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Winterolympiade in Russland Väterchen Schüttelfrost Bruno Tesch, Neue Internationale 186, Februar 2014 Russland war vor dem 1. Weltkrieg das schwächste Glied in der Kette des Imperialismus. Ein Jahrhundert später, nach der Revolution von 1917 und der Errichtung eines Arbeiterstaats, nach dessen Bürokratisierung unter Stalin, nach der Restauration des Kapitalismus ist es nun an einem Punkt angelangt, wo seine imperialistischen Ambitionen immer klarer zu Ausdruck kommen. Russland kommt nicht vom Fleck Russland zählt zu den sog. BRIC-Staaten. Im Vergleich zu den anderen BRIC-Staaten fällt jedoch sein stagnierendes und seit 2010 sogar leicht rückläufiges BIP-Wachstum auf. Zwar ist es mit 3,6% etwa so hoch wie in Brasilien, aber das lateinamerikanische Land hat ebenso wie Indien gegenüber dem Vorjahr einen Sprung nach vorn gemacht, während Russland nicht von der Stelle kommt. Die günstige Staatsverschuldung von nur 11,03% im Jahr 2012 rührt v.a. von Russlands Rohstoffreichtum. Doch dieses Standbein kann langfristig wackeln, wenn sich strukturell in der Gesamtwirtschaft wenig ändert. Die Investitionstätigkeit ist schwach, die Infrastruktur ist veraltet, die Kreditzinsen der beiden beherrschenden Staatsbanken sind hoch und unattraktiv für Unternehmensneugründungen, weswegen Ex-Finanzminister Kudrin von einer BIP-Steigerungsgrenze von 4% ausgeht. Bei einem Preisverfall für Öl und Gas um 20% wäre selbst diese Marke nicht mehr erreichbar. Politische Probleme Um seine Ansprüche als global player zu unterstreichen, muss Russland sich v.a. diplomatisch engagieren. Das geschah relativ erfolgreich in Syrien. Aktuell gilt dies auch für die Ukraine, wo die russische Staatsführung durch hochherzige „Nachbarschaftshilfe“ in Form von Überbrückungskrediten dem Einfluss der EU scheinbar das Wasser abgegraben hat. Doch der Druck gerade an der „Westfront“ nimmt zu. Russland sieht sich bedroht, da keine Pufferstaaten mehr als Polster dienen können und nun der imperialistische Konkurrent, die EU, an mehreren Stellen direkt an seinen Grenzen steht (Polen, Baltikum). Auch die USA haben kein Interesse daran, ihre Position gegenüber dem alten Feind aus dem Kalten Krieg aufzugeben. Zwar wurde die Aufstellung eines Raketenschirms in Polen vorerst auf Eis gelegt. Die Verlagerung des militärischen Schwerpunkts nach Asien würde aber das Bedrohungspotenzial statt im Westen an der Ostflanke des Riesenreichs erhöhen. Daneben hat die Staatsspitze auch innenpolitische Baustellen zu versorgen. Selbst wenn die bürgerliche Opposition v.a. von der westlichen Propaganda gehypt wird und in der russischen Bevölkerung keinen starken Rückhalt hat, muss der Kreml darauf reagieren. Er tut dies auf zwiespältige Weise: zum einen durch Amnestieerlasse für prominente, aber politisch unbedeutende Häftlinge (Chodorkowskij, Pussy Riot) oder die Lockerung von Wahlzulassungsregeln gegen oppositionelle Kandidaten (Nawalnij). Andererseits werden erz-reaktionäre Gesetze verschärft (Homophobie, Sicherheit) und Opposition behindert (Jabloko). Sinnigerweise wird gerade im letzten Fall der Spieß umgedreht. Der bürgerlich-liberalen Partei wurde Unterschriftenfälschung vorgeworfen, nachdem kurz zuvor die Parlaments-Wahl Ende 2011, aus denen Putins Partei „Einiges Russland“ fast mit absoluter Mehrheit hervorging, von Manipulationsvorwürfen gegen die Regierungspartei begleitet war. Dies führte auch zu massiven Protesten auf der Straße, die aber inzwischen wieder eingedämmt sind. Kaukasischer Kreidekreis Die Gesten der „Zivilisierung“ richten sich v.a. an den Westen. Uneingeschränkten Beifall aus diesem Lager erhält hingegen der Kampf gegen die „islamistischen Terroristen“. Die Selbstmordattentate von Wolgograd haben allerdings auf ein immer noch ungelöstes Problem aufmerksam gemacht: das der unterdrückten Nationalitäten, die unter dem großrussischen Chauvinismus zu leiden haben. In besonderem Maß trifft dies auf die Kaukasus-Region zu. Seit dem Ende der UdSSR haben mehrere Kriege das Gebiet erschüttert, zuletzt 2010 der in Südossetien und Georgien. Der Krieg um Tschetschenien, der fast ein Jahrzehnt dauerte, gilt zwar offiziell seit 2009 als beendet, doch die Konfliktlinien mit der Vielzahl von Ethnien haben sich nicht entscheidend verändert. Die BewohnerInnen leben weiter im Elend. Obwohl einige Territorien als formal unabhängige Staaten existieren, steht die ganze Region unter dem Einfluss Russlands, denn hier liegt ein bedeutendes, für die russischen Großmachtpläne unverzichtbares Energiereservoir. Der Befreiungswille und der Widerstand gegen Russlands Großmachtpolitik wird durch Guerrilla- und Terroraktivitäten, die spektakulär sogar bis ins Moskauer Zentrum hineingetragen wurden, in den Medien als „islamistischer Kampf“ dargestellt und von russischen und westlichen Regierungen politisch ausgeschlachtet und gerechtfertigt. Spiele in frostigem Klima Unter diesen Vorzeichen finden die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, einem Ort unweit dieser Problemzone am Nordwestrand des Kaukasus, statt. 