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Das Erneuerbare-Energien-Gesetz

Energiewende, Bluff oder Flop?

Jürgen Roth, Neue Internationale 201, Juli/August 2015

Während die BRD-Stromwirtschaft gerade mit der Ausdehnung nach Osten beschäftigt war, brachte der CSU-Abgeordnete Engelsberger das „Strom-Einspeise-Gesetz“ im Bundestag ein. Es sollte v.a. Wasserkraftwerken und Windrädern Mindesttarife garantieren und wurde unter „Rot-Grün“ erheblich ausgeweitet. Unter dem Namen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sichert es seit 2000 feste Vergütungssätze für Strom aus Wind, Wasser, Sonne, Erdwärme und Biomasse. Die Höhe der Sätze richtet sich nach Art der Erzeugungstechnik, Standort, Größe der Anlage und gilt bis zu 20 Jahren Dauer. Mit Start des Einspeisegesetzes 1991 betrug der Anteil erneuerbarer Stromquellen 3,1 %, mit dem des EEG 6,6 % und stieg bis 2013 auf 24,7 %.

Selbst die Union/FDP-Bundesregierung beschloss nach der Havarie des Kernkraftwerks in Fukushima den beschleunigten Ausstieg aus der Atomkernspaltungsenergie zugunsten der „erneuerbaren Energien“ (EE). Eigentlich ein vernünftiger Weg, sollte man denken, denn wenn die große Mehrheit der KlimaforscherInnen Recht hat, kann so dem Treibhauseffekt gegengesteuert werden.

Speicherfrage

Solar- und Windkraft erzeugen aber nur unstetig Strom - je nach Wetter und Tageszeit. Es müssen also Reservekraftwerke vorgehalten werden. Bestens geeignet sind hier Erdgaskraftwerke, die schnell zugeschaltet und abgekoppelt werden können. Die Grundlastkraftwerke - Braunkohleblöcke, AKWs - können das nicht. Sie laufen im Dauerbetrieb, AKWs sind zudem nur mit Volllast betriebsfähig und nicht regelbar. Aufgrund des vorrangigen Einspeisegebotes für EE kann das Stromnetz starken Schwankungen unterworfen sein, was technische Probleme mit sich bringt. Starken betriebswirtschaftlichen Anreizen für einen schnellen Ausbau regenerativer Erzeugungssysteme stehen vollkommen unzureichende zur Schaffung von Speichersystemen, zum Erhalt von Backup-Kapazitäten (Gaskraftwerke) und schwierige Rechtsverhältnisse zur Schaffung der notwendigen Übertragungskapazitäten (Netze) gegenüber.

Kosten

Die Strompreise sind seit 2000 für Privathaushalte, Gewerbe und die nicht von Ausnahmeregelungen betroffenen Industriebetriebe stark gestiegen. Die Kostendeckung der EE wird über Börsenstrompreis plus EEG-Umlage finanziert - letztere beträgt zur Zeit 6,5 Cent pro KWh. Da immer mehr Großbetriebe von dieser befreit werden - längst nicht nur mehr die in internationaler Konkurrenz stehenden Vielverbraucher - müssen die Massen sowie kleine und mittlere Betriebe dafür umso mehr aufkommen. Zudem werden die EE-ProduzentInnen zur Vermarktung an der Stromgroßhandelsbörse gezwungen, die aufgrund des zunehmenden Stromüberschusses dort sinkende Preise erzielen. Folglich steigt die Deckungslücke in Gestalt der EEG-Umlage.

2011 flossen 30 Mrd. Euro Subventionen für EE, fast genau soviel (26 Mrd.) für die Stromerzeugung aus Kohle und Gas und am meisten (35 Mrd.) für Atomstrom. Von 1970 bis 2014 erfolgten staatliche Förderungen in Höhe von 327 Mrd. Euro an Steinkohle, 219 Mrd. an Atomenergie, 102 Mrd. an Erneuerbare und an die angeblich subventionsfreie Braunkohle 95 Mrd. Dies gilt es außer der Börsenpreisgestaltung zu berücksichtigen, wenn man Strompreise vergleicht und den EE die Schuld für deren Anstieg zuweisen will, denn die Nicht-EE-Energieträger werden und wurden hauptsächlich aus Steuermitteln alimentiert und nicht über eine Strompreisumlage ¬ Ausnahme: der frühere „Kohlepfennig“.

