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Leiharbeit

Missbrauch legal ausgeweitet

Frederik Haber, Neue Internationale 214, November 2016

„Arbeitgeber missbrauchen seit Jahren Leiharbeit und Werkverträge dazu, Belegschaften zu spalten und Lohndumping zu betreiben. Etwa eine Million Menschen sind zurzeit als Leiharbeitnehmerin und Leiharbeitnehmer tätig. Ihr Lohn ist oft geringer als derjenige der Stammbelegschaft. Zudem haben sie schlechtere Arbeitsbedingungen und weniger Rechte. Einige Leiharbeitnehmer arbeiten bis zu zehn Jahre in demselben Entleihbetrieb. Das darf nicht sein.“

Selten ist die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestags so nahe an der Wahrheit wie mit dieser Zustandsbeschreibung (http://www.spdfraktion.de/themen/missbrauch-leiharbeit-riegel-vorgeschoben). Dann allerdings wird behauptet, dass das auf Initiative der SPD und des Arbeitsministeriums eingebrachte und vom Bundestag im Oktober beschlossene Gesetz an dieser Lage etwas verbessert. Und das ist schon wieder eine große Lüge.

Sklavenhandel

So nennen viele die Leiharbeit oder „Zeit“arbeit, wie die Sklavenhändler selbst ihre Branche bezeichnen. Die „Zeit“ ist es auch, was sie von den historischen Sklavenhändlern unterscheidet: Diese kauften die ganze Person auf einmal. Jetzt wird deren Arbeitskraft befristet verkauft, genauer gesagt vermietet.

Wir sind für die Abschaffung der Leiharbeit. Sie verlagert grundsätzlich sehr einfach die Risiken des kapitalistischen Marktes auf die LohnarbeiterInnen. Für die Abschaffung sind sicher auch Hunderttausende, wenn nicht Millionen in diesem Land.

Aber keine der Bundestagsparteien oder der Gewerkschaften ist dafür. Wenn es Kritik an der Leiharbeit gibt, dann immer nur am „Missbrauch“, wie ihn die SPD oben beschreibt: dem Einsatz mit dem Ziel, Belegschaften zu spalten und Lohnkosten zu sparen, Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und ArbeiterInnen zu entrechten.

Rund eine Million LeiharbeiterInnen gibt es zur Zeit in Deutschland. Ihr Durchschnittslohn liegt bei gut 1700 Euro im Monat, der von Festangestellten bei 2900 Euro. Diese Zahlen sind zwar nur bedingt vergleichbar, weil es einen Qualifikationsunterschied zwischen beiden Beschäftigtengruppen gibt. Aber angenommen, dass pro Kopf und Monat 1000 Euro an Löhnen (incl. Urlaubs-, Weihnachtsgeld, Zuschläge) eingespart werden, macht das 1 Milliarde Euro an vorenthaltenen Löhnen pro Monat.

Wenn diese Überausbeutung wirksam begrenzt würde, müsste man das unterstützen. Was aber tut das Gesetz?

Ein Ansatzpunkt ist die Dauer der Leiharbeit. Die alte Fassung sprach vage von „vorübergehender Beschäftigung“. Das neue Gesetz führt eine Grenze von 18 Monaten ein. Diese Grenze gilt aber für die LeiharbeiterInnen, nicht für deren Arbeitsplätze. Es gibt schon ein Wort dafür - „Drehtür“. Nach 18 Monaten fliegt eineR raus und einerR kommt neu. Begrenzung der Leiharbeit - keine. Der Übernahmezwang, der entsteht, wenn jemand länger als 18 Monate bleiben sollte, wird zum Entlassungszwang. Nach drei Monaten darf übrigens auch die gleiche Person wieder durch die Drehtür rein.

An dieser Drehtürkonstruktion des Gesetzes kommt von keiner Seite Kritik. Die Linkspartei fordert eine generelle Beschränkung auf 3 Monate: mit anderen Worten, eine schnellere Drehtür! Die IG Metall erklärte schon vor einem Jahr, dass eine Festlegung auf 18 Monate den Interessen der LeiharbeiterInnen widerspreche. Aber auch sie wollte keine Überprüfung der Arbeitsstellen, sondern nur die Möglichkeit, per Tarifvertrag die Grenze zu verlängern.

Die langsamere Drehtür ist insofern im Interesse der LeiharbeiterInnen in der Metall-, vor allem der Autoindustrie, weil diese durch Branchenzuschläge bessergestellt sind als „normale“ LeiharbeiterInnen. Sie ist aber weit mehr im Interesse der Konzerne, die gerade in der Autoindustrie massenhaft Dauerarbeitsplätze mit LeiharbeiterInnen besetzen - und mit Menschen in Werkverträgen und Subunternehmen, eventuell mit solchen, die wiederum dort in Leiharbeit stehen.

Diese Spaltung der Belegschaften, wie sie zu Recht die SPD-Fraktion beklagt, wird aber durch dieses Gesetz nicht bekämpft und mit der Öffnung für (unterschiedliche) tarifliche Regelungen noch verstärkt. Mehr als 10 % der Leihbeschäftigten arbeiten übrigens in der Metallindustrie, mehr als 10 % auch in Verkehr und Logistik. Von letzteren dürfte erneut ein großer Teil in der Autoindustrie arbeiten, da dort neben der großen Werklogistik viele Ausgliederungen in und an der Produktion unter dem Namen „Produktionslogistik“ laufen.

