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Argentinien

Keine Räumung von Zanon!

Federico Valdez, Neue Internationale 79, April 2003

Zanon ist eine Keramikfabrik in Neuquen im Südwesten Argentiniens. Sie ist seit über einem Jahr besetzt.

Die ArbeiterInnen produzieren weiter Kacheln - trotz aller Schwierigkeiten mit der Rohstoffversorgung und dem Verkauf. Der Eigentümer, Herr Zanon, hat alles Erdenkliche getan und seine Beziehungen spielen lassen, um den Arbeiterinnen Schwierigkeiten zu machen. Dabei war er - ein bislang einmaliges Urteil - vom Gericht wegen Erpressung verurteilt worden. Er hatte gedroht, die hochmoderne Fabrik zu schließen, falls die ArbeiterInnen nicht weitere Entlassungen akzeptieren.

Zanon, die größte Keramikfabrik Südamerikas, ist zu einem Symbol geworden. Selten genug werden Fabriken von denen besetzt, denen sie eigentlich gehören. In den meisten Fällen von Betriebsbesetzungen geht es darum, den Unternehmer zu zwingen, die Fabrik nicht zu schließen oder eine ordentliche Entschädigung herauszuholen. Fast nie produzieren die ArbeiterInnen weiter. Bei Zanon tun sie es schon seit 17 Monaten! Doch sie haben dabei keine Illusionen, dass das ein Modell für einen "sozialeren" Kapitalismus wäre. Sie nennen das nicht Kooperative oder Genossenschaft, sondern Fabrik unter Arbeiterkontrolle. Sie wollten ihre Arbeitsplätze verteidigen und sind dabei zur Speerspitze aller besetzten Betriebe geworden. In Europa wurde vor allem auch der Textilbetrieb Brukman in Buenos Aires bekannt.

Sie haben allen gezeigt: für die Produktion sind ArbeiterInnen nötig - Unternehmer samt ihren Direktoren aber nicht. Diese sind nur ein unnötiger Kostenfaktor.

Erfahrungen und Lehren

Außer der Tatsache, das es keinen Unternehmer mehr gibt, hat die Arbeiterkontrolle über die Produktion überhaupt nichts mit der bürokratischen Misswirtschaft in den ehemaligen "Arbeiter- und Bauernstaaten" zu tun oder dem Etikettenschwindel einer "Arbeiterselbstverwaltung" im ehemaligen Jugoslawien.

Die Vorarbeiter und Betriebsleiter wurden abgeschafft und Koordinatoren in allen Abteilungen gewählt. Diese treffen sich einmal pro Woche, um die Produktion zu organisieren. Grundsatzentscheidungen fallen in Vollversammlungen. Direktoren wie in der bürokratischen Planwirtschaft sind ebenfalls überflüssig.

Wenn eine Fabrik von den Beschäftigten demokratisch geführt werden kann, warum nicht die ganze Wirtschaft?

Die ArbeiterInnen machen nicht mehr nur stur ihre Arbeit, sondern wechseln die Abteilungen und beteiligen sich an den Kampagnen in der Öffentlichkeit. So konnten sie unter den Lohnabhängigen der Stadt und landesweit große Unterstützung gewinnen - bei den LehrerInnen, den Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Arbeitslosenorganisationen und bei den Mapuche, der indianischen Bevölkerung.

Auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, Unterstützung von den Gewerkschaften zu bekommen. In Argentinien sind die drei großen Gewerkschaftsverbände sehr regierungsnah und mit der peronistischen Partei verbunden - vor allem die zwei Teile der CGT, die dritte Gewerkschaft CTA etwas weniger.

Während sie gegen die liberale Radikale Partei unzählige Generalstreiks organisierten, halten sie jetzt, nach den Aufständen vom Dezember 2001, still. Aus der richtigen Einsicht, dass der IWF und die Yankees, also die US-amerikanische Wirtschaft Argentinien ruiniert hätten ziehen sie allerdings die falsche Schlussfolgerung, dass jetzt die argentinische Wirtschaft gestärkt werden müsse. Dabei würden Streiks und Besetzungen nur schaden.

