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Nationale Unterdrückung

Die baskische Frage

Simon Hannah, Neue Internationale 89, April 2004

Die "Baskenfrage" geriet wieder in die Schlagzeilen, als die spanische Aznar-Regierung versuchte, die Schuld an den Madrider Bombenattentaten der ETA - der baskischen separatistischen Guerillagruppierung - in die Schuhe zu schieben.

Dieser Vorwurf stellte sich schon bald als Lüge heraus - eine Tatsache, die Ministerpräsident José Maria Aznar, der Spanien in den Krieg gegen den Irak führte, vertuschen wollte. Die SpanierInnen durchschauten aber dieses zynische Manöver und straften Aznar ab, indem sie ihn aus dem Amt wählten.

Wer sind die BaskInnen?

Doch wer sind die BaskInnen und warum führen einige ihrer politischen Organisationen einen militanten, bewaffneten Kampf mit dem spanischen Staat?

Das Baskenland - Euzkadi - erstreckt sich entlang der Grenze Nordwestspaniens und Südwestfrankreichs. Es wird von ca. 6 Millionen Menschen bewohnt. Die Basken haben eine eigene Sprache, die mit keiner anderen indoeuropäischen Sprache verwandt ist. Sie pflegen ihre eigene, spezifische Kultur und Tradition.

Während der Geschichte des modernen Spaniens wurde dem baskischen Volk nie gestattet, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Zur Zeit des faschistischen Franco-Regimes war die durch die spanische Arbeiterklasse im Allgemeinen erlittene Unterdrückung schlimm, aber im Baskenland war sie noch größer.

Parallel zur "normalen" faschistischen Repression litten die BaskInnen auch unter der nationalen Knechtung. Ihre Sprache wurde verboten, ihre Namen ins Spanische "übersetzt" und die baskische Flagge verboten. Jeder organisierte Ausdruck nationaler Identität traf auf die gewaltsame Antwort des Staates.

Während das auf Franco folgende Regime einen gewissen Grad an Autonomie gewährte, wurde die grundlegende Frage, ob das baskische Volk die Unabhängigkeit wünscht oder nicht, nie gestellt. Der spanische Staat hat seit Francos Tod klar gemacht, dass es die Abtrennung von Spanien nie erlauben würde. Spanien und Frankreich haben weder einigen noch allen sieben baskischen Provinzen je gestattet, über diese Frage frei abzustimmen.

Die postfrancistische Verfassung erklärte die "unauflösliche Einheit der spanischen Nation, des gemeinsamen und unteilbaren Vaterlandes aller SpanierInnen". Dies war Verrat an den demokratischen Rechten der BaskInnen, so dass die baskische Nationalpartei bei der Volksabstimmung zur Ratifizierung der Verfassung zur Stimmenthaltung aufrief. 56% der Bevölkerung dreier Provinzen der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (BAG) stimmten nicht ab; von denen, die es taten, verabschiedeten 68,8% die Verfassung - deutlich weniger als im nationalen Durchschnitt.

Die ETA reagierte darauf und erklärte den als Resultat hervorgegangenen Moncloa-Pakt für illegal - wie alle baskischen Parteien und Bewegungen - und weigerte sich, die Rechtmäßigkeit eines Plebiszites anzuerkennen, an dem nur 44% der Bevölkerung teilgenommen hatten.

Die Regierung Aznar war drauf und dran, alle Versuche zur Abhaltung eines Referendums über die Selbstbestimmung für ungesetzlich zu erklären. Dies erfolgte, nachdem der baskische regionale Führer Juan José Ibarretxe ein Referendum über geteilte Souveränität mit Spanien in der BAG vorgeschlagen hatte, was einen "Staat freier Assoziation" schaffen sollte. Aznar stellte 2002 fest: "Es wird keinen Spielraum für ein Ausbrechen geben. Niemand wird ein ungesetzliches Regime gründen".