In der Gesamtbilanz ist nur ein Viertel des Strompreisanstiegs seit 2000 den EE anzulasten. Der Rest der Zusatzkosten beruht auf allgemeiner Preissteigerung, Subventionen an o.a. Industrie, Extragewinnen der Stromversorger einschließlich der meisten Stadtwerke (sinkender Großhandelspreis) und dem Steuerplus in der Staatskasse (19 % MWSt).

Energiewende?

Die besteht eigentlich nur im Ausstieg aus der Kernspaltungsenergie bis 2022. Die BRD hat seit den 1990er Jahren (Ausstieg aus Wiederaufbereitung, Brütertechnologie) ihre Atombewaffnungspläne aufgegeben, verlässt sich auf Frankreichs Force de Frappe. Für die Atomwaffenmächte „rechnen“ sich so AKWs quasi als Nebengeschäft. Mit der Liberalisierung des bundesdeutschen Strommarktes 1998 (Aufhebung der Gebietsmonopole, Trennung des Netzbetriebs von der Stromerzeugung) begann der Aufstieg der „Big Four“ (RWE, E.on, EnBw, Vattenfall) zu EU-weit agierenden Monopolen. Dies verstärkte die Abkehr von der Atomenergie, da diese nicht die von der Konkurrenzverschärfung geforderte Flexibilität (geringere Kosten neuer Kohlekraftwerke und Stilllegung alter) besitzen und ihr Neubau nicht mehr subventioniert werden würde.

Die Multis setzten auf Steinkohleimport wie heimische Braunkohle für die Zeit nach der Schließung der AKWs, die unter Union/FDP vor Fukushima noch eine Laufzeitverlängerung erhielten. Mit ihren restlichen AKWs und den alten fossilen Kraftwerken ließ sich locker mit den aufkommenden EE ankonkurrieren, denn ein beträchtlicher Teil des Kraftwerkparks ist betriebswirtschaftlich abgeschrieben.

Die Bundesregierungen lavierten zwischen der Erfüllung der bescheidenen Kohlendioxidausstoßreduktionsziele, wie im Kyoto-Protokoll beschlossen, und Konzerninteressen. Heraus kamen das EEG und ab 2011 die so genannte Energiewende. Mittels einer Mischung aus Keynesianismus (Subventionen in Form der EEG-Umlage, aber auch von Gratisschadstoffzertifikaten an die Stromindustrie und großen Primärenergieverbraucher), Marktliberalisierung (Strombörse, Direktvermarktung) und preußischer Bürokratie (Umlage, Ausnahmeregeln, Ökosteuer, Konzessionsabgaben, Netzentgelte usw.) wurde auf den fossil-atomaren Stromsockel ein grüner Überschussdeckel gestülpt, finanziert v.a. von der ArbeiterInnenklasse, aber auch dem kleinen und mittleren Gewerbe und der nichtprivilegierten Industrie. Dass „reine“ Marktwirtschaft den Einstieg in die EE niemals ermöglicht hätte, sieht man an den über den Strompreis kassierten Subventionen - ein Großteil der Ökologiebewegung sieht das nicht.

Die EE-Förderung war auch bedingt durch lukrative Geschäfte für große Anlagenbauer. Deutsche Firmen entwickelten sich zwischenzeitlich zu Weltmarktführern bei der Photovoltaik, auch wenn China ihnen mittlerweile den Rang abgelaufen hat.

Zukunft des Ökostroms

Die Perspektive der ÖkoromantikerInnen sieht einen vollständigen Umstieg auf die Erneuerbaren in wenigen Jahrzehnten als realistische Vision - unter unveränderten politischen wie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wohlgemerkt! Das EEG ist ihr Zugpferd in eine „grüne“ Zukunft mit dezentraler Stromproduktion: kleine, kuschelige Stadtwerke mit winzigen Blockheizkraftwerken, Solardächer, Windmühlen und Solaranlagen, Elektroautos u.v.m. Dies ist der Horizont einer Kleinbürgeridylle kommunalen und genossenschaftlichen Zuschnitts im Rahmen des Kleineigentums. Offensichtlich sollen die Strommultis darüber ihren Geist aufgeben und implodieren wie Dracula bei Sonnenlicht - und wohl ebenso der Staat!

