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Nach dem Bahnstreik

Schwellenkampf

Rex Rotmann, Neue Internationale 79, April 2003

Wenn ein Zug nicht kommt, liegt das meist nicht daran, dass gestreikt wird. Doch im März hing es nicht vom Fahrplan, sondern von der Streiktaktik ab, ob ein Zug fuhr oder nicht.

Gründe für den Kampf gab es viele. Die Fakten seit dem Beginn der Bahnreform 1994 sprechen für sich: Senkung der Personalkosten um 28%; Abbau von 150.000 Arbeitsplätzen; 14 Millionen Überstunden allein 2002!

Einkommenssteigerungen von etwa 2% bei einer Inflationsrate von 2,4% - ein klarer Reallohnverlust! Bezeichnenderweise hat die Bahn im selben Zeitraum ihre Produktivität um 180% gesteigert! (Daten aus: Transnet Inform 3/2003)

Auch für die Bahn stimmt, was für den Kapitalismus insgesamt zutrifft: höhere Produktivität dient dem Profit, nicht den Beschäftigten. Auch die BahnkundInnen haben nichts davon, wie die Kritik und die Irritationen bezüglich des neuen Preissystems der Bahn zeigen.

Die gesteigerte Ausbeutung der Beschäftigten der Bahn und die Probleme der Bahn AG stehen in deutlichem Kontrast zur Politik von Rot/Grün, das 1998 für "mehr soziale Gerechtigkeit" angetreten war und eine ökologische Verkehrpolitik zugunsten des Schienentransportes durchsetzen wollte.

Diese Reformbemühungen erinnern eher an einen Bummelzug, der - mit fluchenden Angestellten und Reisenden besetzt - in die falsche Richtung fährt.

Der Streik

Transnet (ehemals GdED) stellte folgende Hauptziele für den Streik auf: 5% Entgelterhöhung und volle Angleichung der Osttarife an den Weststandard. Die von der Bahn vorgeschlagene lange Laufzeit von 36 Monaten wurde abgelehnt.

Die Ergebnisse: 2003 gibt es zweimal eine Sonderzahlung von 200 Euro, ab 2004 erfolgt eine Entgelterhöhung von 2,0 und 2005 von noch einmal 1,2%. Die Osttarife werden bis 2006 in Stufen angeglichen.

Ziel und Ergebnis können kaum unterschiedlicher sein! Doch es handelt sich bei diesem Abschluss nicht einfach um einen der altbekannten Verhandlungskompromisse. Was hier unterm Strich herausgekommen ist, hat den Lohn- und Sozialabbau der letzten Jahre nicht beendet! Obwohl insgesamt 3,2% nicht so schlecht aussehen, muss dabei bedacht werden, dass aufgrund der langen Laufzeit - de facto die 36-Monate-Forderung der Bahn - und der jüngsten Ankündigungen Schröders nach einem deutlich forcierten Sozialabbau (Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Gesundheitsvorsorge etc.) die Ergebnisse mehr als mager sind. Einzig die Ostangleichung kann als Erfolg angesehen werden, weil sie erstens die tarifliche Ost-West-Spaltung der EisenbahnerInnen weitgehend überwindet und zudem in den östlichen Lohntüten auch deutlich spürbar ist.

Noch wichtiger als tarifliche Zahlen, bedeutender als alle Einzelregelungen ist jedoch die Frage, welche Seite ihre Kampfkraft erhöhen konnte. Denn: ob Bahn, Bau oder Metall - der nächste Angriff von Unternehmern und Staat kommt garantiert. Dazu zwingt sie einerseits die wirtschaftliche Krise des Kapitalismus wie andererseits die verschärfte Konkurrenz auf dem Weltmarkt.

Auch der Bahn-Tarifkampf ging nicht über den Rahmen ökonomisch/tariflicher Forderungen und über die eigene Branche hinaus. Er wurde auch nicht um politische Ziele geführt - obwohl entscheidende Angriffe von Seiten des Staates bzw. auf internationaler Ebene (Stichwort: Bahnreform) kommen.

Die Mobilisierungsmöglichkeiten wurden nicht ausgenutzt und die Kämpfe beendet, ohne wirklich versucht zu haben, die eigenen Ziele zu erreichen. Zweifellos untergräbt das langfristig Kampfkraft und Selbstvertrauen der Beschäftigten und der gewerkschaftlichen Basis.