Doch die Stärkung der argentinischen Wirtschaft ist damit verbunden, dass der Peso gegenüber dem Dollar auf weniger als ein Drittel abgewertet wurde und somit die Löhne zum Leben kaum mehr reichen. Ganz zu schweigen von den Einkommen der RentnerInnen oder der Arbeitslosen. Bei Zanon erhalten alle heute einheitlich 800 Pesos, was über den normalen Arbeiterlöhnen liegt, aber auch nicht üppig ist.

Es ist kein Wunder, dass die Besetzung bei Zanon verbunden war mit einer Abwahl der alten Gewerkschaftsfunktionäre. Diese beteiligten sich dann auch nicht an der Arbeiterkontrolle, sondern verließen den Betrieb und erklärten, dass "diese Verrückten uns alle arbeitslos machen wollten". Das Beispiel Zanon hat jetzt andererseits aber einige aktive GewerkschafterInnen ermutigt, bei den Gewerkschaftswahlen in ihren Betrieben zu kandidieren.

Mit den Arbeitslosenorganisationen gibt es eine mehrfache Verbundenheit. So wurden etliche Arbeitslose als "Werksschutz" eingestellt und eine Werkstatt für die Fertigung von Paletten eingerichtet, die von der Arbeitslosenorganisation MTD betrieben wird.

Diese Organisationen sind sehr militant. Mit Strassenblockaden und Besetzungen haben sie Arbeitslosenunterstützung und sozialen Schutz erkämpft. Sie sind durchaus geübt, sich mit Knüppeln und Steinschleudern gegen Angriffe der Polizei zu wehren.

Zuspitzung

Trotz dieses Rückhalts droht nun erneut die Räumung. Die Richterin Norma Poza hat die Zwangsräumung der Keramikfabrik für legal erklärt. Sollte dieses Urteil ausgeführt werden, bedeutet das wohl, dass keiner je wieder Arbeit in Neuquen findet. Entsprechend sind die ArbeiterInnen zu fast allem bereit. Ihnen ist klar, dass eine Räumung eine Schlacht wird. Deshalb dürften die Behörden noch zögern, zumal im April Präsidentenwahlen in Argentinien anstehen.

Nun gilt es, die verbliebene Zeit zu nutzen und überall Solidarität für Zanon zu organisieren!

Die ArbeiterInnen von Zanon entsandten bereits eine Delegation zu den örtlichen und Bundesbehörden, um ihren Einspruch vorzutragen. Sie wurden nicht einmal empfangen, obwohl die Abordnung von einem Parlamentsabgeordneten der Region begleitet wurde.

Sie haben die Posten zum Schutz der Fabrik mit Hilfe von Arbeitslosenorganisationen wie der MTD verstärkt. Dabei haben sie viel Unterstützung durch das Koordinationskomitee des Alto Valle (ein Hochtal; Name der Region) sowie durch verschiedene politische und soziale Organisationen erhalten.

Am 17. März wurde ein Komitee zur Verteidigung von Zanon gegründet. Dieses Komitee setzt sich aus sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und politischen Organisationen zusammen und verteidigt die Arbeiterselbstverwaltung. Die CTA-Organisation der Provinz - die CTA ist einer der drei großen Gewerkschaftsdachverbände Argentiniens - hat versprochen, einen Streik in der ganzen Provinz auszurufen, sobald die Räumung beginnen sollte.

Auf der dritten landesweiten Versammlung der besetzten Fabriken, die am 15. März in Rosario stattfand, wurde ein Beschluss zur Verteidigung der Betriebe unter dem Motto "Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle" gefasst.

