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Ägypten

Konterrevolution konsolidiert?

Tobias Hansen, Neue Internationale 186, Februar 2014

Drei Jahre nach dem Sturz von Mubarak fragen inzwischen auch bürgerliche Medien, ob sich in Ägypten etwas geändert hätte, oder ob die aktuelle Militär-Interimsregierung nur versucht, die alten Zustände wieder herbei zuführen.

Vorläufig letzter Akt der „Restauration“ der Militärherrschaft war das Verfassungsreferendum vom 15./16. Januar, wozu die derzeitige zivile Regierung unter Adli Mansur aufgerufen hatte. Mit martialischen Worten und Aufrufen betrieb v.a. das Militär Wahlkampf für diese Abstimmung, umso sicherer war dann die gemeldete Zustimmung von 95% der abgegebenen Stimmen.

Die Plakate des Militärs zeigten Armeechef Sisi mit dem Slogan "Das Volk hat Dir den Befehl gegeben. Antworte! Die Heimat blutet!" Unter diesem Motto drückte das Militär ein Referendum durch, welches die Rechte des Militärs sichert und ausbaut. So gibt es z.B. General Sisi die Möglichkeit, bei den Präsidentschaftswahlen als amtierender Armeechef anzutreten. In der neuen Verfassung werden die Vorrechte des Militärs verstärkt, die Medien werden gleichgeschaltet, Kritik an der Übergangsregierung gilt als gleichbedeutend mit „Kontakt zu Terroristen“. Auch die Verfügung des Militärs über weite Teile der Wirtschaft bleibt unangetastet.

Über die Wahlbeteiligung gibt es widersprüchliche Meldungen. Beobachter meinen, dass sie zwischen 30-55% läge. Die 55%, die das Militär angibt, sind sicher übertrieben. Die inzwischen verbotenen Muslimbrüder hatten ebenso wie die noch nicht verbotenen Salafisten zum Boykott des Referendums aufgerufen. Bei Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Armee und den Protestierenden starben während der Abstimmung 9 Menschen, fast 500 wurden verhaftet.

Bei den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2014 wird wahrscheinlich General Sisi antreten. Sein Wahlsieg ist unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich und würde bedeuten, dass das Militär „demokratisch“ legitimiert erneut direkt die Macht übernimmt.

Dabei präsentiert sich die Armee als Garant von „Ordnung und Sicherheit“. Nach dem Sturz Mubaraks vermochten weder die Muslimbürder noch die Liberalen um El Baradei, die Lage zu stabilisieren und sich als Sachwalter der Interessen der ägyptischen Bourgeoisie und des Imperialismus zu profilieren - trotz ihre kapitalhörigen Politik, trotz ihrer Unterordnung unter die Vorgaben des IWF u.a. internationaler Agenturen des Kapitals. Sie konnten es insbesondere auch deshalb nicht, weil sie nicht in der Lage waren, die von der Revolution mobilisierten Massen erfolgreich in eine „demokratische“ Neuordnung einzubinden.

Die - selbst alles andere als demokratische - „liberale“ Fraktion der ägyptischen Kapitalistenklasse offenbarte ihren fehlenden gesellschaftlichen Rückhalt bei jeder Wende der politischen Lage. Während diese Demokraten gern „Führer“ einer Bewegung spielen wollten, waren sie nichts weiter als ein Sprachrohr des US-Imperialismus und mehr oder minder nützliche Idioten des Militärs.

Sie scheiterten natürlich nicht nur an den diktatorischen und erzreaktionären arbeiterfeindlichen Zielen der Muslimbrüder, ihren Angriffen auf religiöse Minderheiten und die Rechte der Frauen. Sie war auch nicht in der Lage, die weitere, drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen infolge von Krise, Massenarbeitslosigkeit und Preissteigerungen aufzuhalten, was zu einer massiven Zunahme von demokratischen und gewerkschaftlichen Protesten in der ersten Jahreshälfte 2013 führte.

Die demokratische Jugend auf der Straße und die Lohnabhängigen bildeten zwar die aktive Triebkraft der Bewegung, die sich sowohl der Etablierung einer notdürftig verhüllten Diktatur der Muslimbruderschaft wie auch der Militärherrschaft widersetzen wollte. Allein, sie verfügte in keiner Phase der Bewegung über eine eigene, von den bürgerlichen, kleinbürgerlichen Parteien und Kräften unabhängige politische und programmatische Perspektive zur Neuordnung des Landes. Ihre eigene „Vision“ verblieb innerhalb des Rahmens der bürgerlichen Ordnung.

