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65 Jahre Vierte Internationale

Aufstieg und Fall

Von Martin Suchanek, Neue Internationale 83, September 2003

Vor 65 Jahren wurde die Vierte - und bislang letzte - revolutionäre Internationale gegründet. Sie war und ist untrennbar mit dem Kampf Leo Trotzkis und der Linken Opposition der 20er und 30er Jahre verbunden.

Das Verebben des ersten Ansturms der proletarischen Revolution in Europa (aufgrund des Verrats der Sozialdemokratie und der politischen Unreife und Schwäche des Kommunismus) führte zur Isolierung der Sowjetunion nach dem Ersten Weltkrieg. Nur unter der Führung der Bolschewiki konnte die Arbeiterklasse, gestützt auf die Bauernmassen, die politische Macht erobern und gegen die Konterrevolution verteidigen.

Stalinisierung

Aber das Ausbleiben der internationalen Revolution führte zu einer Verschiebung des sozialen und politischen Kräfteverhältnisses in der Sowjetunion selbst. Eine mächtige politische Kaste, die Sowjetbürokratie, konnte sich der Errungenschaften der Oktoberrevolution bemächtigen und die politische Macht monopolisieren. Ihr Aufstieg und ihre Machtergreifung sind untrennbar mit der politischen Degeneration der sowjetischen Innen- und Außenpolitik und der Kommunistischen Internationale (Komintern) verbunden.

Der proletarische Internationalismus der frühen Komintern und des Bolschewismus wurden durch die reaktionäre und utopische Politik des "Aufbaus des Sozialismus in einem Land" ersetzt.

Die Politik der Stalin-Bürokratie zeigte sich über ein Jahrzehnt äußerst schwankend, von rechts-opportunistischen Positionen (z.B. in der chinesischen Revolution) bis hin zu ultra-linken Phrasen (Sozialfaschismustheorie). Nach der Machtergreifung des Faschismus in Deutschland, der verheerendsten Niederlage der Arbeiterklasse, zeigten sich weder KPD noch die Komintern einer ernsthaften Selbstkritik fähig. Die Niederlage - und vor allem der eigenen Anteil daran - wurden schöngeredet.

In der politischen Taktik zeichnete sich ein wichtiger Schwenk ab. War der Stalinismus bis Mitte der 30er Jahre durch ein, wenn auch hilfloses Schwanken zwischen Reform und Revolution im Weltmaßstab gekennzeichnet, so folgte Mitte der 30er Jahre der endgültige Übergang ins Lager des Reformismus.

Hatten die Stalinisten in der sog. "Dritten Periode" (1929 - 33) die Einheitsfront mit den Sozialdemokraten gegen den Faschismus rundweg abgelehnt, so trat nun an Stelle der Einheitsfront das strategische Bündnis mit den Reformisten und mit den "fortschrittlichen" Teilen der nationalen Bourgeoisie, die "Volksfront". Diese konterrevolutionäre Politik, die immer zur Unterordnung der Klasseninteressen des Proletariats (und natürlich auch der sozialistischen Revolution) führen muss, wurde besonders im spanischen Bürgerkrieg mit letzter Konsequenz und bis zum bitteren Ende durchgeführt.

Die Kommunistische Partei in der Sowjetunion und die Komintern machten den Wandel von einer revolutionären Masseninternationale zu einer Agentur der herrschende Bürokratie nicht ohne innere Kämpfe durch. Die Bolschewistische Partei und die Komintern wurden in den 20er und 30er Jahren von allen revolutionären, ja schließlich von allen irgendwie "abweichlerischen" Elementen systematisch gesäubert.

Gegen die Degeneration der Komintern hatten sich schon früh oppositioneller Widerstand gebildet, der sich oft an taktischen oder Teilfragen entzündete. Manche dieser oppositionellen Strömungen kamen und gingen rasch, Teile wanderten zur bürgerlichen Linken (also zum linken Flügel der Konterrevolution), andere erstarrten im Sektierertum wie sog. "Linkskommunisten" (Rätekommunisten, Bordigisten), manche verharrten in mehr oder weniger nationaler Existenz.

