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EU-Imperialismus und Griechenland

Ein Exempel soll statuiert werden

Tobi Hansen, Neue Internationale 201, Juli/August 2015

Am treffendsten brachte es der französische Finanzminister Sapin auf den Punkt: die Lösung für Griechenland und die EU wird beim Treffen zwischen Merkel und Hollande gefunden, oder es gibt keine. Dies zeigt nicht nur deutlich die deutsch-französische Vorherrschaft über alle Belange der EU, das zeigt auch, dass hier die beiden Regierungschefs der wichtigsten imperialistischen EU-Staaten über das weitere Schicksal der griechischen Bevölkerung entscheiden werden und niemand sonst.

Etwas grobschlächtiger äußerte sich Vizekanzler Gabriel zum Referendum, damit hätte die Regierung die Bevölkerung einer sozialen Katastrophe ausgeliefert und alle Brücken nach Europa abgerissen.

Dass die CSU das noch toppen kann, war zu erwarten. Generalsekretär Scheuer sprach im Zusammenhang mit dem Referendum von „Volksbelügern“ und „Erpressern“ wie auch von „Geisterfahrern“ - Hauptsache, die bezahlen auch Maut, könnte man ergänzen. Die CSU übernimmt damit den drohenden Part der Bundesregierung.

Besonders die deutsche Elite hat schwer am Oxi zu knabbern, daher auch alle möglichen Verleumdungen einer Volksabstimmung, die dann auch noch eine Ablehnung zur Austeritätspolitik gebracht hat. Dieses Referendum sagte Nein zur herrschenden Politik und damit zum deutschen Imperialismus. Dieser ist dafür verantwortlich, dass die griechische Bevölkerung seit 5 Jahren einer geplanten Massenverarmung ausgesetzt ist, dass ist die soziale Katastrophe, welche aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise stattfindet, trotz aller Zugeständnisse und Opfer nicht endet.

Und so standen Merkel und Hollande vor der Presse und spielten fast originalgetreu böser Regierungschef und guter Regierungschef. Während Hollande betonte, dass eine „gemeinsame Lösung“ angestrebt wird und alle Griechenland im Euro-Raum und EU halten wollen, betonte Merkel im folgenden Statement, dass aber dafür alle Regeln eingehalten werden müssten, sprich: ohne neues Sparpaket und Zugeständnisse keine neue Kredite.

Dementsprechend wird erst in Paris die Linie vereinbart, dieser haben dann die anderen EU-Staaten zu folgen. Das ist auch der Verhandlungskorridor gegenüber der griechischen Regierung. So ist die französische Regierung dafür verantwortlich, den Schuldenschnitt jetzt zumindest mal zu erwähnen, während deutsche Boulevard-Blätter Merkel mit der Bismarckschen Pickelhaube ablichten und ihre Unterstützung für den deutschen Imperialismus kundtun.

Wann gibt es kein Geld mehr?

Die EZB hat verlautbart, dass sie die bislang laufenden ELA-Notkredite für die griechischen Banken nicht stoppen will, diese „Reserven“ werden wahrscheinlich Ende der zweiten Juli-Woche aufgebraucht sein. Von deutscher Seite war bereits zu hören, dass nach dem Referendum auch die noch laufenden Notkredite gestoppt werden sollten, dann erst würden „die Griechen merken, wie es ist, sich gegen EU und Euro zu entscheiden“, wie CDUler Bosbach meinte.

Dies ist die verschärfte Erpressung und Auspressung der griechischen Bevölkerung, die jetzt mit dem Entzug des Geldes weiter drangsaliert wird. Die Rechnung dahinter ist ganz mieses imperialistisches Kalkül. Je schlechter die Bedingungen diese Woche werden in Griechenland, je mehr Angst und Panik geschürt wird und/oder sich Ende der Woche ausbreitet, desto eher wird Tsipras entweder gezwungen, einen Kompromiss zu unterschreiben, Syriza gesprengt und der Boden für einen „Regime change“ durch den deutschen Imperialismus vorbereitet.

Während auf der Oberfläche der bürgerlichen Berichterstattung die Frage als Konflikt zwischen „harten“ und „nachgiebigen“ Personen erscheint, während sich vieles auf die ökonomischen Fragen fixiert, geht es letztlich um die politische Neuordnung Europas unter deutscher Vorherrschaft. Daher ist auch der Spielraum für Kompromisse so klein, ja fast nicht vorhanden. Der Imperialismus will von Tsipras keinen „ehrenvollen Kompromiss“, nicht fast vollständige Kapitulation mit etwas Gesichtswahrung, sondern Unterwerfung.