Doch denken die gar nicht dran! Die Subventionen für EE werden sukzessive gekürzt, an die feste Einspeisevergütung wird die Axt anzulegen gedacht, die nicht mehr benötigten Kohlekraftwerke der Konzerne sollen in einen Kapazitätsmarkt überführt werden, bezahlt über den Strompreis. Noch unter Union/FDP wurde der Anteil der EE bis 2025 auf 45 % gedeckelt. Die Stromkonzerne bauen und planen große Kohlekraftwerke, solche mit billiger Importsteinkohle an der Nordseeküste (Hamburg, Wilhelmshaven). Multis wie RWE steigen auch groß ins Windkraftgeschäft auf See ein. Offshore-Windstrom bekommt die höchsten Subventionen, während der Ausbau in der Fläche ausgebremst wird. Statt vernünftigen Netzausbaus in der Fläche werden Superstromtrassen bevorzugt. Die gegenwärtige Bundesregierung legt sich sogar mit der EU-Kommission an, die die zunehmenden Stromprivilegien (Umlage- und Abgabebefreiungen) kritisiert und ein Prüfungsverfahren eingeleitet hat. Man ist zu meinen geneigt, dass Union/SPD es darauf ankommen lassen, dass das EEG zu Fall gebracht wird. Jedenfalls sind ihr und den Stromkonzernen die kleinen und mittleren Kapitale der EE-Erzeuger (Photovoltaik, Windkraft an Land) ein Dorn im Auge. Letztere müssen untergehen oder aufgekauft werden, sei es durch die Konkurrenz in Gestalt neuer Großkraftwerke auf Kohlebasis und/oder Offshore-Windenergie in Konzernhand. Die Offshore-Windanlagenbetreiber erhalten über den Strompreis Ausfallentschädigungen, wenn der Netzanschluss hinterherhinkt. Fazit: die Energie„wende“ ist ein Kuddelmuddel aus Marktliberalismus, keynesianischer Subventionspolitik, Bürokratismus mit einer Prise gehätschelter Ökoromantik. Sie ist alles andere als planvoll und vernünftig.

Energieplan

Der Schlüssel für die umweltgerechte Umgestaltung des Energiesektors liegt im Kampf für die ArbeiterInnenkontrolle über Produktion und Verteilung, der vom Kontrollstadium aus sich in einen um die Zerschlagung des Staatsapparats und Erringung der Diktatur des Proletariats steigern muss. Die ArbeiterInnenklasse muss die Offenlegung der Bücher fordern. Gewinne, Subventionen und Patente müssen der Klasse bekannt sein, um das Ausmaß an Irrationalität und Verschwendung erfassen zu können, das uns der Monopolkapitalismus zugemutet hat. Die Energiekonzerne, Netzbetreiber und Versorger müssen entschädigungslos enteignet werden, damit ein Energieplan erstellt werden kann, der den organisierten und schnellstmöglichen Ausstieg aus der fossilen und atomaren Energieerzeugung möglich macht. Welche und wie viele traditionelle Kraftwerke wie lange noch weiter produzieren müssen, kann das organisierte Proletariat unter Hinzuziehung von ExpertInnen seines Vertrauens am besten entscheiden.

Erst dann wird klar, wie viel Kosten auf die gesamte Gesellschaft zukommen und welcher Aufwand betrieben werden muss. Es gilt nicht nur, bislang versteckte Subventionen ins offene Kalkül zu ziehen, sondern auch die abnehmende Fähigkeit, endliche Ressourcen wie Gas, Kohle und v.a. Öl - dieses dient ja auch als Grundstoff für die gesamte organische Chemie - auszubeuten. Besonders letzteres wird man schonen müssen, wenn es denn nicht mit gesellschaftlich tragbarem Aufwand substituiert oder sogar wiederhergestellt werden kann.

Aus dezentraler Produktion machen wir kein Mantra wie die „radikale“ Ökologiebewegung. Ob und wo sie sinnvoll und möglich ist, wird am besten im Rahmen des neuen Staatseigentums sichtbar. Die Speicherproblematik ist eine reale. Sie kann auch nur auf großer Stufenleiter minimiert bis optimal gelöst werden. Flächendeckender Netzausbau (auch international, soweit möglich) kann zum Ausgleich zwischen Überangebot und Mangel beitragen - ohne aufwändige neue technische Speicherlösungen (Anschluss von Wasserkraftspeichern in Alpenländern bzw. Skandinavien, Solarstrom aus Nordafrika). Die Nutzbarmachung stillgelegter Zechen als Pumpspeicher ist eine weitere Möglichkeit, die zur Zeit untersucht wird. Voraussetzung ist ein integriertes, einheitliches Verbundnetz, das Gegenteil vom bisherigen, planlosen Nebeneinanderherwerkeln der vier deutschen Überlandnetz- und der zahllosen Verteilnetzbetreiber - „Unbundling“, ein Resultat der Strommarktliberalisierung.