Nur die Linke Opposition um Trotzki vertrat von Beginn an ein Programm zur Wiederherstellung der Komintern auf revolutionärer, leninistischer Basis - sowohl, was ihre Programmatik wie auch ihr inneres Regime anging. Es ist eine gewisse Ironie der Geschichte, dass sich gerade Leo Trotzki, der erst 1917 zur Bolschewistischen Partei stieß, als deren konsequentester Vertreter, als entschlossenster und vor allem politisch-theoretisch weitsichtigster Gegner des Stalinismus erwies.

Kampf der Linken Opposition

Dabei ging es keineswegs in erster Linie um die Kritik an Stalin, sondern vor allem um die Verteidigung und Weiterentwicklung des politisch-programmatischen Erbes der Kommunistischen Internationale, vor allem deren erster vier Kongresse.

"Die revolutionäre Politik kann nicht ohne revolutionäre Theorie entwickelt werden. Es geht hier keineswegs darum, ganz von vorne anzufangen. Wir stellen uns auf den Boden von Marx und Lenin. Die ersten Kongresse der Kommunistischen Internationale haben uns ein unschätzbares programmatisches Erbe hinterlassen: die Charakterisierung unserer Epoche des Imperialismus, d.h. des Niedergangs des Kapitalismus; die Natur des zeitgenössischen Reformismus und die Methode des Kampfes gegen ihn; das Verhältnis zwischen Demokratie und proletarische Diktatur; die Rolle der Partei in der proletarischen Revolution; das Verhältnis zwischen der Partei und dem Kleinbürgertum, besonders der Bauernschaft (Agrarfrage); die nationale Frage und der Kampf der Kolonialvölker für ihre Befreiung; die Arbeit in den Gewerkschaften; die Politik der Einheitsfront; die Haltung zum Parlamentarismus usw.; alle diese Fragen waren im Laufe der Arbeit der vier Kongresse Gegenstand von Analysen und prinzipiellen Erklärungen, die in keinem Punkt überholt sind." (Trotzki, 17.8.1933)

Trotz ihrer zahlmäßigen Schwäche knüpften die Internationale Linksopposition und später die Internationale Kommunistische Liga an diesem Erbe an und verteidigten es. Bis 1933 hatte die Internationale Linksopposition den Kampf für die Gesundung der Kommunistischen Internationale ins Zentrum gestellt. Der Sieg des Faschismus zeigte dann jedoch, dass sie als Instrument zum Sturz des Weltkapitalismus vollends verloren war.

Der Kampf für die Vierte Internationale wurde aufgenommen. Bei aller Verschiedenheit der Aufbauphasen und Taktiken zieht sich ein roter Faden durch die Politik Trotzkis: die Verbindung programmatischer und politischer Unnachgiebigkeit mit äußerster taktischer Flexibilität (Blöcke mit nach links gehenden Zentristen, Entrismus in reformistische Parteien, Taktik der Arbeiterpartei ...).

Für die Vierte Internationale!

"Wie auch immer eine neue Internationale Form annehmen wird, welche Stadien sie durchlaufen wird, welche abschließende Form sie annehmen wird - das können wir heute nicht voraussagen. Ja, es gibt keine Notwendigkeit, das zu wissen. Das wird die Geschichte zeigen. Aber es ist notwendig, damit zu beginnen, eine Programm zu proklamieren, das den Aufgaben der historischen Epoche entspricht. Es ist notwendig, Mitstreiter auf der Basis dieses Programms zu mobilisieren, die Vorkämpfer einer neuen Internationale. Ein anderer Weg ist nicht möglich." (Trotzki, Writings 35-36, S. 159)

Dieses Bestehen auf programmatischer Klarheit hat "dem Trotzkismus" bis heute jede Menge Kritik eingehandelt. Damit, so die verschiedensten Gegner (wie auch manche vorgebliche Anhänger), würde man sich von "den Massen", "von der Linken", von anderen "Sozialisten und Kommunisten" isolieren und die "politische Einheit" gefährden.

Dieser Vorwurf wurde noch dadurch "erhärtet", dass der Trotzkismus nach 1945 selbst in konkurrierende, mehr oder weniger prinzipienlose und/oder sektiererische Splitter zerfiel. Ein Teil der "Trotzkisten" hatte außerdem selbst immer schon Trotzkis Bestehen auf programmatischer Klarheit abgelehnt (Linksruck, Lutte Ouvrier) oder essentielle Teile des Programms wie die Frage der Zerschlagung des bürgerlichen Staates durch die proletarische Revolution, die Bewaffnung der Arbeiterklasse und die Schaffung eines Rätestaates (der Diktatur des Proletariats) unter den Tisch fallen lassen (z.B. SAV).