Deutschland bestimmt

Natürlich wissen die VertreterInnen der EU, EZB oder des IWF, dass Tsipras nicht den Bruch plant, sondern eine „ehrenvolle Lösung“ anstrebt. Aber er und die griechische Regierung werden nicht nur vom Imperialismus massiv unter Druck gesetzt.

Das Oxi hat die Krise der tradierten bürgerlichen politischen Parteien in Griechenland verstärkt. Samaras trat zurück, um den Weg zur „Erneuerung“ von Nea Dimokratia frei zu machen.

Nichtsdestotrotz versuchte die Syriza-Spitze unmittelbar nach dem Referendum auszuloten, ob sie unter den bürgerlichen Parteien Partner für eine breitere Koalition finden könnte. Zu diesem Zweck organisierte Tsipras ein Treffen von ND, PASOK und Potami, um sich von der Basis und vom linken Flügel von Syriza unabhängiger zu machen.

Auch wenn sich im griechischen Parlament nicht wenige finden werden, die einem schäbigen Kompromiss von Tsipras bei neuen Verhandlungen zustimmen würden, so ist stark zu bezweifeln, ob die 60% des Oxi das gewollt haben. Das Oxi hat auch (zumindest kurzfristig) den Spielraum von Tsipras eingeschränkt. Eine allzu offene Kapitulation würde nicht nur Wut und Verzweiflung seiner AnhängerInnen bedeuten - es würde auch die Mobilisierung seiner AnhängerInnen bedeuten.

Der Einfluss des linken Flügels in Syriza ist in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Diese Kräfte wollen zwar selbst keinen Bruch mit Tsipras, keinen Kampf um eine entschlossenere Führung von Syriza, aber sie sind nichtsdestotrotz mehr und mehr in diese Richtung gedrängt worden und fordern seit Monaten öffentlich einen Bruch mit der Troika.

Das wissen auch die Strategen in Brüssel, Berlin oder in Washington beim IWF. Dass Varoufakis als Bauernopfer gehen musste, wird die Verhandler nicht beschwichtigen oder gar nachgiebiger machen. Varoufakis mag die Verachtung der Gläubiger als seinen persönlichen Stolz reklamieren, ansonsten ist seine Entfernung aus dem Ministerium auch ein Hinweis darauf, dass es im Europa des Kapitals keinen Platz für aufmüpfige Keynesianer gibt, die mit Hilfe des Staates den Kapitalismus retten wollen. Sobald sie das auch noch nach Wahlen vertreten, werden selbst „erratische Marxisten“ zu Feindbildern des Kapitals, seiner Medien und Politiker - das sollte auch jenen eine Lehre sein, die an einen reformierten Kapitalismus oder gar an eine soziale EU glauben möchten.

Entscheidend ist ohnedies nicht, wer in Brüssel verhandelt, sondern, die noch immer vorhandene Bewegung in Griechenland, die ArbeiterInnenklasse politisch vernichtend zu schlagen.

Stützen

Wir müssen daher damit rechnen, dass die deutsche Regierung ihre Erpressungspolitik weiter durchziehen, ja verschärfen wird. Das wäre selbst so, wenn es zu einen „kurzfristigen Deal“ kommen würde, mit dem die beschränkte und kontrollierte Zahlungsfähigkeit der Banken aufrecht erhalten würde. Schon einige Wochen später stünden die nächsten Forderungen ins Haus.

Merkel und Schäuble können sich in ihrem Feldzug gegen die griechische Bevölkerung auf drei Faktoren stützen:

Erstens eine ganze Reihe von Regierungen in der Eurozone, die besonders hart jeden „Kompromiss“ mit Griechenland ablehnt. Diese erlauben es dann sogar Merkel, sich als „Vermittlerin“ hinzustellen und selbst Schäuble kann zynisch verkünden, dass er die Griechen nie im Stich lassen würde.

Zweitens die Tatsache, dass die meisten europäischen Regierungen (inklusive der meisten südeuropäischen) eine „Sonderbehandlung“ Griechenlands ablehnen, ja fürchten, weil sie dann ihrer Bevölkerung erklären müssten, warum sie selbst alle Sparprogramme willfährig durchgezogen haben. Die Maulhelden Hollande und Renzi werden letztlich vor der wirtschaftlichen Übermacht des deutschen Imperialismus kapitulieren und ganz sicher keinen entscheidenden Konflikt mit Merkel um Griechenland riskieren. Darüber hinaus wäre jeder „Kompromiss“, der der griechischen Regierung bessere Konditionen bietet als anderen südeuropäischen oder osteuropäischen Ländern, auch eine offene Kritik an den „linken“ Regierungen, die munter eigene Kürzungsprogramme durchziehen und erst gar nicht mehr vorgeben, die Lage der eigenen Bevölkerung verbessern zu wollen.

