Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Zypern

Ein Land unter Troika-Diktat

Tobi Hansen. Neue Internationale 178, April 2013

Wenn Kapitalismus und Finanzmarkt nicht mehr funktionieren, dann schließen die Banken. Seit dem 16. März hatten die Banken Zyperns ihre Geschäftsstellen geschlossen, an den Automaten bildeten sich lange Schlangen, in einer zweiten Stufe durften nur noch 100 Euro am Tag abgehoben werden.

Eine Troika wurde für Zypern eingesetzt, diese vertritt die Forderungen der Euro-Bürokratie, speziell jene der deutschen Regierung. Der zyprische Finanzmarkt braucht neue Kredite, etwa 10 Mrd. Euro sollen jetzt durch die EZB transferiert werden.

Das Krisen-Szenario

Die Euro-Gruppe mit dem Vorsitzenden Dijsselbloem übt massiven Druck auf die konservative zyprische Regierung aus, alle Drohungen inkl. Staatsbankrott und Ausschluss aus der Euro-Zone waren auf der Tagesordnung. Zunächst stellte die EU ihren Plan vor, der zum einen eine Zerschlagung des zyprischen Finanzsektors vorsah und zum anderen einen massiven Angriff auf die Spareinlagen.

Nach den ersten Plänen sollten alle Vermögenswerte zur Finanzierung herangezogen werden, egal ob 1.000 Euro oder eine Million - alle sollten eine Sondersteuer in Höhe von 6,7 Prozent leisten. Damit zeigte die EU-Bürokratie, dass die großen Schutzversprechungen gegenüber den Kleinsparern der letzten Jahre Schall und Rauch sind, wenn es konkret um Systemrettung geht.

Als die Auflagen zu Massenprotesten führten, wollte es freilich keiner gewesen sein, der die KleinsparerInnen auspressen wollte. Der deutsche Finanzminister Schäuble u.a. gar die Mär in die Welt, die zypriotische Regierung hätte ihnen diesen asozialen Plan „aufgezwungen“.

Diese ihrerseits tat nun so, als hätte sie den Auflagen der Troika erst gar nicht zugestimmt. Für diesen ersten Plan fand sich im zyprischen Parlament am 17. März keine Ja-Stimme - zu groß war der Massenprotest gegen diese Sparmaßnahmen. Auch die Beschäftigten der Banken waren dabei, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Sie lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Täglich demonstrieren Zehntausende auf Großdemos in Nikosia.

Nach dieser Ablehnung wurden die Verhandlungen fortgesetzt. Mantra-artig wiederholten dabei EU und deutsche PolitikerInnen, dass Zypern einen „Eigenanteil“ zu leisten hätte, in Höhe von 5,8 Mrd. Euro. Wie sich EU und deutsches Kapital diesen Eigenanteil vorstellen, wurde deutlich: direkte Enteignung der Kleinsparer, der Arm der EU-Bürokratie greift direkt aufs Girokonto.

Neue Verhandlungen und Ergebnisse

Während Brüderle von der FDP und Co. täglich Zypern mit Ausschluss drohten, musste Zyperns Präsident Anastasiadis mit EU-Ratspräsident van Rompoy, Kommissionschef Barroso, Währungskommissar Rehn, EZB-Chef Draghi und IWF-Chefin Lagarde über einen neuen Vertrag verhandeln. Dabei geht es v.a. darum, wie der zyprische Finanzsektor zerschlagen werden kann.

Die Zwangsabgaben auf die kleinen Spareinlagen sind jetzt vom Tisch, stattdessen soll die zweitgrößte Bank Laiki zerschlagen werden, quasi in eine Good-Bank und eine Bad-Bank.

Die Einlagen bis 100.000 Euro sollen direkt an die größte Bank (Bank of Cyprus) transferiert werden, ebenso die Schulden der Laiki-Bank bei der zyprischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. Euro. Vermögenswerte über 100.000 Euro werden auch transferiert, aber zunächst eingefroren. Diese Vermögen bleiben zunächst in einer Bad-Bank-Abteilung der Bank of Cyprus und sollen zum Teil in Aktien der Bank umgewandelt werden, Gerüchteweise könnte das mit 40% der Vermögenswerte geschehen, aber das steht noch nicht fest.

Diese Zerschlagung durch die EU-Bürokratie zeigt auch eine neue Qualität der Krise, wie auch die Maßnahmen der EU. Auf Zypern lagern nach verschiedenen Schätzungen 30-40 Mrd. Euro an Finanzanlagen, hauptsächlich aus Russland und Großbritannien, welche dort bislang noch den Zinssatz von über 4% absahnen konnten, was einmalig im gesamten Euroraum ist. Dadurch konnte Zypern einige Anlagen anlocken, innerhalb des Euroraums war es ein Zinsparadies und somit der Finanzmarkt auch größter Sektor der zyprischen Wirtschaft.

Damit soll jetzt Schluss sein und durch die Bankenzerschlagung eine Neuordnung der Vermögenswerte nach Vorschrift von EZB, IWF und Troika eingeleitet werden - letztlich nach den Interessen der stärksten Kapitalgruppen des Euroraums BRD und Frankreich. Dass dabei speziell russische und britische Anlagen betroffen sein werden, ist kein Zufall, sondern Ausdruck des Verteilungskampfs zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen in dieser Wirtschaftskrise.