Tatsächlich beschnitt die Regierung der Volkspartei Aznars (PP) die demokratischen und nationalen Rechte der baskischen Bevölkerung noch weiter. Die Maßnahmen umfassten Verbote politischer Parteien, Behinderungen von KandidatInnen bei deren Aufstellung zu Wahlen, Zensur (Schließung von Presseeinrichtungen und Internetseiten), Beschlagnahme von Vermögen und Einfrieren von Bankkonten, Enteignung von Besitz und Büros baskischer Organisationen und Anwendung staatlicher Ausnahmegesetze, um Versammlungen zu unterbinden.

Parallel dazu macht der Staat routinemäßig Gebrauch von Antiterrorgesetzen, lässt Mitglieder militanter baskisch-nationalistischer Organisationen nicht zur Ruhe kommen. Dafür ist er sogar von einer EU-Kommission, die Foltervorwürfen nachging, zur Rede gestellt worden. Diese Kommission fand klare Beweise dafür, dass Polizei und Guardia Civil (Staatsschutz) Schläge, Strangulationen und Elektroschockmethoden gegen ETA-Gefangene einsetzen.

Die jüngste Offensive gegen die ETA und baskisch-nationalistische Gruppen begann 2002 und nahm noch an Tempo zu, weil Aznar die Gelegenheit erkannte, im Gefolge des 11. September einen heftigen Schlag auszuteilen. Im Mai 2003 erklärte das US State Department (Außenministerium) die baskische Partei Batasuna und deren Vorläuferin Herritarrok und Herri Batasuna (HB) zu terroristischen Organisationen. Im Monat darauf folgte dem auch die EU.

Die ETA-Kampagne

Die Ursprünge der militärischen Kampagne der ETA liegen im Widerstand gegen das Regime Francos. An der Seite politischer Massenbewegungen führte die ETA bewaffnete Aktionen durch. Diese bestanden gewöhnlich aus der Ermordung höherer PolitikerInnen Francos und von Armee- bzw. Polizeioffizieren oder der Entführung bedeutender Industriemagnaten. In diesem Sinn war sie eine Kampagne individuellen Terrorismus‘, aber als Teil einer massenhaften Widerstandsbewegung gegen Franco.

Nach Francos Tod akzeptierten die großen reformistischen Parteien PSOE und PCE (sozialistische und kommunistische Parteien) Einschränkungen der Demokratie, um nicht die Ultras zu "provozieren" - jene verbliebenen Elemente innerhalb des Staats, besonders in der Armee, die zu einer faschistischen Diktatur zurückkehren wollten.

Diese Übereinkunft war ein Verrat an der Sache der spanischen Arbeiterschaft als Ganzes, aber er war besonders bitter für die BaskInnen.

Die ETA blieb illegal, und obwohl andere politische Gefangene durch eine Amnestie freigelassen wurden, kam keine/r der ETA-Gefangenen frei, welche in ‚kriminelles Blutvergießen‘ verwickelt waren. Die Weigerung, ETA-Gefangenen Amnestie zu gewähren, während mörderische francistische Polizei- und Armeebeamte nicht nur in Freiheit, sondern auch auf ihren hoch dotierten Posten blieben, war ein Hauptgrund, warum die ETA sich weigerte, einen Waffenstillstand auszurufen.

Der spanische Staat wendet weiterhin Gewalt an, um die nationalistische Bewegung zu zerstören; am bekanntesten sind die Todesschwadronen der GAL.

Alle SozialistInnen und DemokratInnen sollten die baskischen Bewegungen und Kampagnen für demokratische Rechte und gegen staatliche Unterdrückung kritisch unterstützen.

Wir fordern Freiheit für alle politischen Gefangenen! Tatsächlich werden wir in jedem Konflikt zwischen dem spanischen Staat und der ETA diese kritisch unterstützen. Ein Staat, der Todesschwadronen einsetzt, um das baskische Volk zu terrorisieren, hat kein Recht, jene einzusperren, die beschuldigt werden, ETA-AktivistInnen oder ETA-Mitglieder zu sein.