Der Verzicht der IG Metall darauf, die LeiharbeiterInnen und alle anderen Randbelegschaften wieder in die Konzerne einzugliedern, zeigt, dass sie diese Strategie der Konzerne mitträgt und mit einer Vielfalt von Tarifverträgen gestaltet. Dieses Muster zeigt sich auch bei der Bezahlung.

Equal Pay

Wenn LeiharbeiterInnen den gleichen Lohn verdienen würden wie die Stammbelegschaften, würde in der Tat das Interesse am dauerhaften Einsatz der Leiharbeit dramatisch schwinden. Das wollen weder die Kapitalisten noch die Gewerkschaften. Das eine ist logisch, das zweite empörend.

Schon im alten Gesetz AÜG war in § 10 Abs 4 festgelegt, dass LeiharbeiterInnen die gleichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Lohnes wie vergleichbaren Stammbeschäftigten zustehen. Ausnahme: wenn ein Tarifvertrag existiert, der etwas anderes regelt. Seit Jahren führen also Tarifverträge dazu, dass eine gesetzliche Regelung verschlechtert wird. Waren bei diesem Spiel erst noch die christlichen Gewerkschaften dabei, sind es seit Jahren nur noch die DGB-Gewerkschaften, die Tarifverträge mit den Sklavenhändlern abschließen.

Gerade werden diese Tarifverträge neu verhandelt. Gefordert werden 6 %, mindestens 70 Cent/Stunde. So wird der Abstand zu den Branchentarifverträgen keinesfalls geringer. Auch hier zeigt sich, dass die Gewerkschaftsführungen die Leiharbeit mittragen und mitgestalten.

Das neue Gesetz bringt aber gegenüber dem alten nur eine Verschlechterung: Equal pay muss nicht sofort, sondern erst nach 9 Monaten erreicht werden. Und es gilt weiterhin, dass dies durch Tarifverträge unterlaufen werden kann. So heißt es im neuen § 8 Abs 4: „Ein Tarifvertrag im Sinne des Absatzes 2 kann hinsichtlich des Arbeitsentgelts vom Gleichstellungsgrundsatz für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher abweichen. Eine längere Abweichung durch Tarifvertrag ist nur zulässig, wenn 1. nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und 2. nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt erfolgt.“

Für den Kampf gegen Leiharbeit ist das neue Nahles-Gesetz also durchweg untauglich. Es ist nicht ein „erster, wichtiger Schritt“ vorwärts, wie die Bundestags-Sozis behaupten, sondern höchstens ein kleiner Schritt zurück. Der Protest der Linkspartei, im Bundestag vorgetragen von Klaus Ernst, kommt über die Forderung nach einer Begrenzung auf 3 Monate und Equal-Pay ab dem ersten Tag nicht hinaus. Widerstand der betroffenen Belegschaften einschließlich der LeiharbeiterInnen und anderen Prekären schlägt niemand vor.

Die Kundgebung „gegen die Leiharbeit“, wie sie der DGB Anfang April in München veranstaltete, war nicht der Auftakt zur Mobilisierung, sondern eine Alibi-Aktion. Die Lage der LeiharbeiterInnen bleibt weiter schlecht, die Leiharbeit wird eher zunehmen und der Druck auf das Lohnniveau auch.

Möglich ist das alles, weil die Gewerkschaftsführungen (nicht nur) in dieser Frage in engste Kumpanei mit dem Kapital verstrickt sind und die Absenkung des Lohnniveaus mitbetreiben. Es gibt Gerüchte, dass eine tarifliche Verlängerung der Verweildauer bis 4 Jahre möglich werden soll und dass die IG Metall diese schon hinter dem Rücken der Mitglieder verhandelt.

All das zeigt, dass die Gewerkschaftsführungen in dieser wie in vielen anderen Fragen ihrer Aufgabe, die Interessen der Lohnabhängigen zu verteidigen, nicht nachkommen. Das hat einen guten Grund. Die Frage der Leiharbeit stellt nämlich in mehrfacher Hinsicht eine politische Frage dar. Ihre Abschaffung, ein gesetzliches Verbot würde an einem wichtigen Punkt nicht nur den KapitalistInnen und der Regierung eine bedeutende Niederlage zufügen und die weitere Zersplitterung der ArbeiterInnenklasse bremsen, sie würde auch der Politik der Klassenzusammenarbeit einen Schlag versetzen.

Zu ihrer Durchsetzung erfordert ein Verbot der Leiharbeit zudem mehr als rein tarifliche Auseinandersetzungen, nämlich politische Demonstrationen und Streiks.

Kein Wunder also, dass die Gewerkschaftsspitzen lieber an der „Regulierung“ des Übels rumdoktern, statt für seine Beseitigung zu kämpfen. Tragisch und unverständlich hingegen ist die weitgehende Passivität der Gewerkschaftslinken in dieser Frage, zumal eine Kampagne gegen die Leiharbeit ein Ausgangspunkt für eine oppositionelle, klassenkämpferische Formierung in den Betrieben und Gewerkschaften sein könnte.

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Nr. 214, November 2016

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