Andererseits wird die Einigung zur „Rettung“ des zypriotischen Finanzsektors selbst nur Flickwerk bleiben und bleiben müssen - so wie alle bisherigen „Rettungsaktionen“ der EU. Auch wenn hier einige Großanleger etwas abgeben müssen, so schreibt der Rettungsplan letztlich das System fort, das zur Krise geführt hat. Die enormen Überhänge an Anlage suchendem Kapital bestehen weiter. Sie suchen daher zwangsläufig nach spekulativen Investitionsmöglichkeiten, weil die industriellen Profitraten für das Kapital als zu niedrig gelten und auch dort weiter riesige Überkapazitäten vorhanden sind.

Doch ohne massive Kapitalvernichtung ist im Rahmen des Kapitalismus eine Überwindung der Krisenursachen nicht zu haben. Da führt das ganze Gezeter in die Irre, dass sich Zypern ein „unhaltbares Geschäftsmodell“ ausgedacht hätte, während in den Ländern, bei den Kapitalgruppen, die dem Kleinstaat erst dies „Sonderrolle“ zugewiesen haben, nur solides Wirtschaften angesagt wäre.

Merke: Nicht der Kapitalismus ist es, der notwendig zu Krisen führt, sondern sein Exzesse. Dumm nur, dass sie zu ihm dazugehören, wie die Kälte zum Winter.

Die Zypernkrise hat aber auch zwei weitere Phänomene hervorgebracht, die wir mit jeder neuen Eruption der Wirtschaftskrise, mit jeder neuen Finanzkrise und platzenden Blase sehen werden. Einerseits der Konflikt zwischen imperialistischen Mächten, aus der Krise für sich Gewinn, für andere eine Schwächung ihrer Position herauszuholen wie auch den verzweifelten Versuch der Regierungen - in diesem Fall der zypriotischen - zwischen diesen Polen zu lavieren. Andererseits der Konflikt innerhalb der dominierenden Kapitalfraktionen um das „Lösungsrezept“. Während ein Teil aus Angst vor den Folgen eines Zusammenbruchs zu „Rettungsaktionen“ greifen will, rät ein anderer dazu, die Krise ihre zerstörerische Arbeit mit einem Schlag machen zu lassen, einzelne Banken oder Staaten bankrott gehen zu lassen und so überschüssiges Kapital im größeren Stil zu vernichten.

Auswirkungen für die Massen

Sicher werden jetzt auch Anteile russischen und britischen Vermögens gekappt und umgewandelt und v.a. der zu erwartende Zinssatz (also die Dividende) wird drastisch gekürzt. Während wir dort allerdings sicher davon ausgehen können, dass kein Investor oder Besitzer dadurch in Armut gerät, wird bereits seit zwei Jahren die Krise direkt gegen die Bevölkerung gewendet.

Die Ankündigungen von EU-Kommissar Rehn, dass die nächsten Jahre hart werden für die zyprische Bevölkerung, zeigt klar, wer die entstandenen Verluste begleichen soll. Die Aufgliederung der bestehenden Banken wird auch wieder zu einer Sozialisierung der Verluste führen. Das bedeutet für die Beschäftigten und RentnerInnen weitere Lohn- und Sozialkürzungen. Wie in Griechenland, Portugal und Spanien wird auch hier eine Troika die Geschicke des Finanzsektors übernehmen und die Regierung im Sinne des BRD-Kapitals und der EU-Bürokratie kontrollieren. Zypern steht nun endgültig unter Kontrolle - und das bedeutet systematische Verarmung der Bevölkerung, wie sie seit zwei Jahren in ganz Südeuropa stattfindet.

Europäische Solidarität?

Zur Lage in Zypern gab es wenig europäische Unterstützung. Die radikale Linke und auch die Gewerkschaften Europas sind nicht in der Lage, Widerstand und Solidarität zu organisieren. Um so wichtiger wird es sein, die wenigen Anknüpfungspunkte dafür aufzunehmen.

Wenn die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen im Juni einen Gipfel für ein „demokratisches und soziales“ Europa in Athen veranstalten wollen, dann muss die radikale, sozialistische Linke eine Alternative aufzeigen. Beim Treffen in Florenz im November, bei dem sich hauptsächlich Teile der Sozialforumsbewegung und NGOs trafen, waren bis auf wenige Ausnahmen keine anti-kapitalistischen/sozialistischen Gruppen anwesend. Wir rufen alle Gruppen dieses Spektrums auf, dies in Athen beim Gipfel zu ändern!

Wir brauchen eine Vernetzung und Organisierung der Kräfte, die den Widerstand gegen die EU des Kapitals voran bringen wollen, eine Alternative zur Stillhaltepolitik der reformistischen Führungen der europäischen ArbeiterInnenbewegung. Wenn diese in Athen für ein „demokratisches und soziales“ Europa werben wollen, dann müssen die sozialistischen und anti-kapitalistischen Kräfte zeigen, wie wir den Abbau der Demokratie in der Krise bekämpfen können, wie wir einen geeinten europäischen Widerstand gegen die Spardiktate organisieren wollen - das muss die Alternative sein und diese ist notwendiger denn je!

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 178, April 2013
*  10 Jahre Agenda 2010: Die Reformisten und ihr Dilemma
*  IG Metall: 30 Stunden und viele Ausreden
*  Tarifabschluss der Landesangestellten: LehrerInnen als Bauernopfer?
*  Tarifrunde Metall: Darf es ein bisschen weniger sein?
*  Halle: Streikerfolg sichern
*  Buchbesprechung: Griechenland - was nun?
*  Blockupy 2013: Welchen Widerstand brauchen wir?
*  Weltsozialforum in Tunis: Eine einzige Lösung - globale Revolution!
*  Italien: Das Grillo-Phänomen
*  Nachruf: Hugo Chavez Frias
*  Landwirtschaft: Ernährung am Abgrund
*  Zypern: Ein Land unter Troika-Diktat