Andererseits wurde in den Händen der Sektierer wie der Spartakist Arbeiterpartei oder der "Partei für soziale Gleichheit" das Programm zu einem reinen Fetisch, das von einer Anleitung zum revolutionären Handeln zu einem bibelähnlichen Beleg fürs "Rechthaben" wurde.

Das Programm, so Trotzki, ist die Partei. Es ist die wissenschaftlich begründete Zusammenfassung der bisherigen historischen Erfahrungen der Arbeiterklasse. Es ist ein Programm, das von den objektiven Verhältnissen ausgeht und daraus entwickelt, welche Aufgaben die Arbeiterklasse hat, welche Taktiken und Methoden die Avantgarde der Klasse anwenden muss, um die Massen zur Revolution zu führen.

Wozu ein Programm?

"Was ist nun die Partei? Worin besteht ihr Zusammenhalt? Dieser Zusammenhalt ist das gemeinsame Verständnis der Ereignisse, der Aufgaben; und dieses gemeinsame Verständnis - das ist das Programm der Partei."

Ein solches Programm muss nach Trotzkis Auffassung von der objektiven Lage ausgehen.

"Überall frage ich, was sollen wir tun. Unser Programm der objektiven Lage oder der Mentalität der Arbeiter anpassen?" (Diskussion zum Programm, S. 67)

Trotzki Antwort darauf ist eindeutig, ja kategorisch.

"Jetzt treten die Vereinigten Staaten in eine vergleichbare Lage (wie Europa; die Red) ein, mit vergleichbaren Gefahren einer Katastrophe. Die objektive Lage des Landes ist in jeder Hinsicht und sogar mehr als in Europa reif für die sozialistische Revolution und für den Sozialismus, reifer als die jedes anderen Landes der Welt. Die politische Rückständigkeit der amerikanischen Arbeiter ist sehr groß. Diese ist der Ausgangspunkt unserer Aktivität. Das Programm muss die objektiven Aufgaben der Arbeiterklasse eher ausdrücken als die Rückständigkeit der Arbeiter. Es muss die Gesellschaft widerspiegeln so wie sie ist, und nicht die Rückständigkeit der Arbeiter." (Diskussion zum Programm, S. 57)

Trotzki folgt damit dem Gebot von Marx und Luxemburg, dass die Kommunisten ihre Ziele offen und klar darlegen. Es geht darum zu sagen "was ist" - und was notwendig ist, die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen.

Dazu muss sich die Avantgarde der Klasse, müssen sich die bewusstesten Teile des Proletariats in einer revolutionären Partei organisieren - und zwar auf Grundlage eines solchen Programms, das sowohl der Partei (der Führung wie den Mitgliedern) und der Klasse die Überprüfung ihrer Politik erlaubt (so wie auch die Partei im Lichte der Erfahrung ihr Programm modifizieren wird).

Für Trotzki ist das Programm eine Anleitung zum Handeln, eine Anleitung, die "Tageskämpfe" der Arbeiterklasse, ja alle Formen des Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung mit dem Kampf um die Eroberung des Macht zu verbinden. Daher knüpft er an der Methode der Übergangsforderungen an, wie sie schon bei Marx im Kommunistischen Manifest erscheinen - wenn auch nur auf eine akut revolutionäre Krise bezogen.

Auch die Kommunistische Internationale hatte nach dem Abebben der Revolution nach 1918/19 begonnen, den Defensivkampf und die Abwehrfront gegen Angriffe der Kapitalisten mit Übergangsforderungen zu verbinden, um so eine Brücke zum Kampf für den Sozialismus zu schaffen.

Unter Übergangsforderungen verstehen wir dabei Forderungen wie "Produktionskontrolle" usw., die allesamt in Richtung der Schaffung von Doppelmachtorganen der Klasse weisen und auf Dauer mit dem Fortbestand des Kapitalismus unvereinbar sind.

Die zentrale Bedeutung der Übergangsforderungen ist im Gründungsprogramm der "Vierten Internationale" klar niedergelegt.

Übergangsmethode

Ein "Übergangsprogramm" muss daher sowohl aus aktuellen, unmittelbaren ökonomischen und politischen Forderungen, aus Maximalforderungen wie auch aus Übergangsforderungen bestehen, die eine Brücke zwischen dem aktuellen Bewusstsein der Klasse, das vorwiegend reformistisch oder rein gewerkschaftlich geprägt ist, und dem Kampf um die Macht bilden.

