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Houellebecq Geistiger Brandstifter für das Bildungsbürgertum Tobi Hansen, Neue Internationale 214, November 2016 Wenn in den bürgerlichen Medien über den steigenden Rassismus und Rechtspopulismus berichtet wird, gibt es dazu oft die Bilder von Pegida-Demos wie auch Interviews mit anscheinend verwirrten TeilnehmerInnen dieser Versammlungen. Rassismus erscheint so als Resultat von Verwirrung, Unwissenheit und auch einer gewissen Blödheit. Diesem Bild folgen dann auch häufiger linke Medien, wenn sie über den Geisteszustand von Sachsen fabulieren oder Rassismus per se mit Dummheit bzw. einer allgemeinen Uninformiertheit gleichsetzen und sich besonders um „Aufklärung“ bemühen. Oftmals wird dies auch mit der „Demokratie“ bzw. dem Einsetzen für diese untermalt nach dem Motto: „Aufgeklärte StaatsbürgerInnen können doch keine RassistInnen sein, dort müsste angesetzt werden“. Falsches Bild Dieses Bild ist in mehrfacher Hinsicht falsch und führt vor allem zu fatalen politischen Schlussfolgerungen. Natürlich ist Aufklärung über Fluchtgründe und die Realität der Geflüchteten in Deutschland eine wichtige Aufgabe. Aber falsche Schlussfolgerungen werden dann gezogen, wenn Rassismus und Populismus als Problem der verarmten, der prekarisierten, der ausgestoßenen Elemente der Gesellschaft erscheinen, denen es nur an Bildung und am richtigen Denken fehle, um diese wieder zu guten „Demokraten“ machen zu können. Außer Acht gelassen wird dabei gerne die Binsenweisheit, dass der „Fisch vom Kopfe her stinkt“, also in dieser aktuellen deutschen Gesellschaft Rassismus und Populismus nicht aus der „Unterschicht“ hochgekrochen kamen, sondern dass im Gegenteil aus den höheren Schichten z. B. dem Bildungsbürgertum, dieser Rassismus und Populismus gesät wurde. Bevor wir die diesjährige Verleihung des Preises der „Frank-Schirrmacher-Stiftung“ der FAZ und die Dankesrede von Michel Houellebecq in diesem Zusammenhang darstellen und kritisieren, sei an das „schriftstellerische“ Wirken von Thilo Sarrazin erinnert, welcher mit seinen Büchern ideologische Begründungen für RassistInnen salonfähig gemacht hat. Der Polit-Technokrat, welcher mit und durch die SPD verschiedenste Pöstchen innehatte, veröffentlichte Machwerke à la „Deutschland schafft sich ab“, die vor Nationalismus und Rassismus strotzten und zu Bestsellern wurden. Bei der diesjährigen Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises (Frank Schirrmacher war ehemaliger Mitherausgeber der FAZ) hätte sich Sarrazin sicherlich auch über das illustre Publikum gefreut und besonders über den Preisträger Houellebecq. Dieser französische Schriftsteller zeigt seit geraumer Zeit, wie fließend die Grenzen zwischen den „Intellektuellen“ und „Kulturschaffenden“, sprich dem Bildungsbürgertum, und dem Rassismus sein können. Zur Feier erschienen die intellektuellen Köpfe der FAZ, des deutschen Bürgertums, welches sich auf Konservatismus versteht und eben auch die Brutstätte solcher Formationen wie der AfD ist. Hier fühlte sich auch Houellebecq wohl, seine Dankesrede wurde von der FAZ vollständig veröffentlicht. Das deutsche Bürgertum mit seiner Tradition aus Nationalismus, Obrigkeitstreue und Gehorsam kommt auch seiner Vorstellung von „Bürgerlichkeit“ näher, mit linksliberalen französischen Zeitungen wie Le Monde verbindet Houellebecq eher gegenseitiger Hass. Rassismus auf 3sat Und so kam der Preisträger auch in der Sendung „Kulturzeit“ bei 3sat zu Wort und dort erlebten wir ältere rassistische Lehre in Reinkultur. In seinen Romanen und Erzählungen zeichnet er seit ca. 15 Jahren das Bild einer untergehenden französischen/europäischen Gesellschaft, die sich dem Islam ergibt und nicht in der Lage ist, dem Islamismus entgegenzutreten. Praktisch sieht das dann so aus: „Aber das Vordringen des Islam beginnt gerade erst, denn die Demographie ist auf seiner Seite und Europa hat sich, indem es aufhört, Kinder zu bekommen, in einen Prozess des Selbstmords begeben. Und das ist nicht wirklich ein langsamer Selbstmord. Wenn man erst einmal bei einer Geburtenrate von 1,3 oder 1,4 angekommen ist, dann geht die Sache in Wirklichkeit sehr schnell.“ Dieses Zitat stammt aus der veröffentlichten Rede. Beim Fernsehbeitrag wurde dann noch die höhere Fruchtbarkeitsrate der Muslime im Allgemeinen erwähnt. Diese liege nämlich bei zwei Kindern pro Frau. Mit diesem Eindruck verabschiedete sich dann die „Kulturzeit“ von der Preisverleihung der FAZ. Davor durfte noch eine Laudatorin Houellebecq preisen und auffordern, möglichst „provokant zu bleiben“. Also hatte auch das 3sat-Publikum gelernt, was für die Pegida-RassistInnen schon länger klar ist - das deutsche Volk stirbt aus, der Islam überrennt Europa, sei es per Geburt oder per Flüchtling. Beim sogenannten Bildungsfernsehen für BildungsbürgerInnen bleiben die Aussagen von Houellebecq ebenso unkommentiert wie die Worte der LaudatorInnen. Dass dies ganz perfider Rassismus gegenüber dem Islam an sich ist, oder inwieweit jetzt 3sat die Akademikerdeutschen mit nationaler Gesinnung damit zur