37,5 Milliarden Euro lässt sich die Regierung die Ausrichtung der Olympiade kosten: Geld, das dringend für andere infrastrukturelle Zwecke gebraucht würde. Für die Bauprojekte wurden tausende AnwohnerInnen zwangsumgesiedelt. Es ist zudem mehr als fraglich, ob die hingeklotzten Sportstätten auch später noch genutzt werden oder ob die Region über das Olympiaspektakel hinaus ein Tourismusmagnet wird. Dagegen steht schon jetzt fest, dass ökologisch Raubbau an den natürlichen Gegebenheiten betrieben wurde. Landschaften wurden platt gemacht, Flüsse wurden umgeleitet, um Skitrassen, Hallen, Medienzentren aus dem Boden zu stampfen. Das Internationale Olympische Komitee hatte den Bau von 42.000 Hotelzimmern zur Auflage gemacht. Dem leistete die russische Organisation willig Folge. Die Verunreinigung der Böden durch Nitrit-Stickstoffe, Tenside usw. wird ebenfalls ein bleibendes Vermächtnis der Spiele bleiben. Höchster Wert wurde auch auf Vorkehrungen gelegt, um die internationalen Gäste zu beschützen. 37.000 Polizisten sind dafür im Einsatz. Ganz nebenher wird demnächst auch ein Antiterrorgesetz vom Parlament abgesegnet, dessen Vorgriff jetzt schon spürbar ist. Das Stadtgebiet von Sotschi ist in zwei Zonen aufgeteilt. In der Nähe von olympischen Sportstätten besteht ein kontrollierter Bereich. Dort haben nur Personen mit Tickets Zugang, die auch ihre Identität nachweisen müssen. Ohnehin hat sich jeder Olympia-Gast polizeilich zu melden, wenn er sich länger als 3 Tage in der Stadt aufhält. Das Bergareal oberhalb von Sotschi wurde zum absoluten Sperrbezirk erklärt. Fahrzeuge müssen registriert werden, ohne Akkreditierung werden sie nicht in die Stadt gelassen. Das politische Versammlungsrecht ist für die Dauer der Spiele eingeschränkt, Demonstrationen dürfen allenfalls nach vorheriger behördlicher Genehmigung stattfinden - in einem eigens dafür zugewiesen Teil der Stadt abseits von den Olypmia-Zentren und unter polizeilicher Festlegung der Teilnehmerzahl. Russischer Whistleblower Ein besonders delikates Detail des russischen Geheindienstes FSB wurde vor kurzem von A. A. Soldatow auf dem blog agentura.ru enthüllt. Der FSB verwendet Sorm, ein dem Prism durchaus vergleichbares Programm zur Ausspähung und Datenvorratsspeicherung. Alle Personendaten jedes Journalisten, Olympiateilnehmers und der Helfer werden lückenlos erfasst. Und das in dem Land, dessen Regierung mit großer Geste dem US-Whistleblower Edward Snowden Aufnahme und Schutz gewährt hat! Mit dem Antiterrorgesetz wird nun auch dem russischen Staat eine rechtliche Handhabe gegeben, politisch missliebige Internetseiten abzuschalten. Boykott? Einige Prominente aus dem bürgerlichen Lager, darunter Oppositionelle in Russland sowie Showgrößen im Ausland haben wegen der Menschenrechtsverletzungen zum Boykott der Winterspiele aufgerufen. Einen offiziellen Boykott seitens politischer Führungen wird es aber nicht geben. Immerhin muss jedoch das demonstrative, aber ohne Angabe von Gründen erfolgende Fernbleiben des deutschen Bundespräsidenten Gauck oder des französischen Präsidenten Hollande als politischer Affront gewertet werden, der das derzeit durch die Ukraine angespannte Klima zwischen Russland und der EU nicht aufhellen dürfte. Die kapitalistischen Sponsoren und Medien lassen sich jedoch die große Reklamefläche Olympia auf keinen Fall entgehen und werden keinerlei Skrupel kennen und ihre Geschäfte machen, auch um den Preis, dass autoritäre Regierungen ihr Image damit aufpolieren. Sotschi 2014 reiht sich somit in die unselige Reihe sportlicher Mega-Events ein, die riesige Ressourcen vergeuden und ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen werden, um Baufirmen, Sportartikel-Konzernen und den internationalen Sportverbänden Milliarden zuzuschanzen. Sotschi 2014 wird ein weiteres Symbol für die Pervertierung des Sports im Kapitalismus. |
Nr. 186, Februar 14
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