Dieser neue Typus von Programm macht jedoch nur aus dem Blickwinkel der sozialistischen Revolution Sinn. Für jeden Reformismus ist die Überwindung von Maximal- und Minimalprogramm ganz sinnlos, da die Machtergreifung ohnedies nicht angestrebt wird.

Ebenso wenig macht es für Sektierer Sinn, die meinen, ohne Taktik, ohne die Heranführung und Gewinnung der Massen in der theoretischen und praktischen Konfrontation mit Reformisten und Gewerkschaftsführern durch reine "Kritik" und "Aufklärung" die ArbeiterInnen gewinnen zu können.

Das Programm, die Partei sind jedoch Kampfinstrumente, um die Führung der Klasse zu erringen und müssen daher auch über ein taktisches Arsenal verfügen, dass den Kampf gegen reformistische, kleinbürgerliche etc. Strömungen (einschließlich einer Bündnispolitik gegen Imperialismus und Kapital) ermöglicht.

Ein weiterer, wesentlicher Aspekt der Gründung der Vierten Internationale war Trotzkis Bestehen darauf, dass die revolutionäre Partei von Beginn an international aufgebaut werden muss. Jedes Warten darauf nach dem Motto "Zuerst nationale verankerte Parteien aufbauen" und dann politischer Zusammenschluss würde von Beginn an die Gefahr der Degeneration in einen nationalbornierten Revolutionismus beinhalten - und damit der Wiederholung der nationalen Anpassung von Sozialdemokratie und Stalinismus.

Gründung der Vierten Internationale ...

Auch die Frage des Aufbaus einer revolutionären Internationale ergibt sich also ganz folgerichtig aus dem Charakter des Imperialismus, als Niedergangsstadium, als Übergangsepoche vom Kapitalismus zum Sozialismus. Das Proletariat kann zwar in einem oder einer Reihe von Ländern siegen - der Übergang zum Sozialismus, zur klassenlosen Gesellschaft wird aber nur im internationalen Rahmen möglich sein. Daher ist auch die internationale Verbindung der revolutionären ArbeiterInnen von Beginn an so wichtig.

Die Vierte Internationale wurde 1938 gegründet, als Organisation von Propagandaorganisationen und kleinen Avantgardeparteien. Ihre Gründung war aber in jedem Fall notwendig und korrekt. Ein weiteres Hinauszögern der Gründung hätte nicht - wie damalige und heutige Kritiker meinen - zu einem späteren, besseren Start mit "mehr Masse" geführt.

Die wenigen genuinen revolutionären KommunistInnen dieser Zeit hätten vielmehr ihre eigene Unentschlossenheit gegenüber der Arbeiterklasse und deren Avantgarde demonstriert und die politische Vereinheitlichung im Kampf erschwert. Es ist kein Wunder, dass alle Strömungen, die die Gründung der Vierten ablehnten, den Test des Zweiten imperialistischen Weltkrieges nicht bestanden, oft genug in den Schoß von Sozialdemokratie oder Stalinismus zurückkehrten und politisch vor diesen kapitulierten.

Dass die Vierte Internationale nicht zur Massenkraft werden konnte, spricht nicht gegen das politisch notwendige Projekt, sondern eher für die verstärkte Schlagkraft ihrer politischen Gegner und die Fähigkeit des Kapitalismus, im Verbund mit dem Stalinismus die Weltordnung nach 1945 auf dem Rücken der Arbeiterklasse zu stabilisieren.
Eine spätere Gründung der Vierten, ein "Warten" auf das Anwachsen nationaler Parteien usw. hätte demgegenüber nicht geholfen, sondern bestenfalls zur Wiederholung des Fehlers der sozialistischen Linken vor und während des Ersten Weltkrieges geführt, einer verspäteten fraktionellen und programmatisch fundierten Sammlung.

Die Gründung der Vierten basiert nicht nur auf programmatischen Forderungen und einer bis heute aktuellen und korrekten Methode - jener des Übergangsprogramms. Diese Methode ist sicher der Kern des politischen Erbes Leo Trotzkis und der revolutionären Phase der Vierten Internationale.

