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Kaschmir

Indien und Pakistan mobilisieren

Hassan Raza, Neue Internationale 214, November 2016

Seit der Ermordung von Burhan Wani hat der indische Staat die gesamte Provinz Jammu und Kaschmir mit großer Unterdrückung überzogen. Zensur und Kriegsrecht werden angewendet, und es hat weitere Todesopfer gegeben. Dies wiederum hat eine Welle von gerechtfertigtem Widerstand erzeugt. Der pakistanische Staat, der gemeinhin nicht gerade bekannt ist für die Anerkennung von nationalem Selbstbestimmungsrecht, v. a. nicht, wenn es sich um nationale Minderheiten in Pakistan selbst handelt, hat nun seinerseits versucht, diese Widerstandsbewegung vor den eigenen Karren zu spannen. Die Regierung erklärte ihre Unterstützung für die Bevölkerung von Jammu und Kaschmir, und der Premierminister Nawaz Sharif trug dies sogar höchstpersönlich auf politischer und diplomatischer Ebene den Vereinten Nationen vor.

Zuspitzung

Die Ereignisse spitzten sich am 18. September zu, als eine Gruppe von vier schwer bewaffneten Kämpfern einen indischen Militärposten nahe der Stadt Uri in Jammu und Kaschmir überfielen. Sie töteten dabei 19 Soldaten, ehe sie selbst erschossen wurden.  Kurz darauf sagte Indiens Premierminister Narendra Modi: „Das pakistanische Volk sollte seine Führung fragen, warum, wo doch beide Länder Frieden miteinander erreicht haben und Indien Software exportiert, Pakistan hingegen Terroristen exportiert.“ Damit wird Pakistan eine direkte oder indirekte Verantwortung an dem Überfall von Uri unterstellt.

Dies markiert den Beginn einer erneuten diplomatischen und medialen Kampagne zur Isolierung Pakistans. Indien begnügt sich jedoch nicht mit einer Reaktion in Worten, sondern hat auch, wie die Regierung es nennt,  mit „chirurgischen Schlägen“ gegen die pakistanische Seite der „Kontrolllinie“ begonnen, die in Kaschmir nach früheren Kriegen über Gebietsansprüche zwischen Pakistan und Indien errichtet worden ist.

Seither haben beide Seiten eine Lawine von Kriegstreiberei losgetreten, die nun über beide Länder rollt. Sogar mit Atomwaffen wird gedroht. Es beschränkt sich nicht nur auf bloße Wortgefechte, sondern hat auch praktische Auswirkungen wie die Evakuierung der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten entlang der indisch-pakistanischen Grenze und Kontrolllinie.

Pakistan

Pakistan versucht die Unruhe in Kaschmir zu nutzen, um eine Kampagne gegen Indien auf internationaler Ebene zu entfachen und seine Gebietsansprüche auf Kaschmir erneut anzumelden. Indien versucht seinerseits, den Konflikt mit Pakistan zu wenden, um die Aufmerksamkeit von den eigenen Verbrechen in Jammu und Kaschmir abzulenken und den Nationalismus gegen den „Hauptfeind“ Pakistan zu richten.

Das Manöver soll auch die nationale Unterdrückung mit dem Hinweis auf angebliche Unterstützung der Widerstandsbewegungen durch „ausländische Mächte und fremde Terroristen“ rechtfertigen - ein Mittel, das beide Lager seit Jahrzehnten anwenden, Pakistan v. a. in Belutschistan, Indien in Jammu und Kaschmir.

Aber solche „Tricks“ müssen ernst genommen werden. Zwar mögen Pakistans und Indiens Entscheidungsträger derzeit kein Interesse an einem echten Waffengang haben, doch können solche Ereignisse ihre eigene Dynamik auslösen, die in dieser Region schon eine Reihe von Kriegen mit Zerstörung, Tod und Leiden über die Mehrheit der BäuerInnen, der städtischen Armut und der ArbeiterInnenklasse gebracht haben.