Fortpflanzung anregen will, ist dort auch nicht bekannt. Es ist aber schon bezeichnend, in was für Zeiten wir leben. Antiislamismus Ähnlich den Thesen von Sarrazin geht Houellebecq von einem zu schwachen westlichen Staat aus, der nicht in der Lage ist, sich dem „Islam“ zu widersetzen. In seinem letzten Roman „Soumission“ (Unterwerfung) zeichnet er das Bild einer moderaten islamischen Republik Frankreich ab dem Jahr 2022, die quasi Schritt für Schritt islamisiert wird. Die Anzeichen dafür sieht Houellebecq z. B. in dem Verbot der Prostitution in Frankreich, welches für ihn anscheinend sehr nah an den Werten und Inhalten der französischen Revolution steht, worüber er in der Dankesrede auch fabulierte. Zumindest geraten da für den Herrn Schriftsteller wohl entscheidende „Rechte“ verloren: „Die Tatsache, dass Frankreich nach Schweden das zweite Land der Welt sein könnte, das die Kunden von Prostituierten bestraft, das, so glaube ich, wäre selbst Philippe Muray schwergefallen zu glauben, er wäre entsetzt zurückgeschreckt vor der Perspektive. Nicht so früh. Nicht so schnell. Nicht in Frankreich. Die Prostitution abschaffen heißt, eine der Säulen der sozialen Ordnung abzuschaffen. Das heißt, die Ehe unmöglich zu machen. Ohne die Prostitution, die der Ehe als Korrektiv dient, wird die Ehe untergehen und mit ihr die Familie und die gesamte Gesellschaft. Die Prostitution abzuschaffen, das ist für die europäischen Gesellschaften einfach ein Selbstmord.“ Offenbar kann der selbsternannte „halbe Prophet“ sich nicht vorstellen, wie soziales Zusammenleben außerhalb von Ehe, Prostitution und anderen Zwangsverhältnissen funktionieren könnte. Dementsprechend vehement verteidigt er die etablierten Gewissheiten des Kapitalismus, des Sexismus und der Unterdrückung. Der gesellschaftliche Auftrag Houellebecq präsentiert sich gern als vehementer Gegner des Dschihadismus. In Wirklichkeit dient ihm das aber nur dazu, „den“ Islam und alle Muslime als Dschihadisten zu brandmarken. Ihm geht es nicht um die Aufklärung oder andere viel beschworene Werte der französischen Revolution. Wenn's darum gehen würde, könnten auch die Geburtenraten wohl weniger entscheidend sein für die gesellschaftliche Entwicklung. Schließlich könnten ja alle Muslime später noch beseelt werden von den westlichen Werten. Nein, dieser „Preisträger“ folgt den Maßgaben des französischen Imperialismus, folgt den Zwängen der krisenhaften bürgerlichen Entwicklung. Dazu gehört die Spaltung nach Religion, nach Herkunft, Orientierung und Gesinnung. So werden Feindbilder gemacht, so kann Krieg geführt werden, so kann der französische Imperialismus seine Stellung behaupten. Dazu braucht es auch Claqueure à la Houellebecq. Die Bezeichnung „geistige Brandstifter“ ist hierfür vollkommen zutreffend. Wie andere RassistInnen und HetzerInnen, die das Bild eines „Überrennen“ Europas durch Muslime zeichnen, stellt er die Realität auf den Kopf. Die Rolle des französischen Imperialismus, der Armee und Polizei gegenüber den Muslimen und den islamischen Staaten wird völlig ausgeblendet. In Wirklichkeit überrennen die imperialistischen Armeen seit Jahrzehnten die Länder des Nahen Ostens, Nordafrikas oder Zentralasiens. Afghanistan und der Irak, Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, wurden zerbombt, verwüstet, barbarisiert. Die Interventionen des Imperialismus wie auch die Millionen von Toten, die dem ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ zum Opfer fielen, sind Houellebecq nicht nur keine Erwähnung wert. Es gibt für ihn offenbar noch nicht genug davon, wenn er von einer angeblichen Niederlage des Westens schwadroniert. Auf den Kopf gestellt So wie Houellebecq die internationale Lage vollständig auf den Kopf stellt, so auch jene in Frankreich und anderen imperialistischen Ländern. Seit Jahrzehnten werden MigrantInnen, darunter auch viele Muslime, wie Menschen zweiter Klasse behandelt, wird ihnen jede gesellschaftliche Perspektive verwehrt, die über schlecht bezahlte Jobs hinausgeht. Ausgerechnet diese in der Realität an den Rand gedrängten, marginalisierten Menschen würden jetzt die Gesellschaft überrennen. So trennt den Preisträger, das FAZ-Publikum und die LaudatorInnen politisch-ideologisch nur sehr wenig vom Kameradschaftsnazi oder dem/r „besorgten“ Pegida-BürgerIn, außer dass erstere sich noch mit den Begriffen „intellektuell“ und „Elite“ schmücken dürfen. Für die anderen bleibt dann meist nur „deutsch“ als Etikett übrig. Für den antirassistischen Kampf muss dies bedeuten, sich mit dem Rassismus von oben zu beschäftigen, herauszuarbeiten, was der aktuelle Rechtsruck mit der kapitalistischen Krise zu tun hat und warum das Bürgertum und seine AdjutantInnen wieder zu den Mitteln der nationalistischen und rassistischen Spaltung greifen. Daher ist es eben nicht eine abstrakte Demokratie, die verteidigt werden muss. Stattdessen muss klar sein, welche sozialen Gruppen sich gerade innerhalb der Demokratie in Richtung Nationalismus und Rassismus aufmachen. |
Nr. 214, November 2016
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