerkschaften wieder zu aktiven und attraktiven Organisationen der Lohnabhängigen umzugestalten.

Die derzeit heftig diskutierten "Wahlalternativen" zur SPD sind auf ihre Art Ausdruck der Unzufriedenheit mit der SPD, sind Ausdruck ihrer tiefen Krise. Das Manövrieren, Drohen und Ankündigen der InitiatorInnen dieser Initiative muss durch eine offene Debatte über eine neue Arbeiterpartei ersetzt werden! Dabei geht es nicht nur um eine Wahlalternative - es geht um eine Kampfpartei gegen den Kapitalismus.

Wenn deren InitiatorInnen meinen, es ginge nicht um die Frage Reform oder Revolution, dann sagen wir: Genau darum geht es! Wir brauchen nicht den illusorischen Versuch einer Neuauflage der SPD der 1950 oder 60er Jahre. Wir brauchen eine Arbeiterpartei, die innere Demokratie, revolutionäre Programmatik und klassenkämpferische Praxis miteinander verbindet.

Der 3. April wird das Selbstbewusstsein, wird den Kampfesmut der Lohnabhängigen stärken. Dieser Elan muss jetzt dazu genutzt werden, neue Schichten in die Bewegung zu ziehen. In allen Betrieben, in allen gewerkschaftlichen Strukturen, an Unis, Schulen und in den Wohngebieten müssen jetzt Komitees gegen die Agenda gebildet werden! Diese Komitees - egal, welchen Namen sie haben - müssen vor allem Zentren der Aktion sein, aber auch diskutieren, welches Programm, welche Ziele und Methoden im Kampf die richtigen sind.

Diese Initiativen müssen bundesweit verbunden werden. Bisher gab es schon mehrere solcher bundesweiter Koordinierungstreffen. Doch was bisher fehlte, war eine repräsentative, demokratisch gewählte und verantwortliche Kampfführung sowie ein Mobilisierungsplan - diese müssen in den nächsten Monaten geschaffen werden!

Die Dimension des Angriffs wie die Größe der eigenen Ziele - Massenstreiks, bis die Agenda fällt - lassen keinen Platz für Selbstgenügsamkeit. Wir brauchen eine zugleich demokratische wie verbindlich organisierte, vielfältige und doch einheitlich handelnde Anti-Agenda-Bewegung.

Allein schon die Initiative des 2. Europäischen Sozialforums zeigt, wie bedeutsam die antikapitalistische Bewegung für den Widerstand in jedem einzelnen Land ist. Die Welt ist "globalisierter" denn je. Das Kapital handelt danach, es hat seine Agenturen wie die EU, den IWF oder die NATO. Den Lohnabhängigen dagegen fehlen solche internationalen Kampfstrukturen zur Durchsetzung ihrer Interessen noch. Gemeinsame europäische Aktionstage oder Treffen sind gut - aber sie reichen nicht! Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die ausgebeuteten und unterdrückten Massen der ganzen Welt brauchen eine neue, eine Fünfte Internationale! Nur sie wäre imstande, Kämpfe international nicht nur zu koordinieren, sondern sie zu führen. Nur sie wäre in der Lage, ein globales Programm zum Sturz des Kapitalismus zu erarbeiten und umzusetzen.

Nach den Demonstrationen vom 3. April muss der nächste Schritt erfolgen: die Vorbereitung von Streiks in den Betrieben! Die zahlreichen Massenproteste und Kämpfe der letzten Monate in Ländern wie Italien, Österreich, Frankreich zeigen, dass die Lohnabhängigen in ganz Europa kampfbereit sind. Demnächst könnte, ja muss in dieser Zeitung nicht nur stehen: "Europa in Bewegung", sondern - Europa im Streik!

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Nr. 89, April 2004

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