Warum sind wir kritisch?

Die heutige ETA-Strategie zielt im Prinzip darauf, Verhandlungen über die Frage der Gefangenen und der Selbstbestimmung sicherzustellen.

Sie trachtet nicht danach, das baskische Volk oder sogar darüber hinaus die spanische Bevölkerung um nationale, demokratische, wirtschaftliche und soziale Forderungen herum zu mobilisieren. Deshalb kehrt sie der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die ihre Forderungen durchsetzen kann - der Arbeiterklasse - den Rücken zu.

Bestenfalls sieht die ETA die Bewegungen und Organisationen der Massen in einer Unterstützerrolle. Insofern stehen die individuellen Terrorakte der ETA dem gemeinsamen Kampf aller Lohnabhängigen in Spanien im Wege.

Schlimmstenfalls verhilft sie dem spanischen Bürgertum dazu, alle Klassen um den populären Ruf "gegen den Terrorismus" zu einen. Das hat zu Massendemonstrationen in ganz Spanien und selbst im Baskenland gegen die ETA geführt.

Deshalb fordern wir die ETA auf, eine Feuereinstellung zu verkünden und davor zu warnen, dass jede Friedensverhandlung mit dem kapitalistischen spanischen Staat eine Sackgasse ist. Außerdem bedeutet der Ruf nach Waffenstillstand nicht, dass die Arbeiterklasse oder die Unterdrückten in irgendeiner Weise das Recht zurückweisen, ihre eigene militärische Verteidigung zu organisieren.

Statt dessen ist eine Strategie vonnöten, die die Arbeiterklassen sowohl des Baskenlandes wie auch Gesamtspaniens für demokratische, nationale, ökonomische und soziale Bedürfnisse mobilisiert und zum Ziel einer sozialistischen Revolution führt.

Recht auf Selbstbestimmung!

Arbeitermacht unterstützt das Selbstbestimmungsrecht der BaskInnen - auch wenn wir bezweifeln, dass sich die Mehrzahl der BaskInnen gegenwärtig von Spanien lostrennen möchte. Keine der Parteien und Bewegungen für die Abspaltung haben jemals über eine mehrheitliche Unterstützung in der BAG oder den anderen baskischen Provinzen verfügt. Die Sezession befürwortende Parteien haben noch weniger Unterstützung in der Provinz Navarra und in den baskischen Provinzen Frankreichs.

Trotzdem beweisen die Wahlergebnisse und Meinungsumfragen klar, dass die Mehrheit der Bevölkerung in der BAG und eine Minderheit in den anderen Provinzen der Ansicht ist, nicht nur eine "andere" Region Spaniens oder Frankreichs zu sein.

Diese Menschen wollen sich nicht abtrennen - aber sie unterstützen das Selbstbestimmungsrecht. Die baskische Unabhängigkeitsfrage kann nur gelöst werden, indem die BaskInnen das Recht gewinnen, frei zu entscheiden, ob sie die Unabhängigkeit von Spanien, den Status Quo oder mehr Autonomie innerhalb Spaniens erlangen möchten.

Daher treten wir für ein Referendum über die Unabhängigkeit des Baskenlands ein. Wir bekämpfen alle Zeichen von Unterdrückung und Einschränkung demokratischer Rechte und drängen die Arbeiterbewegungen in ganz Spanien (und Frankreich), ihren baskischen Brüdern und Schwestern zu Hilfe zu eilen. Denn eine Nation, die eine andere unterdrückt, kann selbst nie frei sein.

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Nr. 89, April 2004

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*  3. Europäisches Sozialforum: Reif für die Insel
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*  Berliner Kürzungspolitik: Absaufen im Stellenpool
*  Nach dem Attentat auf Scheich Yassin: Zionistische Optionen
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*  Initiative und Wahlalternative: Neue SPD? Neue Arbeiterpartei!