Aber die Vierte basierte auch auf einer politischen Perspektive. Korrekt wurde der herannahende imperialistische Raubkrieg vorausgesehen. Genauer als viele andere Strömungen wurden die barbarischen Konsequenzen wie der Holocaust von Trotzki schon in den 30er Jahren erkannt.

... und ihre Degeneration

Die Vierte Internationale ging davon aus, dass der Krieg auch zu einem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion führen würde und dass die Stalin-Bürokratie selbst zur Verteidigung des Landes gegen Imperialismus und kapitalistische Restauration nicht fähig wäre, dass nur eine politische Revolution der Arbeiterklasse die Verteidigung der Sowjetunion und der verbliebenen Errungenschaften der Oktoberrevolution sichern könne.

Sie sah voraus, dass der Krieg mit einer Reihe von Kolonialaufständen und Kriegen gegen den britischen, französischen und japanischen Imperialismus einhergehen würde.

Ähnlich wie die InternationalistInnen im ersten Weltkrieg ging die Vierte Internationale davon aus, dass der imperialistische Krieg von einem reaktionären Völkergemetzel zu einem Bürgerkrieg gegen die imperialistische Bourgeoisie transformiert werden könne und müsse.

Die letzten Phasen des Weltkrieges und die unmittelbare Nachkriegsperiode verdeutlichten das Potential der sozialistischen Revolution in Europa und den imperialisierten Ländern.

Aber das Überleben das Stalinismus und die Neuordnung der imperialistischen Welt unter US-Führung; durch die aufgrund der riesigen Kapitalvernichtung und massive Niederlagen der Arbeiterklasse geschaffenen Voraussetzungen für einen ökonomischen Aufschwung führten zu einer konterrevolutionären relativen Stabilisierung der Weltlage Ende der 1940er Jahre.

Konterrevolutionäre Stabilisierung

Auf eine solche Änderung der Weltlage war die Vierte Internationale nicht nur unvorbereitet. Die wichtigsten ihrer Führer und Sektionen weigerten sich hartnäckig, diese anzuerkennen oder ernsthaft zu untersuchen. Aus der Lageeinschätzung von 1938 wurde ein Fetisch.

Deutlich zeigte sich das darin, dass ein weiterer Weltkrieg als unmittelbar bevorstehend betrachtet wurde und die Zeichen für einen Aufschwung der US-Wirtschaft und ihre hegemoniale Rolle negiert wurden (insbesondere auch von der SWP(US), der US-amerikanischen Sektion der Vierten Internationale).

Das Überleben und die Expansion des Stalinismus desorientierte die Vierte komplett. Der Bruch Titos mit Stalin und die unter den Jugoslawischen Stalinisten von oben bürokratisch durchgeführte Enteignung der Bourgeoisie und die Errichtung eines von Beginn an degenerierten Arbeiterstaates führte die Vierte 1948 zur Anpassung an den Stalinismus.

Tito hätte aufgehört, aufgrund des Bruchs mit Stalin "Stalinist" zu sein, der Stalinismus wäre als politische Strömung in Jugoslawien zu einer kleinen Minderheit geworden. Daher wäre eine politische Revolution und der Aufbau einer revolutionären Partei in diesem Land nicht mehr notwendig.

In anderen Ländern wurde den Anhängern Titos (die von den moskautreuen KPen in übler Weise als "Tito-Faschisten" diffamiert wurden) die Fusion angeboten (in Deutschland hielt diese gerade ein Jahr lang).

Die Vierte Internationale erklärte Tito zum "unbewussten Revolutionär", der entgegen seiner eigenen Absicht vom "objektiven Prozess" (dem Druck der Arbeiterklasse, der Zuspitzung und Krise der Weltlage) dazu gezwungen worden sei (und mit ihm der ganze stalinistische Apparat der KP!), den Weg der proletarischen Revolution einzuschlagen.

Dieser heute sonderlich anmutende Bruch mit der Analyse des Stalinismus (der allerdings anders als die Sozialdemokratie in der Lage ist, degenerierte Arbeiterstaaten zu schaffen) wurde in den folgenden Jahren und von verschiedenen Abspaltungen der Vierten nicht analysiert und oft genug wiederholt.

