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CETA

Mutiges Nein in Wallonien?

Tobi Hansen, Neue Internationale 214, November 2016

Am Ende wurde die feierliche Unterzeichnung um 4 Tage verschoben, es fehlte die Unterzeichnung Belgiens.

Dort müssen alle Regionen den Verträgen und Gesetzen, welche die Bundesebene betreffen bzw. diese brechen können, zustimmen. Dementsprechend brach die gesamte EU-Verhandlungsstrategie Ende Oktober in sich zusammen, als die Regionalregierung der Wallonie, geführt durch die dortige PS unter Ministerpräsident Magnette, dem vorliegenden CETA-Vertragsentwurf nicht zustimmte und somit auch der Gesamtstaat Belgien es nicht durfte.

Bei solchen Abkommen muss im EU-Rat weiterhin Einstimmigkeit erzielt werden, wenn auch bei Sachentscheidungen inzwischen sog. qualifizierte Mehrheiten (gewichtet nach Staaten und ihrer Bevölkerung) ausreichen. Dies gilt aber nicht bei Verträgen, die über den bisherigen Gesetzen stehen, wie z. B. „Freihandels“abkommen.

Mediale Hetze

Die Darstellungen des „Asterix Magnette“ und der Wallonie als kleiner, unbeugsamer Region gegen CETA waren die freundlicheren in den bürgerlichen Medien, vor allem den deutschen und internationalen. Allgemein wurde die EU als in Frage gestellt gesehen, aber auch das Recht der Wallonie, weiter zu verhandeln und auch Abkommen abzulehnen. Sie würde der EU schaden, die Demokratie beschmutzen etc. Große Aufregung und Stimmungsmache gegen die „Blockierer“ war an der Tagesordnung. Selbst der kanadische Ministerpräsident Trudeau machte sich schwermütige Gedanken um die Zukunftsfähigkeit Europas. Eigentlich ging es auch gar nicht mehr um CETA, sondern nur darum, dass die Wallonie sich erdreiste, dagegen zu sein. Schließlich sei CETA von allen Zentralregierungen angenommen worden, die Wirtschaft wäre dafür, so die herrschende öffentliche Meinung.

Worum es eigentlich ging

Die PS der Wallonie (Mitglied der europäischen Sozialdemokratie) verhandelte eigentlich nur das, was theoretisch auch anderen „sozialistischen“ und sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften quer im Magen liegen dürfte, die Rechte der CETA-Schiedsgerichte im Verhältnis zur staatlichen und europäischen Gerichtsbarkeit. Die regionale PS regiert seit einem Jahr nicht mehr mit auf der Zentralebene. Da lässt sich anscheinend etwas „ehrlicher“ über CETA verhandeln bzw. auch etwas fordern, was der SPD auf ihrem Konvent selbst nach den Massenprotesten am 17. September nicht möglich war.

Die SPD- und DGB-Führung verwarfen alle Bedenken zur Gerichtsbarkeitsfrage. Es musste zur Besänftigung reichen, zumindest mit Kanada darüber zu verhandeln. Im Kapitalismus kommt es übrigens meistens drauf an, ob man überhaupt in der Position ist, etwas zu fordern. Davon sind deutsche und europäische ReformistInnen halbwegs überzeugt. Und ein Vertreter meinte sogar ernsthaft, Magnette habe soweit nachverhandelt, dass nun der europäische Gerichtshof klären müsse, inwieweit die Schiedsgerichte von CETA (und auch TTIP im Hintergrund) über der nationalen und europäischen Gerichtsbarkeit stünden. Nur eine diesbezügliche Klärung des Vertragsinhalts steht nun zusätzlich in den Vereinbarungen - mehr nicht. Gleichzeitig konnte nachverhandelt werden, dass die wallonische Landwirtschaft Schutzklauseln erhält.

Die Einwände der wallonischen Sozialdemokratie gegen den ursprünglichen Vertragsentwurf richten sich also nicht gegen dessen Charakter als Beitrag zur imperialistischen Blockbildung und somit zur Verschärfung der innerimperialistischen Konkurrenz und Aggressivität. Schon gar nicht streichen sie seinen Klassencharakter heraus und folglich den eines ernsthaften, nämlich proletarischen Protests dagegen. Es wurden zwar Demonstrationen abgehalten, aber sie standen im Zeichen des Eintretens für staatliche bürgerliche Souveränität in der EU, in Belgien und Wallonien - nicht im Zeichen von ArbeiterInnenkämpfen bis hin zum Generalstreik!

Dass sich Widerstand im wallonischen Teil Belgiens regt, liegt nicht an seinem speziellen widerspenstigen, „gallischen“ Charakter, es liegt am Niedergang der ehemals prägenden Industrie in dieser Region, vergleichbar dem Schicksal des deutschen Ruhrgebiets bei allerdings nur einem Sechstel von dessen Bevölkerung. Zu Zeiten von Kohle, Stahl und Schwerindustrie war die Wallonie das wirtschaftliche Prunkstück Belgiens und galt Flandern eher als landwirtschaftlich geprägt und rückständig. Dies hat sich im Zeitalter der „Globalisierung“ gründlich verändert. Die Industrieproduktion ist gewichen, das auf Handel und (Finanz-) Dienstleistungen spezialisierte Flandern hat innerhalb Belgiens der Wallonie den Rang abgelaufen. Es gibt dort heute viele NationalistInnen und rassistische SeparatistInnen wie die Nieuw-Vlaamse Allantie (zuletzt stärkste Kraft im flämischen Sprachgebiet und aktuell in der Zentralregierung) oder Vlaams Belang, in der Wallonie dafür eine höhere Arbeitslosigkeit und weniger Perspektiven.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass es in der Wallonie mehr Widerstand gegen CETA gab als in anderen Regionen. Hier ist bekannt, welche Auswirkungen „Freihandel“, Globalisierung und Stärkung der Märkte auf Beschäftigte, Arbeitslose, die Jugend und SozialrentnerInnen haben.

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Nr. 214, November 2016

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