Auch die "Mütter des Plaza de Mayo" (die Mütter der "verschwundenen" Oppositionellen unter der Militärdiktatur) haben ihre Unterstützung erklärt. Sie waren mit die ersten, die der Militärdiktatur getrotzt haben, indem sie sich mit den Bildern ihrer verschwunden Kinder und Männer vor das Parlament gestellt haben. Auch nach dem Ende der Diktatur haben sie Aufklärung gefordert und durchgesetzt. So sind sie in Argentinien zu einem Symbol für mutigen Widerstand geworden und weltweit zum Vorbild für viele Frauengruppen.

Sie haben jetzt eine "Karawane der Solidarität" organisiert, die von ihrer Sprecherin Hebe de Bonafini angeführt wird. Die Karawane wird am 28. März Buenos Aires verlassen und am nächsten Tag in Neuquen ankommen, um an einer Kundgebung der ArbeiterInnen teilzunehmen, die unter folgenden Losungen stattfinden wird.

Stoppt die Räumung!
Verteidigung der Jobs und der Selbstverwaltung bei Zanon!
Entschädigungslose Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle!

Die PTS, die Arbeiterpartei für den Sozialismus, hat den Kampf der Zanon-Belegschaft von Anfang an unterstützt. In ihrem Aufruf zur Solidarität heißt es:

"Die ArbeiterInnen von Zanon haben in einem Land, das von der Geisel der Arbeitslosigkeit geplagt wird, gezeigt, dass eine anderer Weg möglich ist. Vor einem Monat wurden 30 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, die an die Arbeitslosen der Region vergeben wurden. Die Kapitalisten haben ihrerseits demonstriert, dass sie weder die Fabrik am Leben erhalten noch Jobs garantieren wollen - ganz zu schweigen davon, dass sie keine Lösung für das Problem der Massenarbeitslosigkeit haben.

Die KeramikarbeiterInnen, die unter eigener Regie arbeiten, erhalten nun jeweils 800 Pesos und haben eine Jobgarantie und Lebensmittel für 1500 Leute. Im kleinen Maßstab zeigt das, was die Arbeiterklasse tun könnte, wenn sie die politische Macht hätte. Das ist auch der Grund, warum die Regierung und die bürgerlichen Parteien den Kampf der Zanon-ArbeiterInnen zum Schweigen bringen wollen. Dabei setzen sie auf die Hilfe der Gewerkschaftsbürokratie."

Letzte Woche hat die kanadische Autorin Naomi Klein (No Logo) die Provinz Neuquen anlässlich ihrer Recherchen für einen Dokumentarfilm über die besetzten Fabriken in Argentinien besucht.

In ihren Augen "wird Zanon auf der ganzen Welt als Symbol und Beispiel einer neuen Bewegung gesehen". Gegenüber der Lokalpresse erklärte sie, dass sie sowohl vom "Gemeinschaftssinn in der Fabrik" wie davon, "was die ArbeiterInnen erreicht haben" beeindruckt sei.

Organisieren wir die Hilfe für Zanon - weltweit! Fangen wir hier und heute damit an! Wir fordern alle KollegInnen, vor allem aber die Gewerkschaftsführung auf, den Kampf von Zanon politisch und finanziell zu unterstützen!

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Nr. 79, April 2003

*  Nieder mit dem Imperialismus! Sieg dem Irak!
*  Antikriegsbewegung: Den Krieg stoppen - aber wie?
*  Antikriegskomitee Neukölln
*  Heile Welt
*  Debatte: Generalstreik gegen Krieg
*  Türkei: Ankaras Ambitionen
*  Russland: Ölboom und Lohndumping
*  Argentinien: Keine Räumung von Zanon!
*  Nach dem Bahnstreik: Schwellenkampf
*  Wirtschaft: Woher kommt die Krise?
*  Michael-Moore-Film: Bowling against Bush
*  Rot-Grüner Generalangriff: Schröders Reformkeule