So konnte sich das Militär mangels einer politischer Massenalternative und einer gewissen Erschöpfung als scheinbar über allen stehender „Ordnungsfaktor“ anpreisen. Der Putsch der Generäle wurde nicht nur von den westlichen Medien als „letzte Rettung vor dem Islamismus“ verklärt, auch große Teile der ägyptischen Linken redeten sich den Putsch schön und gaben sich der Illusion hin, dass eine Reetablierung der Militärherrschaft aufgrund des Mobilisierungsgrades der Massen unmöglich sei.

Diese Täuschung und Selbsttäuschung bezahlen die ArbeiterInnen und die Jugend jetzt bitter. In den letzten Monaten herrschten Ausnahmezustand und Ausgangssperre in Ägypten. Das Militär nutzte diese Zeit, um die Muslimbrüder zu verbieten, einzusperren und zu verfolgen. Dies war eine sehr anschauliche Demonstration dessen, was das Militär von einer demokratisch gewählten Regierung hält und wie sie mit ihr umgeht, wenn sie ihnen nicht mehr passt.

Welche Perspektive?

Das Erstarken der Konterrevolution und deren augenblicklicher Erfolg stellt allerdings noch nicht das Ende des Arabischen Frühlings oder der Ägyptischen Revolution dar.

Im Gegensatz zum Januar/Februar 2011, als das Militär keine volle Kontrolle mehr über die Truppen hatte und die Soldaten sich mit den Protestierenden auf dem Tahir Platz verbündet hatten, konnte es nun die Macht wieder an sich reißen. Jetzt wird das Militär wieder versuchen, als „ideelle Gesamtregierung“ aufzutreten, es wird den Nationalismus schüren, die Gesellschaft gleichschalten und demokratische Rechte abbauen.

Doch so sicher, wie ihre Herrschaft scheint, ist sie nicht. Wie einst Mubarak wird auch sie daran scheitern, die sozialen Probleme zu lösen und v.a. der Jugend eine Perspektive zu bieten. Auch die neue Militärjunta wird versuchen, sich den Löwenanteil der Profite zu sichern. Sie wird versuchen, die religiösen Konflikte anzustacheln, um die Massen zu spalten. Allerdings haben die ägyptische Arbeiterklasse und die Jugend eine wichtige historische Erfahrung gemacht: sie sahen den Spitzelstaat von Mubarak zusammen brechen und erlebten, welche Macht von ihrer Revolution ausging.

Wie in anderen Staaten der Region stellt sich nun die Frage, wo und wann die nächste revolutionäre Welle entsteht und welche politischen Konsequenzen aus den ersten Erhebungen gezogen werden.

In Syrien herrscht ein offener Bürgerkrieg, in Libyen und Jemen ein teils versteckter, in Tunesien bricht eine Übergangsregierung nach der anderen zusammen. Die Aufstände und somit auch der Arabische Frühling sind nicht vorbei - sie stehen vor einer neuen Entwicklungsphase.

Die Sackgasse, in der sich die revolutionären Bewegungen befinden, ihre Niederlagen resultieren v.a. daraus, dass die Arbeiterklasse nicht oder zu wenig als eigenständige oder gar führende politische Kraft in Erscheinung trat und die Bewegungen stets von diesem oder jenem Flügel des (Klein)bürgertums geführt wurden. Wenn die Revolution weitergeführt werden soll, muss sich das ändern. Das bedeutet, dass die Lohnabhängigen ihre Organisationen, v.a. die Gewerkschaften,  zu effektiven Mitteln des Kampfes und der Revolution machen. Sie müssen mit betrieblichen und städtischen Basisstrukturen verbunden sein, die Protest und Widerstand organisieren.

Die wieder gefestigte Herrschaft des Militärs in Ägypten bedeutet, dass Kampftaktiken wie Demonstrationen oder Platzbesetzungen wenig Aussicht auf Erfolg haben, wie auch die verzweifelten Aktionen der Muslimbrüder zeigen. Stattdessen muss der Schwerpunkt auf Streiks bis hin zum Generalstreik gelegt werden. Ein Zwischenschritt zur Sammlung der Kräfte kann dabei auch eine (gemeinsame) Kandidatur von linken Kräften in den bevorstehenden Wahlen sein.

All diese Aktivitäten müssen aber mit dem Aufbau von Arbeiterparteien, die im Bündnis mit den Bauern und der Jugend ihre Klasseninteressen vertreten, verbunden sein, denn weder eine Gewerkschaft noch Basisstrukturen können deren Rolle übernehmen und auch auf einer allgemeinen politischen und Staatsebene wirksam sein.

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