Wenn der objektive Prozess Tito in die Arme der Weltrevolution treiben konnte, warum nicht auch so illustre Figuren wie Mao, Castro, Ben Bella, Nasser, Maurice Bishop, Daniel Ortega? Warum sollte der objektive Prozess, wenn Stalinisten "revolutioniert" werden konnten, ohne es zu merken, nicht auch an Sozialdemokraten, an (klein)bürgerliche Nationalisten, an "Bewegungen" (Studentenbewegung, Ökologiebewegung etc.) Wunder vollbringen?

Der Kampf für ein revolutionäres Programm wurde folgerichtig zu einer zweitrangigen Übung. Wichtiger wurde die "Verschmelzung" mit "Avantgarden" bei Verzicht auf den Kampf ums Programm. Die Vierte Internationale zerbrach als einheitliche Organisation 1953. Seither existiert sie als zersplitterte Strömung. Politisch hörte sie schon davor, am Dritten Weltkongress 1951 auf, revolutionär zu sein, als die Politik gegenüber Tito kodifiziert wurde.

Die diversen "Vierten Internationalen" degenerierten in zentristische Organisationen, die zwischen Reform und Revolution schwankten und über die Jahrzehnte auch ein ansehnliche Mischung von opportunistischen, aber auch ultra-linken Schwenks hervorbrachten.

Anders als der Zentrismus von Arbeiterparteien wie der deutschen USPD oder der spanischen POUM konnte sich der Zentrismus der Vierten jedoch jahrzehntelang am Leben erhalten. Warum? Weil die Vierte anders als z.B. die USPD bis auf wenige Ausnahmen von der Arbeiterklasse isoliert blieb und weil es keine revolutionäre Organisation gab, die den Zentrismus von Links bedrängt hätte.

Im Gegenteil: die revolutionäre Kontinuität zerriss nach 1951 für fast ein halbes Jahrhundert. Der Grund lag darin, dass die verschiedensten subjektiv revolutionären Gruppierungen, die sich nicht zuletzt auch in Form von Abspaltungen aus diesem oder jenem Fragment der Vierten gebildet hatten, unfähig waren, zu den Wurzel des politischen und organisatorischen Scheiterns der Vierten vorzudringen.

All jenen, die die Gründung einer revolutionären Vierten Internationale schon immer ablehnten, war es im Grund überhaupt keine Frage der politischen Inhalts, des Programms, sondern schlichtweg einer "zu frühen" Anstrengung. Unglücklicherweise könne diese Kritiker der Vierten auf keinen rühmlicheren nationalen politischen Weg verweisen, denn die späteren Fragmente der Vierten.

Für viele andere wurde die revolutionäre Kontinuität der Vierten durch die jeweils eigene "Spaltungslinie" bis zum heutigen Tag weitergegeben.

Andere wiederum sehen in der mangelnden Verankerung in der Klasse - zweifellos ein Riesenproblem - die Ursache für die Zersplitterung und programmatische Degeneration, die erst durch die Verankerung in der Klasse überwunden werden könne.

Zuerst das Programm!

Dahinter steht jedoch eine Leugnung des wissenschaftlichen Charakters des Programms und der Notwendigkeit, revolutionäres Klassenbewusstsein in die Klasse tragen zu müssen. Diese Sicht unterstellt letztlich, dass die Klasse aufgrund ihres "Arbeiterseins" revolutionäres Bewusstsein spontan hervorbringe. Wozu dann allerdings eine politische Partei der Klasse notwendig sein soll, die das Proletariat polisch führt, bleibt ein Rätsel.

Schließlich gehen viele von einer Art "trotzkistischer Familie", einer Zersplitterung aus, die nur gekittet werden müsse. Es wird hier eine "Einheit" des "Trotzkismus" unterstellt, die einfach phantastisch und nutzlos ist, so als wollte man eine Einheit der "Sozialisten" oder der "Kommunisten" unterstellen, unabhängig davon, ob es sich um Revolutionäre, Zentristen, Sozialdemokraten oder Stalinisten handelt. Es ist ebenso ein Mythos, dass diese "Sozialisten" oder "Kommunisten" der Revolution "näher" stünden als andere. Genauso würde die "Einheit" der Trotzkisten heute nur zur Einheit der Verwirrten führen.

Ohne Bruch mit der degenerierten "Vierten Internationale" ist das revolutionäre Erbe Trotzkis, ist die Methode des Übergangsprogramms nicht zu retten. Auch das ist ein Grund, warum wir für die Schaffung einer neuen, revolutionären Fünften Internationale eintreten.

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Nr. 83, September 2003

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