Integration ist auch das Zauberwort für die Kopplung sämtlicher Primärenergieproduktion, außer Strom auch Wärme und Verkehr. Überschüssiger Strom kann als Wärme gespeichert werden (Dänemark gibt hier ein Beispiel), aber auch synthetisches Methan (aus Kohlendioxidemissionen z.B. der Industrie, aus fossilen Kraftwerken oder Wasserstoff) erzeugen, das im vorhandenen Erdgasnetz gespeichert werden kann. Letzteres trifft auch für gereinigtes Biogas zu, Wasserstoff kann u.a. ebenfalls dem Erdgasnetz zugefügt werden - bis zu 5 %. Gaskraftwerke können schnell bei Bedarf zugeschaltet werden und Strom erzeugen, entfalten ihre große Flexibilität aber v.a. als Kraft-Wärme-gekoppelte Einheiten (KWK-Blockheizkraftwerke), deren Mischungsanteil aus Strom und Fernwärme in weiten Grenzen regelbar ist. Ein intelligentes Lastenmanagement, das die Anlagen je nach Bedarf steuert - zu- oder abschaltet, Anteile von Strom bzw. Wärme flexibel regelt - gehört zum Inventar einer zukünftigen Primärenergieerzeugung auf großer Stufenleiter, ist nur in einem integrierten Gesamtsystem optimal nutzbar. Weitere Möglichkeiten, zusätzlich zum Umstieg auf EE sind effizientere fossile Kraftwerke, Erkundungen zum Speichern von Kohlendioxid (CCS).

Vergessen wir nicht den Ausbau von Energiesparmaßnahmen, die Forschung zu Kernfusion, neuen Kernspaltungstechniken und zur Endlagerung bzw. Umwandlung des Atommülls in weniger langlebige radioaktive Substanzen (Transmutation).

Biogasanlagen machen unseres Erachtens den geringsten Sinn unter den EE. Maismonokulturen, hoher Pestizidverbrauch und schlechteste Emissionsbilanz sprechen ebenso gegen sie wie die Konkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau. Verwerten sie aber wirkliche Abfälle tierischer wie pflanzlicher Biomasse und sind als Blockheizkraftwerke in ein Erdgas-, Strom- und Fernwärmenetz integriert, könnten auch sie einen sinnvollen Beitrag zur sozialistischen Transformation des Primärenergiesektors leisten.

Das Potenzial von Sonne und Wind aber ist um ein Vielfaches höher als der Stromverbrauch - auch in Deutschland. Allein bei Windkraft wird es auf 2400 TWh im Jahr geschätzt, dem Vierfachen des aktuellen Bedarfs. Es zu nutzen, bedarf es anderer, nichtkapitalistischer Verhältnisse. Für diese ist das aber auch eine von vielen Aufgaben und Herausforderungen, diese Potenziale zu erschließen und nachhaltig, im Rahmen eines sich dynamisch veränderenden Verhältnisses von Mensch und Natur bewusst zu entwickeln.

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Nr. 201, Juli/Aug. 2015
*  EU-Imperialismus und Griechenland: Ein Exempel soll statuiert werden
*  Editorial
*  LFI-Stellungnahme: Oxi - und jetzt weiter voran!
*  Tarifabschluss bei der Post: NEIN zu diesem Abschluss!
*  Gegen die Troika-Diktate: Solidaritätsbewegung aufbauen!
*  Charité Berlin: Streik ausgesetzt
*  Tarifkämpfe 2015: Streikwellen über Deutschland?
*  AfD und das Ende von Bernd Lucke: Die Geister, die ich rief
*  Das Erneuerbare-Energien-Gesetz: Energiewende, Bluff oder Flop?
*  Militarismus: Aufrüstung der Bundeswehr
*  Krise der NaO: Revolutionäre Einheit oder plurale Beliebigkeit?
*  Syrien: Nein zur türkischen Intervention! Verteidigt Rojava!