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Ausstellung "Kunst in der DDR"

40 Jahre kein Sex

Lukas Panzer, Neue Internationale 83, September 2003

Offensichtlich hat die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin den Nerv der Zeit getroffen. Über 60.000 Besucher stürmten seit der Eröffnung die Hallen des Mies van der Rohe-Baues. Mit 400 Werken von 145 Künstlern ist es die erste umfassende Schau von 40 Jahren Kunstproduktion in der DDR nach der Wende. Die Ausstellung gibt sich jedoch betont unpolitisch. Die Kunst soll, so die Ausstellungsmacher, für sich selber sprechen. Verweise auf politische und gesellschaftliche Zusammenhänge finden sich nur spärlich.

Durch die ausgestellte Vielfalt der künstlerischen Positionen sollen gängige Vorstellungen von DDR-Kunst hinterfragt werden. Weder wolle man das Klischeebild vom Sozialistischen Realismus bedienen noch vereinfachend zwischen Staats- und Dissidentenkunst polarisieren, so die Organisatoren im Flyer.

Es ist "nicht die weltanschauliche Position, sondern allein die Qualität und das Niveau des Kunstwerkes, die am Ende bleibt und Bestand hat" erfahren wir im Katalog.

Die Ausstellung und ihre Inszenierung kann letztlich wie eine große Versöhnungsgeste gelesen werden. Doch trotz oder gerade wegen der fast peinlichen Neutralität hat die Ausstellung etwas Erbärmliches. Selbst wenn man sich als Betrachter auf die vermeintliche Neutralität einlässt, scheitert sie am behaupteten Qualitätsanspruch der Werke.

Ein gemalter Mief kollektiver Spießigkeit zieht sich durch die Ausstellung. Wir sehen eine Ausstellung ohne Höhepunkte. Es gibt nur wenige Überraschungen wie ein paar sehr frühe Arbeiten von A.R. Penck oder einen frühen Leger-Verschnitt von Willi Sitte aus den 50iger Jahren.

Die Ausstellung ist nach Zeitabschnitten, Schulen und Künstlerzusammenhängen gegliedert. In der Eingangshalle hängen drei großformatige Arbeiten von so unterschiedlichen Leuten wie A.R.Penck, Werner Tübke und Hermann Glöckner, die von einem Experimentalfilm Lutz
Dammbecks ergänzt werden.

Im ersten Abschnitt "1945 Stunde Null" treffen wir bekannte Arbeiten von Kretschmar, Grundig und Wilhelm Rudolph mit seinem berühmten Zyklus vom zerstörten Dresden. Danach folgt "Traditionen" mit Arbeiten von Siegfried Klotz, Curt Querner oder Wilhelm Lachnit, die relativ nahtlos an die Traditionen der Neuen Sachlichkeit oder des Deutschen Spätimpressionismus anschließen und zumindest nichts behaupten, was sie nicht einhalten ...

Der Rest der Ausstellung ist, abgesehen von der teilweise richtig guten Fotografie und schönen formalen Kompositionen von Hermann Glöckner, eigentlich eine Zumutung und mit ein, zwei Ausnahmen nur noch unter soziologischen Gesichtspunkten zu ertragen.

Spießiger Manierismus eines Werner Tübke in der Art der Wiener Phantasten und klein karierte Otto Dix-Kopien werden abgelöst von Möchtegern-Picassos, halbherzigem Expressionismus oder grau gehaltener Bauernmalerei.

Kunst, die keinem Weh tut, und auch als Deko-Ware in einem Kaufhaus für Wohnzimmermöbel nicht besonders auffallen würde. Öde Stillleben und Häuserfronten mit gelangweilten Halbakten und witzlosen Harlekinen durchziehen die Motive der Bilder. Man bekommt den Eindruck, als hätte es in der DDR weder Farben noch Frauen gegeben.

In den Bildern wird nicht gevögelt. Mit wem auch? Sex oder ein bisschen Ironie sind der ausgestellten "Zonenmalerei" fremd, von Kritik ganz zu schweigen.

Wenn man Kunst gerecht werden möchte, muss man sie im Weltmaßstab betrachten. Ein Bild oder Gedicht wird nicht dadurch besser, dass die anderen ignoriert werden. Der Kunst- und Kulturbetrieb funktioniert international, der Rest ist Folklore.

Manchmal sehnt man sich beim Gang durch die Ausstellung direkt nach ein paar schwülstigen Arbeiter und Soldaten-Schinken des Sozialistischen Realismus in der Art eines Brodski oder Denikin, um der gezeigten Belanglosigkeit zu entkommen und wenigstens am
gemalten Scheitern einer stalinistischen Utopie vom Sozialismus in einem halben Land teilhaben zu können. Aber Fehlanzeige. In der DDR gab's nicht mal das - zumindest, wenn man die Ausstellung ansieht.

Dabei war der gesellschaftliche Status als auch die soziale Absicherung der Ostkünstler enorm. Kaum einer musste sich wirklich Sorgen um seine materielle Existenz als Künstler machen. Wer nicht Wert auf das Lob der Parteisekretäre und Kunstbürokraten legte, konnte eigentlich malen, was er wollte. Aber die Kunst im Ostblock war auch wesentlich weniger abgehoben als im Westen. Der Kontakt zur Bevölkerung war Teil der Kulturpolitik. Das Interesse an den alle paar Jahre stattfindenden DDR-Kunstausstellungen war auch ohne staatliche Aufforderung enorm. In der DDR wurde die Arbeiterklasse nicht aufgehoben, sondern zementiert. Die Kunst ist letztlich auch Ausdruck dieser gesellschaftlichen Erstarrung durch den Stalinismus. Sie ist letztlich eine Kapitulation nicht nur vor den mehr oder weniger strengen Vorgaben des SED-Politbüros, sondern auch vor dem kleinbürgerlich, spießigen Geschmack einer sich nicht befreienden Arbeiterklasse.

Wir sind brav

Das eigentliche Ärgernis ist weniger die schlechte Qualität der Arbeiten als die Feigheit, die sie verkörpern. Eine Feigheit, die letztlich auch durch die Ausstellung selbst unfreiwillig unterstrichen wird und sich die eigene gekränkte Eitelkeit nicht mal eingesteht - museal
aufbereitetes Gejammer von Privilegierten der DDR-Gesellschaft und Wende-Professoren, die endlich ankommen wollen bei ihren neuen Herren und Geldgebern.

Vom "Ende eines Kunstkrieges" und der nun endlich möglich scheinenden "inneren Einheit Deutschlands" erzählen uns indes die Feuilletonisten.

Andere bekommen sogar "Schwindelgefühle" angesichts der "musealen Aura und der klassischen Ausgewogenheit, die hier eine Kunst nach 13 Jahren der Diffamierung Herablassung und Ausgrenzung" entwickle.

"Wir sind brav und seht her, wir waren es auch immer" könnte man als Leitspruch über die Eingangshalle nageln. Kein gesellschaftlicher Konflikt ist uns nah genug, als dass er nicht ausgelassen werden könnte.

"Kunst in der DDR"
25. Juli bis 26. Oktober 2003
Neue Nationalgalerie
Berlin, Potsdamer Str. 50
Katalog: 22 Euro
Eintritt: 7 Euro

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Nr. 83, September 2003

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