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CharitE Berlin

Streik ausgesetzt

Elise Hufnagel, Neue Internationale 201, Juli/August 2015

Im Juni 2014 stimmte die ver.di-Tarifkommission nach Absprache mit den Mitgliedern einem vorläufigen Tarifvertrag, dem „TV-Kurz“ zu, der bis Ende 2014 gelten sollte. Zentrales Element war die von jeweils 3 Personen auf jeder Seite gestellte Gesundheitskommission. Sie sollte die Verteilung der 80 geplanten neuen Vollzeitstellen nach Bedarf ermöglichen und dazu erstmals Einblick in die Personalplanung bekommen.

Außerdem war eine unbefristete Übernahme aller Auszubildenden, operationstechnischen AssistentInnen und Hebammen vorgesehen. Dieses von der Schlichtung vorgeschlagene Modell war also als Testlauf gedacht und sollte ständig an der Realität gemessen werden.

In dieser Zeit häuften sich Notrufe der Stationen. Der Tenor war: Wir können nicht mehr, wir sind überarbeitet, wir können die Pflege nicht mehr sicherstellen, wir stopfen nur noch notdürftig die Lücken im Personalschlüssel.

Dann, im Frühjahr 2015, kam nach weiteren Verhandlungsrunden die Ernüchterung: Der Charité-Vorstand bot lediglich eine Mindestbesetzung auf den Intensivstationen an, die eine Festschreibung des Ist-Zustandes oder sogar eine Verschlechterung bedeuten würde.

Vom Warnstreik zum Streik

Für diesen Bereich war eine 1:2-Betreuung (eine Pflegekraft auf zwei PatientInnen) gefordert worden. Für Normalstationen (Forderung 1:5) und Nachtdienste (Forderung „keine Nacht allein“) wollte sich die Charité nicht verbindlich festlegen. Ebenso fand sie die Etablierung von Gesundheitszirkeln toll, aber nicht als Kontroll- und Regelelement der ArbeiterInnen über ihre Dienstpläne.

Ver.di antwortete mit zwei Tagen Warnstreik Ende April. Im Juni wurde nun bei 96 % Zustimmung in der Urabstimmung der unbefristete Streik ausgerufen. Mit der Taktik, Betten und Stationen zu bestreiken, konnten die MitarbeiterInnnen auch in zwei Gerichtsverfahren vor dem Arbeitsgericht nachweisen, dass dadurch keine PatientInnen vernachlässigt werden, wenn diese gar nicht erst aufgenommen würden - was in einem Streik des Pflegepersonals natürlich sofort von Arbeit„geber“seite als moralisches Druckmittel angeführt werden könnte.

Die Notversorgung war also gesichert und geplante Operationen wurden verschoben, was einer Klinik, deren Gewinn auf der Fallpauschale (den sogenannten DRGs) basiert, natürlich erheblichen Schaden zufügt. Über 11 Tage schafften es die Streikenden, 1.200 der 3.000 Betten an der Charité „lahmzulegen“.

Die Gewerkschaft bekam regen Zulauf. Es wurden öffentlichkeitswirksame Aktionen und eine „Streik-Uni“ durchgeführt. Der Kontakt zwischen Tarifkommission und Basis soll während der laufenden Verhandlungen über „TarifberaterInnen“ gehalten worden sein. Keine Frage: die Öffentlichkeit wurde aufgeweckt, PatientInnen zeigten Solidarität, ebenso wie viele Pflegeeinrichtungen, Gewerkschaften, Mitglieder aller großen Parteien.

Aussetzung

Nach zwei Wochen wurde der Streik nun ausgesetzt. Vom Charité-Vorstand wurde ein „Eckpunkte-Papier“ angeboten, bei dem es wieder nur verbindliche Quoten für die Intensiv- und Kinderpflege sowie die Funktionsbereiche (OPs, Intensiveinheiten etc.) geben soll. Für Normalstationen soll es „Mindestbesetzungsstandards“ geben, bei deren Unterschreitung die Charité tariflich verpflichtet werden soll, Maßnahmen zur Entlastung (auch Verringerung des Arbeitsvolumens) zu schaffen. Fragt sich jetzt, wie diese Standards festgelegt werden sollen (wieder nach der Fallpauschale?), wie schnell und ob überhaupt die Geschäftsführung auf solche „Hilferufe“ reagieren wird, und wenn ja, mit welchem Personal? Sollen dann schnell mal ein paar Leasingkräfte eingeschleust werden, deren „Wirksamkeit“ zur Personalentlastung ja erwiesenermaßen gering ist, wenn sie nicht gut eingearbeitet werden? Immerhin verspricht die Geschäftsführung 5% Personalaufstockung für die „Normalpflege“ - doch das ist weit entfernt vom geforderten 1:5-Schlüssel. Auch für Nachtdienste sind keine Verbindlichkeiten geplant.

Bereits seit zwei Jahren läuft nun der Kampf an der Charité, nicht für mehr Geld, sondern für eine festgelegte Personalquote in allen Pflegebereichen, die natürlich konträr zum Fallpauschalen-System steht, das Gewinn nur für zeitnahe „Erledigung“ einer Erkrankung verspricht. Das Pflegepersonal geht daran langsam, aber sicher kaputt, wie die zunehmenden psychischen Erkrankungen beweisen.

Der Charité -Vorstand setzt weiter auf Verzögerungstaktik. Es ist nicht zu erwarten, dass er jetzt die Taschen leert, „allein“ für zufriedenes Pflegepersonal. Der Kampf geht also weiter. Um zu siegen, stellt sich jedoch auch zwingend die Frage, wie die Auseinandersetzung bundesweit, auf alle öffentlichen wie privaten Krankenhäuser, auf das ganze Gesundheitssystem ausgeweitet werden kann?

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Nr. 201, Juli/Aug. 2015
*  EU-Imperialismus und Griechenland: Ein Exempel soll statuiert werden
*  Editorial
*  LFI-Stellungnahme: Oxi - und jetzt weiter voran!
*  Tarifabschluss bei der Post: NEIN zu diesem Abschluss!
*  Gegen die Troika-Diktate: Solidaritätsbewegung aufbauen!
*  Charité Berlin: Streik ausgesetzt
*  Tarifkämpfe 2015: Streikwellen über Deutschland?
*  AfD und das Ende von Bernd Lucke: Die Geister, die ich rief
*  Das Erneuerbare-Energien-Gesetz: Energiewende, Bluff oder Flop?
*  Militarismus: Aufrüstung der Bundeswehr
*  Krise der NaO: Revolutionäre Einheit oder plurale Beliebigkeit?
*  Syrien: Nein zur türkischen Intervention! Verteidigt Rojava!