So gesehen ist das Ergebnis, das Transnet-Chef Norbert Hansen als "tragbar und vernünftig" ansieht, weit weniger positiv, denn der Trend zu Sozialabbau und Lohnverlust wurde nicht gestoppt oder gar umgekehrt. Nicht für die Beschäftigten und schon gar nicht für die Arbeitslosen! Denn eigentlich müssten die 150.000 bereits entlassenen BahnkollegInnen mitgedacht werden. Wurde auch das Lohnniveau der Beschäftigten einigermaßen gesichert, so trifft das für die gesamte Klasse resp. "alle" EisenbahnerInnen eben nicht zu! Spätestens hier entpuppt sich das Ergebnis als "Kompro-Misserfolg".

Widerspruch

Einerseits bewies Transnet, dass sie mobilisieren kann und die Basis kampfbereit ist. Tatsächlich: in den bestreikten Bereichen standen viele "Räder still". Doch warum hat man den Kampf nicht ausgeweitet und so lange geführt, bis alle Ziele erreicht sind? Warum hat man bei aller Kritik an der Bahnreform diesbezüglich keine klaren politischen Forderungen aufgestellt?

Die Antwort ist einfach. Weil die reformistische Politik der Gewerkschaftsführung grundsätzlich die kapitalistische Produktionsweise akzeptiert. Ihr eigene Rolle ist dabei die eines "Vermittlers" zwischen Lohnarbeit und Kapital.

Auch die Transnet-BürokratInnen wissen sehr wohl, dass jeder Kampf potentiell über den reformistischen, systemimmanenten Rahmen hinausgehen kann. Deshalb drosselt, begrenzt, kanalisiert sie ihn - um das System und ihre eigene privilegierte Rolle darin nicht in Gefahr zu bringen.

So blieb der Streik trotz hoher Streikbereitschaft auf wenige Regionen begrenzt. So erklärt sich auch die lange Laufzeit des Tarifvertrags, die nicht nur die Bahn, sondern v.a. auch die eigene Führung vor der "Herausforderung" eines erneuten Kampfes bewahrt.

Auch der als "Internationaler Aktionstag der Eisenbahnbeschäftigten" geplante 14. März war ein Flop, weil kaum für ihn mobilisiert wurde und keine "lohnenswerten" übertariflichen

Ziele aufgestellt worden waren. Unmittelbar vor dem drohenden Irakkrieg und nachdem weltweit Millionen gegen diesen Krieg auf der Straße waren, kam es den Hansens von Transnet nicht in den Sinn, die eigenen Mitglieder gegen den Krieg zu mobilisieren. Dabei wäre es von zentraler Bedeutung gewesen, Transport und Logistik für den Aufmarsch der Amerikaner und Briten hier in Deutschland lahm zu legen. Es hätte die erste Aufgabe sein müssen, sich mit den kämpfenden Hafen- und BahnarbeiterInnen und den KriegsgegnerInnen anderer Länder und in Deutschland selbst (Hafen Emden, Airbase Frankfurt) zu solidarisieren, die Militärtransporte und Verschiffung von Truppen zu blockieren versucht haben.

Die Eingrenzung der Streikziele auf nur tarifliche Forderungen durch die Transnet-Führung ist nicht nur falsch, sondern zynisch: Was kümmert uns die Welt, Hauptsache die Knete stimmt - was allerdings auch nicht stimmt.

Während die Angriffe, während Privatisierung und Liberalisierung grenzüberschreitend im Expresstempo kommen, während Krieg und forcierte Aufrüstung alle Lohnabhängigen bedrohen, zuckeln die Transnet-BürokratInnen gemächlich per Draisine durch die politische Landschaft.

Dabei sieht die Gewerkschaftsspitze durchaus die Gefahr einer immer weiter gehenden Liberalisierung des Eisenbahnnetzes in Europa und in Deutschland.

Allein hierzulande sind rund 400 Eisenbahnunternehmen am Markt aktiv. Ausschreibungen und Privatisierungen erfolgen vor allem unter der Maßgabe der Kostenersparnis - durch Lohndumping, Arbeitsverdichtung und Abbau sozialer Leistungen.

Reform auf dem Abstellgleis

Was dabei herauskommt, erweist ein Blick auf Britanniens privatisierte Eisenbahnen, mit denen zu fahren inzwischen einem Abenteuerausflug sehr nahe kommt.

Angesichts dieses europaweiten Frontalangriffs auf die Bahnbeschäftigten wären international koordinierte Kampfaktionen und entsprechende Strukturen nötig! Um diese aufzubauen, brauchen wir hier und heute eine klassenkämpferische Basisbewegung über Gewerkschafts- und Branchengrenzen hinaus, welche die kritischsten und aktivsten KollegInnen umfasst. Eine solche Bewegung hätte das Potential zu einer Alternative - in der Führung von Streiks und zur reformistischen Führung der Gewerkschaften insgesamt!