Drittens und vor allem ist es die ArbeiterInnenbewegung in den meisten europäischen Ländern, die Solidarität mit der griechischen Bevölkerung weitgehend vermissen lässt. Deutschland ist hier ein besonders beschämendes Beispiel - und umgekehrt als die Führungsmacht der EU von entscheidender Bedeutung. Teile der SPD kläffen mit CDU und CSU um die Wette, wenn es darum geht, „die Griechen“ chauvinistisch vorzuführen. „Superminister“ Gabriel übt schon mal als Einpeitscher. Andere halten allenfalls die Füße still.

Die DGB-Gewerkschaften machen gute Miene zum bösen Spiel. Vor einigen Monaten hatten sie eine Resolution angenommen, in der sie die Wahl Syrizas und deren Reformversprechen begrüßten.  Damit wurde das eigene Gewissen zufrieden gestellt - und der „Solidarität“ war genüge getan. Nach dem Referendum fordert der DGB, dass mit Griechenland weiter zu verhandeln sei und dass sich  „die Griechen (...) langfristig als verlässliche Partner“ erweisen müssten. Sozialdemokratie und die von ihr beherrschten Gewerkschaften erweisen sich wieder einmal als sozial-chauvinistische Erfüllungsgehilfen des Kapitals.

Die Linkspartei unterstützt Syriza zwar - und fordert jetzt „rasche Neuverhandlungen“. Warum dabei mehr rauskommen oder ein besseres Ergebnis erzielt werden soll als bisher, bleibt ihr Geheimnis. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Mobilisiert wird praktisch nicht. Zur bundesweiten Demonstration unter dem erbärmlichen Motto „Europa.Anders.Machen“ kamen gerade 7.000, am 3. Juli gingen bundesweit nur wenige Tausend in Solidarität mit Griechenland auf die Straße.

Wie weiter?

Stattdessen wird das Referendum als „Sieg der Demokratie“ abgefeiert - als ob es im Kern um „Demokratie“ und „europäische Ideen“ ginge - und nicht um Kürzungsdiktate und Klassenkampf. Es geht darum, deutlich zu machen, was allen blüht, die sich einer Neuordnung des Kontinents unter der Fuchtel des deutschen Imperialismus entgegenstellen. Ob das die Form einer Kapitulation in der EU oder den erzwungenen Grexit annimmt, ist letztlich sekundär. Es geht darum, ein Exempel zu statuieren. Es ist ein Klassenkrieg, den deutsche und europäische Imperialisten führen.

Ein Sieg an der Wahlurne kann zweifellos mobilisierende Wirkung haben. In Griechenland kann er auch die Grundlage für weitere Mobilisierungen legen, nachdem diese in den letzten Monaten schwach waren.

Aber Klassenkriege werden nicht bei Referenden entschieden. Die Imperialisten werden damit fortfahren und ihn verschärfen. Gestoppt können sie nur werden, wenn die ArbeiterInnenklasse in Deutschland und anderen Ländern der EU massenhaft gegen diese Politik aufsteht und ihren griechischen Klassenbrüdern und -schwestern beisteht, sich auf der Straße und in den Betrieben zur Wehr setzt und mit der politischen Unterordnung unter „ihre“ eigene herrschende Klasse bricht.

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Nr. 201, Juli/Aug. 2015
*  EU-Imperialismus und Griechenland: Ein Exempel soll statuiert werden
*  Editorial
*  LFI-Stellungnahme: Oxi - und jetzt weiter voran!
*  Tarifabschluss bei der Post: NEIN zu diesem Abschluss!
*  Gegen die Troika-Diktate: Solidaritätsbewegung aufbauen!
*  Charité Berlin: Streik ausgesetzt
*  Tarifkämpfe 2015: Streikwellen über Deutschland?
*  AfD und das Ende von Bernd Lucke: Die Geister, die ich rief
*  Das Erneuerbare-Energien-Gesetz: Energiewende, Bluff oder Flop?
*  Militarismus: Aufrüstung der Bundeswehr
*  Krise der NaO: Revolutionäre Einheit oder plurale Beliebigkeit?
*  Syrien: Nein zur türkischen Intervention! Verteidigt Rojava!