Zur Zeit spitzt sich die Situation von Tag zu Tag zu. Viele ZivilistInnen sind in dem betreffenden Gebiet bereits als Opfer zu beklagen. Die Bevölkerung der Grenzregion leidet auf beiden Seiten. Die Evakuierten fragen sich, wie sie unter den gegenwärtigen Umständen weiterleben können, während die Verbliebenen in Angst vor Schusswechseln an der Grenze und Ausweitung zu einem vollen Krieg verharren.

Zugleich reden die herrschenden Klassen in beiden Lagern vom Einsatz von Kernwaffen, als ob es sich um Kinderspielzeug handelt. Die Medien tun ihren Teil zur weiteren Kriegshetze und erzeugen eine neue Welle von Nationalismus und Hass. Sie präsentieren stolz ihre Armeen als die jeweils effektiveren in vernichtender Kriegsführung. Für sie ist die wichtigste Aufgabe die Besiegung des Feindes. Das Ausmaß der Zerstörung und die Leiden der ArbeiterInnenschaft und einfachen Leute im Kriegsfall werden dagegen verheimlicht.

Drohende Ausweitung

Heutzutage können alle Kriege und dahinter stehenden Konflikte die Großmächte mit hineinziehen. Die Resultate davon sind abertausende Tote und Millionen Vertriebene, wie nur allzu deutlich in Afghanistan, Irak und Syrien zu sehen ist. Ein regelrechter Krieg zwischen Ländern wie Indien und Pakistan würde gewiss riesige weltweite Auswirkungen haben. Syrien und die Ukraine sind bereits die Schlachtfelder, die wesentlich vom Kampf um die Neuaufteilung der Welt geprägt sind. Dieselben würden also auch versuchen, ihren Vorteil aus einem Konflikt auf dem indischen Subkontinent zu schlagen.

Alte Bündnisse vergehen und neue entstehen. Keine Großmacht würde es sich wahrscheinlich direkt wünschen oder erwarten wollen, aktuell in einen solchen Konflikt hineingezogen zu werden. Nichtsdestotrotz ist Südasien nicht nur ein bedeutender Markt, sondern auch eine wichtige Verwerfungslinie in der kapitalistischen Welt. Der chinesisch-pakistanische Wirtschaftskorridor CPEC und die indisch-iranischen Tschahbahar-Projekte sind nur die zwei bekanntesten wirtschaftlichen Ausdrücke davon.

Unter diesen Umständen bereitet die Unabhängigkeitsbewegung in Kaschmir nicht nur der indischen herrschenden Klasse Kopfzerbrechen. Die Herrschenden in Pakistan haben auch Grund, die Ausbreitung der Bewegung zu fürchten. Der Befreiungskampf in Kaschmir ermutigt auch die Befreiungsbewegung in Belutschistan und könnte außerdem eine Unabhängigkeitsbewegung in Asad Kaschmir entfachen, dem Teil, der heute von Pakistan besetzt wird.

Spiel mit dem Feuer

Die herrschenden Klassen Indiens und Pakistans spielen mit dem Feuer, wenn sie den Konflikt von Uri nutzen wollen, um die Aufmerksamkeit von den inneren Widersprüchen ihrer eigenen Länder abzulenken. Nach den großen Streiks in Indien versucht Modi einen Vorteil daraus zu ziehen, indem er die Aufmerksamkeit weg von der Innenpolitik leiten will. In Pakistan spiegelten Kriege im Land die Durchsetzung von Interessen der USA seitens der Regierung wider, aber daraus werden nun Kriege, um das CPEC-Projekt zu vollenden. Regierungschef Sharif will das Kaschmir-Problem benutzen, um mehr Unterstützung und nationale Einigkeit für den Wirtschaftsdeal mit China zu erlangen.

In dieser Lage braucht es eine starke und mächtige Bewegung der ArbeiterInnenklasse, der Armen und Unterdrückten, um die Pläne der Kriegstreiber auf beiden Seiten der Grenze zu blockieren. Gleichzeitig sollten die nationalistischen Kampagnen von Pakistan und Indien den fortschrittlichen und sozialistischen Strömungen nicht den Blick dafür verstellen, wie notwendig das legitime Recht der kaschmirischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung ist.

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Nr. 214, November 2016

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