Die Bahnreform hat die Situation der Bahn verändert - sie ist schlechter geworden! Etliche Strecken wurden stillgelegt, die Preise sind hoch, der Service schlecht. Nicht nur die Beschäftigtenzahlen, auch die Beförderungszahlen sinken - bei Personen und noch dramatischer bei Gütern. Die rot/grünen Versuche, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, sind gescheitert. Das liegt nicht nur daran, dass der Bund zugesagte Milliarden für die Bahn nicht gezahlt hat. Tatsächlich ist die Finanzsituation des Bundes aufgrund der Steuerentlastungen für das Kapital und die Reichen und der weltweiten Wirtschaftsflaute zu prekär, um für die Bahn mehr übrig zu haben. Auch "gut gemeinte" Reformen scheitern eben letztlich an den schlechteren globalen Rahmenbedingungen des Kapitalismus.

Die Gründe der Bahnreform - Entlastung des Bundes, Umweltschutz, Ausrichtung des Unternehmens nach Gewinnkriterien und direktere Anpassung an die Bedürfnisse der Konzerne - erweisen sich als Bumerang.

Die Einstellung "unrentabler" Strecken drückt das Passagieraufkommen nach unten. Die horrenden Investitionen in prestigeträchtige Hochgeschwindigkeitsverbindungen dienen weniger einer realen Nachfrage als der Ankurbelung des Exports (z.B. Magnetbahn nach China), dem Anbiedern an die Interessen von betuchten Fahrgästen, die möglichst schnell von einem zum nächsten Businesstermin hetzen können sollen. Sie sind nicht zuletzt der Konkurrenz zum Luftverkehr geschuldet, der nach wie vor erhebliche Steuervergünstigungen genießt -was Wunder, sind doch die "Entscheidungsträger" alle Vielflieger.

Gleichzeitig wird bei der Sicherheit des Bahntransports eingespart - die 99 Toten des Unglücks von Eschede sind ein grausiger Beleg dafür.

Auch der Gütertransport per Schiene ist trotz immenser Investitionen rückläufig. Der Grund: die Kapitalisten können sich um umweltfreundlichen Transport ihrer Waren nicht kümmern. Für sie zählen Preis, Tempo und Verfügbarkeit der Transporte für "lean produktion" und "just in time" im Rahmen komplizierter internationaler Produktions- und Logistiksysteme.

Da ist der LKW-Transport immer noch flexibler und praktischer. Dass darunter die Umwelt, die Straßen und die Nerven der Autofahrer leiden, sind Kosten, die nicht das Kapital, sondern die Gesellschaft trägt.

Alternative

Eine grundsätzliche Verkehrsreform zugunsten der Umwelt und wesentlich größerer Rationalität des Transportes ist unmöglich, ohne grundsätzliche Eingriffe in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Voraussetzung dafür wären allerdings die Enteignung des Privateigentums und die Einführung einer gesamtgesellschaftlichen Planung von Produktion und Verkehr. Anstelle der Konkurrenz verschiedener Verkehrsträger könnte dann ein sinnvolles, rationelles und harmonisches System aller Verkehrsmittel etabliert werden.

Bis dahin allerdings werden weiterhin Güter, die fast überall produziert werden oder werden könnten, quer durch die Welt kutschiert.

Diese tieferen, gesellschaftlichen Ursachen der Bahnmisere werden jedoch von den Kritikern der Bahnreform incl. der Gewerkschaftsspitze nicht angesprochen. Kein Wunder, denn sie wollen und können sich eine Alternative zur Verkehrsweise des Kapitalismus nicht vorstellen - wir schon!

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Nr. 79, April 2003

*  Nieder mit dem Imperialismus! Sieg dem Irak!
*  Antikriegsbewegung: Den Krieg stoppen - aber wie?
*  Antikriegskomitee Neukölln
*  Heile Welt
*  Debatte: Generalstreik gegen Krieg
*  Türkei: Ankaras Ambitionen
*  Russland: Ölboom und Lohndumping
*  Argentinien: Keine Räumung von Zanon!
*  Nach dem Bahnstreik: Schwellenkampf
*  Wirtschaft: Woher kommt die Krise?
*  Michael-Moore-Film: Bowling against Bush
*  Rot-Grüner Generalangriff: Schröders Reformkeule